TE Vwgh Beschluss 2020/7/16 Ra 2020/21/0165

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Veröffentlicht am 16.07.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §55
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1
VwGG §41
VwGG §63 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des S Q, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. April 2019, W228 2190419-1/22E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in Österreich am 27. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 13. Februar 2018 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.). Des Weiteren sprach es aus, dass dem Revisionswerber (von Amts wegen) kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt werde (Spruchpunkt III.), und es erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.). Unter einem stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Schließlich wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

3        Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 19. Dezember 2018 in Bezug auf die Spruchpunkte I., II. und III. als unbegründet ab (Spruchpunkte A.I. bis III.). Hinsichtlich der Spruchpunkte IV., V. und VI. des BFA-Bescheides wurde der Beschwerde stattgegeben und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung „in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan“ gemäß „§ 52 FPG in Verbindung mit § 9 BFA-VG“ auf Dauer für unzulässig erklärt (Spruchpunkt A.IV.) und dem Revisionswerber gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt (Spruchpunkt A.V.).

4        Die Spruchpunkte A.I. bis A.III. dieses Erkenntnisses blieben vom Revisionswerber unbekämpft, sodass neben der Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 vor allem die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz in Rechtskraft erwuchs. Gegen die Spruchpunkte A.IV. und A.V. erhob das BFA eine Amtsrevision, der zufolge der Verwaltungsgerichtshof die angefochtenen Spruchteile wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes mit Erkenntnis vom 10. April 2019, Ra 2019/18/0049, aufhob.

5        Der Verwaltungsgerichtshof hielt im Rahmen der Wiedergabe des Inhalts des bei ihm angefochtenen Erkenntnisses fest, das BVwG habe bei seiner Interessenabwägung die etwas mehr als dreijährige Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers, das Bemühen um umfassende Integration sowie den Umstand, dass dem Revisionswerber eine Beschäftigungsbewilligung für die berufliche Tätigkeit als Tischler erteilt worden sei und er sich seit 7. Februar 2018 als Tischlerlehrling in Ausbildung befinde, wobei er aus dieser Tätigkeit künftig ein regelmäßiges Einkommen lukrieren werde, berücksichtigt. Zudem habe es den vorhandenen Arbeitswillen, den der Revisionswerber unter anderem durch seine freiwillige Tätigkeit beim Roten Kreuz unter Beweis stelle, sowie die guten Deutschkenntnisse und die intensive Teilnahme am sozialen Leben in seinem Wohnumfeld zu dessen Gunsten gewertet und es sei insgesamt von einem „ausreichenden Grad an Integration“ ausgegangen.

In rechtlicher Hinsicht habe das BVwG erwogen, dass unter Berücksichtigung der genannten Aspekte im Rahmen einer Gesamtbetrachtung im konkreten Einzelfall die privaten Interessen des Revisionswerbers am Verbleib im österreichischen Bundesgebiet und an der Fortführung seines bestehenden Privatlebens gegenüber den öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung zugunsten eines geordneten Fremdenwesens überwiegen würden, weshalb sich eine Rückkehrentscheidung im Entscheidungszeitpunkt als unverhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK erweise.

6        Diesen Ausführungen hielt der Verwaltungsgerichtshof unter Berufung auf Vorjudikatur entgegen, die Amtsrevision zeige zutreffend auf, dass im gegenständlichen Fall - entgegen der Ansicht des BVwG - eine die Erteilung eines Aufenthaltstitels im Grunde des Art. 8 EMRK rechtfertigende „außergewöhnliche Konstellation“ nicht vorliege. Der Revisionswerber halte sich (erst) seit etwa dreieinhalb Jahren im Bundesgebiet auf. Selbst unter Berücksichtigung seiner umfassenden - der Art. 8 EMRK-Abwägung zugrunde gelegten - Integrationsbemühungen bestehe allein dadurch noch keine derartige Verdichtung seiner persönlichen Interessen, dass bereits von „außergewöhnlichen Umständen“ gesprochen werden könne und ihm schon deshalb unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein dauernder Verbleib in Österreich ermöglicht werden müsste.

Der Verwaltungsgerichtshof habe zudem mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend sei, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Den festgestellten - somit relativierten - privaten Interessen des Revisionswerbers stehe das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber, das vom BVwG fallbezogen letztlich nicht ausreichend gewichtet worden sei (Hinweis auf VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, wonach auch eine Lehre in einem Mangelberuf nicht bereits ihrerseits als besonderes öffentliches Interesse zu berücksichtigen sei). Insgesamt habe sich das BVwG daher bei seiner Abwägung im Sinne des Art. 8 EMRK nicht innerhalb der vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Grundsätze bewegt, weshalb das angefochtene Erkenntnis im bekämpften Umfang aufzuheben sei.

7        Unter Bezugnahme auf diese Begründung wies das BVwG im zweiten Rechtsgang mit dem vorliegend angefochtenen Erkenntnis vom 29. April 2019 die Beschwerde im verbliebenen Umfang, nämlich soweit sie sich gegen die Spruchpunkte IV., V. und VI. des Bescheides des BFA vom 13. Februar 2018 richtete, als unbegründet ab. Unter einem sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

8        Infolge der dagegen erhobenen Beschwerde hob der Verfassungsgerichtshof dieses Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers in den Herkunftsstaat Afghanistan „unter“ Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wurde, wegen Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander mit dem Erkenntnis VfGH 24.2.2020, E 1697/2019, auf. Im Übrigen, sohin soweit sich die Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung richtet, wurde ihre Behandlung abgelehnt und die Beschwerde insoweit dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

9        Über die Zulässigkeit der in der Folge fristgerecht eingebrachten außerordentlichen Revision hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

10       Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

12       Unter diesem Gesichtspunkt wird in der Revision geltend gemacht, das BVwG habe nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. April 2019 das Amtswegigkeitsprinzip nicht beachtet, das Parteiengehör nicht gewahrt und gegen das Überraschungsverbot verstoßen. Demnach habe das BVwG der Verpflichtung, vor der neuerlichen Entscheidung den „aktuellen Sachverhalt“ zu erheben und seiner Entscheidung zugrunde zu legen, nicht entsprochen. Es habe dem Revisionswerber auch keine Gelegenheit gegeben, seine „aktuelle Integrationssituation“ darzulegen und dazu entsprechende Bescheinigungsmittel vorzulegen.

13       Dazu ist vorauszuschicken, dass das BVwG bei seiner Entscheidung gemäß § 63 Abs. 1 VwGG an die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes im Erkenntnis vom 10. April 2019 gebunden war, wonach bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses des BVwG vom 19. Dezember 2018 keine für die Feststellung der dauerhaften Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 in Bezug auf die Integration erforderliche „außergewöhnliche Konstellation“ vorlag. Davon hätte das BVwG nur dann abgehen können, wenn in dem mittlerweile verstrichenen Zeitraum bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses vom 29. April 2019 von etwa vier Monaten eine derart maßgebliche Änderung der diesbezüglichen Verhältnisse eingetreten wäre, dass es zu einer anderen Entscheidung hätte kommen dürfen.

14       Derartige Sachverhaltsänderungen werden in der Revision nicht aufgezeigt. Es werden zwar mehrere Beweismittel genannt, die der Revisionswerber bei Einräumung von (nochmaligem) Parteiengehör nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes ins Treffen geführt hätte (Antrag auf Zeugenvernehmungen, Vorlage von Unterstützungsschreiben). Es wird jedoch nicht dargetan, welche konkreten Sachverhaltselemente, die im Sinne der vorstehenden Ausführungen maßgebliche Änderungen im Zeitraum zwischen der Erlassung der BVwG-Erkenntnisse vom 19. Dezember 2018 und vom 29. April 2019 darstellen könnten, dadurch hätten bewiesen werden sollen. Eine generelle Intensivierung der schon bisher gegebenen integrationsbegründenden Merkmale während eines weiteren Zeitraums von etwa vier Monaten, der die Gesamtaufenthaltsdauer des Revisionswerbers in Österreich auf erst dreieinhalb Jahre erhöhte und wovon im Übrigen der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 10. April 2019 schon ausgegangen war, reicht dafür jedenfalls nicht (siehe zu Fällen mit einer ähnlichen Aufenthaltsdauer auch noch VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0149, und die dort in Rn. 8/9 zitierte Vorjudikatur). Soweit in der Revision aber erstmals eine (nicht näher bezeichnete) Freundin des Revisionswerbers, mit der er eine innige Beziehung pflege, ins Treffen geführt wird, ergibt sich auch aus diesem Vorbringen - abgesehen davon, dass es gegen das aus § 41 VwGG ableitbare Neuerungsverbot verstößt - nicht, dass diese Beziehung bereits in dem angeführten Zeitraum entstanden wäre. Zu den in der Revision behaupteten Verfahrensmängeln fehlt somit insgesamt eine ausreichende Relevanzdarstellung.

15       Der Revision gelingt es daher nicht, eine im vorliegenden Fall maßgebliche grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuzeigen. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 16. Juli 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210165.L00

Im RIS seit

28.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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