TE Vwgh Erkenntnis 1997/12/17 96/21/0150

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.12.1997
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Julcher, über die Beschwerde des (am 2. Februar 1970 geborenen) AM, vertreten durch Dr. Gerhard O. Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 12. Februar 1996, Zl. Fr-5404/96, betreffend Feststellung gemäß § 54 FrG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg (der belangten Behörde) wurde über Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 54 i. V.m. § 37 Abs. 1 und 2 FrG festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe dafür bestünden, der Beschwerdeführer sei in der Türkei gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und Wiedergabe der anzuwendenden Gesetzesbestimmungen aus, im Verfahren nach § 54 FrG obliege es dem Fremden von sich aus alles für eine Beurteilung der allfälligen Unzulässigkeit der Abschiebung nach § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG wesentliche Tatsachenvorbringen zu erstatten und dieses zumindest glaubhaft zu machen. Eine solche Glaubhaftmachung sei dem Beschwerdeführer nicht gelungen. Diesbezüglich dürfe auf die im Bescheid der Behörde erster Instanz angeführte Begründung verwiesen werden.

Aus dem im Akt erliegenden Bescheid (Konzept) der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 22. Jänner 1996 ergibt sich dazu unter Punkt E)2) folgendes:

"Die Behörde hat Grund zum Anlaß, Ihre Angaben als Ganze in Zweifel zu ziehen, denn einerseits machten Sie unterschiedliche Aussagen zu wesentlichen Sachverhalten; andererseits berichten Sie nur sehr oberflächlich von behaupteten tatsächlichen Verfolgungshandlungen.

Das Faktum, daß Sie unterschiedliche Zeitangaben machten, bezüglich Ihrer früheren Flucht nach Deutschland wertet die Behörde dahingehend, daß sich Ihr Vorbringen nicht völlig mit der Wahrheit deckt. Verfolgungshandlungen, die zur Flucht Anlaß geben und erst die Flucht selbst, mit allen damit verbundenen Schwierigkeiten stellen im Leben dermaßen einprägsame Ereignisse dar, daß es der Behörde merkwürdig erscheint, wenn Sie diesbezüglich, ein Jahr unterscheidende, Zeitpunkte angeben. Ein Irrtum Ihrerseits kann ausgeschlossen werden, da Sie persönlich den Inhalt beider Einvernahmen mit Ihrer Unterschrift bestätigt haben.

Differenzierend stellen sich ebenfalls die Angaben dar, wie Sie auf den Umstand, daß sie sich in Villach befanden, aufmerksam wurden. Auch in diesem Fall handelt es sich um ein einprägsames Erlebnis oder vielleicht sogar um einen leichten Schock und keinesfalls um ein leicht zu vergessendes alltägliches Ereignis, glaubten Sie doch bereits in Deutschland zu sein.

Grund für die erstmalige Flucht aus Ihrer Heimat sei eine massive Bedrohung gewesen, die dann wohl plötzlich weggefallen sein muß, denn ansonsten hätten Sie wohl nicht die Rückreise in Ihr Heimatland, der Türkei, angetreten. Die Ansichten der Behörden stimmen hiebei mit den Ausführungen des Bundesasylamtes im Bescheid überein, wenn ausgeführt wird, daß in diesem Zeitpunkt objektiv keine Bedrohung Ihrer Person in der Türkei vorgelegen haben kann. Dadurch äußert sich indirekt der Umstand, daß Sie auch damals vor den Asylbehörden unrichtige Angaben gemacht haben.

Merkwürdig ist des weiteren der Umstand, daß die Partei für Sie die ganze Flucht vorbereitet und organisiert habe. Dies deshalb, da gemäß Ihren Angaben die führenden Funktionäre und andere Mitglieder nach der Bürodurchsuchung festgenommen wurden. So sei die Parteistruktur ab März 1994 systematisch "durchlöchert" worden. Es kann daher aus Ihren Tatsachen begründet angenommen werden, daß die Partei als solche im September 1995 gar nicht mehr handlungsfähig war und somit Ihre Flucht organisieren hätte können. Auch eine Hilfe von seiten Ihres Zentralkommitees kann ausgeschlossen werden, gaben Sie doch selber an, mit diesem keinen Kontakt gehabt zu haben. In dieses ganze Bild - einer unrichtigen Darlegung des wahren Sachverhalts - fügt sich auch nahtlos die Tatsache ein, daß die Flucht so "stümperhaft endete".

Obwohl Ihnen beliebige Kontaktaufnahmen mit der Außenwelt eingeräumt wurde, haben Sie bis zum heutigen Tag keine Unterlagen beibringen können, welche der Behörde nachprüfbar vermitteln, daß die angeblichen Razzien gegen Ihre Partei tatsächlich stattgefunden haben. Ebenso konnten Sie Ihre Behauptung als Terrorist in der Türkei gesucht zu werden nicht mit entsprechenden Unterlagen bestätigen.

Der Umstand, daß Sie seit März 1994 bis einschließlich September 1995 nicht von der Polizei aufgegriffen und nicht verhaftet wurden - wie Ihre Parteikollegen - spricht ebenso für die Annahme in der Türkei keiner Verfolgung seitens der Polizei ausgesetzt zu sein. Es darf wohl angenommen werden, daß sich Ihre Mitstreiter auch vor der Polizei versteckt gehalten haben, deshalb sind beide Lebenssachverhalte auch miteinander vergleichbar.

Die Behörde geht daher davon aus, daß diese - Ihre - Ausführungen reine Schutzbehauptungen sind und keinesfalls der Wahrheit entsprechen."

Darüber hinaus - so die Bescheidbegründung der belangten Behörde weiter - sei festzuhalten, daß eine individuelle Verfolgung des Beschwerdeführers aus den im Schriftsatz vom 16. Jänner 1996 angeführten Punkten nicht wahrnehmbar sei. Die vom Beschwerdeführer erwähnte individuelle Verfolgungssituation sei nicht stichhältig, weil er sich bis zum Zeitpunkt seiner Ausreise offenbar unbehelligt in seiner Heimat aufgehalten habe. Daß der Beschwerdeführer tatsächlich persönlich nicht verfolgt bzw. im Sinne des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht werde, gehe auch daraus hervor, daß er die Ausreise nicht von sich aus vorgenommen habe, sondern auf die Anweisung seiner Partei gewartet habe.

Auch aus dem Berufungsvorbringen sei keine konkret die Person des Beschwerdeführers betreffende Verfolgungshandlung bzw. Gefährdung/Bedrohung nach § 37 ableitbar. Zu den vom Beschwerdeführer beigelegten Schreiben der europäischen Vertretung der PARIYA RIZGARIYA KURDISTAN wird bemerkt, daß es sich hier um ein Gefälligkeitsschreiben handle, welches von jedermann ausgestellt werden könne. Da somit keine stichhaltigen Gründe für die im § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG umschriebenen Annahmen glaubwürdig vorgebracht worden seien, sei der Antrag abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Soweit der Beschwerdeführer die Beweiswürdigung der

belangten Behörde bekämpft, ist er im Recht:

Gemäß § 45 Abs. 2 AVG hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

Nach § 60 AVG sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

Der im § 45 Abs. 2 AVG zum Ausdruck kommende Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet nicht, daß der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Diese Bestimmung hat nur zur Folge, daß - soferne in den besonderen Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist - die Würdigung der Beweise keinen anderen, insbesondere auch keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Der Verwaltungsgerichtshof ist an den von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt insoweit nicht gebunden, als dieser in einem wesentlichen Punkt aktenwidrig angenommen wurde, der Ergänzung bedarf oder bei seiner Ermittlung Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Schließlich unterliegt die Beweiswürdigung der Behörde auch der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes in der Richtung, ob alle zum Beweis oder zur Widerlegung strittiger Tatsachen nach der Aktenlage objektiv geeigneten Umstände berücksichtigt wurden und die Behörde bei der Würdigung dieser Umstände (bzw. bei Gewinnung ihrer Schlußfolgerungen) deren Gewicht (im Verhältnis untereinander) nicht verkannt hat. Prüfungsmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes für die Beurteilung der Frage, ob Umstände in diesem Sinn objektiv geeignet (und daher zu berücksichtigen) sind und ob ihr Gewicht (an sich oder im Verhältnis zu anderen Sachverhaltselementen) verkannt wurde, sind die Gesetze der Logik und des allgemeinen menschlichen Erfahrungsgutes. Wenn es hingegen nachvollziehbare, mit den Denkgesetzen übereinstimmende Gründe für jede von mehreren in Betracht kommenden Sachverhaltsvarianten gibt, so hat die belangte Behörde nach freier Überzeugung auch zu entscheiden, welchen der in Betracht kommenden Sachverhaltsvarianten sie den Vorzug gibt (und dies nachvollziehbar zu begründen), ohne daß ihr der Verwaltungsgerichtshof entgegentreten könnte. Welche Sachverhaltsversion im Sinne ihrer Übereinstimmung mit der Wirklichkeit tatsächlich richtig ist, unterliegt insoweit nicht der Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa das Erkenntnis vom 16. April 1997, Zl. 96/21/0254).

Die Beweiswürdigung der belangten Behörde entspricht nicht diesen dargelegten Rechtsgrundsätzen:

Der Beschwerdeführer zeigt zutreffend auf, daß die Bescheidbegründung der belangten Behörde sich widerspricht aber auch mit der übernommenen Begründung des Bescheides erster Instanz nicht in Einklang zu bringen ist. Wie oben dargestellt, ist die Behörde erster Instanz davon ausgegangen, daß das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers unglaubwürdig ist. Demgegenüber geht die belangte Behörde einerseits davon aus, daß der Beschwerdeführer seine Ausreise nur aufgrund der Anweisung seiner Partei angetreten habe, andererseits glaubt sie aber das Bestehen dieser Partei offenbar nicht, indem ein Schreiben dieser Partei über die Mitgliedschaft des Beschwerdeführers als "Gefälligkeitsschreiben" beurteilt wird. Wenn nun aus der übernommenen Bescheidbegründung der Behörde erster Instanz davon auszugehen ist, daß die Angaben des Beschwerdeführers über seine Mitgliedschaft zu einer verbotenen Partei nicht als Sachverhaltsgrundlage herangezogen werden, so kann dies aufgrund der aufgezeigten unterschiedlichen Begründungen durch die belangte Behörde nicht mehr mit der erforderlichen Klarheit angenommen werden.

Die von der belangten Behörde übernommene Bescheidbegründung der Behörde erster Instanz erweist sich nicht als schlüssig. Der Beschwerdeführer machte geltend, bereits im Jahre 1989 bzw. im Jahre 1990 aus eben einer solchen Verfolgung in die Bundesrepublik Deutschland geflüchtet zu sein und dort einen Asylantrag gestellt zu haben. Diesem sei auch Folge gegeben worden. Aufgrund der unterschiedlichen Jahresangaben hat die Behörde dieses Vorbringen zur Gänze als unglaubwürdig angesehen.

Dieses Vorbringen läßt auf einen Sachverhalt schließen, der für eine Glaubhaftmachung einer Bedrohung/Verfolgung im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG geeignet ist. Die Behörde war daher angesichts dessen gehalten, diese Angaben auf kurzem Wege (etwa durch telefonische Erkundigungen) zu überprüfen. Falls dies aufgrund der Angaben noch nicht möglich gewesen wäre, hätte sie den Beschwerdeführer zur Konkretisierung dieser Angaben verhalten müssen.

Nicht nachvollziehbar ist die von der belangten Behörde selbst vorgenommene Beweiswürdigung und die von der Behörde erster Instanz übernommene, wonach der Beschwerdeführer "offenbar unbehelligt" sich bis zum Zeitpunkt seiner Ausreise in seiner Heimat aufgehalten habe. Der Beschwerdeführer hat hiezu angegeben, sich an wechselnden Orten versteckt aufgehalten zu haben. Aufgrund dieser Angabe ist die Schlußfolgerung nicht gerechtfertigt, daß der Beschwerdeführer sich "offenbar unbehelligt" aufgehalten habe und im Zeitpunkt seiner Flucht keine aktuelle Gefahr im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder 2 FrG bestanden habe.

Die belangte Behörde gibt darüber hinaus nicht bekannt, warum sie das vom Beschwerdeführer vorgelegte Schreiben der Europäischen Vertretung seiner Partei als Gefälligkeitsschreiben ansieht. Auch in diesem Punkte wäre eine Überprüfung möglich gewesen. Erst wenn die möglichen Überprüfungen negativ verlaufen und weitere zweckdienliche Angaben vom Beschwerdeführer nicht zu erreichen sind, wäre die von der Behörde vorgenommene Schlußfolgerung denkbar.

Der Hinweis der belangten Behörde, daß im Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 16. Jänner 1996 sowie auch in seiner Berufung keine konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgungshandlung ableitbar sei, ist nicht nachvollziehbar. Sowohl im genannten Schriftsatz und zwar unter Punkt F als auch in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid (Seite 8) hat der Beschwerdeführer vorgebracht, Mitglied einer verbotenen politischen Partei zu sein und bereits deswegen einer Bedrohung bzw. Verfolgung im Sinne des § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG ausgesetzt zu sein. Dieses Vorbringen läßt ebenfalls auf einen Sachverhalt schließen, der für eine Glaubhaftmachung im genannten Sinne geeignet ist. Angesichts dessen war die belangte Behörde gehalten, auf die Konkretisierung der Angaben des Beschwerdeführers zu dringen, wenn dies für notwendig gehalten worden wäre, um eine mögliche Überprüfung vornehmen zu können.

Bereits aus diesen auch in der Beschwerde aufgezeigten Umständen ergibt sich, daß die belangte Behörde die den Angaben des Beschwerdeführers keinen Glauben schenkende Beweiswürdigung unter Verletzung der oben dargestellten Verfahrensvorschriften vorgenommen hat. Damit belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996210150.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten