TE Vwgh Beschluss 2020/8/5 Ra 2020/14/0103

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Veröffentlicht am 05.08.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §21 Abs3
BFA-VG 2014 §21 Abs6a
BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
B-VG Art133 Abs4

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/14/0104
Ra 2020/14/0105
Ra 2020/14/0106

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in den Revisionssachen 1. des A B, 2. der C D, 3. der E F und 4. des G H, alle in X, alle vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts je vom 17. Jänner 2020, 1. I416 2209467-2/2E, 2. I416 2209465-2/2E, 3. I416 2209473-2/2E und 4. I416-2209471-2/2E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet und die Eltern der Drittrevisionswerberin und des Viertrevisionswerbers. Alle sind Staatsangehörige des Irak. Die Revisionswerber stellten erstmals am 2. November 2015 Anträge auf internationalen Schutz, über die das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl rechtskräftig negativ entschieden hat.

2        Am 22. Oktober 2019 stellten die Revisionswerber die gegenständlichen Folgeanträge. Der Erstrevisionswerber brachte vor, er könne nicht in den Irak zurückkehren, weil dort Krieg herrsche. Die bisher angegebenen Fluchtgründe seien noch aufrecht. Der (im Jahr 2002 geborene) Viertrevisionswerber gab an, ihm drohe bei einer Rückkehr die Zwangsrekrutierung.

3        Mit Bescheid vom 14. Dezember 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - ohne zuvor die Asylverfahren zugelassen zu haben - die Anträge gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte den Revisionswerbern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig sei. Die Behörde sprach weiters aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe und trug ihnen auf, in einem näher bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen.

4        Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobenen Beschwerden - ohne Durchführung einer Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        In der vorliegenden Revision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben könne, abgewichen. Es hätte eine Verhandlung durchführen müssen, um zu klären, ob das Vorbringen im nunmehr dritten Verfahren „einen glaubwürdigen Kern aufweise“, wobei insbesondere auf das im vorliegenden Verfahren erstmals getätigte Vorbringen des Viertrevisionswerbers zur drohenden Zwangsrekrutierung im Irak einzugehen gewesen wäre. Das Bundesverwaltungsgericht hätte sich auch ein Bild der Revisionswerber in Bezug auf ihr Leben in Österreich machen müssen. Zwei weitere Kinder des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin seien ebenfalls in Österreich aufhältig. Zu diesen und deren Kindern bestehe ein inniges und intensives Verhältnis.

9        Soweit sich die Revision gegen das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung wendet, ist darauf hinzuweisen, dass die Verhandlungspflicht im Zulassungsverfahren - wozu auch Beschwerden gegen eine vor Zulassung des Verfahrens ausgesprochene Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach § 68 AVG zählen - besonderen Verfahrensvorschriften, nämlich § 21 Abs. 3 und Abs. 6a BFA-VG, folgt (vgl. VwGH 18.12.2019, Ra 2019/14/0542, mwN).

10       Dass das Bundesverwaltungsgericht von den dazu in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien zur Verhandlungspflicht im Zulassungsverfahren abgewichen wäre, zeigt die Revision mit der bloßen Behauptung, das Vorbringen einer Zwangsrekrutierung sei bisher nicht getätigt worden, nicht auf. Im Übrigen hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesem Vorbringen die Glaubwürdigkeit abgesprochen. Die Revisionswerber traten dieser Beurteilung in der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht nicht entgegen.

11       Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen in eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden kann. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt. Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. zu allem VwGH 21.1.2020, Ra 2020/14/0011, mwN). Dass die Interessenabwägung vom Bundesverwaltungsgericht unvertretbar und entgegen den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien vorgenommen worden wäre, zeigt die Revision, die lediglich pauschal auf die weiteren Kinder des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin und die - nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts eingetretene - Volljährigkeit des Viertrevisionswerbers hinweist, nicht auf.

12       Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte die weiteren in Österreich aufhältigen volljährigen Kinder des Erst- und der Zweitrevisionswerberin und verneinte sowohl das Bestehen eines gemeinsamen Haushaltes als auch ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis.

13       Von den Revisionswerbern werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 5. August 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140103.L00

Im RIS seit

28.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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