TE OGH 2020/6/25 6Ob85/20y

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Veröffentlicht am 25.06.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden sowie die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. D*****, vertreten durch pfletschinger – renzl Rechtsanwalts-Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei Verlassenschaft nach D*****, verstorben am *****, vertreten durch Mag. Wolfgang Ruckenbauer, Rechtsanwalt in Wien, als Verlassenschaftskurator, sowie der Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. P*****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, 2. G*****, 3. K*****, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 13. November 2019, GZ 40 R 18/19x-89, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Einen Nichtigkeitsgrund erblickt die beklagte Partei darin, dass der verstorbene beklagte Mieter am 22. 5. 2017 Rechtsanwalt Dr. B***** Vollmacht erteilt habe, dieser jedoch erst am 22. 6. 2017 durch Bekanntgabe der Vollmachtserteilung bei Gericht eingeschritten sei. Aufgrund des Ablebens des Mieters am 20. 6. 2017 sei die Prozessvollmacht zu diesem Zeitpunkt bereits erloschen gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Dem kann nicht gefolgt werden.

1. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass dieser Einwand bereits im Berufungsverfahren erhoben und vom Berufungsgericht verworfen wurde. Eine verneinte Nichtigkeit kann aber im Revisionsverfahren nicht aufgegriffen werden (RS0042981).

2.1. Im Übrigen ist der Einwand auch inhaltlich nicht berechtigt: Nach § 35 Abs 1 ZPO wird die Prozessvollmacht weder durch den Tod des Vollmachtgebers noch durch eine Veränderung im Betreff seiner Prozessfähigkeit oder seiner gesetzlichen Vertretung aufgehoben.

2.2. Der Fortbestand der Prozessvollmacht dient zum einen dem Schutz des Prozessgegners vor Störungen des Prozessfortgangs, kommt aber auch dem ruhenden Nachlass bzw den Erben zugute, weil deren Vertretung einen schleunigen Verfahrensfortgang auch in ihrem Interesse ermöglicht (Zib in Fasching/Konecny³ § 35 ZPO Rz 2). Eine (ausdrückliche) Erstreckung der Vollmacht auf den Todesfall durch eine Erbenklausel des Machtgebers (vgl § 1022 ABGB) wird bei der Prozessvollmacht nicht gefordert, weil der Wille der Parteien regelmäßig auf eine Beendigung des Rechtsstreits gerichtet ist (Zib aaO § 35 ZPO Rz 2).

2.3. Nach herrschender Auffassung ist bei Tod des Klägers vor Einleitung des Verfahrens nicht § 35 ZPO anzuwenden (8 Ob 41/06x), sondern § 1022 ABGB (vgl die Nachweise bei Zib in Fasching/Konecny3 § 35 ZPO Rz 14 FN 21). In älteren Entscheidungen hat die Rechtsprechung daraus abgeleitet, dass die Prozessvollmacht erlischt, wenn der Vollmachtgeber vor Einleitung des Prozesses verstirbt (SZ 26/164; LGZ Wien EFSlg 82.154), und zwar selbst dann, wenn der Machtgeber zwischen Absendung der Klage und ihrem Einlangen bei Gericht verstorben ist (GlUNF 5.748).

2.4. Diese Auffassung ist schon für den hier nicht zu beurteilenden Fall der Vertretung auf Klägerseite nicht überzeugend (kritisch zur hA auch Zib aaO § 35 ZPO Rz 17 ff). Für den hier vorliegenden Fall der Vertretung auf Beklagtenseite ist nach herrschender Auffassung § 35 ZPO auch dann anzuwenden, wenn die Klage gegen die Partei streitanhängig gemacht und Prozessvollmacht zur Vertretung in diesem Verfahren erteilt wurde, auch wenn der Bevollmächtigte zum Todeszeitpunkt noch nicht eingeschritten war (Neumann, Kommentar4 I 511 FN 2; Zib aaO § 35 ZPO Rz 14a E).

2.5. Im Übrigen besteht selbst bei Beurteilung nach § 1022 ABGB die Vollmacht für den ruhenden Nachlass bzw für die Erben dann fort, wenn sie sich auf den Todesfall bezieht oder nach dem Willen des Machtgebers über dessen Tod hinaus erstrecken soll, wobei eine solche Erstreckung nicht ausdrücklich erfolgen muss (Zib aaO § 35 ZPO Rz 15 mwN).

3.1. Auch meritorisch ist die Entscheidung der Vorinstanzen nicht zu beanstanden: Demnach übersiedelte der Mieter mit seiner Familie Mitte der 90er-Jahre in ein Haus in L*****. Der erste Nebenintervenient zog 1996 in eine Wohnung im ***** W*****; im Jahr 1999 zog seine Lebensgefährtin zu ihm. Erst im Jahr 2001 übersiedelte der erste Nebenintervenient mit seiner Lebensgefährtin in die aufgekündigte Wohnung.

3.2. Wenn die Vorinstanzen bei dieser Sachlage den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 4 MRG als verwirklicht ansahen, ist darin keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken. Zwar stellt die Überlassung an Eintrittsberechtigte keinen Kündigungsgrund dar, auch selbst dann nicht, wenn die Voraussetzungen für eine Abtretung der Mietrechte nach § 12 Abs 1 MRG fehlten (RS0069472). Bestand jedoch zum Zeitpunkt des Verlassens der Wohnung und deren Überlassung an den nahen Angehörigen ein gemeinsamer Haushalt, beendete der nahe Angehörige aber dann die Benützung der Wohnung und zog erst Jahre später wieder in die Wohnung ein, ohne dass zu diesem Zeitpunkt ein gemeinsamer Haushalt mit dem Mieter bestand, ist der Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 4 MRG gegeben (9 Ob 2112/96w = SZ 69/230).

4. Zusammenfassend gelingt es der Revision somit nicht, Rechtsfragen der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung aufzuzeigen, sodass sie spruchgemäß zurückzuweisen war.

Textnummer

E128986

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00085.20Y.0625.000

Im RIS seit

03.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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