TE Vwgh Beschluss 2020/6/26 Ra 2017/22/0183

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Veröffentlicht am 26.06.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §58 Abs10
AVG §56
AVG §66 Abs4
AVG §68 Abs1
MRK Art8
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §27
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des M J A in K, vertreten durch Dr. Walter Brunner, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Villacher Straße 1A/VII, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. September 2017, L512 2011172-2/5E, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2. Der - im Jahr 1986 geborene - Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, reiste am 16. Dezember 2013 illegal in Österreich ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies den Antrag mit Bescheid vom 14. August 2014 ab, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Bangladesch fest und gewährte eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. September 2015 als unbegründet abgewiesen. Das Erkenntnis blieb unbekämpft und erwuchs in Rechtskraft.

3.1. Am 13. März 2017 stellte der Revisionswerber den hier gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

Der Revisionswerber brachte dazu im Wesentlichen vor, seit der Rückkehrentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im September 2015 habe sich seine sprachliche und soziale Integration intensiviert. Zum Beweis legte er diverse Unterlagen (Bestätigungen über Kursteilnahmen, Nachweise über Deutschprüfungen A1, A2 und B 1, Unterstützungsschreiben sowie einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag) vor.

3.2. Mit Bescheid vom 5. Juli 2017 wies das BFA den Antrag gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zurück.

Das BFA führte begründend im Wesentlichen aus, gegen den Revisionswerber sei eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen worden. Seit der Bestätigung der Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht sei nur eine kurze Zeit vergangen. Aus dem Antragsvorbringen gehe ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich mache, nicht hervor. Zwar habe der Revisionswerber die Zeit für eine ansatzweise (sprachliche und soziale) Integration genutzt, eine maßgebliche Sachverhaltsänderung liege jedoch nicht vor.

3.3. Der Revisionswerber erhob gegen den Bescheid Beschwerde und bemängelte im Wesentlichen, seine weitere Integration, die insbesondere in einem extensiven sozialen Netzwerk, in der Mitarbeit beim Roten Kreuz, in der Absolvierung der Deutschprüfung B1, im Besuch des Deutschkurses B2 sowie in zahlreichen Empfehlungsschreiben zum Ausdruck komme, sei nicht entsprechend gewürdigt worden. Dass er (derzeit) nicht selbsterhaltungsfähig sei, sei auf die fehlende Arbeitserlaubnis zurückzuführen und daher nicht vorwerfbar; er sei jedenfalls interessiert, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, und verfüge auch bereits über eine Einstellungszusage.

4.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab.

Es stellte im Wesentlichen fest, der Revisionswerber habe sich bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im September 2015 rechtmäßig in Österreich aufgehalten, seitdem befinde er sich unrechtmäßig im Bundesgebiet. Er sei nicht verheiratet und unterhalte keine Lebensgemeinschaft. Er verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat; in Österreich habe er keine Angehörigen, wohl aber einen gewissen Freundes- und Bekanntenkreis. Er sei arbeitsfähig und habe eine Einstellungszusage in Österreich. Er befinde sich in der Grundversorgung, habe keine Unterhaltspflichten und keine Schulden. Er habe in Österreich zuletzt Deutschkurse besucht und die Deutschprüfung B1 abgelegt. Er habe auch sonstige Kurse absolviert und sich ehrenamtlich betätigt.

Rechtlich führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, seit der Rückkehrentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im September 2015 habe sich der Sachverhalt zwar insofern geändert, als der Revisionswerber seine Deutschkenntnisse verbessert habe, indem er Deutschkurse besucht und die Deutschprüfung B1 abgelegt habe; weiters verfüge er über einen Freundes- und Bekanntenkreis, wie die Unterstützungsschreiben zeigten, und könne auch eine Einstellungszusage vorweisen. Das Vorliegen eines geänderten Sachverhalts, der eine ergänzende bzw. neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich mache, sei jedoch im Hinblick auf die (näher erörterte) Rechtsprechung zu verneinen. Folglich sei die Entscheidung der belangten Behörde nicht zu beanstanden, die Zurückweisung sei zu Recht erfolgt.

4.2. Eine mündliche Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) unterbleiben können. Der Sachverhalt sei nach der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt, weitere Erhebungen seien nicht erforderlich gewesen. Der Revisionswerber habe sich auch nicht substanziiert gegen die Feststellungen ausgesprochen.

4.3. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision, in der ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bzw. das Fehlen einer solchen Rechtsprechung in den nachfolgend näher erörterten Punkten behauptet wird. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird jedoch nicht aufgezeigt.

6.1. Der Revisionswerber macht geltend, der Sachverhalt habe sich maßgeblich geändert, sodass eine neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich gewesen wäre. Nach der Rechtsprechung würden verbesserte Deutschkenntnisse und eine Einstellungszusage in Verbindung mit einem mehrjährigen Aufenthalt dazu führen, dass von einer vertieften Integration und folglich von einer wesentlichen Sachverhaltsänderung auszugehen sei.

6.2. Gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 ist ein Antrag nach § 55 AsylG 2005 als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen unter Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung nach Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht.

Nach der Rechtsprechung liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der neu vorgebrachte Sachverhalt konkret dazu führt, dass der beantragte Aufenthaltstitel zu erteilen ist. Ein maßgeblich geänderter Sachverhalt ist vielmehr schon dann gegeben, wenn die geltend gemachten Umstände nicht von vornherein eine neue Beurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK ausgeschlossen erscheinen lassen (vgl. in dem Sinn etwa VwGH 23.1.2020, Ra 2019/21/0356). Maßgeblich für die Prüfung sind jene Umstände, die bis zum erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid eingetreten sind (vgl. VwGH 10.12.2013, 2013/22/0362).

Die Zurückweisung nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 ist jener wegen entschiedener Sache nachgebildet, sodass die diesbezüglichen (zu § 68 Abs. 1 AVG entwickelten) Grundsätze herangezogen werden können. Demnach ist eine Sachverhaltsänderung dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann bzw. eine andere Entscheidung zumindest möglich ist. Die Behörde hat daher eine Prognose anzustellen, in deren Rahmen die Wesentlichkeit der Sachverhaltsänderung nach jener Wertung zu beurteilen ist, die das geänderte Sachverhaltselement seinerzeit erfahren hat. Dabei sind die nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände einzubeziehen, indem zu beurteilen ist, ob es als ausgeschlossen gelten kann, dass im Hinblick auf früher maßgebliche Erwägungen nun eine andere Beurteilung geboten sein könnte (vgl. VwGH 3.10.2013, 2012/22/0068).

6.3. Vorliegend wurde mit dem in Rechtskraft erwachsenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom September 2015 gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung erlassen. Der jener Entscheidung zugrunde gelegte Sachverhalt dient als Vergleichsmaßstab, ob gegenständlich von einem maßgeblich (oder nicht maßgeblich) geänderten Sachverhalt auszugehen ist und daher die Antragszurückweisung zu Unrecht (oder zu Recht) erfolgt ist. Das Verwaltungsgericht traf Tatsachenfeststellungen, die im Wesentlichen dem Antragsvorbringen des Revisionswerbers entsprachen. Es sah in den geltend gemachten Umständen (verbesserte Deutschkenntnisse, großer Freundes- und Bekanntenkreis, Unterstützungsschreiben, Einstellungszusage) bei einem Zeitablauf von knapp zwei Jahren keine wesentliche Sachverhaltsänderung, die eine Neubeurteilung auf der Grundlage des Art. 8 EMRK erfordert hätte. Auch in der Rechtsprechung wurde bereits vertreten, dass bei einer kurzen Zeitspanne von bis etwa zwei Jahren trotz verbesserter Sprachkenntnisse und Einstellungszusagen eine maßgebliche Sachverhaltsänderung verneint werden kann (VwGH 27.1.2015, Ra 2014/22/0094, mwN). Im Hinblick darauf erweist sich jedoch die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, die geltend gemachten Umstände seien für eine Neubewertung der Abwägung im Sinn des Art. 8 EMRK nicht ausreichend, als nicht unvertretbar (vgl. VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0098).

Dem steht (auch) die vom Revisionswerber angeführte Entscheidung VwGH 26.1.2017, Ra 2016/21/0168, nicht entgegen, betraf diese doch eine anders gelagerte, mit dem hier gegenständlichen Sachverhalt nicht vergleichbare Konstellation (Unterlassung der erforderlichen Mitwirkung im Zusammenhang mit erkennungsdienstlichen Daten).

6.4. Nach dem Vorgesagten hatte eine Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK zu unterbleiben; das Verwaltungsgericht hatte bloß die Richtigkeit der in erster Instanz ausgesprochenen Zurückweisung zu prüfen (vgl. erneut VwGH 2013/22/0362). Die vom Revisionswerber zitierte Entscheidung VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101, betraf die Abweisung eines Antrags nach § 55 AsylG 2005 und ist daher nicht einschlägig.

7.1. Der Revisionswerber bemängelt weiters, das Verwaltungsgericht hätte eine mündliche Verhandlung durchführen müssen, um die sprachliche und soziale Integration festzustellen; auch im behördlichen Verfahren habe keine Befragung von Personen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis stattgefunden.

7.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Zusammenhang mit einer Zurückweisung gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 ausgesprochen, dass die Bestimmung des § 21 Abs. 7 BFA-VG nicht einschlägig ist, sondern die Frage nach dem zulässigen Unterbleiben einer Verhandlung auf Basis des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG zu beurteilen ist. Demnach kann eine Verhandlung (unter anderem) dann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag zurückzuweisen ist. Der Verwaltungsgerichtshof sprach ferner aus, dass es in den Fällen des § 24 Abs. 2 VwGVG im Ermessen des Verwaltungsgerichts liegt, trotz Antrag eine Verhandlung nicht durchzuführen (vgl. abermals VwGH Ra 2019/21/0098).

7.3. Vorliegend war das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung durch § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG gedeckt, zumal der das Verwaltungsverfahren einleitende Antrag zurückzuweisen war. Es ist nicht ersichtlich, dass eine mündliche Verhandlung in Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens dennoch geboten gewesen wäre (vgl. VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0341). Im Übrigen legten sowohl die belangte Behörde als auch das Verwaltungsgericht die behaupteten Umstände für eine vertiefte sprachliche und soziale Integration (verbesserte Deutschkenntnisse, großer Bekanntenkreis, ehrenamtliche Tätigkeiten, Einstellungszusage) ohnehin zu Grunde, sodass insoweit kein ungeklärter Sachverhalt vorlag.

8. Insgesamt werden daher - in der maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung (vgl. VwGH 23.11.2017, Ra 2015/22/0162) - keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.

Wien, am 26. Juni 2020

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Inhalt der Berufungsentscheidung Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Zurückweisung wegen entschiedener Sache

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2017220183.L00

Im RIS seit

01.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

01.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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