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E2D Assoziierung TürkeiNorm
ARB1/80 Art13Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des A A, vertreten durch MMag. Michael Krenn, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Neustiftgasse 3/6, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 15. Jänner 2020, VGW-151/046/10837/2019, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien (VwG) die Beschwerde des Revisionswerbers, eines türkischen Staatsangehörigen, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (Behörde) vom 4. Juli 2019, mit dem sein Zweckänderungsantrag vom Aufenthaltstitel „Studenten“ auf „Daueraufenthalt - EU“ abgewiesen worden war, ab (Spruchpunkt 1.), den Eventualantrag auf Dokumentation des Aufenthaltsrechts gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 in Form einer Niederlassungsbewilligung ab (Spruchpunkt 2.), den Eventualantrag auf Dokumentation des Aufenthaltsrechts gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 in Form einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 30 Abs. 3 FrG 1997 ab (Spruchpunkt 3.), den Eventualantrag auf Ersichtlichmachung des bestehenden Aufenthaltsrechts gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 ab (Spruchpunkt 4.) und den Verlängerungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als Student gemäß § 64 Abs. 2 NAG ebenfalls ab (Spruchpunkt 5.). Eine ordentliche Revision wurde für unzulässig erklärt.
Das VwG stellte fest, der Revisionswerber verfüge seit 1. April 2010 über jeweils verlängerte Aufenthaltsbewilligungen als Student und sei seit 5. September 2017 durchgehend bei einem näher bezeichneten Unternehmen geringfügig beschäftigt, wobei eine Beschäftigungsbewilligung vorliege. Er erfülle - so das VwG in seiner rechtlichen Beurteilung - somit die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) und habe damit das Recht, bei demselben Arbeitgeber weiterhin arbeiten zu dürfen. Aufgrund der unmittelbaren Wirkung von Art. 6 ARB 1/80 verfüge er damit ex lege über ein entsprechendes Aufenthaltsrecht; eine Aufenthaltserlaubnis habe nur deklarativen Charakter (Hinweis auf VwGH 23.6.2015, Ro 2014/22/0038).
Der Revisionswerber erfülle die Voraussetzung einer ununterbrochenen tatsächlichen Niederlassung in den letzten fünf Jahren (§ 45 Abs. 1 NAG) nicht, weil eine Aufenthaltsbewilligung zum Zweck des Studiums nur zu einem vorübergehenden Aufenthalt, nicht aber zur Niederlassung berechtige (Hinweis auf VwGH 17.12.2013, 2012/09/0137). Das aus dem ersten Spiegelstrich des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 abgeleitete Aufenthaltsrecht sei im Sinn des Art. 3 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2003/109/EG „förmlich begrenzt“. Der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ würde dem Revisionswerber darüber hinaus einen unbegrenzten - und damit deutlich weiteren - Zugang zum Arbeitsmarkt einräumen als das Recht, das er aus Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 ableiten könnte (Hinweis auf VwGH 9.8.2018, Ro 2017/22/0015).
Ein Anspruch auf Erteilung eines (von der tatsächlichen Ausübung einer Beschäftigung losgelösten) konstitutiven Aufenthaltstitels nach dem NAG könne aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 nicht abgeleitet werden (Hinweis nochmals auf Ro 2017/22/0015, Rn. 26 f).
Die Anwendung der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 bedeute, dass neue Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit unanwendbar seien, eine Dokumentation des Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung nach dem FrG 1997“ komme jedoch nicht in Betracht, weil der Antrag dennoch „nach der aktuellen Rechtslage“ zu beurteilen sei. Darüber hinaus sei nicht erkennbar, inwiefern der Revisionswerber angesichts seiner bereits erfolgten Integration in den Arbeitsmarkt durch die geltende Rechtslage in seinem Recht auf Aufenthalt im Bundesgebiet oder auf Zugang zum Arbeitsmarkt schlechter gestellt sei (Hinweis etwa auf VwGH 24.3.2015, Ro 2014/09/0057).
Die beantragte Ersichtlichmachung des bestehenden Aufenthaltsrechts gemäß Art. 6 ARB 1/80 erfolge im Verfahren gemäß § 4c AuslBG (Hinweis nochmals auf Ro 2017/22/0015, Rz. 26).
Der Revisionswerber habe im relevanten Studienjahr 2018/2019 keinen Studienerfolg nachgewiesen, weshalb sein Verlängerungsantrag betreffend den Aufenthaltstitel „Studenten“ abzuweisen gewesen sei.
5 Zunächst wird angemerkt, dass in der Zulässigkeitsbegründung - obwohl die Revision formal das Erkenntnis seinem gesamten Inhalt nach anficht - inhaltlich nichts gegen die Abweisung des Verlängerungsantrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck Student gemäß § 64 Abs. 2 NAG vorgebracht wird. Daher war auf Spruchpunkt 5. des angefochtenen Erkenntnisses nicht einzugehen.
6 In der Zulässigkeitsbegründung bringt der Revisionswerber zusammengefasst vor, es liege zum Antrag auf Zweckänderung vom Aufenthaltstitel „Studenten“ auf „Daueraufenthalt - EU“ keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor. Auch Studenten seien vom Geltungsbereich des ARB 1/80 umfasst (Hinweis etwa auf VwGH 6.9.2018, Ro 2018/22/0008). Aufenthaltstitel für Studenten seien nicht „förmlich begrenzt“ im Sinn des Art. 3 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2003/109/EG (Hinweis auf EuGH 18.10.2012, C-502/10, Singh; VwGH 11.11.2013, 2011/22/0202, betreffend Künstler).
Dazu wird zunächst auf das hg. Erkenntnis vom 23.1.2020, Ro 2019/22/0009, verwiesen. Darin äußerte sich der Verwaltungsgerichtshof bereits zu einem Zweckänderungsantrag eines türkischen Staatsangehörigen, der die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich erfüllte, von „Studenten“ auf „Daueraufenthalt - EU“ und setzte sich auch mit der Frage der förmlichen Begrenzung gemäß Art. 3 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2003/109/EG und dem dazu ergangenen Urteil des EuGH C-502/10, Singh, auseinander. Zusammenfassend kam der Verwaltungsgerichtshof zu dem Ergebnis, dass der Revisionswerber aufgrund des aus Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 abgeleiteten Aufenthaltsrechts wegen dessen eingeschränkten Berechtigungsumfanges (Bindung an den gleichen Arbeitgeber) die Voraussetzung des § 45 Abs. 1 NAG zur Erteilung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt - EU“ nicht erfüllte. Auf die nähere Begründung des Erkenntnisses Ro 2019/22/0009 wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen. Spruchpunkt 1. des angefochtenen Erkenntnisses steht somit in Einklang mit der hg. Rechtsprechung. Insofern ist auch die Rüge, das angefochtene Erkenntnis leide unter einem - nicht konkret dargelegten - Begründungsmangel, das VwG mache „unzweckmäßige Ausführungen“ hinsichtlich einer „unzulässigen“ Ausweitung von Rechten, nicht zielführend.
7 Entgegen der in der Zulässigkeitsbegründung vertretenen Rechtsansicht verneinte das VwG nicht, dass auch Studenten ein mit einer Beschäftigung einhergehendes Aufenthaltsrecht beanspruchen können, sofern sie die Kriterien des ARB 1/80 erfüllen. Nach ständiger hg. Rechtsprechung lässt sich jedoch weder aus Art. 6 ARB 1/80 noch aus der Rechtsprechung des EuGH eine Pflicht des nationalen Gesetzgebers ableiten, die Bestimmungen des ARB 1/80 zu inkorporieren (vgl. VwGH 9.8.2018, Ro 2017/22/0015, Rn. 21). Das VwG wies zutreffend darauf hin, dem Interesse an einer Dokumentation einer aus dem ARB 1/80 erfließenden Berechtigung werde dadurch Rechnung getragen, dass gemäß § 4c Abs. 1 AuslBG eine Beschäftigungsbewilligung von Amts wegen zu erteilen sei, wenn türkische Staatsangehörige die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 erfüllten (vgl. nochmals VwGH Ro 2017/22/0015, Rz. 26). Es ist somit nicht zu erkennen, dass die Spruchpunkte 2. bis 4. des angefochtenen Erkenntnisses von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abwichen.
8 Da im gegenständlichen Fall kein Aufenthaltstitel ausgestellt wurde, geht das Vorbringen betreffend die einheitliche Gestaltung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige nach der Verordnung (EG) Nr. 1030/2002 ins Leere.
9 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 29. Juni 2020
Gerichtsentscheidung
EuGH 62010CJ0502 Singh VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220045.L00Im RIS seit
01.09.2020Zuletzt aktualisiert am
01.09.2020