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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das am 23. Dezember 2019 mündlich verkündete und mit 30. März 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, G311 2226800-1/12E, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: M I, zuletzt in L, vor dem Bundesverwaltungsgericht vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH in 1170 Wien, Wattgasse 48/3. Stock), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der 1980 geborene Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Kameruns, hatte eine Karriere als professioneller Fußballspieler (zuletzt in Deutschland) durchlaufen. Er verfügt über einen am 19. Juli 2019 ausgestellten Reisepass der Republik Kamerun sowie über eine am 19. Juli 2016 ausgestellte unbefristet gültige Niederlassungserlaubnis für Deutschland, die ihn zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit in Deutschland berechtigt. In diesem Staat, wo u.a. eine Lebensgefährtin und vier Kinder des Mitbeteiligten (im Alter von 2, 12, 14 und 18 Jahren) leben, hält er sich regelmäßig auf. Er spricht Arabisch, Französisch und Deutsch. In Deutschland ist er auch erwerbstätig. Daneben spielte er ab Jänner 2018 bei verschiedenen österreichischen Vereinen Fußball, zuletzt (ab 1. Juli 2019) beim DSV Leoben, einem Verein der steirischen Landesliga.
2 Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Mandatsbescheid vom 13. Dezember 2019 verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) über den Mitbeteiligten gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sowie der Abschiebung.
3 Begründend verwies das BFA insbesondere darauf, dass der Mitbeteiligte die zulässige Aufenthaltsdauer von 90 Tagen in Österreich überschritten habe. Hier verfüge er weder über einen Aufenthaltstitel noch über Krankenversicherungsschutz. Ein (am 6. August 2019 beim Österreichischen Konsulat in München gestellter) Visumsantrag sei wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit am 6. September 2019 abgelehnt worden, dennoch sei er in das Bundesgebiet eingereist. Er sei (zwar) „seit 02.07.2019 ... hauptwohnsitzmäßig in Leoben gemeldet“, am 12. Dezember 2019 jedoch „in einer nicht gemeldeten Wohnung ... festgenommen“ worden. Obgleich er im Bundesgebiet nicht zur Arbeitsaufnahme berechtigt sei, sei er mehrfach und über längere Zeit als Fußballspieler bzw. Spielerberater tätig geworden.
In Deutschland sei er am 13. September 2016 zu einer Geldstrafe von € 1.600,-- verurteilt worden, die jedoch in eine Ersatzfreiheitsstrafe von 40 Tagen umgewandelt worden sei, weil er „laut Angaben der deutschen Behörden flüchtig“ gewesen sei. Darüber hinaus werde er in Deutschland mit Haftbefehl wegen Betrugs gesucht. „Zumindest vom 18.09.2019 bis 18.10.2019“ sei er in Deutschland in Haft gewesen.
Auf Basis dieser Feststellungen und ausgehend von einer mehrfachen Verletzung melderechtlicher Bestimmungen durch den Mitbeteiligten bejahte das BFA Fluchtgefahr iSd § 76 Abs. 3 Z 1, 3 und 9 FPG. Weiters verwies es auf „ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden“, das gemäß § 76 Abs. 2a FPG im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ins Gewicht falle. Insgesamt erweise sich die Schubhaft auch als verhältnismäßig. Mit einer Anordnung gelinderer Mittel könnte dem Sicherungsbedarf nicht ausreichend begegnet werden.
4 Der gegen diesen Bescheid und gegen die darauf gegründete Anhaltung erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit am 23. Dezember 2019 mündlich verkündetem und mit 30. März 2020 schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis statt; es behob den angefochtenen Schubhaftbescheid vom 13. Dezember 2019, erklärte die vollzogene Schubhaft für rechtswidrig und stellte fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Außerdem traf es diesem Ergebnis entsprechende Kostenentscheidungen und sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Begründend führte das BVwG vor allem aus, dass der Mitbeteiligte vom 2. Juli bis zum 30. September 2019 in Leoben gemeldet gewesen sei. Dabei handle es sich um die üblicherweise schon zuvor benützte Unterkunft. Am 16. Juli 2019 sei er im Zuge einer Verkehrskontrolle angehalten worden, wobei eben diese Adresse in einem Aktenvermerk festgehalten worden sei. Auch habe er sich nicht im Verborgenen aufgehalten, sondern habe sieben Meisterschaftsspiele des DSV Leoben in der Herbstsaison bestritten. Um den 7. Dezember 2019 habe er von Spielerkollegen des DSV Leoben erfahren, dass die Polizei nach ihm suche, worauf er sich selbst bei der Polizei in Leoben gemeldet und wiederum - aus Deutschland - nach Österreich begeben habe.
Er habe sich zwar nicht behördlich angemeldet, jedoch habe es sich bei seiner Unterkunft wieder um dieselbe, stets von ihm verwendete Unterkunft gehandelt. Sicherheitsorgane hätten ihn dort bei einer Nachschau am 12. Dezember 2019 auch angetroffen und festgenommen.
Im Hinblick darauf wertete das BVwG die Verhängung der Schubhaft als nicht verhältnismäßig. Damit lägen auch die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft nicht vor.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision des BFA, die sich als unzulässig erweist.
7 Hat das Verwaltungsgericht - wie hier das BVwG - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei, hat die Revision zufolge § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Die Zulässigkeit einer solchen außerordentlichen Revision unter dem genannten Gesichtspunkt hat der Verwaltungsgerichtshof dann im Rahmen dieser vorgebrachten Gründe zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
8 Insoweit macht das BFA geltend, das BVwG habe zu Unrecht die Verhältnismäßigkeit der Anordnung und des Vollzuges der gegenständlichen Schubhaft verneint.
9 Dem ist zunächst zu entgegnen, dass diese Frage nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine solche des Einzelfalles ist, die daher nicht generell zu klären und als einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG revisibel ist, wenn die Beurteilung auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise vorgenommen wurde (vgl. etwa VwGH 16.5.2019, Ra 2019/21/0111, Rn. 8, und VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0211, Rn. 9).
10 Dass die nach mündlicher Verhandlung erfolgte einzelfallbezogene Beurteilung des BVwG in Anbetracht des wiedergegebenen, vom Mitbeteiligten gezeigten Verhaltens in Österreich unvertretbar wäre, wird in der Amtsrevision aber gar nicht ausdrücklich geltend gemacht.
11 Soweit die Amtsrevision auf „frühere Delinquenz“ des in Österreich strafgerichtlich unbescholtenen Mitbeteiligten verweist, unterlässt sie jede inhaltliche Konkretisierung. Eine solche ist bereits dem die Schubhaft anordnenden Bescheid vom 13. Dezember 2019 nicht zu entnehmen. Auch kann sie nicht durch das Vorbringen ersetzt werden, der Mitbeteiligte werde „wegen Betrugs gesucht“, ohne den entsprechenden Vorwurf substanziiert zu konkretisieren.
12 Insgesamt zeigt die Amtsrevision somit keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG auf. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 16. Juli 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210212.L00Im RIS seit
03.09.2020Zuletzt aktualisiert am
03.09.2020