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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §303 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Mizner, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Robl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über die Beschwerde der C in G, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom 10. Jänner 1997, Zl. B-K18-9/96, betreffend Einkommensteuer 1994, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 12.500 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin reichte am 11. April 1995 beim Finanzamt eine Erklärung zur Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung für 1994 ein, in welcher sie Angaben zu Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen machte. Die Erklärung enthält keine Angaben zu den bezugsauszahlenden Stellen.
Mit Bescheid vom 5. Mai 1995 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer 1994 unter Berücksichtigung der Bezüge des Arbeitgebers A sowie der Bezüge aus der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse mit einer Gutschrift von 13.905 S fest.
Mit Bescheid vom 28. November 1995 nahm das Finanzamt das Verfahren gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder auf. In der Begründung verwies es darauf, daß von einem Arbeitgeber ein berichtigter oder neuer Lohnzettel übermittelt worden sei oder sich eine Änderung bei den progressionswirksamen Transferleistungen (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, etc.) ergeben habe. Zugleich erließ es einen neuen Einkommensteuerbescheid, mit welchem es auch jene Bezüge erfaßte, die die Beschwerdeführerin vom Arbeitgeber B erhalten hatte, sodaß lediglich eine Gutschrift von 8.061 S festgesetzt wurde.
Die Beschwerdeführerin berief. Sie brachte zur Begründung vor, es sei ihr im Rahmen des "Lohnsteuerausgleiches" für 1994 bereits eine Gutschrift erteilt worden. Aufgrund der gleichen vorliegenden Unterlagen habe nun das Finanzamt offensichtlich im Rahmen einer Revision eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorgenommen. Die Beschwerdeführerin habe keine unrichtigen Angaben gemacht, Tatsachen oder Beweismittel seien nicht neu hervorgekommen, der Bescheid sei auch nicht von Vorfragen abhängig, die mittlerweile entschieden worden seien. Es lägen daher die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht vor.
Das Finanzamt erließ eine abweisende Berufungsvorentscheidung. Mit dem Einkommensteuerbescheid vom 5. Mai 1995 sei die Arbeitnehmerveranlagung unter Heranziehung der Bezüge des Arbeitgebers A und der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse durchgeführt worden. Da in der Erklärung zur Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung keine Angaben zu den bezugsauszahlenden Stellen erfolgt seien, sei die Arbeitnehmerveranlagung unter Berücksichtigung der bis zum 5. Mai 1995 dem Finanzamt übermittelten Lohnzettel berechnet worden. Die Übermittlung des Lohnzettels des Arbeitgebers B sei erst nach Erlassung des Bescheides vom 5. Mai 1995 erfolgt. Aus diesem Grund habe das Verfahren wiederaufgenommen und ein neuer Einkommensteuerbescheid erlassen werden müssen.
Die Beschwerdeführerin beantragte die Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz. Sie führt ergänzend aus, die Übermittlung des Lohnzettels des Arbeitgebers B an das Finanzamt sei lange vor dem 5. Mai 1995 erfolgt. Es seien daher sämtliche verfügbaren Daten bei Erlassung des Einkommensteuerbescheides bereits vorhanden gewesen.
Im Verwaltungsakt befindet sich ein an den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin gerichtetes Schreiben des Arbeitgebers B, in welchem dieser ausführt, er habe das "Formular L 16" (Lohnzettel) dem Finanzamt fristgerecht im Februar 1995 übermittelt.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gegen den Wiederaufnahmebescheid als unbegründet ab. Die Wiederaufnahme des Verfahrens sei erfolgt, weil die Bezüge des Arbeitgebers B der bearbeitenden Abteilung im Finanzamt erst nach Ergehen des Einkommensteuerbescheides bekannt geworden seien. Die Außerachtlassung der Bezüge des Arbeitgebers B hätte durch die Anführung der bezugsauszahlenden Stellen vermieden werden können. Auch wenn der Lohnzettel des Arbeitgebers B noch vor dem Ergehen des Einkommensteuerbescheides beim Finanzamt eingebracht worden sei, entbinde dies die Beschwerdeführerin nicht, die bezugsauszahlenden Stellen auf dem Antrag auf Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung bekanntzugeben. Werde das Erstverfahren unter Zugrundelegung eines vom Abgabepflichtigen bekanntgegebenen Sachverhaltes durchgeführt und stelle sich später heraus, daß die Abgabenerklärung nicht vollständig sei, so sei eine spätere Wiederaufnahme des Verfahrens auf Grund der sodann festgestellten Tatsachen zulässig.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, ist das Hervorkommen neuer Tatsachen oder Beweismittel iSd § 303 Abs. 4 BAO nicht aus der Sicht der Behörde als Gesamtorganisation, sondern aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens zu beurteilen (vgl. etwa die
hg. Erkenntnisse vom 6. April 1995, 93/15/0064, und vom 8. März 1994, 90/14/0192). Tatsachen und Beweismittel kommen iSd § 303 Abs. 4 BAO neu hervor, wenn sie der für die zur Abwicklung eines bestimmten Verfahrens berufenen Organisationseinheit der Behörde noch nicht bekannt gewesen sind (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, 2937; Ritz, BAO-Kommentar, § 303 Tz 14).
Die belangte Behörde führt im angefochtenen Bescheid aus, die in Rede stehenden Bezüge des Arbeitgebers B seien der "bearbeitenden Abteilung" des Finanzamtes erst nach Ergehen des Einkommensteuerbescheides bekannt geworden. Bei dieser Sachlage hätte die belangte Behörde zu Recht das Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes iSd § 303 Abs. 4 BAO annehmen können.
Die Beschwerdeführerin vermag allerdings eine relevante Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuzeigen, ist doch dem angefochtenen Bescheid in keiner Weise zu entnehmen, wie die belangte Behörde zu der eben genannten Sachverhaltsfeststellung gelangt ist. Im Verwaltungsakt befindet sich ein vom Arbeitgeber B ausgestellter, mit 13. Februar 1995 datierter Lohnzettel. Aufgrund welcher Erwägungen die belangte Behörde zu dem Schluß gekommen ist, der "bearbeitenden Abteilung" wäre dieser Lohnzettel erst nach Zustellung des Einkommensteuerbescheides zugekommen, wird im angefochtenen Bescheid nicht einmal andeutungsweise erläutert.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck bringt, muß die Begründung eines Bescheides erkennen lassen, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt worden ist, aus welchen Erwägungen die belangte Behörde zu der Einsicht gelangt ist, daß gerade dieser Sachverhalt vorliegt, und aus welchen Gründen die Behörde die Subsumtion des Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet. Die Begründung eines Abgabenbescheides muß in einer Weise erfolgen, daß der Denkprozeß, der in der behördlichen Erledigung seinen Niederschlag findet, sowohl für den Abgabenpflichtigen als auch im Fall der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes für diesen nachvollziehbar ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 1997, 94/13/0200).
Der angefochtene Bescheid vermag diesen Anforderungen an eine Bescheidbegründung nicht zu entsprechen. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Von der Durchführung einer Verhandlung konnte aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des gestellten Antrages auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VO BGBl. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1997150040.X00Im RIS seit
20.11.2000