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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §8 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision der A V in S, vertreten durch Dr. Peter Krömer, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Riemerplatz 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juli 2019, W212 2203932-1/10E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl)
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten wendet, zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
In seinem übrigen Umfang wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten wendet, zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
In seinem übrigen Umfang wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Die Revisionswerberin, eine ukrainische Staatsangehörige, stellte am 25. Jänner 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 20. Juli 2018 ab, erteilte der Revisionswerberin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Ukraine zulässig sei. Weiters legte die Behörde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise fest.
3 Das BFA schenkte dem Vorbringen der Revisionswerberin zu ihren Fluchtgründen keinen Glauben. Zu ihrem Gesundheitszustand stellte es fest, dass die Revisionswerberin schon wegen Brustkrebses in der Ukraine behandelt sowie operiert worden sei und sie wegen ihres derzeitigen Lungenkrebses ebenfalls dort behandelt werden könne. Der Revisionswerberin drohe bei einer Rückkehr in ihren Heimatstaat keine Verletzung ihrer Rechte nach Art. 3 EMRK. Durch ihre Arbeitsfähigkeit sei die Revisionswerberin in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Im Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung wies die Behörde darauf hin, dass die im Bundesgebiet lebende Tochter der Revisionswerberin und deren Familie über kein dauerndes Aufenthaltsrecht verfügten, weil deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen sei. Deshalb läge kein Eingriff in das Familienleben vor.
4 Dagegen erhob die Revisionswerberin Beschwerde, in der sie ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte. Unter anderem rügte sie eine unzureichende Auseinandersetzung mit ihrer Krebserkrankung, aufgrund derer sie in Österreich erneut (diesmal wegen eines Lungenkrebses) operiert worden sei. Sie sei auf die Unterstützung ihrer in Österreich befindlichen Familie angewiesen. In der Ukraine lebten keine Angehörigen von ihr mehr. Weiters wies die Revisionswerberin darauf hin, dass sie in ihrem Heimatstaat bereits in Pension gegangen sei und im Falle einer Rückkehr keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen würde.
5 Das Bundesverwaltungsgericht räumte der Revisionswerberin die Möglichkeit ein, schriftlich zu ihrem Gesundheitszustand Stellung zu nehmen und ärztliche Befunde vorzulegen. Davon machte die Revisionswerberin Gebrauch und legte diverse ärztliche Befunde vor. Weiters brachte die Revisionswerberin das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Jänner 2019 betreffend das Asylverfahren ihrer Tochter sowie deren Ehemann und den gemeinsamen Kindern ein, mit dem festgestellt wurde, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, und ihnen die Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ bzw. „Aufenthaltsberechtigung“ erteilt wurden.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 25. Juli 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der Revisionswerberin ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
7 Begründend legte das Bundesverwaltungsgericht dar, der Revisionswerberin drohe im Falle einer Rückkehr keine asylrelevante Verfolgung. Ebenso würde sie in keine existenzgefährdende Notlage geraten und drohe ihr keine Verletzung von Art. 2 oder Art. 3 EMRK. Zum Gesundheitszustand führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass bei der Revisionswerberin bereits in der Ukraine Brustkrebs diagnostiziert worden sei, der dort operativ und mittels Chemotherapie behandelt worden sei. Eine in der Ukraine begonnene medikamentöse Therapie sei in Österreich fortgesetzt worden. Als Folge der Entfernung der Lymphknoten bestehe eine Schwellung des rechten Arms. Im März 2018 sei ein Tumor an der Lunge diagnostiziert worden, der mittlerweile operativ entfernt worden sei. Die Revisionswerberin werde derzeit mit näher genannten Medikamenten behandelt. Es lägen keine Hinweise auf eine notwendige stationäre Behandlung vor. Das Bundesverwaltungsgericht führte darüber hinaus mit näherer Begründung aus, dass nicht habe festgestellt werden können, dass zwischen der Revisionswerberin und ihrer erwachsenen Tochter über die üblichen Bindungen hinausgehende Abhängigkeitsmerkmale vorlägen.
8 Die Revisionswerberin erhob gegen diese Entscheidung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 25. Februar 2020, E 3023/2019-11, ablehnte und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
9 In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht sowie nach Einleitung des Vorverfahrens - es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe.
12 Die Revision ist teilweise zulässig und begründet.
13 Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob im Sinn des § 21 Abs. 7 erster Satz BFA-VG „der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:
Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 18.12.2019, Ra 2019/14/0268, mwN).
15 Diesen Grundsätzen hat das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall im Zusammenhang mit der Entscheidung über den Status der subsidiär Schutzberechtigten und darauf aufbauender Spruchpunkte nicht entsprochen:
16 Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich mit dem von der Revisionswerberin im Beschwerdeverfahren erstatteten Vorbringen zu ihrem Gesundheitszustand und ihrem Familienleben sowie den neu vorgelegten Beweismitteln auseinander. Es traf gegenüber den im Bescheid des BFA enthaltenen Ausführungen ausführlichere Feststellungen zu der Krebserkrankung der Revisionswerberin und deren Auswirkungen. Ebenso ergänzte das Bundesverwaltungsgericht die vom BFA getroffenen Feststellungen zum Familienleben der Revisionswerberin, aufgrund derer es (erstmals) ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Revisionswerberin und ihrer Tochter, welche mittlerweile über einen Aufenthaltstitel verfüge, mit näherer Begründung verneinte.
17 Das Bundesverwaltungsgericht durfte somit in Bezug auf die Gewährung subsidiären Schutzes und der weiteren, rechtlich darauf aufbauenden Spruchpunkte nicht von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen, sondern hätte nach dem oben dargestellten Kriterien eine mündliche Verhandlung durchführen müssen.
18 Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und - wie hier gegeben - des Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. nochmals VwGH 18.12.2019, Ra 2019/14/0268, mwN).
19 Das angefochtene Erkenntnis war sohin, soweit die Beschwerde in Bezug auf die Frage der Zuerkennung von subsidiärem Schutz und der davon rechtlich abhängenden Aussprüche abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
20 In Bezug auf den nicht gewährten Status einer Asylberechtigten zeigt die Revision in der Zulassungsbegründung hingegen nicht einmal ansatzweise auf, dass die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nach den rechtlichen Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geboten gewesen wäre. Insoweit war die Revision mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.
21 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 3. August 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200119.L01Im RIS seit
03.09.2020Zuletzt aktualisiert am
03.09.2020