TE Vwgh Beschluss 2020/8/5 Ra 2020/20/0234

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Veröffentlicht am 05.08.2020
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E19103000
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
BFA-VG 2014 §52
B-VG Art133 Abs4
EURallg
VwGG §34 Abs1
32013L0032 IntSchutz-RL Art20 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des M R, vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Juni 2019, W134 2161878-1/20E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 18. Mai 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er in seinem Herkunftsland aufgrund der Tätigkeit seines Vaters für die amerikanische Armee von den Taliban verfolgt werde.

2        Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 10. Mai 2017 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 5. März 2020, E 2710/2019-7, ablehnte und die Beschwerde über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 2. April 2020, E 2710/2019-9, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die vorliegende Revision eingebracht.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, der Revisionswerber sei während des erstinstanzlichen Verfahrens wie auch in weiten Teilen des Verfahrens vor dem BVwG minderjährig gewesen. Obwohl das Erreichen der Volljährigkeit gerichtsbekannt gewesen sei, habe sich das BVwG nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Revisionswerber Kenntnis über seinen Rechtsanspruch auf Rechtsberatung habe.

9        Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt dem Asylwerber im Rechtsmittelverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vor dem Hintergrund des § 52 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) ein Rechtsanspruch auf Teilnahme des Rechtsberaters an der mündlichen Verhandlung zu, sofern er diesen darum ersucht hat. Auf Grund der aus dem rechtsstaatlichen Prinzip und den einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften resultierenden Verfahrensgarantien ist es auch Sache des Verwaltungsgerichts, dafür Sorge zu tragen, dass das einem Asylwerber zustehende Recht auf einen Rechtsberater tatsächlich in Anspruch genommen werden kann (vgl. VwGH 5.4.2018, Ra 2017/19/0515, mwN).

10       Der Revisionswerber war bis zum Erreichen der Volljährigkeit auf Grund eines Beschlusses des Bezirksgerichts Gmünd vom 4. April 2017 durch das Land Niederösterreich vertreten. Die Revision legt selbst dar, dass „eine Verfahrensanordnung“ (mit der gemäß § 52 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren ein Rechtsberater zur Seite gestellt wurde) „an die damalige gesetzliche Vertretung erging“. Aus dem vorgelegten Akt des BVwG ergibt sich zudem, dass der Revisionswerber in der Ladung zur Verhandlung (unter Anführung der Kontaktdaten) über die Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit der ihm zur Seite gestellten Rechtsberatung informiert wurde. Vor diesem Hintergrund ist die in der Revision behauptete Abweichung von der Rechtsprechung, wonach das BVwG dafür Sorge zu tragen habe, dass das einem Asylwerber zustehende Recht auf einen Rechtsberater tatsächlich in Anspruch genommen werden kann (Hinweis auf VwGH 14.12.2016, Ra 2016/19/0016; 3.5.2016, Ro 2016/18/0001; 5.4.2018, Ra 2017/19/0515), nicht ersichtlich. Die Revision zeigt weder auf, inwiefern das BVwG nicht hätte davon ausgehen dürfen, dass dem Revisionswerber das Wissen um die ihm gegenüber während der Dauer des Vertretungsverhältnisses gesetzten Verfahrenshandlungen - auch nach dem Ende des Vertretungsverhältnisses - zurechenbar ist (zur Zurechenbarkeit des Verhaltens des Vertreters und des Wissens des Vertreters um rechtserhebliche Vorgänge zum Vertretenen vgl. zB VwGH 13.9.1983, 82/11/0098; 21.2.1985, 82/16/0155; 14.05.2002, 2001/01/0542, 0543; 27.09.2001, 2001/20/0332, 0333), noch, dass der Revisionswerber (im Unterschied zu dem dem Erkenntnis VwGH 3.5.2016, Ro 2016/18/0001, zugrunde liegenden Fall) erfolglos um die Mitwirkung des ihm zur Seite gestellten Rechtsberaters ersucht hätte (vgl. auch VwGH 14.12.2016, Ra 2016/19/0016, Rn. 10).

11       Im Übrigen unterlässt das Zulässigkeitsvorbringen eine Darstellung der Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei deren Vermeidung in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. etwa VwGH 25.4.2019, Ra 2018/19/0710, mwN). Die Revision legt nicht dar, welches Vorbringen (etwa zu den Länderberichten) durch die Unterstützung eines Rechtsberaters erstattet worden wäre, das von Relevanz für den Verfahrensausgang gewesen wäre (vgl. zum Erfordernis der Relevanzdarstellung in vergleichbaren Fällen VwGH 25.9.2019, Ra 2018/19/0643; 10.3.2017, Ra 2017/18/0064; 10.8.2017, Ra 2016/20/0369).

12       Eine Relevanzdarstellung fehlt dem Zulässigkeitsvorbringen auch, soweit darin die unterbliebene Berücksichtigung sowohl der EASO-Richtlinien für Afghanistan (EASO Country Guidance: Afghanistan, Juni 2018 sowie Juni 2019) als auch der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 (im Folgenden: UNHCR-Richtlinien) im Hinblick auf darin enthaltene Risikoprofile und im Zusammenhang mit der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (hinsichtlich der Verfolgung durch Taliban sowie hinsichtlich der Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul) erblickt und auf die mangelnde Berücksichtigung der Minderjährigkeit des Revisionswerbers hingewiesen wird. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass das BVwG auch bei Wahrunterstellung des Fluchtvorbringens alternativ von der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (nicht nur in Kabul, sondern alternativ auch) in Herat und Mazar-e Sharif ausgegangen ist. Um die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen, hätte es daher jedenfalls auch näherer Ausführungen dazu bedurft, welche konkreten Tatsachenfeststellungen das BVwG bei Vermeidung der geltend gemachten Verfahrensmängel zu treffen gehabt hätte, die der Annahme der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative - im Hinblick auf eine Gefahr der provinzübergreifenden Verfolgung des Revisionswerbers durch die Taliban, sohin auch in Herat oder Mazar-e Sharif - entgegenstünden. Mit dem allgemeinen Vorbringen, „bei entsprechender Beachtung [wäre dem Revisionswerber] die Asylberechtigung, mindestens die subsidiäre Schutzberechtigung“ zuzuerkennen gewesen und er hätte „seine ablehnende Haltung und seinen Widerstand gegen die Terrororganisation klar zum Ausdruck gebracht, weswegen er auch in den vermeintlich sicher geltenden Städten Verfolgung ausgesetzt wäre“, wird Derartiges nicht dargetan. Ausgehend davon vermag sich die Revision nicht erfolgreich gegen die vom BVwG herangezogene Alternativbegründung zu wenden, weshalb es ihr nicht gelingt, mit der erwähnten Rüge von Verfahrensmängeln eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen (vgl. zur Unzulässigkeit der Revision bei einer tragfähigen Alternativbegründung VwGH 21.2.2020, Ra 2020/18/0002, mwN).

13       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Frage der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative eine - von der Asylbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht zu treffende - Entscheidung im Einzelfall dar, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu treffen ist (vgl. VwGH 27.4.2020, Ra 2019/20/0242, mwN).

14       Im Hinblick auf die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat ist das BVwG zwar verpflichtet, die zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen (vgl. VwGH 4.3.2019, Ra 2018/20/0540, mwN) und hat den Richtlinien des UNHCR dabei besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung“), jedoch sind die Asylbehörden nicht an entsprechende Empfehlungen gebunden (vgl. VwGH 13.2.2020, Ra 2019/19/0278, mwN).

15       Der Einschätzung des BVwG, nach der der zum Entscheidungszeitpunkt volljährige, junge, mobile, gesunde sowie anpassungs- und arbeitsfähige Revisionswerber, der mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei, eine sechsjährige Schulbildung absolviert und als Landwirt gearbeitet habe und sich durch die Annahme von Hilfstätigkeiten eine Existenzgrundlage schaffen könne, tritt die Revision nicht entgegen. Das Vorbringen, eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit einer Neuansiedlungsoption habe nicht stattgefunden, geht daher ins Leere, zumal nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die ein Asylwerber bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 7.6.2019, Ra 2019/14/0114, mwN). Ein Abweichen von den Leitlinien der Rechtsprechung vermag die Revision auch mit dem Vorbringen, der Revisionswerber habe Afghanistan im Alter von 14 Jahren „endgültig“ verlassen und sei in Österreich „in einem besonders prägsamen Alter“ sozialisiert worden, nicht darzutun.

16       Das BVwG hat sich nach Durchführung eines Beweisverfahrens mit dem Gesundheitszustand des Revisionswerbers und seiner Arbeitsfähigkeit auseinandergesetzt und stellte - ausgehend von seinen Angaben zu der Absolvierung einer Lehre sowie seiner Tätigkeit als Koch - fest, dass dieser gesund und arbeitsfähig sei. Eine Unvertretbarkeit der diesbezüglichen Beweiswürdigung zeigt die Revision nicht auf.

17       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 5. August 2020

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200234.L00

Im RIS seit

28.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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