TE Vwgh Erkenntnis 2020/8/5 Ra 2020/20/0192

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Veröffentlicht am 05.08.2020
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E19103000
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
AVG §59 Abs1
AVG §68 Abs1
EURallg
VwGG §42 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z2
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §28
32013L0032 IntSchutz-RL Art33 Abs2 litd
32013L0032 IntSchutz-RL Art46 Abs1
32013L0032 IntSchutz-RL Art46 Abs1 lita sublitii
32013L0032 IntSchutz-RL Art46 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revisionen des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts je vom 7. Mai 2020, 1. W279 2179547-2/4E, 2. W279 2179549-2/4E und 3. W279 2179544-2/4E, jeweils betreffend Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Parteien: 1. R N, 2. Z Z, und 3. M N, alle vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9/1. Stock), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Erkenntnisse werden in den Spruchpunkten A) II. und A) III. wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts aufgehoben.

Begründung

1        Die mitbeteiligten Parteien, ein Ehepaar und das gemeinsame minderjährige Kind, stammen aus Afghanistan und stellten im November 2015 nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2        Diese Anträgen wurde im Instanzenzug mit den Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Juli 2018 keine Folge gegeben und gegen die mitbeteiligten Parteien Rückkehrentscheidungen erlassen (sowie weitere rechtlich davon abhängende Aussprüche getätigt). Die dagegen erhobenen Revisionen wurden vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 24. Juni 2019, Ra 2018/20/0434 bis 0436, zurückgewiesen.

3        Am 5. Februar 2020 stellten die mitbeteiligten Parteien neuerlich Anträge auf internationalen Schutz.

4        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diese Anträge mit den Bescheiden je vom 18. März 2020 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Unter einem sprach die Behörde aus, dass den mitbeteiligten Parteien kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung und ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und festgestellt werde, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde den mitbeteiligten Parteien nicht gewährt und ihnen die Unterkunftnahme ab einem näher bezeichneten Zeitpunkt in T aufgetragen.

5        Dagegen erhoben die mitbeteiligten Parteien Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht, das darüber - nachdem es diesen zuvor die aufschiebende Wirkung zuerkannt hatte - mit den Erkenntnissen je vom 7. Mai 2020 entschied. Soweit es die auf § 68 Abs. 1 AVG gestützten Zurückweisungen der Anträge auf internationalen Schutz in Bezug auf das Begehren auf Zuerkennung des Status von Asylberechtigten betrifft, blieben die Beschwerden erfolglos [Spruchpunkt A) I.]. Jedoch sprach das Verwaltungsgericht aus, dass den mitbeteiligten Parteien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt [Spruchpunkt A) II.] und ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 befristete Aufenthaltsberechtigungen, jeweils mit Gültigkeit bis 6. Mai 2020, erteilt werden [Spruchpunkt A) III.]. Die Erhebung einer Revision wurde vom Verwaltungsgericht in Bezug auf sämtliche Entscheidungen für nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig erklärt.

6        In seiner Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht - soweit im Revisionsverfahren von Interesse - aus, die mitbeteiligten Parteien hätten ihre Folgeanträge vorerst auf dieselben Fluchtgründe gestützt, die sie schon im ersten Asylverfahren geltend gemacht hätten. Dem im Lauf des Verfahrens über die Folgeanträge erstatteten Vorbringen zu weiteren Gründen, weshalb sie im Fall der Rückkehr in ihrem Heimatland Verfolgung ausgesetzt wären, komme zum einen keine Glaubwürdigkeit, zum anderen keine Asylrelevanz zu.

7        Jedoch sei gegenüber der Situation, die den Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Juli 2018 zugrunde gelegen sei, eine Änderung in jener entscheidungsrelevanten Sachlage eingetreten, auf die bei der Beurteilung, ob subsidiärer Schutz zustehe, abzustellen sei. Im Weiteren legte das Verwaltungsgericht dar, weshalb seiner Ansicht nach nunmehr die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz an die mitbeteiligten Parteien gegeben seien.

8        Zum Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision verwies das Bundesverwaltungsgericht darauf, dass es sich in allen erheblichen Rechtsfragen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sowie eine klare Rechtslage habe stützen können.

9        Gegen jene Spruchpunkte, mit denen den mitbeteiligten Parteien der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihnen befristete Aufenthaltsberechtigungen erteilt wurden, richten sich die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erhobenen Revisionen, die vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurden.

10       Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorverfahren eingeleitet. Es wurden keine Revisionsbeantwortungen erstattet.

11       Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

12       Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl macht geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe, indem es durch Vornahme inhaltlicher Entscheidungen nicht beachtet habe, dass die von den mitbeteiligten Parteien gestellten Anträge auch in Bezug auf das jeweilige Begehren auf Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen worden seien, den Verfahrensgegenstand der Beschwerdeverfahren überschritten.

13       Die Revisionen sind zulässig und auch begründet.

14       „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ist nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des (bescheidmäßigen) Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat. Der äußerste Rahmen für die Prüfbefugnis des Verwaltungsgerichtes ist die „Sache“ des bekämpften Bescheides. Entscheidet das Verwaltungsgericht in einer Angelegenheit, die überhaupt noch nicht oder in der von der Rechtsmittelentscheidung in Aussicht genommenen rechtlichen Art nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen ist, im Ergebnis erstmals in Form eines Erkenntnisses, so fällt eine solche Entscheidung nicht in die funktionelle Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes und die Entscheidung ist im diesbezüglichen Umfang mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit belastet.

15       Hat die Behörde einen Antrag zurückgewiesen, dann ist „Sache“ eines Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ausschließlich die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung.

16       Es ist dem Verwaltungsgericht nämlich deshalb verwehrt, über den Rahmen der bloßen Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisungsentscheidung der Vorinstanz hinaus mit einer Entscheidung über den Gegenstand des Verfahrens vorzugehen, weil dadurch der sachlichen Prüfung des gestellten Antrages und damit den Parteien eine Instanz genommen würde (vgl. zum Ganzen sowie dazu, dass einer solchen prozessrechtlichen Ausgestaltung auch die Vorschriften der Richtlinie 2013/32/EU nicht entgegen stehen, VwGH 28.8.2019, Ra 2019/14/0299, mwN).

17       Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies die am 5. Februar 2020 von den mitbeteiligten Parteien gestellten Anträge auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des jeweiligen Begehrens auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des jeweiligen Begehrens auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Dabei handelt es sich - wenngleich in einem rechtlichen Zusammenhang stehend - um rechtlich trennbare Aussprüche, die (unter bestimmten Voraussetzungen) unterschiedlichen rechtlichen Schicksalen unterliegen können (vgl. etwa VwGH 28.1.2015, Ra 2014/20/0121; 8.9.2015, Ra 2015/18/0134; 19.1.2016, Ra 2015/01/0070).

18       Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht diese Rechtslage bei seinen Entscheidungen in Bezug auf die Frage der Zuerkennung von Asyl berücksichtigt. Indem das Bundesverwaltungsgericht aber betreffend die Aussprüche über die Verweigerung der Zuerkennung von subsidiärem Schutz nicht bloß über die Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ausgesprochenen Antragszurückweisungen entschieden, sondern den mitbeteiligten Parteien den Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihnen befristete Aufenthaltsberechtigungen erteilt hat, hat es den Prozessgegenstand der Beschwerdeverfahren überschritten und seine Entscheidungen mit Rechtswidrigkeit infolge seiner Unzuständigkeit belastet, weshalb sie aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben waren.

19       Bei diesem Ergebnis musste auf das weitere - die Festlegung der Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigungen betreffende - Revisionsvorbringen nicht mehr näher eingegangen werden. Insoweit kann es hier sein Bewenden haben, auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Dezember 2019, Ra 2019/18/0281, hinzuweisen.

Wien, am 5. August 2020

Schlagworte

Allgemein Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Trennbarkeit gesonderter Abspruch

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200192.L00

Im RIS seit

20.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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