TE Vwgh Erkenntnis 2020/8/10 Ra 2018/19/0228

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.08.2020
beobachten
merken

Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E19103010
E6J
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §6 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs3a
AVG §59 Abs1
EURallg
FlKonv Art1 AbschnF
FlKonv Art1 AbschnF litc
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2
FrPolG 2005 §52 Abs9
32004L0083 IntSchutz Staatenlose Flüchtlinge RL Art12 Abs2 litb
32004L0083 IntSchutz Staatenlose Flüchtlinge RL Art12 Abs2 litc
32011L0095 Status-RL Art17 Abs1 litb
62009CJ0057 B und D VORAB
62013CJ0542 M'Bodj VORAB
62017CJ0369 Ahmed VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des Ö D, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. März 2018, L502 1424800-2/67E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger der kurdischen Volksgruppe, stellte am 4. November 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005. Begründend brachte er vor, er sei als Kurde wegen seiner politischen Tätigkeit in zahlreichen Fällen bedroht, festgenommen, und verurteilt und während der Strafhaft misshandelt worden.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - im zweiten Rechtsgang - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung den Antrag des Revisionswerbers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z 2 iVm. § 6 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2 AsylG 2005 und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a iVm. § 9 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung, stellte „gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 iVm. § 52 Abs. 9 FPG“ fest, dass seine Abschiebung in die Türkei unzulässig sei, und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3        Das BVwG stellte fest, der Revisionswerber habe sich seit März 2003 in politischer Weise in einem Verein mit der Bezeichnung „Verein für Menschenrechte und Grundfreiheiten D/T“ als einfaches Mitglied und als Vorstandsmitglied engagiert, wobei er den Verein in dieser Funktion auch nach außen vertreten habe. Weiter habe er sich im Rahmen von politischen Aktivitäten, wie der Teilnahme an Demonstrationen, engagiert.

4        Der Revisionswerber sei in der Türkei mehrfach strafgerichtlich rechtskräftig zu unbedingten Haftstrafen verurteilt worden, wobei keine dieser Haftstrafen von ihm verbüßt worden sei, und zwar - erstens - mit Urteil des 3. Schwurgerichts in Malatya aus dem Jahr 2010, rechtskräftig mit Urteil des türkischen Kassationsgerichtshofs aus dem Jahr 2013, zu sechs Jahren und drei Monaten Haft wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ (hier: der DHKP/C), - zweitens - mit Urteil des Landstrafgerichts in Tunceli aus dem Jahr 2013, rechtskräftig mit Urteil des türkischen Kassationsgerichtshofs aus dem Jahr 2017, zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft wegen „Verletzung des Versammlungsgesetzes“, sowie - drittens - durch Urteil des Landstrafgerichts in Tunceli aus dem Jahr 2008, rechtskräftig mit Urteil des türkischen Kassationsgerichtshofs aus dem Jahr 2012, zu sechs Monaten und 20 Tagen Haft wegen „Widerstands gegen die Staatsgewalt“. Das BVwG stellte weitere Verurteilungen und Freisprüche in verschiedenen Verfahren fest.

5        Der erstgenannten Verurteilung durch das 3. Schwurgericht in Malatya seien die Feststellungen zu Grunde gelegen, dass der Revisionswerber gemeinsam mit anderen Angeklagten zum Tatzeitpunkt im Jahr 2004 am genannten Ort in E in einer von Mitgliedern der DHKP/C benutzten Aufmachung mit brennenden Autoreifen den Straßenverkehr lahmgelegt, Transparente mit einschlägigen Slogans montiert bzw. Slogans gerufen und letztlich versucht habe, das Justizgebäude in E in Brand zu setzen. Daran seien die Täter von Sicherheitskräften gehindert und im Zuge der versuchten Flucht festgenommen worden, wobei sie sich der Festnahme zu widersetzen versucht hätten. Der Revisionswerber habe dadurch den Straftatbestand der „Mitgliedschaft in der bewaffneten Terrororganisation DHKP/C“ iSd § 314 Abs. 2 tStGB erfüllt und sei zu einer unbedingten Haftstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Begründend habe sich das türkische Gericht u.a. darauf gestützt, dass dem Revisionswerber eine Verbindung zum „Verein für Menschenrechte und Grundfreiheiten“ nachgewiesen worden sei, der in mehreren türkischen Provinzen von der DHKP/C als eine Vorfeld- bzw. Rekrutierungsorganisation installiert worden sei.

6        Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Revisionswerber im Zusammenhang mit dieser oder einer der anderen festgestellten Verurteilungen einer nicht den Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens genügenden Verfahrensführung durch die türkischen Gerichte unterworfen gewesen sei. Es habe auch nicht festgestellt werden können, dass der Revisionswerber wegen der ihm zur Last gelegten Straftaten einer unverhältnismäßigen Bestrafung unterworfen gewesen sei.

7        Beweiswürdigend führte das BVwG - auf das hier Wesentliche zusammengefasst - aus, der Revisionswerber habe hinsichtlich der Verurteilung wegen der Mitgliedschaft bei der DHKP/C verschiedentlich die Beweiswürdigung des türkischen Gerichts in Zweifel gezogen. Das BVwG erachte sich weder für zuständig noch in der Lage, die Beweisführung und -würdigung eines nationalen Gerichts in einem bestimmten Verfahren in seinen Einzelheiten ebenso wie in seiner Gesamtheit nachzuvollziehen. Das BVwG habe sich lediglich veranlasst gesehen, mögliche Anhaltspunkte für gravierende Verfahrensmängel wie etwa einen Ausschluss vom Rechtsmittelverfahren, die Vorenthaltung sonstiger grundlegender Parteienrechte o.ä. aus den primär vom Revisionswerber vorgelegten Beweismitteln zu ermitteln. Es seien auch vollumfängliche Übersetzungen der maßgeblichen türkischen Gerichtsentscheidungen erstellt worden. Es sei erkennbar, dass es zu einer Vielzahl an Strafverfahren gegen den Revisionswerber gekommen sei, die jedoch nur teilweise zu seiner Verurteilung, teilweise auch zu Freisprüchen geführt hätten, sowohl in erster Instanz als auch in Rechtsmittelverfahren. Daraus habe das BVwG den Schluss gezogen, dass eine Rechtsstaatlichkeit der Verfahren in einer Weise, die dem Revisionswerber die Wahrung seiner Parteienrechte ermöglicht habe, offenkundig gegeben gewesen sei. Die türkischen Verfahrensunterlagen hätten den Beweis dafür geliefert, dass ausgehend von dem gerichtlich festgestellten Verhalten der Revisionswerber als Mitglied der DHKP/C zu qualifizieren gewesen sei. Das BVwG verkenne nicht, dass sich der Revisionswerber offenbar auch im Rahmen des genannten Vereins und bei legalen Kundgebungen sowie als Autor in Zeitschriften politisch betätigt habe und lege diese Fakten seiner Entscheidung zugrunde. Dies ändere jedoch nichts an der Verurteilung des Revisionswerber in der Türkei u.a. wegen Mitgliedschaft in der DHKP/C. Im Übrigen sei im Rahmen der Beweisaufnahme hervorgekommen, dass sich die DHKP/C nicht nur in der Türkei, sondern auch in europäischen Ländern wie Deutschland oder Österreich sogenannter legaler Vorfeldorganisationen als Anlaufstellen für Sympathisanten und Aktivisten bediene, wie dies nicht nur vom 3. Schwurgericht in Malatya, sondern auch vom österreichischen Verfassungsschutz und nicht zuletzt auch vom Revisionswerber selbst in einer Stellungnahme festgestellt worden sei. Das habe die Argumentation des Revisionswerbers, seine Beteiligung auch an den Aktivitäten solcher Vereine oder Organisationen lasse per se keine Rückschlüsse auf ein Naheverhältnis zur DHKP/C zu, unterlaufen.

8        Der Revisionswerber habe die Einvernahme von zwei türkischen Staatsbürgern zum Beweis dafür beantragt, dass er bloß wegen seiner politischen Aktivitäten und nicht wegen eines tatsächlich strafbaren Verhaltens strafgerichtlich verfolgt worden sei. Diese beiden seien in der Türkei im selben Verfahren wie er selbst angeklagt worden und sei ihnen in Deutschland Flüchtlingsstatus zuerkannt worden. Weder sei aus dem Umstand der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus an die Genannten noch aus ihrer subjektiven Einschätzung der strafgerichtlichen Verfolgung des Revisionswerbers etwas für die verfahrensgegenständliche Frage nach der Rechtsstaatlichkeit des gegen den Revisionswerber in der Türkei geführten Verfahrens zu gewinnen gewesen. Das BVwG habe auch von der Einvernahme einer als Zeugin beantragten ehemaligen „politischen Weggefährtin“ des Revisionswerbers aus dem genannten Verein zum Beweis dafür, dass er zwar die politischen Ziele von linksorientierten und in der Türkei verbotenen Organisationen wie der DHKP/C, nicht aber deren Methoden gutheiße, Abstand genommen. Das BVwG habe nämlich den Verfahrensakt des BFA über diese „politische Weggefährtin“ beigeschafft, aus dem sich ergebe, dass diese mit Urteil des 3. Schwurgerichts in Malatya aus dem Jahr 2008 wegen Propaganda für die Terrororganisation DHKP/C zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt worden sei. Dazu käme, dass die Genannte nach Auskunft des österreichischen Verfassungsschutzes ein aktives Mitglied einer in Österreich tätigen Vorfeldorganisation der DHKP/C sei, sodass „ihre zeugenschaftliche Aussage von vornherein nicht als objektive Erkenntnisquelle bzw. vielmehr als Gefälligkeitszeugnis zu werten gewesen wäre“.

9        Das Strafmaß der Verurteilung durch das 3. Schwurgericht von Malatya sei mit einer Haftstrafe von sechs Jahren und drei Monaten am unteren Ende des gesetzlichen Strafrahmens von fünf bis zehn Jahren geblieben. Auch das österreichische Strafrecht sehe für vergleichbare Delikte mit Terrorismusbezug einen Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren vor.

10       In rechtlicher Hinsicht führte das BVwG aus, der Revisionswerber sei in der Türkei „in einer den türkischen Behörden bekannten Vorfeldorganisation der DHKP/C“, nämlich dem Verein für Menschenrechte und Grundfreiheiten in T/D, als Vorstandsmitglied tätig und an gewaltsamen Aktionen gegen staatliche Einrichtungen beteiligt gewesen, die der DHKP/C zuzurechnen gewesen seien, weswegen er wegen Mitgliedschaft in der als terroristische Organisation eingestuften DHKP/C rechtskräftig verurteilt worden sei. Er sei daher - bei einer Beurteilung nach den Kriterien des EuGH im Urteil vom 9. November 2010, B und D, C-57/09 und C-101/09 - mit den Zielen und Methoden dieser Terrororganisation nicht nur vertraut gewesen, sondern habe persönlich durch seine Aktivitäten zur Verbreitung und Unterstützung ihrer Ziele beigetragen und insoweit auch eine persönliche Mitverantwortung für den Bestand und die Aktivitäten der DHKP/C gehabt. Zu dieser Mitwirkung sei er nicht gezwungen worden, vielmehr sei sie aus Überzeugung erfolgt. Es seien daher sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht die Voraussetzungen des Ausschlussgrundes des Art. 12 Abs. 2 lit. c und Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU (Status-RL) erfüllt gewesen.

11       Gegen dieses Erkenntnis, mit Ausnahme der Feststellung, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Türkei unzulässig sei, richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision.

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

13       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG habe gegen seine Verpflichtung zur amtswegigen Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes verstoßen, weil es die Verurteilung des Revisionswerbers wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation lediglich oberflächlich überprüft habe. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Verurteilung des Revisionswerbers hätte das BVwG einen Sachverständigen für türkisches (Straf-)Recht heranziehen und konkrete Länderfeststellungen zur Unabhängigkeit der türkischen Justiz im maßgeblichen Zeitpunkt der Verurteilung des Revisionswerbers treffen müssen. Das BVwG habe auch gegen näher genannte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verstoßen, indem es vom Revisionswerber namhaft gemachte Zeugen nicht einvernommen habe.

14       Die Revision ist zulässig und auch begründet.

15       Das BVwG stützt sein Erkenntnis auf das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes nach § 6 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2 AsylG 2005.

16       Gemäß § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genannten Ausschlussgründe vorliegt. Liegt einer dieser Ausschlussgründe vor, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden.

17       Gemäß Art. 1 Abschnitt F lit. c GFK sind die Bestimmungen dieses Abkommens nicht auf Personen anwendbar, hinsichtlich derer ernsthafte Gründe für den Verdacht bestehen, dass sie sich Handlungen schuldig gemacht haben, die sich gegen die Ziele und Prinzipien der Vereinten Nationen richten.

18       In Anbetracht der schwerwiegenden Folgen, die ein Asylausschluss für die betreffende Person hat, sind die Ausschlussklauseln restriktiv auszulegen (vgl. auch EuGH 13.9.2018, Shajin Ahmed, C-369/17, Rn 52, zur Ausschlussklausel des Art. 17 Abs. 1 lit. b Status-RL). Auch bedarf es ausreichender Sachverhaltsfeststellungen, um beurteilen zu können, durch welches Verhalten der Asylwerber einen Ausschlusstatbestand erfüllt hat (vgl. VwGH 18.5.2020, Ra 2019/18/0354, mwN).

19       § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist vor dem Hintergrund des Art. 12 Abs. 2 Status-RL zu sehen (vgl. VwGH 17.2.2015, Ra 2014/01/0172). Der EuGH hat im Urteil vom 9. November 2010, B und D, C-57/09 und C-101/09, ausgesprochen, das Art. 12 Abs. 2 lit. b und c Status-RL dahin auszulegen ist,

„-   dass der Umstand, dass eine Person einer Organisation angehört hat, die wegen ihrer Beteiligung an terroristischen Handlungen in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 aufgeführt ist, und den von dieser Organisation geführten bewaffneten Kampf aktiv unterstützt hat, nicht automatisch einen schwerwiegenden Grund darstellt, der zu der Annahme berechtigt, dass diese Person eine ‚schwere nichtpolitische Straftat‘ oder ‚Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen‘, begangen hat;

-    dass in einem solchen Kontext die Feststellung, dass schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass eine Person eine solche Straftat begangen hat oder sich solche Handlungen hat zuschulden kommen lassen, eine Beurteilung der genauen tatsächlichen Umstände des Einzelfalls voraussetzt, um zu ermitteln, ob von der betreffenden Organisation begangene Handlungen die in den genannten Bestimmungen festgelegten Voraussetzungen erfüllen und ob der betreffenden Person eine individuelle Verantwortung für die Verwirklichung dieser Handlungen zugerechnet werden kann, wobei dem in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie verlangten Beweisniveau Rechnung zu tragen ist.“

20       Das BVwG hat seiner Annahme, der Revisionswerber habe den Asylausschlussgrund des Art. 12 Abs. 2 lit. c Status-RL verwirklicht, die Verurteilung des Revisionswerbers durch das 3. Schwurgericht in Malatya wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“, der DHKP/C, zu Grunde gelegt. Der Revisionswerber hat zu dieser Verurteilung im Verfahren vor dem BVwG mit Schriftsatz vom 17. Februar 2015 die zeugenschaftliche Einvernahme von drei - von seinem Rechtsvertreter stellig zu machenden - namentlich genannten Personen zum Beweis dafür beantragt, dass er in der Türkei auf Grund seiner politischen Aktivitäten, nicht aber wegen tatsächlich strafbaren Verhaltens verfolgt und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden sei.

21       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen (vgl. VwGH 19.6.2017, Ra 2017/19/0069, mwN).

22       Die Revision macht zu Recht geltend, dass das BVwG die Einvernahme dieser Zeugen nicht ablehnen hätte dürfen. Es ist nämlich vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung des EuGH keineswegs ausgeschlossen, dass die Einvernahme dieser Zeugen zur Klärung des maßgeblichen Sachverhaltes beitragen könnte, ob nämlich der Revisionswerber, der im Verfahren stets betont hat, sich lediglich im genannten Verein, nicht aber für die DHKP/C betätigt zu haben, tatsächlich dieser Organisation angehört und den von dieser Organisation geführten bewaffneten Kampf aktiv unterstützt hat und ob ihm eine individuelle Verantwortung für die Verwirklichung der von dieser Organisation begangenen Handlungen zugerechnet werden kann.

23       Wenn das BVwG die Einvernahme der „politischen Weggefährtin“ des Revisionswerbers mit dem Argument ablehnte, diese komme - auf Grund einer eigenen strafgerichtlichen Verurteilung in der Türkei - „von vornherein nicht als objektive Erkenntnisquelle in Betracht“ bzw. wäre von ihr ein „Gefälligkeitszeugnis“ zu erwarten, hat es den Wert eines Beweises abstrakt (im Vorhinein) beurteilt, was als vorgreifende (antizipierende) Beweiswürdigung unzulässig ist (vgl. VwGH 18.1.2017, Ra 2016/18/0197, mwN).

24       Der Revisionswerber hat zwar erklärt, das angefochtene Erkenntnis mit Ausnahme des Ausspruches, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Türkei unzulässig sei, zu bekämpfen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes steht es aber einem Revisionswerber im Fall der Anfechtung der Rückkehrentscheidung - wie hier - nicht offen, die Prüfung des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich des von der angefochtenen Rückkehrentscheidung untrennbaren Ausspruches gemäß § 52 Abs. 9 FPG auszuschließen (vgl. VwGH 21.5.2019, Ro 2019/19/0006, Rn 53).

25       Das angefochtene Erkenntnis war somit in seinem gesamten Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

26       Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 10. August 2020

Gerichtsentscheidung

EuGH 62009CJ0057 B und D VORAB
EuGH 62013CJ0542 M'Bodj VORAB
EuGH 62017CJ0369 Ahmed VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Trennbarkeit gesonderter Abspruch

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018190228.L00

Im RIS seit

29.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

29.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten