Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Dr. Martin Neuwirth und Dr. Alexander Neurauter, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei H*****, vertreten durch Dorda Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 267.711,55 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei (Revisionsrekursinteresse 137.432,45 EUR sA) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 22. März 2019, GZ 2 R 132/18y-47, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 6. Mai 2019, GZ 2 R 132/18y (ohne ON), womit infolge Rekurses der beklagten Partei der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 31. August 2018, GZ 41 Cg 75/17p-41, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 6.426,12 EUR (darin enthalten 1.070,22 EUR USt und 9 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Zwischenstreits in allen drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Aufgrund der Außerstreitstellungen sowie der in ihrer Echtheit unbestrittenen Urkunde Beilage ./A
(vgl RS0121557) wird folgender Sachverhalt festgehalten:
Die Klägerin ist eine in Österreich ansässige Fluglinie. Die Beklagte betreibt in Indien ein Hotel. Die Streitteile schlossen am 19. 12. 2014 einen schriftlichen Vertrag über die Unterbringung der Crew-Mitglieder der Klägerin im Hotel der Beklagten.
Dieser Vertrag enthält ua folgende Klauseln:
„[…]
Abschnitt 4 – Haftung
[...]
Das Hotel stimmt zu, [Klägerin] zu entschädigen und in Bezug auf jegliche Haftung schadlos zu halten, einschließlich Schäden an Eigentum oder Verletzung oder Tod von Personen, einschließlich dem Eigentum von [Klägerin] und der Crew, die durch das fahrlässige oder vorsätzliche Fehlverhalten des Hotels oder seines Personals verursacht wurden.
[…]
Abschnitt 5 – Tarife
[…]
f) Im Tarif ist auch der Transfer der Crew-Mitglieder für die Strecke Flughafen-Hotel-Flughafen inkludiert.
[…]
Abschnitt 13 – Gerichtsstand
Diese Vereinbarung unterliegt und wird ausgelegt nach österreichischem Recht, mit Ausnahme der Kollisionsnormen. Sie ist für beide Parteien bindend sowie ihre jeweiligen Rechtsnachfolger und Abtretungsempfänger. Die Parteien vereinbaren hiermit, dass jegliche rechtlichen Schritte, Klagen oder Verfahren, die Folge dieser Vereinbarung sind oder in jeglicher Weise in Zusammenhang mit dieser Vereinbarung stehen, der ausschließlichen Zuständigkeit eines zuständigen Gerichtes in Wien, Österreich unterliegen.
[...]“
Am 19. 8. 2015 wurden mehrere Crew-Mitglieder der Klägerin von einem von der Beklagten beauftragten Unternehmen mit einem Bus vom Flughafen abgeholt, um in das Hotel der Beklagten gebracht zu werden. Auf dieser Fahrt ereignete sich ein Verkehrsunfall, bei dem mehrere Crew-Mitglieder verletzt wurden.
Die Klägerin begehrt mit der beim Handelsgericht Wien eingebrachten Klage die Zahlung von 267.711,55 EUR sA und zuletzt auch die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle unfallkausalen und künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall und brachte vor, der Unfall sei durch schuldhafte Unaufmerksamkeit des Buslenkers verursacht worden. Die Klägerin beziffert ihre eigenen Schadenersatzansprüche (ua Arztkosten, Verspätungsschäden für verspätet abfliegende Passagiere, Lohnfortzahlungskosten für die unfallkausal kranken Crew-Mitglieder) mit 130.279,11 EUR. Darüber hinaus macht sie die an sie abgetretenen Schadenersatzansprüche ihrer Crew-Mitglieder (ua Schmerzengeld, Heilungskosten) in Höhe von insgesamt 137.432,45 EUR geltend. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gründe sich auf die Gerichtsstandsvereinbarung des Vertrags. Es würden in der Klage keine deliktischen Schadenersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall gegenüber einem Halter oder Versicherer eines Fahrzeugs geltend gemacht, sondern (insgesamt) vertragliche Schadenersatzansprüche gegenüber der Beklagten als Vertragspartnerin. Grundlage dieser Schadenersatzansprüche sei der Beherbergungsvertrag, der auch die Verpflichtung der Beklagten zum Transfer der Crew-Mitglieder vom Flughafen zum Hotel und umgekehrt normiere. Die Beklagte müsse sich das Verschulden des Buslenkers nach § 1313a ABGB zurechnen lassen. Für derartige vertragliche Schadenersatzansprüche sei aber eine Gerichtsstandsvereinbarung zur Begründung der inländischen Gerichtsbarkeit in Österreich jedenfalls zulässig, zumal der indische Motor Vehicles Act 1988 (MVA 1988) nur deliktische Schadenersatzansprüche betreffe. Dieser sei daher nicht anzuwenden. Die Crew-Mitglieder seien sogenannte „Dritte“, auf die die vertraglichen Regelungen im Sinn eines Vertrags mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter anzuwenden seien. Da die Crew-Mitglieder der Klägerin von den Schutzwirkungen des gegenständlichen Vertrags umfasst seien, seien auch die Regelungen des Vertrags einschließlich der Zuständigkeitsvereinbarung auf jene anzuwenden.
Die Beklagte wendete die internationale Unzuständigkeit des Erstgerichts ein. Der Vertrag widerspreche, soweit er – wie hier – Ansprüche aus einem Verkehrsunfall betreffe, der zwingenden Rechtslage in Indien nach dem MVA 1988. Danach seien sogenannte Motor Accidents Claims Tribunals für die Entscheidung über deliktische Schadenersatzansprüche im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen, bei denen Kraftfahrzeuge involviert seien, zuständig. Diese Bestimmung betreffe insbesondere Schadenersatzklagen, die auf einen Verkehrsunfall gestützt würden, und mit denen Ansprüche aus der Tötung oder Körperverletzung von Personen oder Sachschäden geltend gemacht würden. Dies umfasse auch Ansprüche von Geschädigten aus Drittstaaten sowie auch solche abgetretenen Ansprüche. Keinesfalls gelte die Zuständigkeitsvereinbarung für die abgetretenen Ansprüche Dritter, die nicht einmal Vertragspartner des Vertrags vom 19. 12. 2014 seien.
Das Erstgericht verwarf die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. Die Klägerin stütze sich sowohl hinsichtlich ihrer eigenen Ansprüche als auch hinsichtlich der an sie abgetretenen Ansprüche auf den Vertrag vom 19. 12. 2014 einschließlich der darin getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung und Rechtswahl. Die an sie abgetretenen Ansprüche leite die Klägerin aus der Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter ab. Die nur anhand der Schlüssigkeit des Klagsvorbringens vorzunehmende Zuständigkeitsprüfung führe zur Bejahung der internationalen sowie der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. Es liege eine autonom auszulegende Gerichtsstandsvereinbarung nach (gemeint) Art 25 Abs 1 EuGVVO 2012 vor. Dem Einwand der Beklagten, dass die Schutzwirkung bei Verletzung vertraglicher Schutzpflichten zu Gunsten Dritter auf einer gesetzlichen Verpflichtung beruhe und daher bei Verletzung solcher Verträge deliktisch anzuknüpfen sei, könne im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung nicht gefolgt werden. Zwar verweise die Grundsatzanknüpfung des § 48 Abs 1 Satz 1 IPRG auf den Ort, an dem das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt worden sei, also auf den Handlungsort. Doch erstrecke sich die Möglichkeit einer ausdrücklichen oder schlüssigen Rechtswahl wohl auch auf das außervertragliche Schadenersatzrecht iSd § 48 Abs 1 IPRG. Unter Berücksichtigung des Klagsvorbringens, dass zu den vertraglichen Ansprüchen eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen worden sei, sei die internationale Zuständigkeit des Handelsgerichts Wien gegeben.
Dieser Beschluss ist mangels Anfechtung betreffend die direkten Ansprüche der Klägerin (Zahlung von 130.279,11 EUR sA) sowie das Feststellungsbegehren teilrechtskräftig.
Das nur betreffend die von den Crew-Mitgliedern der Klägerin abgetretenen Ansprüche (Zahlung von 137.432,45 EUR sA) von der Beklagten angerufene Rekursgericht wies mit dem angefochtenen Beschluss die Klage insoweit wegen mangelnder internationaler Zuständigkeit zurück und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu.
Da der zu entscheidende Rechtsstreit im Kompetenzsachverhalt eine Auslandsbeziehung aufweise und das gewählte Gericht seinen Sitz in einem Mitgliedstaat habe, sei die 2014 abgeschlossene Gerichtsstandsvereinbarung nach Art 25 EuGVVO 2012 (Brüssel Ia-Verordnung) zu beurteilen. Eine Gerichtsstandsvereinbarung wirke grundsätzlich nur zwischen den Parteien, die sie vereinbart hätten. Eine Ausdehnung auf Dritte komme grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn der Dritte der Gerichtsstandsvereinbarung zugestimmt habe und für die Zustimmung die für den Neuabschluss von Gerichtsstandsvereinbarungen erforderlichen Formvorschriften eingehalten worden seien. Fehle es an der Erfüllung dieser Erfordernisse, sei der Dritte grundsätzlich nicht an die Gerichtsstandsvereinbarung gebunden. Die vom EuGH anerkannten Ausnahmen von diesem Grundsatz (Versicherungsverträge, Konnossemente, Trust-Bedingungen) lägen nicht vor. Auch der Fall der Ausdehnung von Gerichtsstandsvereinbarungen auf Rechtsnachfolger (Erben, Insolvenzverwalter, Zessionare oder Parteien, die in das Vertragsverhältnis durch Schuld- oder Vertragsübernahme eintreten) liege nicht vor. Eine Zuständigkeitsvereinbarung zugunsten eines Dritten sei zulässig. Eine solche liege vor, wenn dem Dritten in einer Gerichtsstandsvereinbarung, an deren Abschluss er nicht beteiligt war, die Befugnis eingeräumt werde, andere als die sich aus der Verordnung ergebenden Zuständigkeiten in Anspruch zu nehmen. Doch könne sich nur der aus einem (echten) Vertrag zugunsten Dritter Begünstigte auf eine Gerichtsstandsvereinbarung berufen. Anders gestalte sich die Lage indessen beim Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter, der funktionell zumindest deliktsnah sei und bei dem man sich ernsthaft die Frage stellen könne, ob er vertraglich oder nicht vertraglich zu qualifizieren sei. Es sei somit kein Tatbestand erfüllt, der eine Erstreckung der zwischen der Klägerin und der Beklagten geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung auf Dritte, hier auf die Crew-Mitglieder, rechtfertigte.
Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Erstreckung einer (nach Art 25 EuGVVO zu beurteilenden) Gerichtsstandsvereinbarung auf den aus einem Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter Begünstigten vorliege.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag, insoweit die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in der Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil dem Rekursgericht eine Fehlbeurteilung unterlaufen ist; er ist auch berechtigt.
Die Klägerin bringt in ihrem Rechtsmittel vor, der einzige Sinn und Zweck der Gerichtsstandsklausel sei, dass die Crew-Mitglieder, die auf der gesamten Welt herumreisten, ihre Ansprüche (etwa aus Körperschäden) in Wien einklagen könnten und deswegen nicht etwa nach Indien fahren müssten. Auch wenn die Begriffe der EuGVVO 2012, insbesondere auch deren Art 25, autonom auszulegen seien, entspreche es der ständigen Rechtsprechung und dem Erwägungsgrund 20 der EuGVVO, dass die Auslegung der Gerichtsstandsklausel selbst nach der lex causae, also nach dem anwendbaren nationalen Vertragsrecht, hier somit nach österreichischem Recht vorzunehmen sei. Eine Auslegung nach § 914 ABGB ergebe, dass die Personen, die vom Vertrag am meisten betroffen seien (die Crew-Mitglieder), sich auch auf diese Gerichtsstandsklausel berufen dürften. Diese seien aus dem Vertrag begünstigte Dritte. Solche könnten sich auf eine Gerichtsstandsvereinbarung berufen. Zweck der Formvorschriften der EuGVVO seien die Dokumentationsfunktion und der Übereilungsschutz. Diese Zwecke würden bei Dritten, die nicht selbst die Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen hätten, dann nicht tangiert, wenn diese nicht geklagt würden, sondern als Kläger aufträten.
Die Beklagte wendet in der Revisionsrekursbeantwortung ein, die in einen Vertrag aufgenommene Gerichtsstandsvereinbarung entfalte ihre Wirkung grundsätzlich nur im Verhältnis zwischen den Parteien, die dem Abschluss dieses Vertrags zugestimmt hätten. Ein Dritter müsse, damit ihm eine Klausel entgegengehalten werden könne, eine entsprechende Zustimmung erteilt haben. Etwaige Ausnahmebestimmungen, die beispielsweise für Versicherungsverträge oder Rechtsnachfolger gälten, lägen im Fall der Crew-Mitglieder nicht vor. Deren deliktische Schadenersatzansprüche seien daher nicht von der Gerichtsstandsvereinbarung erfasst. Der Vertrag sei nur aus eigenwirtschaftlichen Motiven der Klägerin abgeschlossen worden, die sich zur Erfüllung ihrer (vertraglichen) Pflichten der Crew-Mitglieder bediene. Der Vertrag entfalte daher keine Schutzwirkungen zugunsten Dritter. Überdies sei bei Verträgen mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter nach ständiger Rechtsprechung nach deliktischen Grundsätzen – und nicht vertraglich – anzuknüpfen. Gemäß Art 165 Abs 1 iVm Art 175 des MVA 1988 hätten indische Gerichte die ausschließliche Zuständigkeit für deliktische Schadenersatzansprüche, die aus einem Verkehrsunfall in Indien in Zusammenhang mit einem Kraftfahrzeug resultierten.
Hierzu wurde erwogen:
1. Die Bestimmungen des MVA 1988 stehen der Zuständigkeit des Erstgerichts nicht entgegen:
Die von einem Drittstaat behauptete ausschließliche Zuständigkeit seiner Gerichte für bestimmte Rechtsstreitigkeiten kann nämlich (sofern keine anderslautenden Staatsverträge vorliegen) der Zuständigkeit eines Mitgliedstaats der EU von vornherein nicht entgegenstehen (vgl auch Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR4 Art 25 Rz 53 ff mwN). Davon ist die Frage zu unterscheiden, ob das Urteil eines österreichischen Gerichts in einem Drittstaat vollstreckt werden könnte.
Überdies wird nach dem Vorbringen der Beklagten in diesem indischen Gesetz die ausschließliche Zuständigkeit bestimmter Gerichte für deliktische Schadenersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall normiert. Solche Ansprüche macht die Klägerin nicht geltend. Geklagt sind nicht der Buslenker, der Halter des Autobusses oder dessen Haftpflichtversicherer. Die Klägerin stützt die ihr von den Crew-Mitgliedern abgetretenen Ansprüche vielmehr darauf, dass diese vom Beherbergungsvertrag mitgeschützt seien und die Beklagte bzw deren Erfüllungsgehilfen ihre Pflichten aus dem Vertrag, nämlich den sorgfältigen Transfer der Crew-Mitglieder vom Flughafen zum Hotel, schuldhaft verletzt hätten.
2. Haben die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind gemäß Art 25 Abs 1 der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 (im Folgenden „EuGVVO“) dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig, es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell nichtig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben.
Diese Norm ist zeitlich anzuwenden, weil das vorliegende Verfahren nach dem 9. 1. 2015 eingeleitet wurde (Art 66 Abs 1 EuGVVO). Im Bereich der Gerichtsstandsvereinbarungen reicht es für die Anwendbarkeit der EuGVVO aus, dass die Gerichtsstandsvereinbarung ein Gericht mit Sitz in einem Mitgliedstaat als zur Streitentscheidung zuständig benennt (Czernich in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht4 Art 1 Rz 7). Dies ist hier der Fall. Ob die Auslandsbeziehung zu einem Mitgliedstaat oder einem Drittstaat vorliegt, ist grundsätzlich gleichgültig (Czernich in Czernich/Kodek/Mayr4 Art 1 Rz 9 mwN).
3. Nach einhelliger Auffassung im Schrifttum sind nach Art 25 EuGVVO auch Zuständigkeitsvereinbarungen zugunsten Dritter zulässig (Czernich in Czernich/Kodek/Mayr4 Art 25 Rz 58; Gottwald in MüKo ZPO5 Art 25 Rn 55; jeweils mwN).
3.1. Dass bereits der Wortlaut des Art 25 Abs 1 EuGVVO besagte, dass Gerichtsstandsvereinbarungen nur zwischen den Parteien gälten, trifft so nicht zu: Wenn die Bestimmung von „über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit“ spricht, so lässt dieser Wortlaut auch die Auslegung zu, dass auch von den Parteien der Gerichtsstandsvereinbarung unterschiedliche Dritte Teil einer „Rechtsstreitigkeit“ sein können. Weder der Wortlaut der Bestimmung noch die vom Rekursgericht zitierte Judikatur des EuGH sprechen dagegen, dass sich auch Dritte unter bestimmten Voraussetzungen auf eine Gerichtsstandsklausel stützen können.
3.2. Die Entscheidung EuGH 7. 3. 2013, C-543/10, Refcomp SpA/Axa Corporate Solutions Assurance, stützt den Standpunkt der Beklagten nicht: Der EuGH sprach aus: „Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass eine in dem Vertrag zwischen dem Hersteller eines Gegenstands und dem Erwerber vereinbarte Gerichtsstandsklausel dem späteren Erwerber, der diesen Gegenstand am Ende einer Kette von das Eigentum übertragenden Verträgen, die zwischen in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Parteien geschlossen wurden, erworben hat und eine Haftungsklage gegen den Hersteller erheben möchte, nicht entgegengehalten werden kann, es sei denn, es steht fest, dass dieser Dritte der Klausel unter den in diesem Artikel genannten Bedingungen tatsächlich zugestimmt hat.“
3.2.1. Es ging also darum, dass einem Dritten als Kläger, der an einer Gerichtsstandsvereinbarung nicht beteiligt war, diese nicht entgegengehalten werden kann und eine Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht mit dem Argument, dieser Gerichtsstand sei durch die Gerichtsstandsvereinbarung ausgeschlossen worden, mit Erfolg eingewendet werden können soll. Es ging also um den Schutz des klagenden Dritten.
3.2.2. Im vorliegenden Fall hingegen haben die Crew-Mitglieder ihre Ansprüche an die Klägerin zur Einklagung unter Berufung auf die Gerichtsstandsvereinbarung abgetreten und bedürfen daher eines solchen Schutzes nicht.
3.2.3. Schützenswert wären sie allenfalls insoweit, als ihnen bei Annahme ihrer Bindung an die Gerichtsstandsvereinbarung der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten in Indien entzogen würde. Sie wären dann nicht bloß begünstigt, weil ihnen kein zusätzlicher Gerichtsstand eröffnet wäre, sondern ein ausschließlicher „aufgedrängt“ werden würde (vgl Jungermann, Die Drittwirkung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen nach EuGVÜ/EuGVO und LugÜ 51; Killias, Die Gerichtsstandsvereinbarung nach dem LugÜ 247). Dies wäre gegenüber am Vertrag nicht beteiligten Dritten – jedenfalls wenn kein echter Vertrag zugunsten Dritter vorliegt –unzulässig (siehe etwa Simotta in Fasching/Konecny2 V/1 Art 23 EuGVVO Rz 285 und 287).
3.2.4. Daraus ergibt sich, dass die Gerichtsstandsvereinbarung nicht gegen die dadurch begünstigten Dritten eingewendet werden kann. Diese könnten sich aber darauf berufen, wenn die Auslegung der Klausel – wie hier – zu dem Ergebnis führt, dass sie (auch) ihren Schutz bezweckt. Es ist anerkannt, dass solchen Dritten gegenüber nur der Prorogationseffekt, nicht hingegen der Derogationseffekt wirkt (vgl Simotta in Fasching/Konecny2 V/1 Art 23 EuGVVO Rz 288; Czernich in Czernich/Kodek/Mayr4 Art 25 Rz 58). In diesem Sinn hat auch der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass Zuständigkeitsvereinbarungen zugunsten Dritter unbedenklich sind (6 Ob 18/17s mwN; 6 Ob 187/17v).
3.2.5. Aus der Entscheidung EuGH 7. 3. 2013, C-543/10, Refcomp SpA/Axa Corporate Solutions Assurance, kann somit nicht abgeleitet werden, dass – wie hier – derjenige, der eine Gerichtsstandsvereinbarung abgeschlossen hat, die auch Ansprüche Dritter umfasst (vgl 5.2.), sich gegenüber diesen Dritten auf die angebliche Unwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung den Dritten gegenüber berufen können soll.
3.3. Darauf, ob die Ansprüche der Crew-Mitglieder, die die Klägerin auf einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter stützt, vertraglicher oder deliktischer Natur sind (vgl RS0121565), kommt es entgegen der Ansicht des Rekursgerichts und der Beklagten nicht entscheidend an: Art 25 EuGVVO stellt nicht auf die rechtliche Qualifikation als „vertragliche“ Ansprüche ab, sondern auf eine „aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit“. Zwar ist das „bestimmte Rechtsverhältnis“ im vorliegenden Fall ein Vertrag. Es genügt jedoch für die Geltung der Gerichtsstandsvereinbarung, wenn die Ansprüche bloß „eine Folge“ der getroffenen Vereinbarung sind oder mit dieser „in jeglicher Weise in Zusammenhang“ stehen. Das trifft auf die Ansprüche der Crew-Mitglieder jedenfalls zu.
4. Auslegung
4.1. Der Begriff der Gerichtsstandsvereinbarung ist verordnungsautonom zu gewinnen (Czernich in Czernich/Kodek/Mayr4 Art 25 Rz 20 mwN; EuGH 10. 3. 1992, C-214/89, Powell Duffryn/Peterreit, Rn 13 f; RS0117156). Der Begriff der Gerichtsstandsvereinbarung bedeutet eine übereinstimmende Willenserklärung der Parteien über die Zuständigkeitsbegründung (EuGH 19. 6. 1984, Rs 71/83, Russ/Goeminne; vgl 5 Ob 130/02g). Voraussetzung für das Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung iSd Art 25 EuGVVO ist, dass die zuständigkeitsbegründende Klausel tatsächlich Gegenstand einer Willenseinigung zwischen den Parteien war, die klar und deutlich zum Ausdruck gekommen ist; es soll gewährleistet sein, dass die Einigung zwischen den Parteien tatsächlich feststeht. Einer Klausel, die von den allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften abweicht, müssen die Parteien tatsächlich zugestimmt haben (RS0113571 [T1]). Die Voraussetzungen für die Gültigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen sind eng auszulegen (RS0114604 [T1]; EuGH 14. 12. 1976, Rs 24/76, Estasis Salotti/Ruwa), weil nach der Zielsetzung des Art 25 EuGVVO
Zuständigkeitsvereinbarungen nicht
unbemerkt Inhalt des Vertrags werden sollen (RS0114604 [T5, T10]; RS0113570 [T7]). Art 25 EuGVVO enthält zur Bestimmung der Willenseinigung nur Formerfordernisse, durch deren Einhaltung gewährleistet werden soll, dass die Einführung der Gerichtsstandsvereinbarung zwischen den Parteien „tatsächlich feststeht“ (vgl RS0113570 [T3]).
4.2. Nach Czernich (in Czernich/Kodek/Mayr4 Art 25 Rz 23) unterliegt die Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung der lex causae. Hierzu verweist er auf die Entscheidung des schweizerischen Bundesgerichts vom 7. 8. 2001, 4 C 163/2001, in der das Bundesgericht ausführte, dass im Schrifttum zwar darauf hingewiesen werde, dass das LGVÜ nicht nur die Form, sondern auch das vertragliche Element der Einigung der Parteien über die internationale und örtliche Zuständigkeit regle und damit das nationale Recht verdränge. Es sei jedoch zu beachten, dass weder die Form noch die grundsätzliche Einigung der Parteien in Frage stehe, sondern es sich vielmehr um einen reinen Auslegungsstreit handle. Die Vertragsparteien hätten überdies für die materielle Beurteilung von Streitigkeiten eine Rechtswahl getroffen. Unter diesen Umständen sei eine Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung nach vertragsautonomen Grundsätzen abzulehnen, zumal Art 17 LGVÜ auch keine Auslegungsregeln enthalte (Pkt 2.b). Auch in der Entscheidung 4 A 131/2017, Pkt 4.1., hält das Bundesgericht daran fest, dass die Tatsache der Einigung und die Einhaltung der Formvorschriften nach dem LGVÜ von der Vertragsauslegung zu trennen ist.
Kropholler/von Hein, (Europäisches Zivilprozessrecht9 Art 23 EuGVO Rz 18) sind dagegen der Ansicht, dass die Auslegungsfrage, welche Ansprüche eine Zuständigkeitsvereinbarung erfasst, „ohne Rückgriff auf die Lösung in einem nationalen Recht in autonomer Interpretation nach dem Sinn und Zweck der Zuständigkeitsvereinbarung zu beantworten“ ist. Weiters führen sie aus, dass sich bei der Auslegung die gebotene Prüfungsintensität nach der lex fori richte (Rz 69).
Nach Simotta (in Fasching/Konecny2 V/1 Art 23 EuGVVO Rz 300) richtet sich die Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung zur Bestimmung der in ihren Anwendungsbereich fallenden Rechtsstreitigkeiten „als Tatfrage nach den Maßstäben des jeweils angerufenen Gerichts“.
Hausmann (in Simons/Hausmann, Brüssel I-Verordnung Art 23 Rz 52) vertritt die Auffassung, dass auf die Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung das vom IPR des Forums für anwendbar erklärte nationale Recht maßgeblich sei.
Nach Mankowski (in Rauscher, EuZPR/EuIPR4 Art 25 Rn 149) ist die Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung nicht von vornherein und vollen Umfangs dem Vertragsstatut überantwortet, sondern nur, soweit Art 25 EuGVVO selbst keine Maßstäbe enthalte und auch keine unbestimmten Rechtsbegriffe (zB Bestimmtheit des Rechtsverhältnisses).
4.3. Nach der Rechtsprechung ist die Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung zur Bestimmung der in ihren Anwendungsbereich fallenden Rechtsstreitigkeiten Sache des angerufenen nationalen Gerichts (EuGH 10. 3. 1992, C-214/89, Powell Duffryn/Petereit Rn 35 ff; RS0004131).
5. Wendet man diese Auslegungsgrundsätze auf den vorliegenden Fall an, so ergibt sich Folgendes:
5.1. Dass hier in autonomer Auslegung gemäß Punkt 4.1. mit Abschnitt 13 des Vertrags eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen wurde, ist nicht zweifelhaft. Die Klausel ist eindeutig mit „Gerichtsstand“ überschrieben und normiert klar und deutlich nicht nur das anwendbare österreichische Recht, sondern auch die ausschließliche Vereinbarung des zuständigen Gerichts in Wien, Österreich, für alle „rechtlichen Schritte, Klagen oder Verfahren, die Folge dieser Vereinbarung sind oder in jeglicher Weise in Zusammenhang mit dieser Vereinbarung stehen“. Davon, dass hier die Zuständigkeitsvereinbarung unbemerkt Inhalt des Vertrags geworden sein könnte, kann nicht die Rede sein.
Die nach autonomer Auslegung erforderlichen Voraussetzungen für das Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung sind somit erfüllt.
5.2. Nach den zur Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung zitierten Lehrmeinungen wird überwiegend auf die Maßgeblichkeit der lex fori bzw des Vertragsstatuts verwiesen. Die lex fori und das Vertragsstatut müssen nicht zwangsläufig dasselbe Recht sein. Welches dieser Rechte maßgeblich ist, muss hier aber nicht entschieden werden, weil beide Kriterien zur Anwendbarkeit österreichischen Rechts führen (forum ist Wien; Vertragsstatut ist österreichisches Recht).
Aus Abschnitt 4 des Vertrags ergibt sich danach unmissverständlich, dass die Beklagte auch für schuldhaftes Fehlverhalten ihrer selbst oder ihres Personals einzustehen hat und dass auch die körperliche Integrität der untergebrachten Crew-Mitglieder sowie die Integrität von deren Eigentum von dieser Haftung umfasst sind. Aus Abschnitt 5 des Vertrags geht hervor, dass die Beklagte auch den Transport der Crew-Mitglieder zwischen Flughafen und Hotel schuldet. Im Zusammenhang mit der Haftungsklausel ist die sachliche Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung somit klar: Es besteht kein Zweifel, dass es sich bei der Geltendmachung der von den Crew-Mitgliedern an die Klägerin abgetretenen Ansprüchen um rechtliche Schritte in Form einer Klage handelt, „die Folge dieser Vereinbarung sind oder in jeglicher Weise in Zusammenhang mit dieser Vereinbarung stehen“.
Was nun die personelle Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung anlangt, so gibt der Wortlaut der Klausel zwar keine Auskunft darüber, wer im Schadensfall Anspruchsberechtigter sein und/oder als Kläger auftreten kann. Wieder im Zusammenhang mit der Haftungsklausel ist aber offensichtlich und für die Beklagte jedenfalls erkennbar, dass nach dem Sinn und Zweck dieser Vertragsbestimmungen bei Schädigung der Crew-Mitglieder vor allem diese als Anspruchsberechtigte und Kläger in Frage kommen sollen.
6. Da aus den genannten Gründen die Zuständigkeit des Erstgerichts auch für die der Klägerin abgetretenen Ansprüche der Crew-Mitglieder gegeben ist, ist der Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen.
7. Kosten
Der durch die Einrede der Beklagten ausgelöste Zuständigkeitsstreit ist als selbständiger Zwischenstreit zu beurteilen, über dessen Kosten unabhängig vom Ausgang in der Sache gesondert zu entscheiden ist (RS0035955 [T3, T4, T8]). Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Bemessungsgrundlage im Rechtsmittelverfahren beträgt lediglich 137.432,45 EUR sA.
Textnummer
E128964European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00104.19M.0629.000Im RIS seit
02.09.2020Zuletzt aktualisiert am
24.06.2021