Entscheidungsdatum
27.03.2017Index
41/01 SicherheitsrechtNorm
SPG §65Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat durch seinen Richter Mag. Dr. Rudolf Rieser über die Beschwerde des AA, vertreten durch Rechtsanwälte1, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft X vom 08.08.2016, Zahl ****, nach durchgeführter Beschwerdeverhandlung
zu Recht erkannt:
1. Gemäß § 28 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) wird der Beschwerde stattgegeben und der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft X ersatzlos behoben.
2. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.
Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen, und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Sie haben die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden kann.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang und Beschwerdevorbringen:
Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft X vom 08.08.2016 wurde der Rechtsmittelwerber verpflichtet, sich ab erfolgter Bescheidzustellung unverzüglich bei der Polizeiinspektion X einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen, dies auf Rechtsgrundlage des § 65 Abs 4 iVm § 77 Abs 2 SPG.
Die belangte Behörde begründete dabei ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Notwendigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung aufgrund der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährlichkeit sowie dessen erhöhter Rückfallgefahr gegeben sei, zumal der Beschwerdeführer seit dem Jahr 2006 immer wieder wegen unterschiedlicher strafrechtlicher Delikte – Sachbeschädigung, gefährliche Drohung, (schwere) Körperverletzung, Nötigung, falsche Beweisaussage, unbefugter Waffenbesitz – bei der Staatsanwaltschaft Z zur Anzeige gebracht worden sei. Bei all diesen Delikten handle es sich um gefährliche Angriffe im Sinne des § 16 SPG. Der zuletzt zur Anzeige gebracht Vorfall, nämlich dass der Beschwerdeführer am 10.10.2015 unmittelbar vor der Wartehalle des Bahnhofes Y aufgrund eines zuvor erfolgten Verkehrsstreites auf den Fahrzeuglenker BB mit seinem Totschläger tätlich losgegangen sei, mit einem Schlagstock gegen dessen Beine schlagend mit den Worten „Schleich dich, sonst erschlag ich dich!“ bedroht habe, begründe die erkennungsdienstliche Behandlung als notwendige und geeignete Maßnahme der Strafverfolgungsvorsorge. Aufgrund der erhobenen Fakten und der dargestellten Tatausführung sowie dem illegalen Besitz einer verbotenen Waffe sei nach Ansicht der belangten Behörde von einer erheblichen Gefährlichkeit der Person des Beschwerdeführers auszugehen. Wegen der Häufung der gefährlichen Angriffe in den vergangenen Jahren und den daraus resultierenden mit Strafe bedrohten Handlungen, welche allesamt voneinander unabhängig gewesen seien, sei mit einer sehr hohen Rückfallwahrscheinlichkeit sowie mit weiteren gefährlichen Angriffen nach § 16 SPG zu rechnen. Die am 10.10.2015 ausgeführte Tathandlung stelle zweifelsfrei ein unvorhergesehenes, aggressives Verhalten dar, welches als Überreaktion auf eine nur subjektiv als Provokation wahrgenommene Situation zu werten sei. Nach Ansicht der belangten Behörde könne daran anknüpfend eine (abstrakte) Wahrscheinlichkeit weiterer gefährlicher Angriffe bejaht werden, welche soeben eine erkennungsdienstliche Behandlung zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich mache. In den polizeilich dokumentierten vielzähligen Anzeigen sei eine gewisse Bereitschaft des Beschwerdeführers zu strafgesetzwidrigem Verhalten zweifelsfrei erkennbar. Die Tatsache, dass das Strafverfahren betreffend dem Vorfall vom 10.10.2015 eine diversionelle Erledigung erfahren habe, würde nichts an der Beurteilung ändern, zumal die objektive rechtwidrige Verwirklichung des Straftatbestandes außer Streit stehe. Eine diversionelle Erledigung schließe daher keineswegs die Bewertung eines Sachverhaltes dahingehend aus, dass dieser der Bestimmung des § 65 Abs 1 SPG zu unterstellen sei. Zusammenfassend sei die Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung aufgrund des rücksichtlosen Vorgehens bei der Tatausführung, der Persönlichkeitsstruktur, der Wiederholungstäterschaft und insbesondere der zu erwartenden Rückfallgefahr des Beschwerdeführers gerechtfertigt, dringend notwendig sowie verhältnismäßig.
Gegen die Verpflichtung zur erkennungsdienstlichen Behandlung erhob der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol und führte begründend aus, dass sämtliche Strafverfahren, welche von der belangten Behörde dem Beschwerdeführer vorgehalten worden seien, entweder eingestellt worden seien oder der Beschwerdeführer von den wider ihn erhobenen Vorwürfen rechtskräftig freigesprochen sei. Der Beschwerdeführer sei bis dato unbescholten.
Die Tatsache, dass dem unbescholtenen Beschwerdeführer eine Diversion in Aussicht gestellt worden sei, erhelle, dass das erkennende Landesgericht Z der Ansicht gewesen sei, dass eine Bestrafung des Beschwerdeführers nicht geboten gewesen sei, um den Beschwerdeführer von der Begehung (weiterer) strafbarer Handlungen abzuhalten. Bereits aus diesem Grund sei eine erkennungsdienstliche Behandlung mit der allfälligen Argumentation der Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe nicht erforderlich. Weder aus der Ausführung der Tat(en), noch aus der Persönlichkeit des unbescholtenen Beschwerdeführers sei abzuleiten bzw zu befürchten, dass der Beschwerdeführer weitere gefährliche Angriffe begehen werde. Des Weiteren sei auch zu berücksichtigen, dass es im Rahmen der anzustellenden Überlegungen der Behörde hinsichtlich der Notwendigkeit der Durchführung einer erkennungsdienstlichen Behandlung immer auf die Art des Deliktes, dessen der Betroffene verdächtig sei, ankomme. Ein Absehen von der erkennungsdienstlichen Behandlung sei dann geboten, wenn die Gefahr der Begehung weiterer Delikte eher hinsichtlich solcher Delikte gegeben sei, für deren Abklärung aus erkennungsdienstlichen Daten nichts oder nur wenig gewonnen werden könne. Eine erkennungsdienstliche Behandlung sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann geboten, wenn erwartetet werden könne, dass der Betroffene bei der Begehung gefährlicher Angriffe Spuren hinterlassen würde, die seine Wiedererkennung beispielsweise aufgrund der ermittelten genetischen Information ermöglichen würden (VwGH 18.02.2003, 2001/01/0098). Dies sei jedoch beim Delikt der (versuchten) Nötigung nicht der Fall, da eine solche Straftat auch ohne entsprechende Hinterlassung von Spuren (wie Fingerabdrücke, DNA-Spuren) begangen werden könne. Ebenso sei eine erkennungsdienstliche Behandlung zur Aufklärung einer Tat nach den § 105, 107 und § 288 StGB nicht zweckmäßig, zumal bei diesen Straftatbeständen zu erwarten sei, dass dieser auch ohne Hinterlassung von Spuren getätigt werden können oder aber der Täter ohnehin bekannt wäre. Weiters betonte der Beschwerdeführer, dass beim Vorfall am 10.10.2015 vor der Auseinandersetzung mit BB er zunächst aus seinem eigenen Taxifahrzeug ausgestiegen sei, woraus evident werde, dass die Tathandlung nicht im Vertrauen, unerkannt zu bleiben, erfolgt sei, sodass die Notwenigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung zur Verhinderung weiterer gefährlichen Angriffe durch das Wissen und die Möglichkeit einer Wiedererkennung auch aus diesem Aspekt nicht anzunehmen sei. Überdies sei die erkennungsdienstliche Behandlung alleine basierend auf dem Strafverfahren zu **** Landesgericht Z unverhältnismäßig.
Weiters sei der angefochtene Bescheid der belangten Behörde mit einer Rechtswidrigkeit in Folge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet, zumal die Behörde bei ihrer Entscheidungsbegründung im Hinblick auf die Befürchtung weiterer gefährlicher Angriffe sowie im Hinblick auf die Zulässigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung keine konkrete fallbezogenen Prognosen getroffen habe und sich nicht mit den einzelnen Verdachtsmomenten der jeweiligen Straftatbestände, dem Ausgang der Verfahren sowie der entsprechenden Zeitpunkte der Anzeigen auseinandergesetzt habe. Eine konkrete Begründung, weshalb die erkennungsdienstliche Behandlung des Beschwerdeführers aufgrund der angeführten Straftatbestände geboten sein solle, lasse der angefochtene Bescheid vermissen und sei er daher in diesem Punkt nicht überprüfbar. Wenn sich die Behörde mit den Tatsachen auseinandergesetzt und den Bescheid entsprechend begründet hätte, hätte sie nach Ansicht des Beschwerdeführers zum Schluss kommen müssen, dass eine erkennungsdienstliche Behandlung zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe nicht erforderlich erscheine.
Der Beschwerdeführer beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Weiters wurde beantragt, dass Landesverwaltungsgericht Tirol möge den angefochtenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft X ersatzlos beheben, in eventu den angefochtenen Bescheid aufheben und die Angelegenheit zur Ergänzung des Sachverhaltes sowie zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückverweisen.
II. Beweisaufnahme:
Beweis wurde aufgenommen durch
- Einsichtnahme in den behördlichen Akt der Bezirkshauptmannschaft X zu Zahl
**** sowie in den Akt des Landesverwaltungsgerichtes Tirol zu Zahl 2016/30/2002;
- Durchführung einer öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung am 06.03.2017, anlässlich derer Beschwerdeführer zur Beschwerdesache einvernommen wurde.
III. Sachverhalt:
Aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens steht nachstehender entscheidungsrelevanter Sachverhalt als erweisen fest:
Der am 18.10.1960 in Ismailia/Ägypten geborene Rechtsmittelwerber ist österreichischer Staatsangehöriger und hält sich seit ca 34 Jahren in Österreich auf und betreibt seit November 2005 ein Taxiunternehmen im Raum Y mit derzeit 4 Mitarbeitern (unstrittig).
Unstrittig ist, dass gegen den Beschwerdeführer folgende strafrechtliche Delikte zur Anzeige gebracht worden sind:
? 30.01.2006
PI **
***
Sachbeschädigung
? 02.04.2006
PI **
***
gefährliche Drohung
? 27.04.2006
PI **
***
Körperverletzung und gefährliche Drohung
? 22.01.2010
PI **
***
Nötigung
? 30.01.2010
PI **
***
absichtlich schwere Körperverletzung
? 05.12.2011
PI **
***
falsche Beweisaussage und Begünstigung
? 01.11.2014
PI **
***
gefährliche Drohung und Diebstahl
? 10.10.2015
PI **
***
gefährliche Drohung und Vergehen nach dem Waffengesetz
(Akt der Bezirkshauptmannschaft X, Zahl ***, S 131 bis 172)
Der Beschwerdeführer ist unbescholten, seine Strafregisterauskunft weist keine Verurteilung auf (Akt des Landesverwaltungsgerichtes Tirol, Zahl LVwG- 2016/30/2002-4).
Sämtliche gegen den Beschwerdeführer eingeleitete Strafverfahren wurden eingestellt bzw. ist der Beschwerdeführer von den wider ihn erhobenen Vorwürfen freigesprochen worden.
Das Strafverfahren bezüglich des Vorfalls vom 10.10.2015 (Verdacht des Vergehens nach
§ 50 Abs 1 Z 2 WaffG sowie des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB) wurde nach Durchführung einer öffentlich mündlichen Hauptverhandlung am 30.11.2015 mit Beschluss des Landesgerichtes Z vom 17.12.2015 zu *** gemäß den §§ 199, 200 Abs 5 StPO diversionell erledigt. Begründend wurde angeführt, dass die Bestrafung des Angeklagten (Beschwerdeführer) nach Ansicht des Landesgerichtes X aufgrund der Tatsache, dass dieser sich einsichtig hinsichtlich des Unrechts seiner Taten zeigte, seine Bereitschaft zur Zahlung der Geldbuße die Verantwortungsübernahme für seine Taten indizierte und die Schuld des Beschwerdeführers nicht als schwer anzusehen war, nicht geboten war, um ihn von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten (Akt des Landesverwaltungsgerichtes Tirol, Zahl LVwG-2016/30/2002-5).
IV. Beweiswürdigung
Die Feststellungen betreffend der gegen den Beschwerdeführer erstatteten Anzeigen und der Ausgänge der Verfahren ergeben sich unbestritten sowie zweifelsfrei aus dem verwaltungsbehördlichen Akt sowie aus dem Akt des Landesverwaltungsgerichtes Tirol, sodass sie der Sachverhaltsfeststellung unbedenklich zugrunde gelegt werden konnten.
Die Feststellung betreffend der Unbescholtenheit des Beschwerdeführers gründet auf die Einsichtnahme in die Strafregisterauskunft des Beschwerdeführers.
V. Rechtsgrundlagen
Die im angefochtenen Fall maßgeblichen Bestimmungen des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG), BGBl Nr 566/1991 idF BGBl I Nr 61/2016, lauten wie folgt:
„§ 16
Allgemeine Gefahr; gefährlicher Angriff; Gefahrenerforschung
(1) Eine allgemeine Gefahr besteht
1. bei einem gefährlichen Angriff (Abs 2 und 3)
oder
2. sobald sich drei oder mehr Menschen mit dem Vorsatz verbinden, fortgesetzt gerichtlich strafbare Handlungen zu begehen (kriminelle Verbindung).
(2) Ein gefährlicher Angriff ist die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten verfolgt wird, sofern es sich um einen Straftatbestand
1. nach dem Strafgesetzbuch (StGB), BGBl Nr 60/1974, ausgenommen die Tatbestände nach den §§ 278, 278a und 278b StGB, oder
2. nach dem Verbotsgesetz, StGBl Nr 13/1945, oder
3. nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl I Nr 100, oder
4. nach dem Suchtmittelgesetz (SMG), BGBl I Nr 112/1997, ausgenommen der Erwerb oder Besitz von Suchtmitteln zum ausschließlich persönlichen Gebrauch (§§ 27 Abs. 2, 30 Abs. 2 SMG), oder
5. nach dem Anti-Doping-Bundesgesetz 2007 (ADBG 2007), BGBl. I Nr. 30, oder
6. nach dem Neue-Psychoaktive-Substanzen-Gesetz (NPSG), BGBl. I Nr. 146/2011,
handelt.
(3) Ein gefährlicher Angriff ist auch ein Verhalten, das darauf abzielt und geeignet ist, eine solche Bedrohung (Abs 2) vorzubereiten, sofern dieses Verhalten in engem zeitlichen Zusammenhang mit der angestrebten Tatbestandsverwirklichung gesetzt wird.
(4) Gefahrenerforschung ist die Feststellung einer Gefahrenquelle und des für die Abwehr einer Gefahr sonst maßgeblichen Sachverhaltes.
§ 65
Erkennungsdienstliche Behandlung
(1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte vorsätzliche Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe erforderlich scheint.
(2) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, im Zusammenhang mit der Klärung der Umstände eines bestimmten gefährlichen Angriffes Menschen erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn diese nicht im Verdacht stehen, den gefährlichen Angriff begangen zu haben, aber Gelegenheit hatten, Spuren zu hinterlassen, soweit dies zur Auswertung vorhandener Spuren notwendig ist.
(3) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, Menschen erkennungsdienstlich zu behandeln, deren Identität gemäß § 35 Abs 1 Z 3 festgestellt werden muss und die über ihre Identität keine ausreichenden Aussagen machen wollen oder können, sofern eine Anknüpfung an andere Umstände nicht möglich ist oder unverhältnismäßig wäre.
(4) Wer erkennungsdienstlich zu behandeln ist, hat an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.
(5) Die Sicherheitsbehörden haben jeden, den sie erkennungsdienstlich behandeln, schriftlich darüber in Kenntnis zu setzen, wie lange erkennungsdienstliche Daten aufbewahrt werden und welche Möglichkeiten vorzeitiger Löschung bestehen. In den Fällen des § 75 Abs 1 letzter Satz ist der Betroffene über die Verarbeitung seiner Daten in einer den Umständen entsprechenden Weise in Kenntnis zu setzen.
(6) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, Namen, Geschlecht, frühere Namen, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Namen der Eltern, Ausstellungsbehörde, Ausstellungsdatum und Nummer mitgeführter Dokumente, allfällige Hinweise über die Gefährlichkeit beim Einschreiten einschließlich sensibler Daten, soweit deren Verwendung zur Wahrung lebenswichtiger Interessen anderer notwendig ist und Aliasdaten eines Menschen (erkennungsdienstliche Identitätsdaten), den sie erkennungsdienstlich behandelt haben, zu ermitteln und zusammen mit den erkennungsdienstlichen Daten und mit dem für die Ermittlung maßgeblichen Grund zu verarbeiten. In den Fällen des Abs 1 sind die Sicherheitsbehörden ermächtigt, eine Personsfeststellung vorzunehmen.
Verfahren
§ 77
(1) Die Behörde hat einen Menschen, den sie einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen hat, unter Bekanntgabe des maßgeblichen Grundes formlos hiezu aufzufordern.
(2) Kommt der Betroffene der Aufforderung gemäß Abs. 1 nicht nach, so ist ihm die Verpflichtung gemäß § 65 Abs. 4 bescheidmäßig aufzuerlegen. Eines Bescheides bedarf es dann nicht, wenn der Betroffene auch aus dem für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Grunde angehalten wird.
(3) Wurde wegen des für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Verdachtes eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft erstattet, so gelten die im Dienste der Strafjustiz geführten Erhebungen als Ermittlungsverfahren (§ 39 AVG) zur Erlassung des Bescheides. Dieser kann in solchen Fällen mit einer Ladung (§ 19 AVG) zur erkennungsdienstlichen Behandlung verbunden werden.
(4) Steht die Verpflichtung zur Mitwirkung gemäß § 65 Abs. 4 fest, so kann der Betroffene, wenn er angehalten wird, zur erkennungsdienstlichen Behandlung vorgeführt werden.“
VI. Rechtliche Erwägungen:
§ 65 Abs 1 SPG ermächtigt die Sicherheitsbehörden, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte vorsätzliche Handlung begangen zu haben, unter weiteren Voraussetzungen erkennungsdienstlich zu behandeln. Diese Befugnis dient sicherheitspolizeilichen Zielsetzungen, nämlich dazu, der Begehung weiterer gefährlicher Angriffe vorzubeugen. Nach Abs 2 leg cit ist, wenn der Betroffene der Aufforderung gemäß Abs 1 nicht nachkommt, ihm die Verpflichtung gemäß § 65 Abs 4 bescheidmäßig aufzuerlegen.
Nach der dargelegten Rechtslage ist die amtswegige Vornahme einer erkennungsdienstlichen Behandlung (unter sicherheitspolizeilichen Gesichtspunkten) nach § 65 Abs 1 SPG klar an zwei Voraussetzungen geknüpft: Einerseits muss die betreffende Person in Verdacht stehen, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, andererseits muss sie im Rahmen krimineller Verbindungen tätig geworden sein oder muss die erkennungsdienstliche Behandlung sonst auf Grund der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich erscheinen (vgl VwGH 20.03.2013, 2013/01/0006; und VwGH 31.05.2012, 2011/01/0276).
§ 65 Abs 1 SPG betrifft die erkennungsdienstliche Behandlung von kriminalpolizeilich Auffälligen mir Rückfallgefährlichkeit. Da die Konfrontation der Sicherheitsbehörde mit diesen Menschen zu den unterschiedlichsten Zeitpunkten erfolgt, muss auf eine allgemeine Verdachtslage abgestellt werden. […] Da es hierbei auf die Gefährlichkeit des Betroffenen abgestellt wird, bleiben Fragen der Schuld im Sinne des Strafgesetzbuches ausgeklammert. Es kommt etwa nicht darauf an, ob der Betroffene zum Zeitpunkt der Tat zurechnungsfähig war oder nicht. Selbstverständlich ist es nicht erforderlich, jeden einer leichten Körperverletzung oder eines geringfügigen Diebstahles Verdächtigen erkennungsdienstlich zu behandeln; andererseits kann aber auch die Notwendigkeit einer solchen Vorgangsweise nicht von vorherein ausgeschlossen werden. Es wurde daher festgelegt, dass von einer erkennungsdienstlichen Behandlung so lange abgesehen werden kann, als nicht zu befürchten ist, der Betroffene werde weitere gefährliche Angriffe begehen (RV zu BGBl 566/1991). § 65 Abs 1 SPG lässt eine erkennungsdienstliche Behandlung bei Verdacht einer Einzelstraftat zu, sofern beim Betroffenen konkrete Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr oder der Gefahr der Begehung anderer gefährlicher Angriffe bestehen (RV zu BGBl I 104/2002).
Bei Vornahme einer erkennungsdienstlichen Behandlung ist allenfalls zu hinterfragen, ob diese nicht außer Verhältnis zu möglichen Rückfallgefahr oder der zu erwartenden Aufklärungswahrscheinlichkeit durch die erkennungsdienstlichen Daten steht (Erlass des BMI 21.4. 2004, 6100/1-II/BK).
Für die Zulässigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung ist es immer erforderlich, eine konkrete fallbezogene Prognose zu treffen, bei der sich die Behörde mit den Einzelheiten des von ihr im Sinne der ersten Voraussetzung des § 65 Abs 1 SPG angenommenen Verdachtes, mit der Art des dadurch verwirklichten Deliktes, mit den daraus unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Betroffenen zu ziehenden Schlüssen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass er gefährliche Angriffe begehen werde, und mit der Frage des daraus abzuleitenden Erfordernisses einer „Vorbeugung“ durch eine erkennungsdienstliche Behandlung auseinanderzusetzen hat (RV zu BGBl I 114/2007 und VwGH 27.02.2007, 2006/01/0147).
Im vorliegenden Fall sah die belangte Behörde die erste Voraussetzung nach § 65 Abs 1 SPG, nämlich den Verdacht der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung als erfüllt, indem sie die diversionelle Erledigung des Strafverfahrens zu **** als Zugeständnis des Beschwerdeführers eine Nötigung unter unbefugtem Besitz einer verbotenen Waffe begangen zu haben, wertete.
Die belangte Behörde führte richtig aus, dass das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für eine diversionelle Erledigung keineswegs die Bewertung eines Sachverhalts dahingehend ausschließe, dass dieser der Bestimmung des § 65 Abs 1 SPG zu unterstellen sei, zumal ein Unterbeleiben einer gerichtlichen Bestrafung – wie dies im gegenständlichen Verfahren der Fall ist – und die Zurücklegung einer Anzeige durch die Staatsanwaltschaft der Befugnis zur erkennungsdienstlichen Behandlung nicht in jedem Fall im Weg steht (Keplinger/Pühringer, Sicherheitspolizeigesetz (2012) S 221)
Ebenso ist der belangten Behörde beizupflichten, dass die erste Alternative des § 65 Abs 1 SPG, ein Tätigwerden des Beschwerdeführers im Rahmen einer kriminellen Verbindung, in der vorliegenden Beschwerdesache außer Betracht bleibt. Es ist daher zu überprüfen, ob die zweite Alternative für eine erkennungsdienstliche Behandlung vorliegt, nämlich ob aufgrund der Art und Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen die erkennungsdienstliche Behandlung zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich erscheint.
Will die Behörde sich auf den Tatbestand „Art oder Ausführung der Tat oder Persönlichkeit des Betroffenen" stützen, hat sie darzutun (zu begründen), auf welche Überlegungen sie das Vorbeugungserfordernis stützt. Zur Alternative „Ausführung der Tat" kommt es auf die konkrete Ausführung der konkreten Tat an und auch hinsichtlich der „Persönlichkeit des Betroffenen" ist auf dessen konkrete Persönlichkeitsmerkmale abzustellen (vgl Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, Kommentar (2011), S 695, Anm 6.3.2. und 6.3.3. sowie VwGH 18.06.2014, 2013/01/0134). Was der Gesetzgeber unter „Vorbeugung“ im Sinn des § 65 Abs 1 SPG versteht, ergibt sich aus der im § 65 Abs 5 zweiter Satz SPG getroffenen Anordnung, wonach der Betroffene im Zusammenhang mit der erkennungsdienstlichen Behandlung darauf hinzuweisen ist, dass die erkennungsdienstliche Behandlung deshalb erfolgte, um der Begehung gefährlicher Angriffe durch sein Wissen um die Möglichkeit entgegenzuwirken (VwGH 18.02.2003, 2001/01/0473).
Im verfahrensgegenständlichen Fall hat sich die belangte Behörde im Hinblick auf die erkennungsdienstliche Behandlung nach § 65 Abs 1 SPG mit den unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Beschwerdeführers zu ziehenden Schlüssen über die Wahrscheinlichkeit, dass er in Hinkunft gefährliche Angriffe begehen werde, mit der Frage des daraus abzuleitenden Erfordernisses einer „Vorbeugung“ durch eine erkennungsdienstliche Behandlung sowie mit der Frage der Eignung der Wiedererkennung nicht ausreichend auseinandergesetzt.
Die belangte Behörde enthielt sich der Feststellung jener Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen könnten, die erkennungsdienstliche Behandlung sei zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe des Beschwerdeführers erforderlich. Bei ihren Feststellungen beschränkte sie sich im Grunde genommen (lediglich) auf das Vorkommnis zwischen dem Beschwerdeführer und dem BB vom 10.10.2015. Die seit 2006 gegen den Beschwerdeführer zur Anzeige gebrachten Delikte wurden bruchstückhaft angeführt, dies ohne sich über die Ausgänge dieser Strafverfahren die notwendigen Informationen herbeizuschaffen. Aus diesem rudimentären Informationsgerüst leitete die belangte Behörde ihre rechtlichen Schlussfolgerungen ab, indem sie zum Ergebnis gelangte, dass sie im bisher vom Beschwerdeführer an den Tag gelegten Verhalten eine Gefährlichkeit, insbesondere die Bereitschaft zu strafgesetzwidrigem Verhalten sowie eine erhöhte Rückfallgefahr des Beschwerdeführers erblickte und aus diesem Grund die Durchführung einer erkennungsdienstlichen Behandlung zur Vorbeugung weiteren gefährlichen Angriffen für notwendig erachtete. Diese in der Begründung des angefochtenen Bescheids dargelegte Ansicht, dass der Beschwerdeführer „weitere gefährliche Angriffe“ begehen könnte, ist nicht nachvollziehbar und erweist sich auch für die konkrete fallbezogene Prognose, die erkennungsdienstliche Behandlung erscheine zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Beschwerdeführers erforderlich, nicht als tragfähig (VwGH 17.09.2002, 2002/01/0320). Die Begründung stellt keine an den oben ausführlich dargestellten Maßstäben orientierte Beurteilung dar. Die Ansicht der belangten Behörde, dass (gerade) eine erkennungsdienstliche Behandlung die Begehung weiterer gefährlicher Angriffe durch den Beschwerdeführer vorbeugen kann, ist für die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung im gegenständlichen Falle nicht angebracht.
Überdies legte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht klar, inwiefern das Wissen des Beschwerdeführers um die Möglichkeit seiner Wiedererkennung der Begehung gefährlicher Angriffe entgegenwirken könnte.
Dem Erlass des BMI vom 21.04.2004, 6100/1-II/BK ist zu entnahmen, dass erkennungsdienstliche Behandlungen und erkennungsdienstliche Maßnahmen neben der Vorbeugung gefährlicher Angriffe durch den Betroffenen auf das Wiedererkennen eines Menschen abzielen. Bei Vorliegen von Delikten, für deren Aufklärung aus erkennungsdienstlichen Daten nicht oder nur wenig gewonnen werden kann, kann auch hier von einer erkennungsdienstlichen Behandlung Abstand genommen werden. Der Verwaltungsgerichthof judizierte bereits hierzu in seinem Erkenntnis vom 24.10.2007, 2007/21/034, dass manchen gefährlichen Angriffen durch die Ermittlung erkennungsdienstlicher Daten ihrer Natur nach nicht vorgebeugt werden kann, insbesondere weil diese Daten nichts zur Aufklärung solcher Delikte beitragen können. Wenn daher bloß zu befürchten ist, der Betreffende werde künftighin allenfalls solche gefährliche Angriffe begehen, ist die erkennungsdienstliche Behandlung daher nicht zulässig (Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, Kommentar (2001), S 694). Das Landesgericht Z führte in ihrem Diversionsbeschluss vom 17.12.2015 zu Zahl **, dass die Bestrafung des Angeklagten (Beschwerdeführers) nicht geboten erscheint, um ihn von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten. Auch sind die Ausführungen des Beschwerdeführers, dass eine Nötigung wie auch eine falsche Beweisaussage ohne Hinterlassung von Spuren wie etwa Fingerabdrücke, DNA-Spuren etc begangen werden können bzw der Täter ohnehin bekannt wäre und sohin eine erkennungsdienstliche Behandlung zur Aufklärung der Tat nicht zweckmäßig ist, im Lichte der vorerst zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs berechtigt. Im Hinblick auf die zuvor angeführten rechtlichen Erwägungen kann der angefochtene Bescheid nach Ansicht des erkennenden Gerichtes keinerlei Bestand haben.
Da im verfahrensgegenständlichen Fall die Voraussetzungen des § 65 Abs 1 SPG nicht gegeben sind, war spruchgemäß zu entscheiden.
VII. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ab und es fehlt auch nicht an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die in der gegenständlichen Beschwerdesache zu lösenden Rechtsfragen konnten anhand der in der Entscheidung zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes einwandfrei einer Beantwortung zugeführt werden. Eine außerhalb dieser Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegende Rechtsfrage ist für das erkennende Gericht im Gegenstandsfall nicht hervorgekommen.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Mag. Dr. Rudolf Rieser
(Richter)
Schlagworte
Erkennungsdienstliche Behandlung; Voraussetzungen;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2017:LVwG.2016.30.2002.7Zuletzt aktualisiert am
01.09.2020