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40 VerwaltungsverfahrenNorm
B-VG Art140 Abs1 / IndividualantragLeitsatz
Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des AVG betreffend Akteneinsicht infolge Zumutbarkeit des VerwaltungsrechtswegesSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
1.1. Mit seinem mit 30. Oktober 1995 datierten und am 2. November 1995 beim Verfassungsgerichtshof eingelangten Antrag begehrt der Antragsteller unter Berufung auf Art140 Abs1, letzter Satz, B-VG, §17 Abs3 und §44 Abs3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, Anlage 1 zur Kundmachung des Bundeskanzlers, BGBl. 51/1991 (im folgenden: AVG), als verfassungswidrig - weil dem Gleichheitssatz sowie dem Grundsatz des "fair trial" widersprechend - aufzuheben.
1.2. Zur Antragslegitimation bringt er vor, es sei beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (im folgenden: UVS) ein Verwaltungsstrafverfahren gegen ihn anhängig, in dessen Verlauf eine öffentliche mündliche Verhandlung stattgefunden habe. Einem Angehörigen der von ihm bevollmächtigten Rechtsanwälte sei am 16. Oktober 1995 die Akteneinsicht und die Ausfolgung einer Protokollabschrift dieser Verhandlung verweigert worden, obgleich diese Abschrift vor allem zur Vorbereitung der weiteren vom UVS anberaumten Verhandlung erforderlich gewesen wäre. Eine an das betreffende Mitglied des UVS gerichtete Anfrage sei mit Schreiben vom 24. Oktober 1995 dahingehend beantwortet worden, daß erst nach Abschluß des Beweisverfahrens, das voraussichtlich in zwei Teilen geführt werde, den Parteien auf Verlangen ein Protokoll übermittelt werde. (Aus dieser Erledigung geht hervor, daß der Antragsteller selbst zum Teil, sein Rechtsvertreter zur Gänze an der ersten Verhandlung teilgenommen hat.)
Die angefochtenen Bestimmungen des AVG würden ohne Fällung einer gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung für den Antragsteller insoferne unmittelbar wirksam, als ihnen zufolge eine Anordnung über die (Nicht-)Gewährung von Akteneinsicht verfahrensrechtlicher Natur sei, gegen die gemäß §17 Abs4 AVG kein (abgesondertes) Rechtsmittel offenstehe. Dazu führt er weiter aus:
"Es trifft zu, daß gegen eine Legitimation meinerseits auf Erhebung des gegenständlichen Antrages entgegengebracht werden könnte, daß ich die mangelhafte Vorgangsweise der belangten Behörde im weiteren in einem anhängig zu machenden Verfahren vor den Gerichtshöfen des Öffentlichen Rechtes geltend machen könnte; jedoch führe ich in diesem Zusammenhang ins Treffen, daß die Würdigung von Beweisen grundsätzlich keine vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmende Rechtswidrigkeit ist. Nur dann, wenn die auf einer Würdigung von Beweisen gründende Entscheidung mit Denkgesetzen nicht in Einklang stünde, unschlüssig ist und nur dem Schein nach Akte der Beweiswürdigung darstellen, erachtet sich der Verwaltungsgerichtshof nach seiner Rechtsprechung nicht gebunden (...). Da aber einerseits der Verwaltungsgerichtshof nur aufgrund der Aktenlage prüft, ob der Beschwerdeführer in den Beschwerdepunkten verletzt wurde, andererseits Einwendungen gegen die Verhandlungsschrift trotz deren Bestand erst nach geraumer Zeit und Abschluß des Beweisverfahrens geltend gemacht werden können, meine ich, daß in meinem Fall die Antragslegitimation gegeben ist. Ein anderer zumutbarer Weg steht mir weder rechtlich noch tatsächlich zur Verfügung, um mich gegen die verfassungswidrige Bestimmung wirksam zur Wehr setzen zu können".
2. §17 Abs3 AVG ordnet an, daß von der Akteneinsicht Aktenbestandteile ausgenommen sind, insoweit deren Einsichtnahme eine Schädigung berechtigter Interessen einer Partei oder dritter Personen oder eine Gefährdung der Aufgaben der Behörde herbeiführen oder den Zweck des Verfahrens beeinträchtigen würde. Gemäß - dem vorliegend nicht bekämpften - Abs4 des §17 leg.cit. ist gegen die Verweigerung der Akteneinsicht kein Rechtsmittel zulässig. Der ebenfalls von der Anfechtung umfaßte §44 Abs3 AVG sieht (bloß) die Pflicht des Verhandlungsleiters vor, sobald die zulässigen Vorbringen aller Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung aufgenommen sind und die Beweisaufnahme beendet ist, die Verhandlungsschrift, insoweit die Beteiligten nicht darauf verzichten, zu verlesen oder, wenn von einem Schallträger Gebrauch gemacht wurde, die Wiedergabe der Aufnahme vorzunehmen und die Verhandlung gegebenenfalls nach mündlicher Verkündung des Bescheides (§62 Abs2) für geschlossen zu erklären.
3. Der Antrag ist nicht zulässig.
3.1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Personen unmittelbar eingreift und sie - im Fall seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.
Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, daß das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg. 10511/1985, 11726/1988).
3.2. Auch wenn man mit dem Antragsteller davon ausgeht, daß die Erledigung des UVS vom 24. Oktober 1995 nicht als Bescheid im Sinne des Art144 B-VG zu qualifizieren ist, steht ihm ein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteten - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung: Wie im Antrag dargetan wird, hat eine Partei zwar vor Abschluß eines Verfahrens keinen Anspruch auf Erlassung eines selbständigen Bescheides zur Durchsetzung ihres Rechtes auf Akteneinsicht (und -Abschrift):
Die Verweigerung der Akteneinsicht im Zuge eines anhängigen Verwaltungsverfahrens erfolgt durch Verfahrensanordnung, sodaß das Beharren der Partei auf Erlassung eines abgesonderten verfahrensrechtlichen Bescheides über die Frage der Akteneinsicht nur zur Zurückweisung führen könnte (vgl. VfGH 16.3.1995, B1077/91). Allerdings steht es der Partei frei, die behauptete Verfassungswidrigkeit einer solchen Maßnahme als Verfahrensmangel bei der Anfechtung des in der Sache ergehenden Bescheides geltend zu machen (vgl. Ringhofer, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, 11. Aufl., Wien 1992, FN 2 zu §17 AVG; Walter - Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Aufl., Wien 1991, 64ff.; differenziert Thienel, Das Verfahren der Verwaltungssenate, 2. Aufl., Wien 1992, 80ff.).
Damit steht dem Antragsteller jedoch ein im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung zumutbarer Weg zur Verfügung, seine verfassungsrechtlichen Bedenken geltend zu machen, denn er hätte im Rahmen einer auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde dann die Möglichkeit, die amtswegige Normenprüfung anzuregen.
3.3. Der Antrag, die §§17 Abs3 und 44 Abs3 AVG aufzuheben, erweist sich sohin schon aus diesem Grunde als unzulässig.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden, ohne daß zu prüfen war, ob der sachlichen Erledigung des Antrages noch andere prozessuale Gründe entgegenstehen.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / Individualantrag, Verwaltungsverfahren, AkteneinsichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1996:G1366.1995Dokumentnummer
JFT_10039773_95G01366_00