TE Bvwg Beschluss 2020/4/23 I405 2229307-1

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Veröffentlicht am 23.04.2020
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Entscheidungsdatum

23.04.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §8
AVG §66 Abs2
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I405 2229307-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Sirma KAYA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, StA. Nigeria, vertreten durch MMag. Katrin Maringer, RA in 1080 Wien als Erwachsenenvertretung, diese vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, p.A. ARGE Rechtsberatung, Wattgasse 48, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.01.2020, Zl. 298333906-1879418, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in Folge auch: BF) stellte erstmals am 22.03.2004 einen Asylantrag, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 01.06.2005 abgewiesen, die Abschiebung des BF nach Nigeria für zulässig erklärt und er aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen wurde. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

2. Mit Schriftsatz vom 08.11.2005 wurde sowohl ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt.

3. Aus dem Stand der Schubhaft stellte der BF am 08.03.2006 gegenständlichen zweiten Asylantrag.

4. In weiterer Folge sind die Akten zum ersten und zweiten Asylantrag des BF beim Bundesasylamt untergegangen und im EDV-System aufgrund der langen Verfahrensdauer automatisch auf "abgeschlossen" gesetzt und infolgedessen während der Folgejahre nicht bearbeitet worden. Erst aufgrund einer Anfrage des Fonds Soziales Wien zum Verfahrensstand wurde das unerledigte Verfahren wieder aufgenommen.

5. Aus dem Psychiatrischen Gutachten des Psychosozialen Zentrums XXXX vom 25.09.2019 geht hervor, dass der BF seit dem 18.09.2018 wegen psychischer Probleme in psychiatrischer Behandlung stehe. Darin heißt es: "Aufgrund von paranoiden Gedanken ist der Pat. in seinen Alltagsaktivitäten sehr belastet, gleichzeitig kann er aufgrund seiner Erkrankung schwer medizinische Hilfe und Unterstützung annehmen. Der Kontakt zu Mitbewohnern ist immer wieder von ausgeprägten Konflikten geprägt, sodass der Pat. nun in seinem Zimmer alleine wohnt. Der Pat. benötigt ein hohes Maß an psychosozialer Unterstützung (z.B. in finanziellen Angelegenheiten, Gewährung einer ausreichenden Ernährung, Vermittlung und Unterstützung bei Konflikten mit Mitbewohnern) sodass zur weiteren Stabilisierung eine intensive Einzelbetreuung und psychiatrische Behandlung erforderlich sind."

6. Der BF wurde am 20.12.2019 durch die belangte Behörde niederschriftlich einvernommen. Als Fluchtgrund gab er seinen bereits geltend gemachten Fluchtgrund an, nämlich religiöse Probleme mit seiner Familie.

7. Mit gegenständlichem Bescheid vom 15.01.2020, Zl. 298333906-1879418, wies die belangte Behörde den Antrag des BF vom 08.03.2006 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Schließlich wurde die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig erklärt und dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigung gem. § 55 Abs 2 AsylG erteilt (Spruchpunkt IV.).

Im Bescheid wurde unter anderem festgehalten (S. 88):

"Ihren Angaben bei der letzten niederschriftlichen Einvernahme am 19.12.2019 ist zu entnehmen, dass Sie in keiner intensiven Einzelbetreuung und psychiatrischer Behandlung stehen, und auch keine medikamentöse Behandlung etabliert ist. Im Rahmen dieser Einvernahme haben sich für den erkennenden Organwalter auch aus Ihrem persönlichen Eindruck keine Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass Ihre Handlungsfähigkeit eingeschränkt sein könnte. Sie haben auf ausdrückliche Nachfrage selbst erklärt, dass Sie sich körperlich und geistig in einer solchen Verfassung fühlen würden, dass Sie an der Einvernahme mitwirken könnten und wurde auch von Ihrem anwesenden Vertreter kein entgegenstehender Einwand erhoben. ..."

8. Mit Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom 30.01.2020, XXXX, wurde MMag. Katrin Maringer, RA in 1080 Wien, gem. § 120 AußStrG zum einstweiligen Erwachsenenvertreter bestellt und umfasst die einstweilige Erwachsenenvertretung die Vertretung im Asylverfahren, Verwaltung von Einkünften, Vermögen du Verbindlichkeiten sowie die Einholung von medizinischen Informationen. Begründend wurde angeführt, dass der BF aufgrund von paranoiden Gedanken und einer wahnhaften Störung in seinen Alltagsaktivitäten sehr belastet sei und er aufgrund seiner Erkrankung schwer medizinische Hilfe und Unterstützung annehmen könne. Er wirke unsicher und komme seinen Verpflichtungen nicht nach, besonders seine finanziellen Angelegenheiten könne er nicht wahrnehmen.

9. Gegen den asylabweisenden Bescheid vom 15.01.2020 richtet sich die fristgerecht erhobene vollumfängliche Beschwerde vom 24.02.2020, mit welcher die Spruchpunkte I bis III des Bescheides angefochten wurden. Moniert wurden ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren, mangelhafte Länderberichte sowie unrichtige rechtliche Beurteilung.

10. Mit Schriftsatz vom 04.03.2020, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 09.03.2020, legte die belangte Behörde die Beschwerde und den Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde sowie des nunmehr dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Gerichtsaktes.

Insbesondere wurde Einsicht genommen in den psychiatrischen Befund vom 25.09.2019 sowie in das Protokoll über die Einvernahme des BF vom 20.10.2019.

2. Rechtliche Beurteilung:

2.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung Suchbegriff von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

2.2. Zu Spruchteil A) Zurückverweisung:

2.2.1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

2.2.2. § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet die Rechtsgrundlage des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenen des § 66 Absatz 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung der mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Absatz 3 2. Satz VwVGV (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsverfahren, § 28 VwGVG, Anmerkung 11).

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in einer Vielzahl an Erkenntnissen (vgl. etwa 26.06.2014, Zl. 2014/03/0063; 12.11.2014, Ra 2014/20/0029; 06.07.2016, Ra 2015/01/0123) mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt. Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist. Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderte ganzheitliche Würdigung bzw. die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens ist im gegenständlichen Fall unterblieben und ist die belangte Behörde nach dem Dafürhalten des Bundesverwaltungsgerichtes ihrer Pflicht zur Durchführung notwendiger Ermittlungen des Sachverhalts nicht ausreichend nachgekommen. Im vorliegenden Fall sind die seitens der Höchstgerichte gestellten Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aus folgenden Erwägungen:

2.2.3. Im vorliegenden Fall sind Hinweise hervorgekommen, wonach die Einvernahmefähigkeit des BF beim BFA eingeschränkt gewesen sein könnte. So wurde der belangten Behörde bereits vor der Einvernahme am 20.12.2019 der Psychiatrische Befund vom 25.09.2019 übermittelt, aus dem hervorgeht, dass der BF seit dem 18.09.2018 wegen psychischer Probleme in psychiatrischer Behandlung stehe, bzw. er aufgrund von paranoiden Gedanken in seinen Alltagsaktivitäten sehr belastet sei, er aber gleichzeitig aufgrund seiner Erkrankung schwer medizinische Hilfe und Unterstützung annehmen könne, der Kontakt zu Mitbewohnern immer wieder von ausgeprägten Konflikten geprägt sei, sodass der BF nun in seinem Zimmer alleine wohne, er ein hohes Maß an psychosozialer Unterstützung (z.B. in finanziellen Angelegenheiten, Gewährung einer ausreichenden Ernährung, Vermittlung und Unterstützung bei Konflikten mit Mitbewohnern) benötige, sodass zur weiteren Stabilisierung eine intensive Einzelbetreuung und psychiatrische Behandlung erforderlich sei.

Trotz dieses Befundes führte die belangte Behörde am 20.12.2019 eine Einvernahme durch, obwohl starke Indizien vor das Fehlen der Prozessfähigkeit des BF vorlagen.

Des Weiteren hat die belangte Behörde es unterlassen, im Sinne der der amtswegigen Ermittlungspflicht ein Gutachten betreffend die Prozessfähgkeit des BF einzuholen.

Insoweit im angefochtenen Bescheid festgehalten wird, dass sich aufgrund des persönlichen Eindrucks des BF für den Organwalter keine Anhaltspunkte dahingehend ergeben hätten, dass die Handlungsfähigkeit des BF eingeschränkt sei (Bescheid vom 15.01.2020, S. 88), ist dem entgegenzuhalten, dass nicht ersichtlich ist, dass der Leiter der Amtshandlung über die nötige fachliche Qualifikation einer solchen Einschätzung verfügt.

2.2.4. Das Ermittlungsverfahren ist im gegenständlichen Fall somit grob mangelhaft geblieben. Mangels eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens seitens des BFA fehlt dem Bundesverwaltungsgericht eine ausreichende Beurteilungsgrundlage für die Lösung der Frage, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung von internationalem Schutz im Beschwerdefall vorliegen bzw. der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat der Gefahr einer Verfolgung oder Bedrohung iSd GFK bzw. der EMRK ausgesetzt ist. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht somit nicht fest.

2.2.5. Im fortgesetzten Verfahren wird daher die belangte Behörde ein psychiatrisches Sachverständigen einzuholen haben und dabei insbesondere durch entsprechende Fragestellungen zu erheben haben, ob die Verhandlungs- bzw. Vernehmungsfähigkeit des BF wegen seines Krankheitsbildes beeinträchtigt und der BF in der Lage ist, gleichbleibende, konkrete Angaben zu Ereignissen aus der Vergangenheit zu machen, oder ob dem sein Gesundheitszustand entgegensteht. Sodann wird das BFA die Ermittlungsergebnisse im Rahmen der Beweiswürdigung zu verwerten haben. Erst nach Beantwortung dieser Fragen wird das BFA zu prüfen haben, inwieweit dem BF eine Rückkehr nach Nigeria möglich sein wird, insbesondere im Hinblick auf die Prüfung gem. § 8 AsylG.

2.2.6. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

2.2.7. Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, da aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, liegen vor.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Asylverfahren Aufenthaltsberechtigung Behebung der Entscheidung Einvernahmefähigkeit Ermittlungspflicht Erwachsenenvertreter Gutachten Kassation Krankheit mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung Prozessfähigkeit psychiatrische Erkrankung psychiatrisches Sachverständigengutachten Vernehmungsfähigkeit Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I405.2229307.1.00

Im RIS seit

28.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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