TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/10 W137 2227490-4

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Veröffentlicht am 10.06.2020
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Entscheidungsdatum

10.06.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W137 2227490-4/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Peter Hammer als Einzelrichter im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl 1071440910 – 191223985, über die weitere Anhaltung von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, in Schubhaft zu Recht erkannt:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan. Sein Antrag auf internationalen Schutz vom 29.05.2015 wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt/BFA) mit Bescheid vom 03.05.2017 gemäß §§ 3 und 8 AsylG abgewiesen und mit einer Rückkehrentscheidung bezüglich des Herkunftsstaats Afghanistan verbunden. Das diesbezügliche Beschwerdeverfahren ist gegenwärtig noch beim Bundesverwaltungsgericht anhängig; eine Verhandlung für Februar ist bereits anberaumt.

2. Im Zeitraum vom 20.10.2015 bis zum 20.09.2019 wurde der Beschwerdeführer insgesamt drei Mal zu (bedingten) Freiheitsstrafen verurteilt. Zuletzt wurde der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien mit Urteil vom 19.09.2019 wegen Vermögensdelikten zu einer 12-monatigen, teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt.

3. Mit Schriftstück vom 24.10.2019 wurde dem Beschwerdeführer ein Parteiengehör eingeräumt und wurde er über die geplante Verhängung der Schubhaft unterrichtet. Dabei wurde ihm die Möglichkeit gegeben, eine Stellungnahme binnen zweier Wochen einzubringen. Von dieser Möglichkeit machte der Beschwerdeführer keinen Gebrauch.

4. Mit Bescheid vom 02.12.2019 wurde die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens in Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme angeordnet. Begründet wurde die Fluchtgefahr im Wesentlichen mit der mangelnden Kooperation im Verfahren (durch mehrmonatigen Aufenthalt im Verborgenen) sowie der weitgehend fehlenden sozialen Verankerung und Integration des Beschwerdeführers im Bundesgebiet. Mit der Anordnung des gelinderen Mittels könne auch unter Berücksichtigung der Straffälligkeit des Beschwerdeführers nicht das Auslangen gefunden werden. Insgesamt erweise sich die Schubhaft angesichts der vorliegenden „ultima-ratio-Situation“ auch als verhältnismäßig. Hinsichtlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit verwies das Bundesamt auf drei strafrechtliche Verurteilungen des Beschwerdeführers binnen relativ kurzer Zeit; insbesondere zuletzt zweimal wegen Suchtmitteldelikten. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am selben Tag durch persönliche Übergabe (gemeinsam mit der Verfahrensanordnung betreffend die Beigabe eines Rechtsberaters) zugestellt.

5. Am 14.01.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerde gegen die Anordnung der Schubhaft und die (weitere) Anhaltung in Schubhaft ein. Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, dass von einer Fluchtgefahr nicht ausgegangen werden könne, da am 11.02.2020 eine Beschwerdeverhandlung im Asylverfahren anberaumt sei. Zudem sei angesichts der lediglich teilbedingten Freiheitsstrafen und der reumütigen Geständnisse des Beschwerdeführers nicht von einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auszugehen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Beschwerde mit Erkenntnis vom 17.01.2020, W137 2227490-1/6E, gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG abgewiesen und festgestellt, dass die Voraussetzungen zur Fortsetzung der Schubhaft vorliegen. Dabei wurde von einer raschen Erledigung des laufenden Asylverfahrens des Beschwerdeführers ausgegangen.

6. Mit Erkenntnis vom 30.03.2020, W246 2158091-1/22E, hat das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde im Asylverfahren vollinhaltlich abgewiesen.

7. Am 07.04.2020 legte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt/BFA) den Verwaltungsakt zur amtswegigen Verhältnismäßigkeitsprüfung gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG vor. In einem Begleitschreiben wird ausgeführt, dass nach dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens umgehend ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats (HRZ) eingeleitet werde. Die Kriterien für die Annahme einer Fluchtgefahr seien weiterhin erfüllt, Haftfähigkeit liege unverändert vor.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Erkenntnis vom 20.04.2020, W137 2227490-2/4E, festgestellt, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers vorliegen und diese Anhaltung auch verhältnismäßig ist. Dabei wurde insbesondere ausgeführt, dass von einer realistischen Abschiebeperspektive im Juli/August 2020 ausgegangen werden könne.

8. Im Zuge einer weiteren amtswegigen Verhältnismäßigkeitsprüfung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 14.05.2020, W275 2227490-3/2E, erneut ausgesprochen, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers vorliegen und diese Anhaltung auch verhältnismäßig ist. Dabei wurde festgehalten, dass für den 15.05.2020 die Vorführung vor eine afghanische Delegation zwecks Erlangung eines Heimreisezertifikats geplant sei.

9. Mit Schreiben vom 04.06.2020 legte das Bundesamt den Verwaltungsakt ein weiteres Mal zur amtswegigen Verhältnismäßigkeitsprüfung gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG vor. Neben einer ausführlichen Darlegung des bisherigen Verhaltens des Beschwerdeführers gab das Bundesamt bekannt, dass die Zustimmung für die Ausstellung eines Heimreisezertifikats erteilt worden sei. Nach Wiederaufnahme des Flugverkehrs werde umgehend die Abschiebung organisiert.

Aufgrund der Aktenlage wird folgender Sachverhalt der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan. Er verfügt über keine Personal- oder Reisedokumente. Die Zusage zur Ausstellung eines Heimreisezertifikats liegt vor.

Mit Bescheid vom 03.05.2017 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers (vom 29.05.2015) erstinstanzlich vollinhaltlich abgewiesen gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist. Zudem wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 20.01.2015 verloren habe. Die diesbezügliche Beschwerde hat das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 30.03.2020 abgewiesen und die Frist zur freiwilligen Ausreise mit 21.05.2020 festgesetzt. Der Beschwerdeführer ist nicht Asylwerber.

Fast unmittelbar nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz musste der Beschwerdeführer aus der Betreuungsstelle polizeilich aufgrund von Gewaltdelikten weggewiesen werden und wurde bereits ab August 2015 in einer Justizanstalt in Untersuchungshaft angehalten. Der Beschwerdeführer wurde 2015 wegen Gewaltdelikten sowie 2017 und 2019 wegen Suchtmitteldelikten strafrechtlich verurteilt. Der Beschwerdeführer ist insgesamt nicht vertrauenswürdig.

Der Beschwerdeführer verfügt über keine substanziellen sozialen Beziehungen im Bundesgebiet. Familiäre Anknüpfungspunkte liegen in Österreich nicht vor. Er ging nie einer legalen Beschäftigung nach; ab 22.08.2019 (bis zur Effektuierung der Schubhaft am 20.12.2019) befand er sich durchgehend in Justizhaft. Er ist mittellos und verfügt über keine gesicherte Unterkunft.

Der Beschwerdeführer ist grundsätzlich gesund und jedenfalls haftfähig. Es gibt keine Hinweise auf substanzielle gesundheitliche Probleme.

Gegenwärtig sind aufgrund der Covid-19-Pandemie noch für einige Wochen keine Abschiebungen nach Afghanistan möglich. Es ist davon auszugehen, dass der diesbezüglich erforderliche Luftverkehr bis zum Sommer 2020 wiederaufgenommen wird. Eine Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat ist damit innerhalb weniger Monate – voraussichtlich sogar schon Juli/August 2020 - realistisch. Von einer Abschiebung innerhalb des zulässigen gesetzlichen Anhaltezeitraumes ist jedenfalls auszugehen.


II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

1.1. Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes zur Zl. 1071440910 – 191223985 (Schubhaft) sowie 1071440910 – 150582894 (Asyl) und den entsprechenden Akten des Bundesverwaltungsgerichts. Unstrittig sind die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers sowie zu seinem Asylverfahren. Die Zustimmung zur Ausstellung eines Heimreisezertifikats wurde vom Bundesamt ausdrücklich bekannt gegeben.

1.2. Die strafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers sind aus einem rezenten Auszug aus dem Strafregister ersichtlich und im Übrigen auch unstrittig. Die in den Bescheid aufgenommenen Feststellungen zu den fehlenden sozialen Anknüpfungspunkten des Beschwerdeführers Im Bundesgebiet wurden in der Beschwerde ebenso wenig in Zweifel gezogen wie jene zur mangelhaften Mitwirkung im erstinstanzlichen Asylverfahren. Gleiches gilt für die 2015 erfolgte Wegweisung.

1.3. Aufgrund seines Verhaltens seit Stellung des Antrags auf internationalen Schutz, insbesondere der Begehung von Suchtmitteldelikten 2019 (nach bereits einer strafrechtlichen Verurteilung wegen Gewalt- und einer wegen Suchtmitteldelikten), kann dem Beschwerdeführer keine Vertrauenswürdigkeit attestiert werden.

1.4. Das Fehlen substanzieller sozialer, familiärer und beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet ergibt sich aus der Aktenlage. Substanzielle Deutschkenntnisse wurden in der Beschwerde nicht behauptet. Im Verfahren sind auch keine legalen Beschäftigungsverhältnisse oder Fähigkeiten hervorgekommen, die zu einer mittelfristigen Sicherung der eigenen Existenz in Österreich beitragen würde. Auch außerhalb der Haftzeiten hat der Beschwerdeführer keine substanziellen beruflichen Integrationsschritte gesetzt.

1.5. Substanzielle gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers wurden in der Beschwerde nicht behauptet und sind auch aus der Aktenlage nicht ersichtlich. Aus dem oben Dargestellten ergibt sich die Haftfähigkeit des Beschwerdeführers, die überdies durch eine unmittelbar zuvor verbüßte Strafhaft zusätzlich belegt ist. Eine grundsätzliche Haftunfähigkeit wurde in der Beschwerde ebenfalls nicht behauptet.

1.6. Die weitgehende Einstellung des internationalen Luftverkehrs (seit Mitte März) ist notorisch. Es gibt derzeit keinen Grund zur Annahme, dass dieser noch über Monate hinweg aufrecht bleiben würde. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass er in einem zur Durchführung von Überstellungen/Abschiebungen erforderlichen Umfang innerhalb weniger Wochen wiederaufgenommen wird. Entsprechende Schritte sind derzeit im Laufen und werden auch von den Fluglinien so kommuniziert. Da Abschiebungen nach Afghanistan zumeist über Frontex-Charter erfolgen, ist die (volle) Wiederaufnahme des internationalen Reiseverkehrs für die Durchführung einer Abschiebung nicht erforderlich. Vor diesem Hintergrund ergeben sich die vorgenommenen Prognosen hinsichtlich des voraussichtlichen Abschiebezeitpunktes.

In diese Prognose ist im Übrigen auch eingerechnet, dass der Beschwerdeführer aufgrund eines Erlasses des Justizministeriums (im Zusammenhang mit der Pandemie) noch bis Mitte Juni 2020 die Möglichkeit hat, ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.03.2020 (und einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung) einzubringen.

2. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchteil A) (Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft):

Entsprechend dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 – FrÄG 2015 vom 18.06.2015, BGBl. I Nr. 70/2015, lautet §22a Abs. 4 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) wie folgt:

„§ 22a. (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.“

§22a Abs. 4 bildet im gegenständlichen Fall die formelle Grundlage, da der Beschwerdeführer seit 20.12.2019 in Schubhaft angehalten wird.

Die in diesem Zusammenhang maßgeblichen (innerstaatlichen) verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Art 5 Abs. lit. f EMRK und des Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG sowie einfachgesetzlichen Normen des mit 20. Juli 2015 im Rahmen des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2015 – FrÄG 2015 in Kraft getretenen Fremdenpolizeigesetzes 2005 lauten:

Art 5 Abs. 1 lit. F EMRK

(1) Jedermann hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
f)         wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, um ihn daran zu hindern, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist.

Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG

(1) Die persönliche Freiheit darf einem Menschen in folgenden Fällen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

7. wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern.

§ 76 FPG (in der nunmehr gültigen Fassung)

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Gemessen also an § 76 Abs. 3, konkret an dessen ersten Satz „liegt eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 - immer noch - vor, da „bestimmte Tatsachen“, nämlich jene bereits im Rahmen der angeführten Beweiswürdigung relevierten, indizieren, dass sich der Beschwerdeführer einer drohenden Abschiebung in den Herkunftsstaat entziehen wird.

Die Gründe, aus denen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Schubhaft anordnete (Ziffern 1 und 9 des § 76 Abs. 1 FPG), haben sich seither nicht geändert und erweisen sich als grundsätzlich nachvollziehbar. Insbesondere hat der Beschwerdeführer das Kriterium der Ziffer 1 des § 76 Abs. 3 FPG durch mangelhafte Mitwirkung im Asylverfahren erfüllt. Es ist in diesem Zusammenhang im Übrigen ohne rechtliche Relevanz, dass der Beschwerdeführer mittlerweile nicht mehr Asylwerber ist.

Mit der Anordnung gelinderer Mittel kann dementsprechend weiterhin nicht das Auslangen gefunden werden. Angesichts deutlich reduzierter persönlicher Vertrauenswürdigkeit (nicht zuletzt aufgrund Verurteilungen wegen Suchtmitteldelikten) kommen diese schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Betracht.

Der Beschwerdeführer war bei Anordnung der Schubhaft haftfähig und ist dies auch weiterhin.

Die mit der Erlangung eines Heimreisezertifikats verbundene Dauer der Anhaltung in Schubhaft ist vor dem dargestellten Hintergrund zumutbar. Verzögerungen, die in der Sphäre des Bundesamtes liegen würden, sind nicht zu erkennen.

Die nunmehr noch zu erwartende Anhaltedauer liegt bei einigen Wochen bis wenigen Monaten. Dies liegt insgesamt bei knapp der Hälfte der höchstzulässigen Anhaltedauer und ist unter Berücksichtigung des Vorverhaltens des Beschwerdeführers jedenfalls derzeit auch verhältnismäßig.

Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass im Zeitpunkt der Entscheidung die Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft gegeben ist. Eine über die Frage der Verhältnismäßigkeit hinausgehende Prüfung der Schubhaft ist nach dem eindeutigen Wortlaut von § 22a Abs. 4 BFA-VG nicht vorgesehen.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Dies liegt im gegenständlichen Fall nicht vor. Die Berücksichtigung eines unstrittigen oder zweifelsfrei belegten Vorverhaltens entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft Mittellosigkeit öffentliche Interessen Pandemie Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf strafrechtliche Verurteilung Überprüfung Verhältnismäßigkeit Vertrauenswürdigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W137.2227490.4.00

Im RIS seit

28.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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