Entscheidungsdatum
14.04.2020Index
60/02 ArbeitnehmerschutzNorm
ASchG §130 Abs1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seine Richterin Dr.in Oswald, LL.M. über die Beschwerde des Herrn A. B. gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 17.12.2019, Zl. MBA/.../2018, betreffend Übertretungen von Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG), der Arbeitsmittelverordnung und der Arbeitsstättenverordnung
zu Recht:
I. Gemäß § 50 VwGVG iVm § 27 Abs. 1 VStG wird das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Abs. 1 VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang
1. Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt …, (im Folgenden: belangte Behörde) vom 17.12.2019, Zl. MBA/.../2018, dem Beschwerdeführer zugestellt am 7.2.2020, wurden über den Beschwerdeführer wegen Übertretungen 1. des § 4 Abs. 1 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes – ASchG, BGBl. Nr. 450/1994 idF BGBl. I Nr. 126/2017, 2. des § 73 Abs. 1 ASchG, 3. des § 79 Abs. 1 ASchG, 4. des § 8 Abs. 1 Z 9 der Arbeitsmittelverordnung – AM-VO, BGBl. II Nr. 164/2000 idF BGBl. II Nr. 21/2010, 5. des § 13 Abs. 1 Z 3 iVm Abs. 5 der Arbeitsstättenverordnung – AStV, BGBl. II Nr. 368/1998 idF BGBl. II Nr. 309/2017, 6. des § 13 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 5 AStV und 7. des § 13 Abs. 6 AStV Geldstrafen in der Höhe von jeweils € 400 und Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils 8 Stunden verhängt.
Darin wird dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer der C. GmbH mit Sitz in D., E.-platz, als Arbeitgeberin zu verantworten, dass diese Gesellschaft betreffend ihre Arbeitsstätte in Wien, F.-gasse („C.“) am 30.10.2018 die genannten Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht eingehalten habe, da die für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer bestehenden Gefahren nicht ermittelt und beurteilt worden seien, keine Sicherheitsfachkraft und kein Arbeitsmediziner bestellt worden seien, die letzte nachweisliche Überprüfung der automatischen Schiebetüre am 7.4.2015 erfolgt sei und keine Nachweise für die jährlich wiederkehrende Überprüfung der Lüftungsanlage, für die jährlich wiederkehrende Überprüfung der Sicherheitsbeleuchtung und für die monatliche Augenscheinskontrolle der Sicherheitsbeleuchtung vorgelegt worden seien.
2. Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 10.2.2020, bei der belangten Behörde eingelangt am 18.2.2020, Beschwerde, in der er im Wesentlichen vorbringt, dass zum Tatzeitraum Herr H. K. und Herr L. M. für die Betreuung des Standortes des Unternehmens in Wien, F.-gasse, zuständig gewesen seien, und dass sich das Unternehmen seit 1.9.2018 in Abwicklung wegen drohender Insolvenz befunden habe, weshalb ihm als Geschäftsführer eine Steuerung des Unternehmens nicht mehr möglich gewesen sei.
3. Die belangte Behörde sah von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung ab und legte die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem Verwaltungsgericht Wien vor.
II. Feststellungen
1. Der Beschwerdeführer war von 30.9.2016 bis 28.1.2019 handelsrechtlicher Geschäftsführer der C. GmbH.
2. Die C. GmbH hat ihren Unternehmenssitz in D., E.-platz, und betreibt als Franchisenehmerin Fitnessstudios. Das Unternehmen hat weitere Betriebsstätten in Wien, F.-gasse, N., P.-Straße, R., S.-weg, T., U.-Straße, V., W.-straße und D., X.-Straße.
3. Herr H. K. und Herr L. M. sind seit 8.6.2017 Angestellte der C. GmbH. Zu ihrem Aufgabenbereich gehört die – vertraglich nicht näher definierte – Betreuung der Betriebsstätten der C. GmbH in Wien, F.-gasse und in N., P.-Straße.
4. Dem Arbeitsinspektorat wurde weder für die C. GmbH noch für bestimmte Betriebsstätten des Unternehmens eine Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs. 2 VStG für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften gemeldet.
5. Das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren wurde aufgrund einer an den Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt …, gerichteten Anzeige des Arbeitsinspektorats Wien Zentrum vom 31.10.2018 eingeleitet.
III. Beweiswürdigung
Die Feststellungen gründen sich auf den gesamten Akteninhalt (Gerichts- und Behördenakt), an dessen Vollständigkeit und Richtigkeit kein Zweifel entstanden ist, sowie auf die eingeholten Auszüge aus dem Firmenbuch und dem Gewerbeinformationssystem Austria.
Dass für die C. GmbH (bzw. für bestimmte ihrer Betriebsstätten) keine Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs. 2 VStG für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften gemeldet wurde, folgt aus den Angaben des Arbeitsinspektorats Wien Zentrum (Behördenakt, AS 4). Der Beschwerdeführer behauptet in seiner Beschwerde nicht das Gegenteil. Der von ihm vorgelegte, zwischen der C. GmbH und Herrn H. K. sowie Herrn L. M. abgeschlossene Vertrag bescheinigt zwar, dass die genannten Personen Angestellte der C. GmbH sind, weist jedoch nicht deren Bestellung zu verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs. 2 VStG nach, zumal davon im vorgelegten Vertrag nicht die Rede ist und der Vertrag auch keine Zustimmungserklärung der genannten Personen iSd § 9 Abs. 4 VStG enthält.
IV. Rechtliche Beurteilung
1. Gemäß § 130 Abs. 1 Z 5, Z 27, Z 16 und Z 14 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes – ASchG, BGBl. Nr. 450/1994 idF BGBl. I Nr. 126/2017, begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von € 166 bis € 8 324, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von € 333 bis € 16 659 zu bestrafen ist, wer als Arbeitgeber entgegen dem ASchG oder den dazu erlassenen Verordnungen die Verpflichtung zur Ermittlung und Beurteilung der Gefahren verletzt (§ 130 Abs. 1 Z 5 ASchG), die Verpflichtung zur Bestellung oder zur Beiziehung von Sicherheitsfachkräften oder von Arbeitsmedizinern verletzt, sofern kein Präventionszentrum gemäß § 78 Abs. 1 Z 2 ASchG in Anspruch genommen wurde (§ 130 Abs. 1 Z 27 ASchG), die Verpflichtungen betreffend die Beschaffenheit, die Aufstellung, die Benutzung, die Prüfung oder die Wartung von Arbeitsmitteln verletzt (§ 130 Abs. 1 Z 16 ASchG) oder die Instandhaltungs-, Reinigungs- oder Prüfpflichten verletzt (§ 130 Abs. 1 Z 14 ASchG).
1.1. Gemäß § 9 Abs. 1 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 – VStG, BGBl. Nr. 52/1991 idF BGBl. I Nr. 58/2018, ist für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen und soweit nicht verantwortliche Beauftragte gemäß § 9 Abs. 2 VStG bestellt sind, strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen ist.
1.2. Die sachliche Zuständigkeit zur Führung von Verwaltungsstrafverfahren richtet sich nach § 26 VStG. Gemäß § 26 Abs. 1 VStG sind, da das ASchG keine spezielleren Bestimmungen diesbezüglich enthält, die Bezirksverwaltungsbehörden zur Führung von Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretungen der Bestimmungen des ASchG oder den dazu erlassenen Verordnungen sachlich zuständig (vgl. VwGH 28.1.2000, 97/02/0396).
1.3. Gemäß § 27 Abs. 1 VStG ist für das Verwaltungsstrafverfahren örtlich jene Behörde zuständig, in deren Sprengel die Verwaltungsübertretung begangen worden ist, auch wenn der zum Tatbestand gehörende Erfolg in einem anderen Sprengel eingetreten ist.
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in dem Fall, dass ein zur Vertretung einer juristischen Person nach außen befugtes Organ gemäß § 9 Abs. 1 VStG verwaltungsstrafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird, im Bereich des Arbeitnehmerschutzrechtes Tatort der Verwaltungsübertretung der Sitz der Unternehmensleitung, weil an diesem Ort die Dispositionen und Anordnungen zur Verhinderung der Verstöße gegen Arbeitnehmerschutzbestimmungen zu treffen gewesen wären (siehe nur VwGH 24.6.1994, 94/02/0021; 26.1.1996, 95/02/0243; 29.3.1996, 96/02/0004; 14.12.2007, 2007/02/0277; 24.4.2009, 2008/02/0118; jeweils mwN).
2.1. Wie festgestellt wurde, ist der Sitz der C. GmbH, als dessen handelsrechtlicher Geschäftsführer und damit als zur Vertretung nach außen befugtes Organ der Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Straferkenntnis der belangten Behörde bestraft wurde, in D.. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, was daran zweifeln ließe, dass es sich dabei auch um den Sitz der Unternehmensleitung handelt. Die bloße Einrichtung von sonstigen Betriebs- bzw. Arbeitsstätten, macht diese nicht zum Unternehmenssitz, von dem aus seitens des Geschäftsführers Dispositionen und Anordnungen zur Verhinderung von Verstößen gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften zu treffen sind.
2.2. Der Tatort einer Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften ist – bei einer Verfolgung der zur Vertretung nach außen berufenen Person oder eines verantwortlichen Beauftragten nach § 9 VStG – nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann nicht am Sitz der Unternehmensleitung anzunehmen, wenn etwa für einen Filialbetrieb ein verantwortlicher Beauftragter im Sinne des zweiten Satzes des § 9 Abs. 2 VStG bestellt wurde. Dann liegt nämlich der Tatort einer von diesem zu verantwortenden Verwaltungsübertretung nicht am Sitz der (zentralen) Unternehmensleitung, sondern Tatort ist in diesem Fall der jeweilige Filialbetrieb (siehe zum Arbeitszeitgesetz z.B. VwGH 29.1.2004, 2003/11/0277).
Beim Beschwerdeführer handelt es sich aber nicht um einen – etwa für eine bestimmte Betriebsstätte bestellten – verantwortlichen Beauftragten iSd § 9 Abs. 2 VStG. Für die C. GmbH wurde kein verantwortlicher Beauftragter iSd § 9 Abs. 2 VStG wirksam bestellt. Dazu hätte es nämlich gemäß § 23 Abs. 1 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 – ArbIG, BGBl. Nr. 27/1993 idF BGBl. I Nr 126/2017, einer Meldung an das Arbeitsinspektorat vor Begehung der gegenständlichen Übertretungen bedurft. Dies ist, wie festgestellt wurde, aber nicht erfolgt.
Dem Beschwerdeführer kommt als damaligem Geschäftsführer somit für den Tatzeitpunkt die Verantwortung für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften für das gesamte Unternehmen zu. Aus diesem Grund kann nach der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber auch nur der Sitz der Unternehmensleitung als Tatort angesehen werden.
2.3. Zwar hat im gegenständlichen Fall das Arbeitsinspektorat Wien Zentrum Anzeige an den Magistrat der Stadt Wien erstattet und ist gemäß § 28 VStG die Behörde, die zuerst von einer Verwaltungsübertretung Kenntnis erlangt, zur Verfolgung zuständig, solange nicht ein Umstand hervorgekommen ist, der nach § 27 Abs. 1 VStG die Zuständigkeit einer anderen Behörde begründet. Die Behörde, die zuerst von einer Verwaltungsübertretung Kenntnis erlangt hat, ist aber nur dann zur bescheidmäßigen Bestrafung zuständig, wenn ein die Unzuständigkeit dieser Behörde indizierender Umstand nicht bis zur Fällung des Straferkenntnisses hervorkommt (siehe VwGH 28.10.2004, 2003/09/0069 mwN).
Im gegenständlichen Fall war die belangte Behörde nicht gemäß § 28 VStG zur bescheidmäßigen Bestrafung zuständig. Denn bereits aus dem im Behördenakt inliegenden Firmenbuchauszug und dem im Behördenakt inliegenden Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem Austria geht hervor, dass die C. GmbH ihren Unternehmenssitz in D. hat. Weiters hat das Arbeitsinspektorat Wien Zentrum in seiner Anzeige ausgeführt, dass ihm in Bezug auf die C. GmbH ein verantwortlicher Beauftragter gemäß § 23 ARbIG nicht gemeldet wurde. Vor diesem Hintergrund hätte der Magistrat der Stadt Wien seine Unzuständigkeit noch vor Erlassung des angefochtenen Straferkenntnisses erkennen müssen.
3. Das angefochtene Straferkenntnis war aufgrund der örtlichen Unzuständigkeit des Magistrates der Stadt Wien zu beheben, ohne dass in Bezug auf die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen eine Sachentscheidung zu erfolgen hatte (VwGH 28.1.2016, Ra 2015/07/0140; 24.10.2018, Ra 2017/10/0169; 21.11.2019, Ra 2018/10/0050). Vielmehr hat das Verwaltungsgericht Wien – nach Behebung des angefochtenen Straferkenntnisses – die Befassung des örtlich zuständigen Magistrates der Stadt D. zu veranlassen (siehe VwGH 24.10.2018, Ra 2017/10/0169 mwN). In diesem Zusammenhang wird angemerkt, dass auch eine von einer örtlich unzuständigen Behörde gesetzte taugliche Verfolgungshandlung eine die Verfolgungsverjährung gemäß § 31 Abs. 1 VStG unterbrechende Verfolgungshandlung iSd § 32 Abs. 2 VStG darstellen kann (siehe VwGH 20.2.2014, 2013/09/0046 mwN).
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung gefällt werden.
5. Die ordentliche Revision ist unzulässig, weil im Beschwerdefall keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die für die vorliegende Entscheidung maßgebliche Rechtsfrage, wo bei der Verantwortlichkeit einer zur Vertretung nach außen berufenen Person einer juristischen Person der Tatort von Verwaltungsübertretungen im Zusammenhang mit Arbeitnehmerschutzvorschriften liegt, war bereits Gegenstand der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (siehe die unter Pkt. IV.2. zitierte Rechtsprechung), der das Verwaltungsgericht Wien gefolgt ist. Die dazu vorliegende, oben angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Arbeitgeber; Verpflichtung; juristische Person; Vertretung; örtliche Zuständigkeit; TatortEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.042.093.3010.2020Zuletzt aktualisiert am
24.08.2020