TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/30 W254 2205609-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.04.2020
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Entscheidungsdatum

30.04.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W254 2205609-1/12E

Schriftliche Ausfertigung des am 18.02.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr.in Tatjana CARDONA als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA. Syrien, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden kurz "BF" genannt) stellte nach legaler Einreise mit einem Visum in das Bundesgebiet am XXXX .2018 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Am selben Tag erfolgte, vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, die Erstbefragung des BF, bei der er angab, am XXXX in Kuwait geboren, syrischer Staatsbürger und Muslim zu sein. Seine Muttersprache sei Arabisch, er spreche auch Englisch, er habe 12 Jahre eine Schule in Kuwait und 5 Jahre eine Universität in Ungarn besucht und zuletzt habe er als Lehrer gearbeitet. In Syrien habe er keine Angehörigen mehr. Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte er aus, dass er von seiner geschiedenen Frau bedroht worden sei, die Freunde in der Regierung habe. Sie wolle ihn vernichten und versuche eine Ausweisung aus Kuwait zu betreiben. Er könne nach Syrien wegen der dort herrschenden Situation nicht zurück.

1.3. Am XXXX .2018 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden "belangten Behörde") im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der BF im Wesentlichen an, dass er am XXXX in Kuwait geboren und aufgewachsen sei, er gehöre der Volksgruppe der Araber an, sei syrischer Staatsbürger und sunnitischer Muslim. Er habe keine Familienangehörigen in Syrien, sei geschieden (seit 2017) und habe drei Töchter. Der BF habe 12 Jahre eine Schule in Kuwait besucht und mit Matura abgeschlossen und habe anschließend für 5 Jahre auf der Universität in Budapest studiert. Vom Beruf sei er Programmierer und er habe keinen Militärdienst in Syrien abgeleistet.

Zu seinen Ausreisegründen befragt, brachte er zusammengefasst vor, dass er von einem unbekannten Mann bedroht worden sei und denke, das habe seine Ex-Frau arrangiert. Der Mann habe mit einer Festnahme gedroht, er sei versetzt worden und sein Auto sei gestohlen geworden. Er sei auch von seiner Ex-Frau und ihrem Bruder bedroht worden und sie habe ihm den Kontakt zu seinen Töchtern verwehrt.

Der BF legte verschiedene Urkunden (zB.: einen syrischen Personalausweis, ein syrisches Wehrbuch, ein kuwaitischer Dienstausweis für Lehrer, eine Heirats- und Scheidungsurkunde, eine Geburtsurkunde der Tochter, ...), Zeugnisse (zB.: Universitätsdiplom, ...), Zertifikate und Bestätigungen (zB.: Kündigungsbestätigung, Deutschkursbestätigung A1 der VHS Salzburg, ...) vor, die als Kopie zum Akt genommen wurden.

1.4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom XXXX .2018 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) sowie eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX .2019 erteilt (Spruchpunkt III.).

Nach Wiedergabe des Verfahrensgang wurde begründend ausgeführt, dass eine persönliche Verfolgung oder Bedrohung aus Gründen der GFK im Herkunftsstaat nicht festgestellt werden konnte. Der BF habe Kuwait wegen familiärer Probleme verlassen und keine gegen sich selbst gerichtete Bedrohungshandlung oder Übergriffe in Syrien vorgebracht. In Gesamtbetrachtung war die belangte Behörde der Ansicht, dass das Vorbingen des BF glaubhaft sei, allerdings nicht ausreiche, um eine Asylrelevanz zu erreichen und es habe sich auch im Ermittlungsverfahren kein begründeter Hinweis auf eine Flüchtlingseigenschaft ergeben.

1.5. Gegen den Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides richtet sich die im Wege seiner Rechtsvertretung erhobene Beschwerde, welche fristgerecht bei der belangten Behörde am XXXX .2018 einlangte. Darin wird zusammengefasst angeführt, dass sich der BF in Syrien vom Militärdienst freigekauft habe und das Ermittlungsverfahren sei mangelhaft gewesen, insbesondere fehle es an einer detaillierten Befragung über die Ziele der Ex-Frau und deren Bruder. Durch eine solche hätte man feststellen können, dass durch eine drohende Verhaftung in Kuwait zu einer Abschiebung des BF nach Syrien gekommen wäre und der Ex-Schwager, der für den syrischen Geheimdienst arbeite, für eine Verhaftung, Folter oder Tötung des BF sorgen könne. Zudem habe die belangte Behörde die Asylrelevanz des Wehrpflichtentzugs verkannt.

1.6. Die gegenständliche Beschwerde und der bezugnehmende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 13.09.2018 von der belangten Behörde vorgelegt.

1.7. Auf Grund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 15.10.2019 wurde die gegenständliche Rechtssache neu zugewiesen.

1.8. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde den Parteien mitgeteilt, dass beabsichtigt wird, das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien vom 13.05.2019, mit letzter Aktualisierung vom 04.07.2019 der Entscheidung zugrunde zu legen.

1.9. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde durch die erkennende Richterin am 18.02.2020 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Arabisch und im Beisein der Rechtsvertretung des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt. Ebenfalls nahm ein Vertreter der belangten Behörde an der Verhandlung teil. Der Beschwerdeführervertreter legte eine fachärztliche Bestätigung eines Psychiaters vor, die als Beilage ./A zum Akt genommen wurde und wies auf mögliche Konzentrationsschwierigkeiten des BF hin.

In der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der BF ausführlich zu seinen Fluchtgründen, seiner Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen Lebensumständen befragt. Zudem brachte die erkennende Richterin das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien mit Stand Oktober 2019 (Beilage I.) in das Verfahren ein. Die Richterin erklärte die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte und legte im Anschluss daran die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar. Daraufhin gab die erkennende Richterin den anwesenden Parteien die Möglichkeit in diese herkunftsstaatsbezogenen Berichte Einsicht zu nehmen, sowie eine Stellungnahme abzugeben. Der Beschwerdeführervertreter und der Behördenvertreter gaben eine mündliche Stellungnahme ab.

1.10. Nach Schluss der Verhandlung wurde mit mündlich verkündetem Erkenntnis die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und die ordentliche Revision nicht zugelassen. Mit rechtzeitig eingelangtem Schriftsatz vom 25.02.2020 wurde seitens des BF die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses beantragt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

2. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens folgende Beweismittel der Beurteilung zugrunde gelegt:

- der Akt der Behörde, insbesondere darin die Erstbefragung vor der Polizei, die niederschriftliche Einvernahme vor der belangten Behörde, der Bescheid und die dagegen erhobene Beschwerde,

- die in der mündlichen Verhandlung und vom BF eingebrachten Länderinformationen, welche im Verfahrensgang beschrieben sind,

- der Inhalt der mündlichen Verhandlung am 18.02.2020,

- sämtliche vorgelegte Beweismittel,

- Einsichten in den Datenbanken (Zentrales Melderegister, Grundversorgungs-Informationssystem, Strafregisterauskunft etc.).

2.1. Zur Person des BF:

Der BF ist syrischer Staatsangehöriger, sunnitisch-muslimischen Glaubens und gehört der Volksgruppe der Araber an.

Der BF ist am XXXX in Kuwait geboren und aufgewachsen. Der BF hat einen Großteil seines Lebens in Kuwait verbracht. Er hat Syrien bis 2009 in den Ferien regelmäßig - jedes zweite Jahr - besucht. Der BF ist geschieden und hat drei Töchter.

Der BF besuchte 12 Jahre eine Schule in Kuwait, die er im Jahr 1989 mit Matura abgeschlossen hat. Anschließend studierte er mit Unterbrechungen bis 1997 in Budapest Computerwissenschaften/Informatik. Der BF hat seinen Lebensunterhalt in Kuwait anfänglich als Arbeitnehmer einer britischen Firma und danach als Informatiklehrer verdient.

Der BF reiste spätestens am 15.01.2018 legal - mit einem gültigen Visum - nach Österreich ein und stellte am 16.02.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF ist aufgrund einer Depression in ärztlicher Behandlung, ansonsten ist er gesund. Der BF ist einvernahmefähig.

2.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:

Der BF hat sich durch eine Ersatzzahlung vom syrischen Militärdienst freigekauft. Dem BF droht nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, nach einer Rückkehr nach Syrien zum Militär eingezogen zu werden.

Der BF läuft nach einer Rückkehr nach Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr, aufgrund seiner ehemaligen Ehefrau oder dessen Bruder relevanten Repressalien ausgesetzt zu sein.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte.

Zur maßgeblichen Situation in Syrien (nachfolgend Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien mit Stand Oktober 2019):

2.2.1. Politische Lage

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat (USDOS 13.3.2019). Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten zur Regierung Assads entwickeln könnten (FH 1.2018).

Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Baath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weit verbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 10.8.2016).

Es gibt weiterhin Landesteile, in denen die syrische Regierung effektiv keine Kontrolle ausübt. Diese werden entweder durch Teile der Opposition, kurdische Einheiten, ausländische Staaten oder auch durch terroristische Gruppierungen kontrolliert (AA 13.11.2018; vgl. MPG 2018).

Am 13.4.2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im Vier-Jahres-Rhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden (Reuters 13.4.2016; vgl. France24 17.4.2017). Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Opposition bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten stattfand, als "Farce". Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen (France24 17.4.2016).

Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position. Seit der Machtergreifung Assads haben weder Vater noch Sohn politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche eine politische Alternative zu schaffen wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt (USCIRF 26.4.2017). 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten (USDOS 13.3.2019), wodurch dieser für weitere 7 Jahre im Amt bestätigt wurde (WKO 11.2018). Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten. Sie wurde von der EU und den USA als undemokratisch kritisiert, die syrische Opposition sprach von einer "Farce" (Haaretz 4.6.2014).

Mitte September 2018 wurden in den von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten zum ersten Mal seit 2011 wieder Kommunalwahlen abgehalten (IFK 10.2018; vgl. WKO 11.2018). Der Sieg von Assads Baath Partei galt als wenig überraschend. Geflohene und IDPs waren von der Wahl ausgeschlossen (WKO 11.2018).

Mit russischer und iranischer Unterstützung hat die syrische Regierung mittlerweile wieder große Landesteile von bewaffneten oppositionellen Gruppierungen zurückerobert. Trotz der großen Gebietsgewinne durch das Regime besteht die Fragmentierung des Landes in Gebiete, in denen die territoriale Kontrolle von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt wird, weiter fort (AA 13.11.2018).

Die Provinz Idlib im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei wird derzeit noch von diversen Rebellengruppierungen kontrolliert (MPG 2018). Im Norden bzw. Nordosten Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen (SWP 7.2018). Die Partei der Demokratischen Union (PYD) ist die politisch und militärisch stärkste Kraft der syrischen Kurden. Sie gilt als syrischer Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) (KAS 4.12.2018b). 2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der PKK, deren Mitglieder die PYD gründeten, gekommen sein. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine "zweite Front" in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrin, Ain al-Arab (Kobane) und die Jazira von PYD und YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (BFA 8.2017). Im März 2016 wurde in dem Gebiet, das zuvor unter dem Namen "Rojava" bekannt war, die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte (SWP 7.2018; vgl. KAS 4.12.2018b). Afrin im Nordwesten Syriens ist territorial nicht mit den beiden anderen Kantonen Jazira und Kobane verbunden und steht seit März 2018 unter türkischer Besatzung (KAS 4.12.2018b; vgl. MPG 2018).

Die syrischen Kurden unter Führung der PYD beanspruchen in den Selbstverwaltungskantonen ein Gesellschaftsprojekt aufzubauen, das nicht von islamistischen, sondern von basisdemokratischen Ideen, von Geschlechtergerechtigkeit, Ökologie und Inklusion von Minderheiten geleitet ist. Während Befürworter das syrisch-kurdische Gesellschaftsprojekt als Chance für eine künftige demokratische Struktur Syriens sehen, betrachten Kritiker es als realitätsfremd und autoritär. Das Ziel der PYD ist nicht die Gründung eines kurdischen Staates in Syrien, sondern die Autonomie der kurdischen Kantone als Bestandteil eines neuen, demokratischen und dezentralen Syrien (KAS 4.12.2018a). Die PYD hat sich in den kurdisch kontrollierten Gebieten als die mächtigste politische Partei im sogenannten Kurdischen Nationalrat etabliert, ähnlich der hegemonialen Rolle der Baath-Partei in der Nationalen Front (BS 2018). Ihr militärischer Arm, die YPG sind zudem die dominierende Kraft innerhalb des von den USA unterstützten Militärbündnisses Syrian Democratic Forces (SDF). Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Flüchtlingswelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Diese schwierige Situation führt auch dazu, dass die Kurden wieder vermehrt das Gespräch mit der syrischen Zentralregierung suchen (KAS 4.12.2018b).

Die syrische Regierung erkennt die kurdische Enklave oder Wahlen, die in diesem Gebiet durchgeführt werden, nicht an (USDOS 13.3.2019). Die zwischen der Kurdischen Selbstverwaltung (dominiert von der PYD) und Vertretern der syrischen Regierung im Sommer 2018 und Anfang 2019 geführten Gespräche brachten auf Grund unvereinbarer Positionen betreffend die Einräumung einer (verfassungsgemäß festzuschreibenden) Autonomie, insbesondere für die kurdisch kontrollierten Gebiete sowie hinsichtlich der Eingliederung/Kontrolle der SDF, keine Ergebnisse (ÖB 7.2019). Im Zuge einer türkischen Militäroffensive, die im Oktober 2019 gestartet wurde, kam es jedoch zu einer Einigung zwischen beiden Seiten, da die kurdischen Sicherheitskräfte die syrische Zentralregierung um Unterstützung in der Verteidigung der kurdisch kontrollierten Gebiete baten. Die syrische Regierung ist daraufhin in mehrere Grenzstädte eingerückt (DS 15.10.2019).

2.2.2. Sicherheitsbehörden und regierungstreue Milizen

Die Regierung hat zwar die effektive Kontrolle über die uniformierten Polizei-, Militär- und Staatssicherheitskräfte, nicht jedoch über ausländische und einheimische militärische oder paramilitärische Einheiten, z.B. russische Streitkräfte, Hisbollah, Islamische Revolutionsgarden und nicht uniformierte Milizen wie die National Defense Forces (NDF) (USDOS 13.3.2019). Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von Verwandten oder engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen (AA 13.11.2018). Straflosigkeit unter den Sicherheitsbehörden bleibt ein weit verbreitetes Problem. Das Generalkommando der Armee und der Streitkräfte kann im Fall von Verbrechen von Militäroffizieren, Mitgliedern der internen Sicherheitskräfte oder Zollpolizeioffizieren im Rahmen ihrer beruflichen Pflichten, einen Haftbefehl ausstellen. Solche Fälle müssen vor einem Militärgericht verhandelt werden. In der Praxis sind keine Fälle von Strafverfolgung oder Verurteilung von Polizei- und Sicherheitskräften hinsichtlich Misshandlung und Korruption bekannt. Die Sicherheitskräfte operieren unabhängig und im Allgemeinen außerhalb der Kontrolle des Justizwesens. Es gibt auch keine Berichte von Maßnahmen der Regierung, um die Einhaltung der Menschenrechte durch die Sicherheitskräfte zu verbessern (USDOS 13.3.2019).

Russland, Iran, die libanesische Hizbollah und Einheiten mit irakischen Kämpfern unterstützen die syrische Regierung, unter anderem mit Einsätzen an der Seite der syrischen Streitkräfte (KAS 4.12.2018a).

Es ist schwierig Informationen über die Aktivitäten von spezifischen Regierungs- oder regierungstreuen Einheiten zu spezifischen Zeiten oder an spezifischen Orten zu finden, weil die Einheiten seit dem Beginn des Bürgerkrieges oft nach Einsätzen organisiert ("task-organized") sind oder aufgeteilt oder für spezielle Einsätze mit anderen Einheiten zusammengelegt werden. Berichte sprechen oft von einer speziellen Militäreinheit an einem bestimmten Einsatzort (z.B. einer Brigade) wobei die genannte Einheit aus Teilen mehrerer verschiedener Einheiten nur für diesen speziellen Einsatz oder eine gewisse Zeit zusammengesetzt wurde (Kozak 28.12.2017).

Streitkräfte

Die syrischen Streitkräfte bestehen aus dem Heer, der Marine, der Luftwaffe und den Geheimdiensten (CIA 15.1.2019). Vor dem Konflikt soll die syrische Armee eine Mannstärke von geschätzt 295.000 Personen gehabt haben (UK HO 8.2016). Der Aufbau der syrischen Armee basiert auf dem sogenannten Quta'a-System [arab. Sektor, Landstück]. Hierbei wird jeder Division (firqa) ein bestimmtes Gebiet (quta'a) zugeteilt. Mit diesem System wurde in der Vergangenheit verhindert, dass Offiziere überlaufen. Gleichzeitig gab die Armee dem Divisionskommandeur für den Fall eines Zusammenbruchs der Kommunikation oder für Notfälle, freie Hand über dieses Gebiet. Gleichzeitig kann dadurch der Präsident den Einfluss einzelner Divisionskommandeure einschränken, indem er sie gegeneinander ausspielt (CMEC 14.3.2016). Im Zuge des Konfliktes hat das Regime loyale Einheiten in größere Einheiten eingegliedert, um eine bessere Kontrolle ausüben und ihre Effektivität im Kampf verbessern zu können (ISW 8.3.2017).

Zivile und militärische Sicherheits- und Nachrichtendienste, Polizei

Die zahlreichen syrischen Sicherheitsbehörden arbeiten autonom und ohne klar definierte Grenzen zwischen ihren Aufgabenbereichen. Das Innenministerium kontrolliert vier verschiedene Abteilungen der Polizei: Notrufpolizei, Verkehrspolizei, Nachbarschaftspolizei und Bereitschaftspolizei ("riot police") (USDOS 13.3.2019).

Es gibt vier Hauptzweige der Sicherheits- und Nachrichtendienste: den Militärischen Nachrichtendienst, den Luftwaffennachrichtendienst, das Direktorat für Politische Sicherheit und das Allgemeine Nachrichtendienstdirektorat (USDOS 13.3.2019; vgl. EIP 6.2019). Diese vier Dienste arbeiten unabhängig voneinander und größtenteils außerhalb des Justizsystems, überwachen einzelne Staatsbürger und unterdrücken oppositionelle Stimmen innerhalb Syriens (GS 11.2.2017). Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhöreinrichtungen, bei denen es sich de facto um weitgehend rechtsfreie Räume handelt. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle im Zuge des Konfliktes verteidigt oder sogar weiter ausgebaut (AA 13.11.2018). Vor 2011 war die vorrangige Aufgabe der Nachrichtendienste die syrische Bevölkerung zu überwachen. Seit dem Beginn des Konfliktes nutzte Assad den Sicherheitssektor, um die Kontrolle zu behalten. Diese Einheiten überwachten, verhafteten, folterten und exekutierten politische Gegner sowie friedliche Demonstranten. Um seine Kontrolle über die Sicherheitsdienste zu stärken, sorgte Assad künstlich für Feindschaft und Konkurrenz zwischen ihnen. Um die Loyalität zu sichern wurde einzelnen Behörden bzw. Beamten die Kontrolle über alle Bereiche des Staatswesens in einem bestimmten Gebiet überlassen, was für diese eine enorme Geldquelle darstellt (EIP 6.2019).

Die Sicherheitskräfte nutzen eine Reihe an Techniken, um Bürger einzuschüchtern oder zur Kooperation zu bringen. Diese Techniken beinhalten im besten Fall Belohnungen, andererseits jedoch auch Zwangsmaßnahmen wie Reiseverbote, Überwachung, Schikanen von Individuen und/oder deren Familienmitgliedern, Verhaftungen, Verhöre oder die Androhung von Inhaftierung. Die Zivilgesellschaft und die Opposition in Syrien erhalten spezielle Aufmerksamkeit von den Sicherheitskräften, aber auch ganz im Allgemeinen müssen Gruppen und Individuen mit dem Druck der Sicherheitsbehörden umgehen (GS 11.2.2017; vgl. USDOS 13.3.2019).

Der Sicherheitssektor stellt die allgegenwärtige Kontrolle über die Gesellschaft (sowohl informell als auch formell) wieder her. Festnahmen und Inhaftierungen werden genutzt, um Informationen zu erhalten, jene, die als illoyal gesehen werden, zu bestrafen und um Geld für die Freilassung der Inhaftierten zu erpressen (EIP 6.2019).

...

2.2.3. Allgemeine Menschenrechtslage

Schätzungen besagen, dass etwa eine halbe Million Menschen im syrischen Bürgerkrieg getötet wurden (BS 2018).

Die Regierung erlaubt nur regierungsnahen Gruppen offizielle Parteien zu gründen und zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit ihr verbündet sind. Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet um Hunderte Mitglieder von Menschenrechts- und Studentenorganisationen zu verhaften. Es gibt auch zahlreiche Berichte zu anderen Formen der Belästigung von Menschenrechtsaktivisten, Oppositionellen oder Personen, die als oppositionell wahrgenommen werden, von Reiseverboten, Enteignung und Überwachung bis hin zu willkürlichen Festnahmen, "Verschwindenlassen" und Folter (USDOS 13.3.2019).

Es sind zahllose Fälle bekannt, bei denen Personen für als regierungsfeindlich angesehene Tätigkeiten ihrer Verwandten inhaftiert und gefoltert werden, darunter sollen auch Fälle sein, bei denen die gesuchten Personen ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018). Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen. Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in oppositionell kontrollierten Gebieten leben (UNHRC 31.1.2019).

Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind keine Neuerung der letzten Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019).

Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik; Einsatz von Kindersoldaten sowie übermäßige Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, inklusive Zensur. Die Regierung überwacht die Kommunikation im Internet, inklusive E-Mails, greift in Internet- und Telefondienste ein und blockiert diese. Die Regierung setzt ausgereifte Technologien und Hunderte von Computerspezialisten für Überwachungszwecke ein (USDOS 13.3.2019).

...

Ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt (UNHCR 11.2015).

2.2.4. Die syrischen Streitkräfte: Wehr- und Reservedienst

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von 18 oder 21 Monaten gesetzlich verpflichtend. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 3.4.2019; vgl. AA 13.11.2018, FIS 14.12.2018). Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palestinian Liberation Army (PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018). Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018).

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Vor dem Ausbruch des Konflikts bestand der Reservedienst im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der Fähigkeiten, und die Regierung berief Reservisten nur selten ein. Seit 2011 hat sich das jedoch geändert. Es liegen außerdem einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden wieder zum aktiven Dienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird. Männer können ihren Dienst-/Reservedienststatus bei der Militärbehörde überprüfen. Die meisten tun dies jedoch nur auf informellem Weg, um zu vermeiden, sofort rekrutiert zu werden (BFA 8.2017).

Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (BFA 8.2017).

Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (TIMEP 6.12.2018).

Aktuell ist ein "Herausfiltern" von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints weit verbreitet. In der Praxis wurde die Altersgrenze erhöht und auch Männer in ihren späten 40ern und frühen 50ern sind gezwungen Wehr-/Reservedienst zu leisten. Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab, als vom allgemeinen Gesetz. Dem Experten zufolge würden jedoch jüngere Männer genauer überwacht, ältere könnten leichter der Rekrutierung entgehen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis 27 ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden, bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können. Ebenso wurden seit Ausbruch des Konflikts aktive Soldaten auch nach Erfüllung der Wehrpflicht nicht aus dem Wehrdienst entlassen (ÖB 7.2019).

Die Militärpolizei verhaftet in Gebieten unter der Kontrolle der Regierung junge Männer, die für den Wehrdienst gesucht werden. Nachdem die meisten fixen Sicherheitsbarrieren innerhalb der Städte aufgelöst wurden, patrouilliert nun die Militärpolizei durch die Straßen. Diese Patrouillen stoppen junge Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln und durchsuchen Wohnungen von gesuchten Personen (SHRC 24.1.2019). Es gab in der Vergangenheit Fälle, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren Vergeltungsmaßnahmen wie Unterdrucksetzung und Inhaftierung ausgesetzt waren (TIMEP 6.12.2018).

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017, PAR 15.11.2017).

Befreiung und Aufschub

Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Regierungsangestellte können vom Wehrdienst befreit werden oder diesen aufschieben. Auch medizinische Gründe können Befreiung oder Aufschub bedingen. Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden (FIS 14.12.2018). Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert (BFA 8.2017; vgl. FIS 14.12.2018). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (BFA 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).

Seit einer Änderung des Gesetzes über den verpflichtenden Wehrdienst im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich, zudem kann die Aufschiebung durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB 7.2019).

Unbestätigte Berichte legen nahe, dass der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit über den Wegfall von Aufschubgründen informiert ist, und diese auch digital überprüft werden. Zuvor mussten Studenten den Status ihres Studiums selbst dem Militär melden, mittlerweile wird der Status der Studenten jedoch aktiv überprüft. Generell werden Universitäten nun strenger überwacht und von diesen wird nun verlangt, dass sie das Militär über die Anwesenheit bzw. Abwesenheiten der Studenten informieren (BFA 8.2017). Einem Bericht zufolge gibt es nun in Bezug auf ein Studium als Befreiungsgrund auch Altersgrenzen für den Abschluss des Studiums. Ein weiterer Bericht gibt an, dass gelegentlich Studenten trotz einer Befreiung bei Checkpoints rekrutiert wurden (FIS 14.12.2018).

Syrische Männer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis im Ausland können sich gegen Zahlung eines "Wehrersatzgeldes" vom Wehrdienst befreien lassen. Laut Wehrpflichtgesetz Art. 46 von 2012 beträgt diese Zahlung je nach Wohnort zwischen 4.000 und 5.000 USD. Gemäß Gesetz Nr. 33 vom August 2014 müssen bei einem Auslandsaufenthalt von über vier Jahren 8.000 USD bezahlt werden. Für im Ausland geborene und weiterhin wohnhafte Syrer im wehrpflichtigen Alter beträgt diese Zahlung 2.500 USD. Es ist jedoch nicht bekannt, ob dies auch für syrische Männer gilt, die seit Beginn des Bürgerkriegs ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018).

Es gibt Beispiele, wo Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt, im Zuge des aktuellen Konfliktes - manchmal sogar Jahre danach - trotzdem eingezogen zu werden (BFA 8.2017).

Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin aus Gewissensgründen vom Militärdienst befreit werden, wobei muslimische Führer dafür eine Abgabe bezahlen müssen (USDOS 21.6.2019). Es gibt Berichte, dass in einigen ländlichen Gebieten Mitgliedern der religiösen Minderheiten die Möglichkeit geboten wurde, sich lokalen regierungsnahen Milizen anzuschließen anstatt ihren Wehrdienst abzuleisten. In den Städten gab es diese Möglichkeit im Allgemeinen jedoch nicht und die Mitglieder der Minderheiten wurden unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund zum Militärdienst eingezogen (FIS 14.12.2018).

Von Staatsangestellten wird erwartet, dass sie dem Staat zur Verfügung stehen. Laut Legislativdekret Nr. 33 von 2014 wird das Dienstverhältnis von Staatsangestellten beendet, wenn sie sich der Einberufung zum Wehr- oder Reservedienst entziehen (BFA 8.2017). Hierzu gab es Ende 2016 ein Dekret, welches jedoch nicht umfassend durchgesetzt wurde. Im November 2017 gab es eine erneute Direktive des Premierministers, der bereits eine nicht bekannte Anzahl von Entlassungen folgte (SD 7.12.2017).

Wehrdienstverweigerung / Desertion

Im Verlauf des syrischen Bürgerkrieges verlor die syrische Armee viele Männer aufgrund von Wehrdienstverweigerung, Desertion, Überlaufen und zahlreichen Todesfällen (TIMEP 6.12.2018).

Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft (AA 13.11.2018). Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen, sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018).

Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen (BFA 8.2017).

Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt (Landinfo 3.1.2018).

Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (sogenannte "externe Desertion"), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt (BFA 8.2017).

Deserteure werden härter bestraft als Wehrdienstverweigerer. Deserteure riskieren, inhaftiert, gefoltert und getötet zu werden. Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high profile"-Deserteuren der Fall sein, also z.B. Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet haben oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018).

Seit Ausbruch des Syrienkonflikts werden syrische Armeeangehörige erschossen, gefoltert, geschlagen und inhaftiert, wenn sie Befehle nicht befolgen (AA 13.11.2018).

In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle der syrischen Regierung gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bezüglich des Wehrdienstes getroffen. Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt, sondern stattdessen bei der Polizei eingesetzt werden (BFA 8.2017). Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018). Auch in den "versöhnten Gebieten" sind Männer im entsprechenden Alter also mit der Wehrpflicht oder mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht die Regierungseinheiten unterstützt (FIS 14.12.2018).

Amnestien

Seit 2011 hat der syrische Präsident für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstverweigerer und Deserteure eine Reihe von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden (BFA 8.2017; vgl. Reuters 20.7.2016, AA 13.11.2018, TIMEP 6.12.2018, SHRC 24.1.2019).

So erließ die syrische Regierung im Oktober 2018 Präsidialdekret Nr. 18/2018, das Deserteuren und Wehrdienstverweigerern im In- und Ausland Straffreiheit gewähren soll, ausgenommen "Kriminelle", sowie Personen, die auf Seite der bewaffneten Opposition gekämpft haben. Deserteure und Wehrdienstverweigerer in Syrien hatten laut Dekret vier Monate Zeit, sich bei den Behörden zu melden, jene im Ausland sechs Monate. Die Wehrpflicht ist jedoch laut Gesetz auch nach Inanspruchnahme der Amnestie noch abzuleisten (AA 13.11.2018; vgl. TIMEP 6.12.2018, SHRC 24.1.2019). Diese Amnestie ist inzwischen ausgelaufen. Eine Verlängerung der Amnestie wurde immer wieder kolportiert, ist aber bisher nicht erfolgt (ÖB 7.2019).

Zur Amnestie vom 17. Februar 2016 für Deserteure, Wehrdienstverweigerer und Reservisten gibt es keine Informationen darüber, wie viele Personen diese genutzt haben. In manchen Fällen wurden Personen aus der Haft entlassen, wobei die Regierung danach eine erneute Welle von Verhaftungen durchführte. Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben diese Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert (BFA 8.2017; vgl. FIS 23.8.2016; vgl. Reuters 20.7.2016), sowie als bisher wirkungslos (AA 13.11.2018). Die Behörden haben viele Personen, die im Rahmen von früheren Amnestien freigelassen wurden oder Versöhnungsabkommen mit der Regierung unterzeichnet hatten, später erneut inhaftiert (USDOS 13.3.2019).

3. Beweiswürdigung:

3.1. Zu den Feststellungen zur Person des BF:

Die Feststellung der Staatsangehörigkeit, der Religionszugehörigkeit und der Volksgruppenzugehörigkeit des BF wurden bereits durch die belangte Behörde getroffen (angefochtener Bescheid, Seite 13) und ergeben sich aus den gleichbleibenden Angaben des BF im gesamten Verfahren.

Die Feststellungen zum Geburtsdatum, zum Leben in Kuwait und zum regelmäßigen Ferienaufenthalt in Syrien bis 2009, zur Ausbildung und Berufstätigkeit, sowie zum Familienstand basieren einerseits zum Teil bereits aus den Feststellungen der belangten Behörde (angefochtener Bescheid, Seite 13) und andererseits aus den in diesen Punkten nicht widerlegten und glaubhaften Angaben des BF im behördlichen und gerichtlichen Verfahren (Verhandlungsprotokoll, Seite 7-8). Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht keinen Grund daran zu zweifeln, da der BF zahlreiche Dokumente (insbesondere zwei syrische Reisepässe, verschiedene Zeugnisse, Bestätigungen zur universitären Ausbildung und zum beruflichen Werdegang, eine Heiratsurkunde, eine Scheidungsbestätigung und kuwaitische Personalausweise der Töchter des BF, etc.) im Verfahren vorlegte, die diese Angaben stützen.

Die Feststellung zur legalen Einreise nach Österreich mit einem gültigen Visum basiert auf dem Akteninhalt und den Angaben des BF. Das Datum der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellung zum Gesundheitszustand des BF basiert auf den eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 18.02.2020, dass er an Depressionen leidet und auf der vorgelegten fachärztlichen Bestätigung eines Psychiaters über die Behandlung des BF aufgrund seiner psychischen Gesundheit (Beilage./A). Dass der BF einvernahmefähig ist gründet sich auf die Aussage seines Vertreters (Verhandlungsprotokoll S. 4, OZ 9: Er ist sicher einvernahmefähig) sowie den Angaben des BF (Mir geht es gut, Dankeschön. Ich bin nur etwas nervös und aufgeregt, weil ich bei Gericht bin. Auch die Erinnerung an das, was mir passiert ist, belastet mich) in der mündlichen Beschwerdeverhandlung und den Eindruck, den sich die Richterin vom BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung gemacht hat.

3.2. Zur Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 liegt es auch am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen).

Dem Vorbringen des Asylwerbers kommt zentrale Bedeutung zu. Das geht auch aus § 18 Abs. 1 AsylG 2005 deutlich hervor, wonach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und das Bundesverwaltungsgericht in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Diese Pflicht bedeutet aber nicht, ohne entsprechendes Vorbringen des Asylwerbers oder ohne sich aus den Angaben konkret ergebende Anhaltspunkte jegliche nur denkbaren Lebenssachverhalte ergründen zu müssen (vgl. VwGH 15.10.2018, Ra 2018/14/0143, mwN).

Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 2.9.2019, Ro 2019/01/0009, mwN).

Es entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass Fluchtgründe im allgemeinen nicht als glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt. Die Behörde könne einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkennen, wenn der Asylwerber während des Verfahrens vor den verschiedenen Instanzen im wesentlichen gleichbleibende Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängten, dass sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprächen (VwGH vom 06.03.1996, 95/20/0659).

3.3. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des BF:

3.3.1. Zu einer möglichen Einberufung zum Militärdienst:

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von 18 oder 21 Monaten gesetzlich verpflichtend. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 3.4.2019; vgl. AA 13.11.2018, FIS 14.12.2018). Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palestinian Liberation Army (PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Arme (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018). Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018).

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Vor dem Ausbruch des Konflikts bestand der Reservedienst im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der Fähigkeiten, und die Regierung berief Reservisten nur selten ein. Seit 2011 hat sich das jedoch geändert. Es liegen außerdem einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden wieder zum aktiven Dienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird. Männer können ihren Dienst-/Reservedienststatus bei der Militärbehörde überprüfen. Die meisten tun dies jedoch nur auf informellem Weg, um zu vermeiden, sofort rekrutiert zu werden (BFA 8.2017).

Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (BFA 8.2017).

Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (TIMEP 6.12.2018).

Aktuell ist ein "Herausfiltern" von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints weit verbreitet. In der Praxis wurde die Altersgrenze erhöht und auch Männer in ihren späten 40ern und frühen 50ern sind gezwungen Wehr-/Reservedienst zu leisten. Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab, als vom allgemeinen Gesetz. Dem Experten zufolge würden jedoch jüngere Männer genauer überwacht, ältere könnten leichter der Rekrutierung entgehen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis 27 ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden, bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können. Ebenso wurden seit Ausbruch des Konflikts aktive Soldaten auch nach Erfüllung der Wehrpflicht nicht aus dem Wehrdienst entlassen (ÖB 7.2019).

Meldungen zufolge werden die Regeln und Vorschriften für den Militärdienst, insbesondere in Bezug auf Aufschub- und Ausnahmeverfahren, zunehmend willkürlich angewandt. Es wird berichtet, dass die Regierung zunehmend auch bislang "geschützte Bevölkerungsgruppen" wie Studenten, Beamte und Gefängnisinsassen zum Pflichtwehrdienst einberuft. Berichten zufolge wurde die Wehrpflicht bei vielen Soldaten über den gesetzlich festgelegten Zeitraum von 18 Monaten hinaus verlängert. Es wurde berichtet, dass Männer oft nach ihrer Entlassung am Ende der Wehrpflicht automatisch in die Reservistenliste aufgenommen werden. Viele Männer im Wehrdienst- oder Reservistenalter vermeiden es Berichten zufolge, sich im öffentlichen Raum zu bewegen, halten sich versteckt, ziehen in Gebiete, die von bewaffneten oppositionellen Gruppen kontrolliert werden (u.a. im Rahmen lokaler Versöhnungsabkommen), oder sind außer Landes geflohen, da sie Schikanen an Kontrollstellen und Zwangsrekrutierung befürchten. Wenn Männer aus dem Ausland zurückkehren, wird Berichten zufolge stets ihre Wehrdienstakte überprüft (UNHCR Risikoprofile, 2017).

Der BF ist bereits 48 Jahre alt, leidet an Depressionen und hat keine spezielle Ausbildung vom syrischen Militär erhalten, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass er von einem besonderen Interesse für das Militär sein könnte. Auch in seinem Zivilberuf hat er keine Tätigkeiten ausgeübt bzw. Qualifikationen erworben, welche militärisch von besonderer Bedeutung wären. Er hat sich aufgrund einer Ersatzzahlung vom syrischen Militär freigekauft.

Davon abgesehen hat er sich seinen eigenen Angaben zufolge bis 2009 noch regelmäßig ins Gebiet der syrischen Armee begeben - offenbar ohne erwähnenswerte Ereignisse. Er gab sogar an, dass er sich in Syrien ein Haus kaufen wollte und sich in Syrien niederlassen wollte (Verhandlungsprotokoll OZ 9, S. 7). Dies legt nahe, dass der BF selbst nicht von der Gefahr einer unmittelbaren Einziehung zum syrischen Militär ausgegangen ist.

Dass der BF eine Ersatzzahlung an den syrischen Staat geleistet hat, um sich vom syrischen Militärdienst freizukaufen, ergibt sich aus den eigenen diesbezüglichen Aussagen des BF.

Es ist festzuhalten, dass den Länderberichten nicht entnommen werden kann, dass Personen, die sich vom Militärdienst freigekauft haben, gleichwohl eingezogen würden: Die Feststellungen auf Seite 42 des ins Verfahren eingeführte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation von Oktober 2019, wonach die vor dem Konflikt gängige Praxis des Freikaufens nicht davor schütze, nun eingezogen zu werden, bezieht sich auf ein "Freikaufen" durch Bezahlung von Bestechungsgeldern, nicht aber die vom BF vorgenommene offizielle Zahlung an den syrischen Staat.

Laut Länderberichten können sich syrische Männer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis im Ausland gegen Zahlung eines "Wehrersatzgeldes" vom Wehrdienst befreien lassen. Laut Wehrpflichtgesetz Art. 46 von 2012 beträgt diese Zahlung je nach Wohnort zwischen 4.000 und 5.000 USD. Gemäß Gesetz Nr. 33 vom August 2014 müssen bei einem Auslandsaufenthalt von über vier Jahren 8.000 USD bezahlt werden. Für im Ausland geborene und weiterhin wohnhafte Syrer im wehrpflichtigen Alter beträgt diese Zahlung 2.500 USD.

Überdies legt der Umstand, dass es weiterhin möglich ist, sich vom Wehrdienst freizukaufen nahe, dass Personen, die sich in der Vergangenheit (durch offizielle Zahlung) freigekauft haben, nicht eingezogen werden, da andernfalls die am Freikauf Interessierten abgeschreckt würden, deren Geldleistung der syrische Staat aus finanziellen Gründen aber wünscht.

Eine bevorstehende Einziehung zum syrischen Militärdienst bei einer Rückkehr nach Syrien kann aus all diesen Erwägungen daher nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden.

3.3.2. Zum Vorbringen des Streits mit seiner ehemaligen Ehefrau und deren Netzwerk als Bedrohung für den BF

Dem Vorbringen des BF liegt ein privater Streit mit seiner ehemaligen Ehefrau zugrunde. Es wird nicht angezweifelt, dass es Ehestreitigkeiten gegeben hat, doch ist es zweifelhaft, dass sich - abgesehen von der Frage der Asylrelevanz - daraus ernsthafte Bedrohungsszenarien ergeben. Der BF schilderte die verschiedenen Bedrohungsszenarien im Laufe des Verfahrens unterschiedlich (zB.: Einvernahme vor der belangten Behörde, Seite 6: "Ich wurde von einem unbekannten Mann bedroht. Ich glaube, dass es sich dabei um einen Mann handelte, der von meiner Ex-Frau gesandt wurde. Dieser Mann hat mich unter einer unbekannten Nummer angerufen und bedroht. Er sagte, dass er mich verhaften wird, falls ich Kuwait nicht freiwillig verlassen werde"). Auf die spätere Frage in der niederschriftlichen Einvernahme, von wem der BF verfolgt wurde, antwortete der BF "vonseiten des Freundes meiner Exfrau". Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht bringt der BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung hingegen vor, dass er mehrere Drohanrufe von mehreren unbekannten Personen erhalten hätte und diese erklärten, dass er schon sehen werde, was passieren würde und dass sie dafür sorgen würden, dass der BF seine Arbeit verliert (vgl. Verhandlungsprotokoll OZ 9, S. 12). Die geschilderten Drohungen weichen daher in den Einvernahmen voneinander ab.

Der BF bringt auch erst in der mündlichen Verhandlung zum ersten Mal vor, dass der Bruder der Ex-Frau seinen Namen in das syrische System des Regimes eingetragen habe und dass der BF zur Verhaftung ausgeschrieben sei (Verhandlungsprotokoll, Seite 13). Dass der BF erst in der mündlichen Verhandlung erstmals erwähnt, dass er im System des syrischen Regimes vermerkt und zur Verhaftung ausgeschrieben sei, ist eine Steigerung des Fluchtvorbringens. Es ist für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar, dass er einen so wichtigen Umstand weder in den Einvernahmen noch in seiner Beschwerde vorbringt und wird dieses Vorbringen daher als unglaubhaft gewertet.

Außerdem sind die Bedrohungen, die der BF in Zukunft in Syrien befürchtet äußerst vage und unkonkret geschildert und beruhen lediglich auf Mutmaßungen und pauschale Bedrohungen, die von seiner Ex-Frau ausgesprochen wurden, die selbst auch in Kuwait lebt (Sie sagte, dass ihr Bruder in Syrien, der bei den Rebellen tätig ist, mir etwas antun könnte Bescheid S. 8 oder in der mündlichen Beschwerdeverhandlung Verhandlungsprotokoll OZ 9 S. 13: Meine Frau hat mir gedroht, dass sie mich mit allen Mitteln nach Syrien zurückbringen wird. Zwar mit Unterstützung dieser hochrangigen Persönlichkeit in Kuwait. Meine Frau hatte gesagt, dass sie mir schwören würde, an mir Rache zu üben, dass sie 1. dafür sorgen würde, dass ich aus Kuwait ausgewiesen werde und auch dafür, dass ich in Syrien Probleme bekomme. Sie hat mir wörtlich gesagt: "Ich wäre nicht ich, wenn ich das nicht schaffen würde, du wirst schon sehen".). Bereits bei der belangten Behörde hat er zu dem Bedrohungsszenario, das von seiner Frau ausgehen soll, nur rudimentäre Angaben gemacht. Eine konkrete und aktuell bevorstehende glaubhafte Bedrohung brachte der BF auch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung nicht vor. Auch zu den Einflussmöglichkeiten seiner Frau und ihr Netzwerk macht der BF durchaus nur vage Angaben, die letztlich nur auf Vermutungen seinerseits gründen (R: Welches Netzwerk hat Ihre Frau? BF: Wenn Sie nun nach Kuwait fragen, habe ich bereits gesagt, dass meine Frau gute Beziehungen hat, zB begab ich mich mehrmals zu Gericht, um den Scheidungsakt anzusehen und mir wurde jeweils gesagt, dass der Akt "verschwunden" ist. Dies könnte damit zu tun haben, dass meine Frau als Nochehefrau 50 Dinar als Unterhalt bekommt oder bekam, sobald die Scheidung jedoch im Gange ist, nicht mehr. R: Wer ist diese hochrangige Persönlichkeit, die sie kennt? BF: Meine Frau ist Englischlehrerin und hat etliche Nachhilfeschülerinnen, manche der Mütter dieser Schülerinnen wurden zu Freundinnen. Wer die Person ist, weiß ich nicht genau, ich kann nur annehmen, dass es eine Beziehung ist, die sie über diese Nachhilfestunden aufgebaut hat. R: Welche Position hat diese Person? BF: Das weiß ich nicht, das hat sie mir auch nicht gesagt. Ich versuchte noch in Ihrem Mobiltelefon einen Hinweis zu finden, doch sie sorgte dann dafür, dass es nicht mehr herumlag.)

Außerdem ist es nicht erklärlich, weshalb der BF, erst einen Monat nach seiner Einreise in Österreich einen Asylantrag stellt. Der BF ist spätestens am 15.1.2018 legal nach Österreich eingereist und stellte ers

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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