TE Bvwg Beschluss 2020/6/17 W124 2205057-1

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Veröffentlicht am 17.06.2020
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Entscheidungsdatum

17.06.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W124 2205057-1/9E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. FELSEISEN als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Sri Lanka, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge BF) reiste spätestens am XXXX ins Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Am XXXX fand die polizeiliche Erstbefragung durch ein Organ der Landespolizeidirektion XXXX statt. Die BF gab im Wesentlichen an, am XXXX in XXXX , Sri-Lanka geboren und Staatsangehörige des genanntes Staates zu sein; sie gehöre zur Volksgruppe der Tamilen und bekenne sich zum Hinduismus. Als Fluchtgrund brachte sie zusammengefasst vor, dass es in ihrem Geburtsort einen Bürgerkrieg geben würde; die Tamilen seien eine Minderheit. Ihr Ehemann sei am XXXX verschwunden, XXXX habe sie ihn auf Anraten eines Rechtsanwalts offiziell für tot erklären lassen. Eines Nachts sei in ihrem Ort geschossen worden, woraufhin ihr Sohn - zu welchem sie keinen Kontakt habe - das Land verlassen habe und in der Schweiz lebe. Da ihre Eltern verstorben seien, sie nun niemanden mehr in ihrem Heimatland habe und der Bürgerkrieg noch immer anhalte, habe sie sich dazu entschlossen, ihr Heimatland zu verlassen. Im Falle einer Rückkehr hätte sie aufgrund des anhaltenden Bürgerkriegs Angst.

Eine am XXXX durchgeführte Abfrage im Visa-Informationssystem (VIS) ergab, dass die BF am XXXX von der Botschaft der Schweizerischen Eidgenossenschaft in XXXX , Sri-Lanka, aufgrund ihres Antrags ein für den Zeitraum vom XXXX bis zum XXXX gültiges Visum C erhielt.

2. Am XXXX langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) eine von der Adresse " XXXX " abgesendete E-Mail mit dem Betreff "Bitte Manchula mit uns in unserem Wohnung zum bleiben" und folgendem Inhalt ein: "Ich bin XXXX . Ich wohne XXXX , 8020 Graz mit meiner Familie. Ich bin Neffe von XXXX , geb. XXXX . Ich habe XXXX zu ihr Kontakt bekommen. Ich würde gerne, dass ich für sie ein Zimmer für sie zu zusammenbleiben geben." Angehängt war ein sri-lankischer Reisepass mit der Nummer XXXX und dem in der E-Mail genannten Namen des mutmaßlichen Absenders mit dem Geburtsdatum XXXX (AS 55, 56).

3. In der am XXXX vom BFA durchgeführten niederschriftlichen Einvernahme gab die BF zu ihren Fluchtgründen befragt Folgendes an: "Ich habe in meinem Garten mit einem Traktor gearbeitet und eine Bombe gefunden. Ich habe die Polizei angerufen und sie darüber informiert, dass dort eine Bombe ist. Die Polizei hat die Bombe mitgenommen und ca. 20 Tage später sind zwei Leute mit dem Moped gekommen. Die zwei Männer kamen in unser Haus und sie haben mich gefragt, warum ich die Bombe der Polizei gegeben habe. Ich wohne zwischen einer Kaserne und einer Polizeistation. Unbekannte haben uns oft am Telefon beschimpft. Wir hatten wegen dieser Drohungen immer Angst. Mein Mann war immer versteckt. Am XXXX ist mein Mann wegen der Drohungen nach XXXX geflüchtet. Er ist immer wieder zwischen XXXX und unserem Heimatort hin-, und hergegangen. An diesem Tag, dem XXXX , ist mein Mann weggegangen, als ich im Garten gearbeitet habe. Als ich zurückkam, war er nicht mehr zuhause. Mein Nachbar hat gesagt, er habe mit ihm telefoniert und er habe ihm gesagt, dass er weggegangen ist. Mein Mann ging an einem Internetcafé vorbei und eine Dame hat ihn gesehen. Die Dame fragte ihn, wo er hingehen wolle. Er sagte, dass er nur eine kleine Arbeit machen würde und dann sofort wieder zurückkommen würde. Er kam jedoch nie zurück und ist seitdem verschwunden."

Außerdem führte die BF aus, dass es sowohl ihrer Person als auch ihrem Vater gegenüber zu Übergriffen von Seiten Armeeangehörigen gekommen sei, ohne dass dabei die Polizei eingeschritten sei. Im Zusammenhang dessen legte die BF 16 Lichtbilder vor auf denen beschädigte Wände bzw. Türen eines Hauses zu sehen seien. Hinsichtlich der Entführung ihres Ehemannes habe die BF Lösegeld an die Entführer bezahlt, die diesen jedoch nicht freigelassen hätten. Politisch aktiv sei die BF selbst nie gewesen.

In den letzten zehn Jahren habe sie in XXXX , Sri-Lanka gelebt, wo sie ebenfalls Probleme gehabt habe; Konkrete Vorfälle habe es in dieser Zeit zwar nicht gegeben, aber sie habe die ganze Zeit über Angst gehabt, vor allem vor den Unbekannten, die damals auf ihr Haus im Heimatdorf geschossen hätten. Mit der sri-lankischen Regierung habe sie keine Probleme, auch sei sie nie straffällig geworden. Jedenfalls könne sie aber nicht in Sri-Lanka leben, da sie Angst habe. Ihr nunmehr in der Schweiz aufhältiger Sohn sei XXXX oder XXXX aus denselben Gründen geflohen. Nachgefragt gab sie an, das Land schlussendlich wegen der allgemeinen Situation im Jahr XXXX verlassen zu haben.

Den Zeitpunkt, zu dem ihr Ehemann für tot erklärt worden sei, konnte die BF nicht nennen, allerdings legte sie eine von einem sri-lankischen Übersetzer beglaubigte englischsprachige Übersetzung der angeblichen Sterbeurkunde ihres Mannes (AS 97) und von offenbar dazugehörigen gerichtlichen Schriftstücken (AS 73 - 87) vor. Zudem legt sie ein Bündel an fremdsprachigen Schriftstücken (AS 89 - 95; 99 - 103 und die folgende Aktenseite ohne Seitenzahl) vor, deren Sprache - und Inhalt - das Bundesverwaltungsgericht derzeit nicht festzustellen in der Lage ist.

Ein Vorhalt der allgemeinen Länderfeststellungen zur Demokratischen Sozialistischen Republik Sri-Lanka unterblieb.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom XXXX zur Zl. XXXX wurde ihr Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.); ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihr gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen sie wurde gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung nach Sri-Lanka festgestellt (Spruchpunkt III.). Ferner wurde einer Beschwerde gegen den Bescheid die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt IV.).

Das BFA führte nach Darstellung des Verfahrensganges folgende von der Beschwerdeführerin vorgelegten Beweismittel an:

> "Behördlicher Schriftverkehr mit Übersetzungen in englischer Sprache (17 Seiten)"

> "16 Lichtbilder (Beschädigungen durch Projektile)"

Zudem führte das BFA folgende von ihm selbst zur Entscheidungsfindung herangezogene Beweismittel an:

> "Die angeführten niederschriftlichen Einvernahmen Ihrer Eltern"

> "Die Länderinformationen der Staatendokumentation"

Betreffend dem Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin habe nicht festgestellt werden können, dass sie in ihrem Herkunftsstaat bedroht worden sei bzw. aktuell bedroht werde. Ebenso wenig habe festgestellt werden können, dass sie im Falle einer Rückkehr in ihr Herkunftsstaat in eine bedrohliche Situation geraten werde.

Beweiswürdigend führte das BFA zum Fluchtvorbringen der BF zunächst aus, dass die Drohungen gegen ihren Ehemann bzw. seine Ausreise aus dem Heimatdorf und die Beschädigung ihres Hauses weder in zeitlichem noch in kausalem Zusammenhang mit ihrer Ausreise stünden. Es stehe fest, dass sie zehn Jahre lang ohne "objektivierbare" Probleme in XXXX gelebt habe. Da jedoch ein wesentliches Merkmal wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung durch eine zeitnahe Ausreise abgebildet sei, habe eben diese nicht festgestellt werden können. Daher habe sie keine Verfolgungssituation glaubhaft gemacht; auch die Grundversorgung sei in Sri-Lanka gewährleistet.

Rechtlich führte das BFA zur Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) im Wesentlichen aus, das Tatbestandselement der wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung sei nur dann verwirklicht, wenn zwischen den als Grund für die Ausreise angegebenen Umständen und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang bestehe (vgl. VwGH 17.03.2009, 2009/19/0459; 19.10.2009, 98/20/0430), was vorliegend eben nicht der Fall sei. Zur Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) machte das BFA lediglich allgemeine Ausführungen, welche in der sinngemäßen Wiedergabe der Bestimmung des § 8 AsylG 2005 sowie des Art. 15 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (Statusrichtlinie) und eines Rechtssatzes aus dem Erkenntnis des ehemaligen Asylgerichtshofes vom XXXX bestehen. Betreffend den Spruchpunkt III. kam das BFA nach einer kurzen Abwägung zu dem Schluss, dass die BF aufgrund fehlender verwandtschaftlicher Anknüpfungspunkte und ihres erst seit XXXX 2018 und damit seit kurzem bestehenden Aufenthalts im Bundesgebiet kein schützenswertes Familienleben bzw. kein ausgeprägtes Privatleben iSd Art. 8 EMRK aufweise und die Rückkehrentscheidung daher zulässig sei. Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde stützte die Behörde auf § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG, da Sri-Lanka ein sicherer Herkunftsstaat sei; im Fall einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat sei keine reale Gefahr einer Menschenrechtsverletzung gegeben, zudem sei ihrem Antrag auf internationalen Schutz auch keine Aussicht auf Erfolg beschieden, weshalb sie des Schutzes Österreichs nicht bedürfe.

5. Mit der am XXXX beim BFA eingelangten, rechtzeitigen Beschwerde machte die BF verfahrensrechtliche sowie inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend und beantragte die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten, in eventu des Status der subsidiär Schutzberechtigten, in eventu die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK, in eventu die Behebung und Zurückverweisung des angefochtenen Bescheides sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Nach Darstellung des Verfahrensganges und Wiederholung des Fluchtvorbringens wurde ausgeführt, die belangte Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt und damit gegen §§ 37 AVG und 18 Abs. 1 AsylG 2005 verstoßen sowie unzureichende bzw. unrichtige Feststellungen zur konkreten persönlichen Situation der BF vor dem Hintergrund der spezifischen Länderfeststellungen zu Sri-Lanka. Im angefochtenen Bescheid würden Angaben zur Situation alleinstehender Frauen fehlen; die Behörde habe ihre Schlussfolgerungen zur aktuellen Situation in Sri-Lanka zum Großteil aus irrelevanten Länderberichten gezogen. Daran anknüpfend gab die BF auf ca. 13 Seiten (AS 209 - 221) mehrere öffentlich, im Internet zugängliche Länderberichte samt Quellenangaben bzw. Quellenverweisen sowie entsprechenden Internetlinks wieder.

Zudem wurde ausgeführt, dass der BF im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine feindliche politische Gesinnung unterstellt werden würde. Sofern die Behörde des weiteres verneine, dass die BF ihr Heimatland aufgrund des Bürgerkriegs verlassen habe, dieser jedoch XXXX bereits beendet gewesen sei und sohin ein kausaler Zusammenhang zwischen Fluchtvorbringen und Ausreise fehle, sei darauf hinzuweisen, dass die BF aufgrund der persönlich gegen sie gerichteten Drohungen geflohen sei; zuletzt sei die BF kurz vor ihrer Ausreise bedroht worden, was sie in der Einvernahme vor der belangten Behörde auch vorgebracht habe. Diese jedoch habe es unterlassen, in ihren Ermittlungen darauf einzugehen und damit ihr Vorbringen ignoriert. Die Behörde habe willkürlich entschieden, welche Teile des Vorbringens sie ignoriere; sie habe es in ihrer Beweiswürdigung verabsäumt, das Vorbringen der BF betreffend die Drohungen vor der Ausreise zu würdigen.

Ferner zitierte die BF das hg. Erkenntnis vom XXXX , mit welchem den Beschwerden einer alleinstehenden sri-lankischen Staatsangehörigen (der Erstbeschwerdeführerin) und ihren drei minderjährigen Kindern gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten stattgegeben wurde, weil die Erstbeschwerdeführerin in Sri-Lanka ohne Familienanschluss oder soziales Netzwerk - unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich um eine alleinstehende Frau mit minderjährigen Kindern gehandelt hat- auf sich alleine gestellt nicht in der Lage wäre, dort Fuß zu fassen und die existenziellen Grundbedürfnisse der Familie zu decken, zumal sie nicht von vornherein über die nötigen finanziellen Mittel für eine Ansiedelung verfügt habe. Hinzu komme die Anfälligkeit der tamilischen Frauen für sexuelle Belästigung und Gewalt, insbesondere wegen der hohen Militärpräsenz und des zunehmenden Alkoholkonsums in der (männlichen) tamilischen Bevölkerung. Ausgehend davon sei mit Blick auf die persönliche Situation der BF zu erkennen, dass diese im Falle einer Rückkehr - bezogen auf das gesamte Staatsgebiet - in eine ausweglose Situation geraten würde, zumal sie dort über keine Angehörigen mehr verfüge.

Bei richtiger Sachverhaltsfeststellung und rechtlicher Würdigung hätte die belangte Behörde zu dem Schluss kommen müssen, dass der BF zumindest der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei. Außerdem hätte die belangte Behörde bei richtiger rechtlicher Würdigung zu dem Schluss kommen müssen, dass die BF, welche in Graz bei ihrem Bruder und dessen Familie lebe, in Österreich über ein schützenswertes Familienleben verfüge und ihr deshalb ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK zu erteilen gewesen wäre.

6. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX zur GZ XXXX wurde der gegenständlichen Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

7. Mit Fax vom XXXX berichtigte die BF die Beschwerde dahingehend, dass sie in Österreich bei ihrem Cousin sowie ihrer Tante, und nicht, wie ursprünglich (fälschlich) angegeben, bei ihrem Bruder lebe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird der oben ausgeführte Verfahrensgang. Da es sich vorliegend um keine Entscheidung in der Sache, sondern um eine zurückverweisende Entscheidung handelt, erübrigen sich weitere Feststellungen.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Inhalt des von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakts und des Gerichtsakts.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

In vorliegendem Fall ist in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen und obliegt somit in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 3 Bundesgesetz über die Einrichtung und Organisation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA-Einrichtungsgesetz - BFA-G) BGBl. I Nr. 87/2012 idgF obliegt dem Bundesamt die Vollziehung des BFA-VG (Z 1), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100 (Z 2), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr.100 (Z 3) und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes - Bund 2005, BGBl. I Nr.100 (Z 4).

Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs.1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: "Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein."

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufgrund der Beschwerde oder aufgrund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung zu überprüfen, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet.

Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Zu A) Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG:

3.1 Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Der oben dargestellte § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG bildet die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG durch die Verwaltungsgerichte hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von einem prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch das Verwaltungsgericht präzisierend wie folgt festgehalten (VwGH vom 06.07.2016, Ra 2015/01/0123):

In § 28 VwGVG 2014 ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg cit vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (Hinweis E vom 17. Dezember 2014, Ro 2014/03/0066, mwN). Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Hinweis E vom 27. Jänner 2015, Ra 2014/22/0087, mwN). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (Hinweis E vom 12. November 2014, Ra 2014/20/0029, mwN).

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer- Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).

3.2 Die belangte Behörde hat im gegenständlichen Fall in wesentlichen Punkten geeignete Ermittlungen unterlassen und nur ansatzweise ermittelt. Abgesehen davon, dass die Behörde der BF die Feststellungen zur Lage in ihrem Herkunftsstaat, wie schon im Verfahrensgang erwähnt, zu keinem Zeitpunkt vorgehalten hat, womit diese §§ 43 Abs. 3 und 45 Abs. 3 AVG außer Acht gelassen hat, begnügte sich das BFA in ihren Feststellungen im angefochtenen Bescheid diesbezüglich mit den kurzen, allgemeinen Ausführungen im zu jenem Zeitpunkt aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Sri-Lanka, obwohl sich zur Lage der Tamilen im Herkunftsstaat der BF ein entsprechend widersprüchliches Bild ergibt. Einerseits geht darin hervor, dass es gegen Tamilen seit Amtsantritt von Präsident Sirisena am 09.01.2015 keine direkten staatlichen Repressionen mehr gebe, andererseits jedoch sowohl lokale als auch indischstämmige Tamilen behaupten würden, in vielen Bereichen seit langem systematisch diskriminiert zu werden; im Rahmen des sri-lankischen Antiterrorismusprogrammes ("PTA") seien nach wie vor Tamilen, mitunter seit über zehn Jahren und ohne strafrechtliche Verurteilung, inhaftiert, welche im Verdacht stünden, Verbindungen zur LTTE zu haben. Insofern wird dies noch einer diesbezüglich abschließenden Ermittlung bedürfen.

Die belangte Behörde stellte überdies nicht fest, dass die BF in Sri-Lanka über lebende Familienangehörige verfügen würde, sodass offen bleibt, ob die BF tatsächlich, wie behauptet, alleinstehend ist, da ihr Ehemann verstorben bzw. von der zuständigen sri-lankischen Behörde für tot erklärt worden sei. Zu einer möglichen Klärung dessen, hätte die Behörde die Übersetzung der von der BF vorgelegten fremdsprachigen Schriftstücke (AS 89 - 95; 99 - 103 und die folgende Aktenseite ohne Seitenzahl), zu veranlassen gehabt. Zwar führt die belangte Behörde das von der BF vorgelegte Konvolut an Unterlagen im angefochtenen Bescheid unter "B) Beweismittel" an, lässt es jedoch in ihren Feststellungen bzw. in ihrer Beweiswürdigung unerwähnt, weshalb daraus der Schluss gezogen werden muss, dass die Behörde ohne den Inhalt des Beweismittels zu kennen, dieses grundlos außer Acht gelassen hat und von möglichen sich daraus zwingend ergebenden Ermittlungsschritten vorweg Abstand genommen hat.

Abgesehen davon, dass im gegenständlichen Verfahren nicht hervorgeht, inwieweit die beglaubigte englischsprachige Übersetzung der vorgelegten Schriftstücke mit jenen in der Orginalsprache des vorgelegten Konvoluts übereinstimmt, wurden auch im Hinblick der Beurteilung der Echtheit bzw. inhaltlichen Richtigkeit dieser Schreiben unter Berücksichtigung entsprechender diesbezüglicher länderspezifischer Berichte bzw. individueller Ermittlungen keine Feststellungen darüber getroffen. Unabhängig von der Frage, wie weit die jeweiligen Schriftstücke inhaltlich miteinander in Einklang stehen, wird das BFA daher nicht hinwegkommen sich mit diesen näher auseinanderzusetzen und gegebenenfalls die entsprechenden weiteren Ermittlungsschritte zu setzen haben. Etwaige bereits daraus gezogene Schlüsse, welche in der Beweiswürdigung klar und übersichtlich dargelegt werden hätten müssen, sind nicht hervorgekommen.

Sollte sich im Zuge des Ermittlungsverfahrens tatsächlich ergeben, dass der Ehemann der BF nicht mehr am Leben ist, wird sich das BFA jedenfalls mit der Situation der BF als alleinstehende tamilische Frau in Sri-Lanka im Falle ihrer Rückkehr mit deren möglichen Folgen konkret auseinanderzusetzen haben.

Außerdem unterließ die Behörde jegliche Ermittlungstätigkeit in Bezug auf das in der Beschwerde behauptete Familienleben. Zwar führte die BF selbst im Verfahren vor der belangten Behörde nicht aus, dass sie in Österreich über Angehörige verfüge, was die Behörde jedoch nicht davon abhalten durfte, aufgrund der oben im Verfahrensgang genannten E-Mail vom XXXX die verwandtschaftliche Beziehung zwischen dem Absender der E-Mail, welcher sich als Neffe bezeichnete und von der BF später in der Beschwerde als ihr Cousin bezeichnet wurde, im Rahmen der §§ 39 Abs. 2 AVG und insbesondere 18 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen zu ermitteln, um in weiterer Folge beurteilen zu können, ob gegenständlich ein zu schützendes Familienleben iSd Art. 8 EMRK vorliegt. Ohne einschlägige Ermittlungen, die etwa in einer näheren Befragung der BF im Rahmen einer Einvernahme bzw. der Einvernahme des möglichen Angehörigen als Zeugen vorzunehmen gewesen wäre, kann dies nicht als von vornherein ausgeschlossen angesehen werden.

Zuletzt sei noch angemerkt, dass die belangte Behörde unter der Überschrift "B) Beweismittel" des angefochtenen Bescheides "Die angeführten niederschriftlichen Einvernahmen Ihrer Eltern" anführt (AS 114). Es finden sich allerdings weder im vorgelegten Verfahrensakt Niederschriften solcher Einvernahmen, noch bestehen anderweitige Anhaltspunkte dafür, dass sich die Eltern der BF je im Bundesgebiet aufgehalten hätten. Die BF gab vielmehr im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme unter anderem an, ihr Vater sei bereits XXXX oder XXXX , und damit rund zehn Jahre vor ihrer Einreise ins Bundesgebiet und Antragstellung, verstorben (AS 49). Insofern ergeben sich diesbezüglich Widersprüchlichkeiten, als darüber auch keine entsprechenden Feststellungen getroffen wurden, die in der Beweiswürdigung begründet worden wären. Zum Verbleib ihrer Mutter wurde die BF im gesamten Verfahren nicht befragt. Feststellungen sowohl zur Mutter als auch zum Vater der BF wurden nicht getroffen, sodass es auch diesbezüglich noch einer näheren Abklärung bzw. gegebenenfalls Ermittlung bedarf.

Im fortgesetzten Verfahren wird sich die belangte Behörde daher mit dem Inhalt der vorgelegten fremdsprachigen Schriftstücke, der individuellen Lage der BF als sri-lankischen Tamilin im Fall einer Rückkehr nach Sri-Lanka, sowie der Frage, ob im Bundesgebiet ein hinsichtlich Art. 8 EMRK bzw. § 55 AsylG 2005 relevantes Familienleben besteht, noch einmal ausführlich auseinanderzusetzen haben.

Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gem. § 21 Abs. 7 BFA-VG, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, da aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, liegen vor.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde in den Erwägungen zu Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Minderheiten Rückkehrsituation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W124.2205057.1.00

Im RIS seit

27.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

27.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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