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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §22a Abs1 Z1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache der A B in X, vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen Spruchpunkt A.IV. des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Dezember 2019, W137 2114984-1/28E, betreffend Kostenersatz nach § 35 VwGVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die (im Jänner 2002 geborene) Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Syriens, wurde am 15. August 2015 zusammen mit ihrer Familie in einem Zug in Wien angetroffen und zunächst gemäß § 39 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) festgenommen. Da sowohl die Revisionswerberin als auch ihre Familienmitglieder Anträge auf internationalen Schutz stellten, wurde sodann die Festnahme gemäß § 40 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) ausgesprochen. Sämtliche Personen wurden bis 16. August 2015, 23.10 Uhr, angehalten.
2 Dagegen erhob die zu diesem Zeitpunkt minderjährige Revisionswerberin vertreten durch ihren gesetzlichen Vertreter gemäß § 22a Abs. 1 Z 1 und 2 BFA-VG Beschwerde, wobei sie wegen behaupteter unzureichender medizinischer Versorgung auch die Feststellung begehrte, „durch die Umstände der Anhaltung“ in den durch Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC gewährleisteten Rechten verletzt worden zu sein.
3 Mit Erkenntnis vom 12. Dezember 2019 gab das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung der Beschwerde statt und erklärte die Festnahme und die Anhaltung für rechtswidrig (Spruchpunkt A.I.), stellte fest, dass die Umstände der Anhaltung die Revisionswerberin in ihren Rechten nach Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC verletzt hätten (Spruchpunkt A.II.), wies den Antrag auf Befreiung von der Eingabegebühr zurück (Spruchpunkt A.III.) und sprach gemäß § 35 VwGVG Kosten in Höhe von € 1.659,60 zu (Spruchpunkt A.IV.). Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 25a Abs. 1 VwGG iVm Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
4 In der Begründung ging das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen davon aus, dass die Revisionswerberin Staatsangehörige Syriens sei und am 15. August 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Die Revisionswerberin sei am selben Tag um 3.40 Uhr gemäß „§ 40 Abs. 2 FPG“ festgenommen worden, die Anhaltung habe am 16. August 2015, 23.10 Uhr, geendet. Die Anordnung der Festnahme sei durch „der Landespolizeidirektion Wien zuzurechnende Personen“ auf Anweisung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl erfolgt.
Die im Jahr 2002 geborene Revisionswerberin habe zu diesem Zeitpunkt bereits einige Tage an einer Pilonidalzyste gelitten. Ihre Mutter habe davon gewusst und die Zyste auch in Augenschein genommen. Die Erkrankung der Revisionswerberin sei dem diensthabenden Arzt nicht ersichtlich gewesen. Am 15. August 2015 hätten weder die Revisionswerberin noch ihre Eltern „die Mitarbeiter der Unterkunft“ über die konkrete „medizinische Problematik“ informiert. Am 16. August 2015 hätten ihre Eltern einen Arzttermin für die Revisionswerberin erwirkt, sowohl die Eltern als auch die Revisionswerberin hätten aber die Untersuchung durch den männlichen Arzt verweigert. Der Arzt sei weder über die Zyste noch über den Wunsch auf Untersuchung durch eine Ärztin informiert worden. Es seien ihm lediglich „Schmerzen“ mitgeteilt worden, woraufhin der Arzt eine entsprechende Medikation angeordnet habe. Die entzündete Zyste habe sich am Vormittag des 16. August 2015 eröffnet. Dies sei mit massiven Schmerzen sowie mit dem Austritt von Blut und Eiter verbunden gewesen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sei die „medizinische Problematik“ für jeden Laien klar ersichtlich gewesen. Die diensthabenden Mitarbeiter hätten weder einen Arzt beigezogen noch andere adäquate Maßnahmen gesetzt, obwohl dies angezeigt gewesen wäre. Spätestens um 12.00 Uhr dieses Tages hätte die Revisionswerberin die erforderliche ärztliche Hilfe erhalten oder in ein Krankenhaus transferiert werden müssen. Dies sei aufgrund der Unterlassung seitens der Betreuung in der Familienunterkunft nicht geschehen.
5 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht zur Frage der Rechtmäßigkeit der Festnahme und der damit einhergehenden Anhaltung aus, dass die Festnahme lediglich den Eltern der Revisionswerberin gegenüber ausgesprochen worden wäre, jedoch auf die Revisionswerberin durchschlagen würde, weshalb auch ihr der Rechtsschutz des § 22a BFA-VG zugutekomme. Die Festnahme sei auf einen konkreten Tatbestand des § 40 Abs. 2 BFA-VG gestützt worden. Auch der Grund der Festnahme sei nicht beschrieben worden. Dies reiche für die gerichtliche Nachprüfung der Festnahme auf ihre Rechtmäßigkeit nicht aus. Die Festnahme und die Anhaltung im Rahmen der Festnahme seien deshalb rechtwidrig erfolgt. Auf das weitere Beschwerdevorbringen sei nicht mehr einzugehen.
Den Kostenausspruch in Spruchpunkt A.IV. begründete das Bundesverwaltungsgericht damit, dass die Revisionswerberin vollständig obsiegt habe und daher Anspruch auf Kostenersatz im beantragten Umfang habe.
6 Gegen den Kostenausspruch in Spruchunkt A.IV. des Erkenntnisses richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurde.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, dass das Bundesverwaltungsgericht mit der Kostenentscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei. Sie habe drei Verwaltungsakte - Festnahme, Anhaltung und Umstände der Anhaltung ab einem bestimmen Zeitpunkt - bekämpft und sei mit der Bekämpfung aller drei Verwaltungsakte erfolgreich gewesen. Aus diesem Grund stünde ihr der dreifache Kostenersatz zu.
11 Die Beschwerde der Revisionswerberin stützte sich auf § 22a Abs. 1 Z 1 und 2 BFA-VG und richtete sich gegen die Festnahme und die Anhaltung. Dass eine weitere Maßnahme als davon gesondert zu betrachtendes Geschehen in Beschwerde gezogen worden wäre, ist der Beschwerde nicht zu entnehmen.
12 Die gegenständliche Festnahme und die mit ihr verbundene und unmittelbar darauf folgende Anhaltung wurden vom Bundesverwaltungsgericht - unangefochten - für rechtswidrig erklärt. Dies führt dazu, dass auch die zur Umsetzung der Festnahme und Anhaltung gesetzten und nachfolgenden Akte, die mit dieser eine Einheit bilden, rechtswidrig sein müssen (vgl. VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0290, Rn. 42 mit Verweis auf VwGH 29.5.2006, 2003/09/0040).
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem den Fall des Vaters der Revisionswerberin betreffenden Erkenntnis zu Ra 2020/14/0178 mit der Frage des Kostenersatzes im Maßnahmenbeschwerdeverfahren auseinandergesetzt. Auf die Begründung dieser Entscheidung wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG hiermit verwiesen. Aus dieser Entscheidung geht hervor, dass wie auch im vorliegenden Fall die Festnahme und die (regelmäßig) mit ihr verbundene und unmittelbar darauf folgende Anhaltung als ein Verwaltungsakt zu beurteilen sind und es - ausgehend von der Rechtswidrigkeit der Festnahme und Anhaltung - auf die Frage der Modalitäten der Anhaltung in einem Fall wie dem vorliegenden nicht weiter ankommt. Die beim Bundesverwaltungsgericht von der Revisionswerberin erhobene Beschwerde spricht auch im vorliegenden Fall nur von der „Festnahme“ und der „Anhaltung“, bekämpft aber keine weiteren eigenständigen Maßnahmen verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und beschreibt auch keine konkreten Handlungen in Bezug auf die Revisionswerberin. Aus dem oben genannten Erkenntnis ergibt sich weiters, dass jenem Spruchpunkt, wie dem auch im gegenständlich angefochtenen Erkenntnis vorliegenden und in Rechtskraft erwachsenen Spruchpunkt A.III., im vorliegenden Zusammenhang keine eigene Bedeutung beizumessen ist.
14 Da die Revisionswerberin mit der Bekämpfung des hier als Einheit anzusehenden Verwaltungsaktes „Festnahme samt anschließender Anhaltung“ erfolgreich war, gebührte ihr (nur) dafür gemäß § 35 VwGVG Aufwandersatz.
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 25. Juni 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140179.L00Im RIS seit
26.08.2020Zuletzt aktualisiert am
26.08.2020