TE Vwgh Beschluss 2020/6/26 Ra 2020/14/0249

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.06.2020
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des X Y, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Jänner 2020, W265 2193103-1/25E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 26. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er im Wesentlichen damit begründete, in Pakistan geboren und aufgewachsen zu sein. Er sei von seinem Vater in einer Partei angemeldet worden. Nachdem sein Vater verschwunden sei, habe er Drohanrufe bekommen und man hätte den Aufenthaltsort des Vaters wissen wollen. Nachdem ihm die Partei den Platz seines Vaters angeboten habe, sei er von feindlichen Gruppen mit dem Tod bedroht worden.

2        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag mit Bescheid vom 10. März 2018 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung. Es stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und legte eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 10. März 2020, E 369/2020-6, die Behandlung derselben ablehnte und sie über nachträglichen Antrag des Revisionswerbers mit Beschluss vom 17. April 2020, E 369/2020-8, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, das Bundesverwaltungsgericht habe bei seiner Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif nicht hinreichend beachtet, dass der Revisionswerber seit seiner Geburt mit seiner Familie in Pakistan gelebt habe und in Afghanistan über kein soziales Netzwerk verfüge. Das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit den EASO „Country Guidance Afghanistan“ und der vom Revisionswerber eingebrachten Stellungnahme vom 22. November 2019 auseinandergesetzt. Zudem habe es seine Ausführungen auf veraltete Länderberichte, insbesondere in Bezug auf Hazara, gestützt.

9        Die Frage der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative stellt letztlich eine - von der Asylbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht zu treffende - Entscheidung im Einzelfall dar, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu treffen ist (vgl. etwa VwGH 23.10.2019, Ra 2019/01/0400, mwN).

10       Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung, dass weder EASO (Leitfaden vom Juni 2018 und Juni 2019) noch UNHCR (Richtlinien vom 30. August 2018) von der Notwendigkeit der Existenz eines sozialen Netzwerkes in Mazar-e Sharif für einen alleinstehenden, gesunden, erwachsenen Mann ohne besondere Vulnerabilität für die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgehen. Es entspricht zudem der - auch zu dieser Berichtslage ergangenen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass allein die Tatsache, dass ein Asylwerber in seinem Herkunftsstaat über keine familiären Kontakte verfüge, die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht hindere (vgl. etwa VwGH 15.4.2020, Ra 2019/18/0542; 31.10.2019, Ra 2019/20/0309, mwN).

11       Weiters ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf Afghanistan zu verweisen, wonach es einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden kann, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl. zum Ganzen VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, mwN; zu einem in Pakistan geborenen und dort aufgewachsenen schiitischen Afghanen unter Berücksichtigung der auch hier maßgeblichen Berichtslage VwGH 30.12.2019, Ra 2019/18/0241).

12       Soweit der Revisionswerber in diesem Zusammenhang Begründungsmängel, insbesondere eine unzureichende Auseinandersetzung mit der Country-Guidance des EASO und seiner Stellungnahme vom 22. November 2019 rügt, ist der Revision entgegen zu halten, dass es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausreicht, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel darzulegen. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 22.8.2019, Ra 2019/14/0343, mwN).

13       Das Bundesverwaltungsgericht traf im angefochtenen Erkenntnis unter Beachtung der vom UNHCR und EASO herausgegebenen Richtlinien konkrete, sowohl die persönliche Situation des Revisionswerbers als auch die allgemeine Lage (Sicherheits- und Versorgungslage) im Herkunftsstaat betreffende Feststellungen. Fallbezogen begegnet die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichtes, dem Revisionswerber stehe als jungem, gesunden Mann im erwerbsfähigen Alter, welcher über Schulbildung und Berufserfahrung im Verkauf, im Lager und in der Versicherungsbranche verfüge, Sprachkenntnisse in einer Landessprache aufweise und mit dem kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei, in Mazar-e Sharif eine zumutbare innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative zur Verfügung, nach dem Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes keinen Bedenken. Entgegen den Revisionsausführungen, wonach das Verwaltungsgericht das in der Stellungnahme vom 22. November 2019 erstattete Parteienvorbringen nicht miteinbezogen habe, berücksichtigte das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich auch den Umstand, dass der Revisionswerber seit seiner Geburt mit seiner Familie in Pakistan gelebt habe und in Afghanistan über kein soziales Netzwerk verfüge. Vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung vermag die Revision auch mit ihrem Vorbringen zu einer fehlenden Selbsterhaltungsfähigkeit des Revisionswerbers, der bisher lediglich Hilfstätigkeiten verrichtet habe, der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Hinblick auf die in diesem Zusammenhang getroffenen Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht substantiiert entgegen zu treten.

14       Soweit der Revisionswerber darauf hinweist, in der bereits zitierten Stellungnahme seien auch die dortigen Ausführungen zur potenziellen Verfolgung von Gegnern namentlich genannter politischer Gruppierungen nicht berücksichtigt worden, macht die Revision einen weiteren Begründungsmangel geltend.

15       Zu diesem - wiederum die Relevanz des Verfahrensmangels nicht darstellenden - Vorbringen genügt es darauf hinzuweisen, dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit einer Gefährdung durch die feindlichen Gruppierungen auseinandersetzte und das gesamte Fluchtvorbringen sowie eine daraus resultierende Verfolgung durch die Taliban als unglaubwürdig erachtete. Der geltend gemachte Begründungsmangel liegt daher nicht vor.

16       Sofern die Revision schließlich vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht habe veraltete Länderberichte herangezogen und der Revisionswerber habe keine Möglichkeit gehabt, zu übersetzten Unterlagen betreffend die Partei Muslim League, Quetta Pakistan, eine Stellungnahme abzugeben, macht sie erneut einen Verfahrensmangel geltend, deren Relevanz jedoch mit ihrem lediglich pauschal gehaltenen Vorbringen nicht zu entnehmen ist (vgl. VwGH 19.2.2020, Ra 2020/14/0001, mwN).

17       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gem. § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 26. Juni 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140249.L00

Im RIS seit

26.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.08.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten