TE Vwgh Beschluss 2020/7/16 Ra 2020/21/0055

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Veröffentlicht am 16.07.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

B-VG Art133 Abs4
NAG 2005 §25
NAG 2005 §54
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des O I A in W, vertreten durch Mag. Hubert Wagner LL.M., Rechtsanwalt in 1130 Wien, Wattmanngasse 8/5, gegen das am 11. November 2019 mündlich verkündete und mit 18. Dezember 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, I408 2190915-1/26E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen sowie eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, beantragte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 13. November 2003 die Gewährung von Asyl. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 8. Oktober 2004 ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria für zulässig und wies ihn aus dem österreichischen Bundesgebiet (nach Nigeria) aus. Der unabhängige Bundesasylsenat wies eine dagegen erhobene Berufung am 19. Juni 2007 ab.

2        Am 16. September 2008 stellte der Revisionswerber einen Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesasylamt mit Bescheid vom 17. November 2008 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückwies. Zugleich wurde der Revisionswerber neuerlich aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen.

3        Bereits mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 15. Februar 2005 war über den Revisionswerber wegen am 12. Mai 2004 (zum Teil versuchter) gewerbsmäßiger Überlassung von Suchtgift, insbesondere von Kokain, eine bedingt nachgesehene siebenmonatige Freiheitsstrafe verhängt worden.

4        Mit Bezug darauf hatte die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom 13. September 2006 gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Rückkehrverbot erlassen.

5        Der Revisionswerber, der den Besitz eines nigerianischen Reisepasses nicht offengelegt hatte, war nach Abschluss der erwähnten Asylverfahren in Österreich verblieben. Am 11. November 2014 wurde ihm der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte Plus“ erteilt und nach Ablauf eines Jahres (einmal) verlängert. Ein Verlängerungsantrag vom 10. November 2016 ist im Hinblick auf weitere Straftaten und eine deshalb erfolgte rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung unerledigt geblieben.

6        Mit rechtskräftigem Urteil vom 15. Juni 2016 hatte das Landesgericht Korneuburg über den Revisionswerber nämlich wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels sowie des Vergehens pornografischer Darstellung Minderjähriger eine Freiheitsstrafe von 21 Monaten verhängt. Er hatte am 14. Februar 2016 bei einer Flugreise von Dubai nach Wien-Schwechat rund 507,5 Gramm Kokain eingeführt sowie in einem nicht feststellbaren Zeitraum bis zum 14. Februar 2016 verschiedene pornografische Darstellungen unmündiger Minderjähriger besessen.

7        Mit Bescheid vom 20. Februar 2018 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber „gemäß § 52 Abs. 5 FPG“ eine Rückkehrentscheidung. Es stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, und erließ außerdem (mit Bezug auf die erwähnten Straftaten) gemäß § 53 Abs. 1 und 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von neun Jahren befristetes Einreiseverbot. Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt. Gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG wurde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung aberkannt.

8        Mit dem angefochtenen, nach (zweimaliger) mündlicher Verhandlung ergangenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eine dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab. Es sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

9        Begründend verwies das BVwG auf die erwähnten strafgerichtlichen Verurteilungen sowie den Umstand, dass der Revisionswerber bereits einmal ein gegen ihn ergangenes auf zehn Jahre befristetes „Einreiseverbot“ unbeachtet gelassen habe. Er lebe in einer Unterkunft der Diakonie und ohne Angehörige in Österreich, beherrsche die Landessprache Nigerias (Englisch) auf Muttersprachenniveau, Deutsch jedoch nur auf dem Niveau A2 und habe in den mündlichen Verhandlungen vor dem BVwG Dolmetscherunterstützung benötigt. In Österreich sei er nie einer nennenswerten legalen Berufstätigkeit nachgegangen (erwähnt wurden eine einmalige Tätigkeit als Portier für sechs Monate und ein Verkauf von Telefonwertkarten nach seiner letzten Haftentlassung) und sei nach wie vor auf staatliche Unterstützung angewiesen. Auch habe er in Österreich keine nennenswerten Sozialkontakte.

Im Mai 2004 habe er sich bei einem Sprung in einen U-Bahn-Schacht eine Beckenfraktur zugezogen, aus der eine Gehbehinderung und Minderung der Erwerbsfähigkeit herrühre. Er sei HIV-infiziert und werde medikamentös behandelt (Aids ist unbestritten nicht ausgebrochen). Trotz dieser Gesamtsituation sei er 2015 und 2016 zweimal nach Dubai und einmal für knapp zwei Monate (nach eigenen Angaben zur Heilbehandlung der Folgen seiner Beckenverletzung) nach Nigeria geflogen. Die Finanzierung der drei Flüge und der jeweiligen Aufenthalte im Ausland habe er nicht glaubhaft begründen können.

Im Heimatstaat sei eine Heilbehandlung, darunter eine kostenlose Abgabe retroviraler Medikamente, möglich. Das ergebe sich aus aktuellen Länderberichten und Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation, die in der mündlichen Verhandlung erörtert worden seien, wobei der Revisionswerber die für die Feststellung herangezogenen Quellen nicht bestritten habe.

Auch sei mit der Möglichkeit einer Reintegration des Revisionswerbers im Herkunftsstaat zu rechnen. Er habe in Nigeria seine Sozialisierung erfahren, verfüge dort - anders als in Österreich - über aktuelle familiäre und verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte, sei mit den sozialen, kulturellen und sprachlichen Gegebenheiten vertraut, sei arbeitsfähig und bereits vor seiner Ausreise im Verkaufsgewerbe tätig gewesen, habe also schon Arbeitserfahrung in Nigeria. Insbesondere unter Berücksichtigung der massiven Straffälligkeit sowie des geringen Maßes an Integration seien die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung (§ 52 Abs. 4 Z 4 FPG) sowie eines Einreiseverbotes erfüllt.

10       Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision erweist sich als unzulässig.

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

12       Insoweit wendet sich der Revisionswerber zunächst der Sache nach gegen die Gefährdungsprognose sowie die Interessenabwägung des BVwG.

13       Dabei ist er jedoch darauf hinzuweisen, dass sowohl die Gefährdungsprognose als auch die Interessenabwägung unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen sind. Sie sind daher im Allgemeinen - wenn sie (wie hier) auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgten und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurden - nicht revisibel. Es trifft nicht zu, dass die strafbaren Verhaltensweisen des Revisionswerbers für die Erlassung eines Einreiseverbotes nicht ausreichend wären (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0285, Rn. 10).

14       Ein Grund dafür, dass der vom Revisionswerber gestellte Antrag auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels (Rot-Weiß-Rot - Karte Plus) eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses begründen könnte, wird weder in der Revision aufgezeigt, noch ist ein solcher ersichtlich (vgl. § 25 NAG).

15       Ebenso ist weder dem angefochtenen Erkenntnis noch der Aktenlage ein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, beim Revisionswerber handle es sich - wie die Revision, allerdings ohne Begründung, behauptet - um einen begünstigten Drittstaatsangehörigen, dem eine Aufenthaltskarte nach § 54 NAG ausgestellt worden sei.

16       Die Behandelbarkeit der HIV-Infektion des Revisionswerbers in Nigeria wurde, wie vom BVwG ausgeführt, in den mündlichen Verhandlungen vom 11. Mai 2018 und 11. November 2019 erörtert. Den dabei vorgehaltenen und in der Folge im angefochtenen Erkenntnis (nach schlüssiger Beweiswürdigung) verwerteten Beweisergebnissen tritt auch die Revision nicht inhaltlich konkret entgegen.

17       In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 16. Juli 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210055.L00

Im RIS seit

28.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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