TE Vwgh Beschluss 2020/7/22 Ra 2018/06/0117

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Veröffentlicht am 22.07.2020
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Index

L37156 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag Steiermark
L82000 Bauordnung
L82006 Bauordnung Steiermark
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

BauG Stmk 1995 §29
BauG Stmk 1995 §38 Abs7 Z3
BauG Stmk 1995 §41 Abs3
BauG Stmk 1995 §41 Abs6
BauRallg
VVG
VwGG §33 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2018/06/0118
Ra 2018/06/0119
Ra 2018/06/0120
Ra 2018/06/0121
Ra 2018/06/0122
Ra 2018/06/0123
Ra 2018/06/0124
Ra 2018/06/0125
Ra 2018/06/0126
Ra 2018/06/0127
Ra 2018/06/0128
Ra 2018/06/0129
Ra 2018/06/0130
Ra 2018/06/0131
Ra 2018/06/0132
Ra 2018/06/0133
Ra 2018/06/0134
Ra 2018/06/0135
Ra 2018/06/0136

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber, BA, über die Revisionen 1. der C GmbH in G, 2. des T P und 3. der E P, beide in H, 4. des F G in S, 5. der M J in K, 6. des T R in I, 7. des C A in O, 8. des E S in W, 9. des Ing. E E in W und 10. des Mag. R D in G, alle vertreten durch die ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Schmiedgasse 2, gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Steiermark 1) vom 26. April 2018, LVwG 50.17-1444/2017-16, betreffend einen Beseitigungsauftrag nach dem Steiermärkischen Baugesetz (protokolliert zu Ra 2018/06/0117 bis 0126), und 2) vom 26. April 2018, LVwG 50.17-2867/2017-10, LVwG 40.17-3231/2017-2, betreffend eine Nutzungsuntersagung nach dem Steiermärkischen Baugesetz (protokolliert zu Ra 2018/06/0127 bis 0136), (jeweils belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz; jeweils mitbeteiligte Parteien: 1. H H und 2. L H, beide in G, beide vertreten durch Mag. Peter Mayerhofer, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Domplatz 16; jeweils weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden als gegenstandslos geworden erklärt und die Verfahren eingestellt.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Begründung

1        1. Mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz (in der Folge: belangte Behörde) vom 20. Juni 2014 wurde der Rechtsvorgängerin der Erstrevisionswerberin die baubehördliche Bewilligung für die Errichtung eines fünfgeschossigen Wohnhauses mit sieben Wohneinheiten und drei überdachten PKW-Stellplätzen auf dem Grst. Nr. X der KG J. erteilt. Bewilligt wurde mit diesem - in Rechtskraft erwachsenen - Bescheid nach § 13 Abs. 3 Steiermärkisches Baugesetz (Stmk. BauG) der Anbau des neu zu errichtenden Wohnhauses an der südlichen Grundgrenze des Baugrundstückes und damit an der nördlichen Grundgrenze der Grundstücke Nrn. Y/1 und Y/2, KG J., der mitbeteiligten Parteien und gleichzeitig an dem an der dortigen Grundgrenze situierten Wohnhaus.

2        Mit Bescheid der belangten Behörde vom 25. Februar 2015 wurde der Erstrevisionswerberin die baubehördliche Änderungsbewilligung unter anderem für Umbauten im Erdgeschoss, im 1. und 2. Obergeschoss und für die Errichtung von drei zusätzlichen Wohneinheiten erteilt.

3        Entsprechend den vidierten Einreichunterlagen wurde die Bewilligung für die Errichtung des Wohngebäudes in geschlossener Bebauungsweise erteilt.

4        Das beantragte Objekt wurde in der Folge errichtet.

5        2. Mit Eingabe vom 10. Februar 2016 beantragten die mitbeteiligten Parteien die Erlassung eines Beseitigungsauftrages mit der Begründung, dass das fünfgeschossige Wohngebäude nicht wie bewilligt in geschlossener Bebauungsweise grenzunmittelbar an ihr Gebäude anschließend ausgeführt worden sei, sondern im Bereich der Dachtraufe einen Rücksprung aufweise und dadurch die Abstandsbestimmungen des § 13 Steiermärkisches Baugesetz (Stmk. BauG) verletzt würden. Ferner machten sie einen Widerspruch der Ausführung zu Punkt 4.1 der OIB-Richtlinie 2015 geltend, wonach die zur Nachbargrundstücksgrenze gerichtete Seite des Bauwerks mit einer brandabschnittsbildenden Wand abzuschließen sei, wenn der Abstand eines Bauwerks von der Nachbargrundstücksgrenze weniger als 2,0 m betrage. In diesen Abstand dürften Bauwerksteile (Dachvorsprünge, Vordächer, Erker, Balkone) nur dann hineinragen, wenn für diese zusätzliche brandschutztechnische Maßnahmen getroffen würden, was im gegenständlichen Fall nicht zutreffe.

6        Mit Bescheid der belangten Behörde vom 27. Juni 2016 wurde den revisionswerbenden Parteien als Eigentümer des Gebäudes gemäß § 41 Abs. 3 und 6 Stmk. BauG der Auftrag erteilt, das auf Grundstück Nr. X konsenswidrig errichtete fünfgeschossige Gebäude binnen zwölf Wochen zu beseitigen.

7        Die gegen diesen Bescheid von den revisionswerbenden Parteien erhobene Beschwerde wurde - nach Beiziehung einer bautechnischen Amtssachverständigen und Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem zu Ra 2018/06/0117 bis 0126 angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark (LVwG) vom 26. April 2018 als unbegründet abgewiesen. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt.

8        Begründend verwies das LVwG darauf, dass im Hinblick auf den im Bereich der Dachtraufe ausgeführten Rücksprung das Wohngebäude nicht konsensgemäß ausgeführt worden sei. Da die betroffene Außenmauer nicht als trennbarer Bauteil zu qualifizieren sei, habe der Auftrag das ganze Gebäude zu betreffen.

9        Gegen dieses Erkenntnis des LVwG richtet sich die zu Ra 2018/06/0117 bis 0126 protokollierte außerordentliche Revision.

10       3. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 15. September 2017 wurde - nachdem die mitbeteiligten Parteien mit Eingabe vom 26. September 2016 einen entsprechenden Antrag gestellt hatten - den revisionswerbenden Parteien als Eigentümer des Gebäudes auf dem Grst. Nr. X aufgetragen, die Benützung des fünfgeschossigen Wohnhauses ab sofort zu unterlassen. Die Wohnungen - so die Begründung - würden benutzt, obwohl für die bewilligungspflichtigen, jedoch konsenslos durchgeführten Planabweichungen vom rechtskräftig bewilligten Projekt keine rechtskräftige Baubewilligung vorliege.

11       Die gegen diesen Bescheid von den revisionswerbenden Parteien erhobene Beschwerde wurde mit dem zu Ra 2018/06/0127 bis 0136 angefochtenen Erkenntnis des LVwG vom 26. April 2018 mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die festgesetzte Erfüllungsfrist mit „binnen zwei Monaten ab Rechtskraft des Bescheides“ neu festgesetzt wurde. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt. Begründet wurde die Abweisung der Beschwerde unter Hinweis auf die das Gesamtgebäude betreffende Konsensabweichung, sodass die Untersagung der Benützung gemäß § 38 Abs. 7 Z 3 Stmk. BauG durch die belangte Behörde zu Recht erfolgt sei.

12       Gegen dieses Erkenntnis des LVwG richtet sich die zu Ra 2018/06/0127 bis 0136 protokollierte außerordentliche Revision.

13       4. Bereits am 30. Juli 2015 und am 4. September 2015 waren von der Erstrevisionswerberin bei der Baubehörde Bauansuchen um Änderung des bewilligten Bauvorhabens eingebracht worden; unter anderem war die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung des erwähnten Rücksprunges in der südlichen Brandwand des Bauvorhabens beantragt worden.

14       Die beantragte Änderungsbewilligung war der Erstrevisionswerberin mit Bescheid der belangten Behörde vom 26. Februar 2018 unter Vorschreibung näher bezeichneter Auflagen erteilt worden. Dieser Bescheid war jedoch vorerst - und auch im Zeitpunkt der Erlassung der beiden in Rede stehenden, angefochtenen Erkenntnisse des LVwG vom 26. April 2018 - aufgrund einer Beschwerde der mitbeteiligten Parteien nicht in Rechtskraft erwachsen.

15       Die von den mitbeteiligten Parteien gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des LVwG vom 13. März 2019 mit verschiedenen Maßgaben hinsichtlich der dem Erkenntnis zugrunde gelegten Planunterlagen und der Ausgestaltung der Brandwand im Untergeschoss als unbegründet abgewiesen.

16       In der Begründung dieses Erkenntnisses führte das LVwG insbesondere aus, das Wohngebäude der mitbeteiligten Parteien sei rechtmäßiger Bestand im Sinne des § 40 Abs. 1 Stmk. BauG. Der Dachvorsprung des Objektes der mitbeteiligten Parteien, welcher in das Baugrundstück rage, verunmögliche den vertikal durchgehenden unmittelbaren Anbau der südlichen Außenmauer des verfahrensgegenständlichen Bauvorhabens und bedinge daher den von den Revisionswerbern bei der Ausführung des Vorhabens vorgenommenen „Rücksprung“ im Bereich dieser Dachtraufe, für welchen mit dem verfahrensgegenständlichen Antrag nachträglich um Bewilligung angesucht worden sei.

17       Die gegen dieses Erkenntnis des LVwG vom 13. März 2019 von den mitbeteiligten Parteien erhobene außerordentliche Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Februar 2020, Ra 2019/06/0092, 0093, zurückgewiesen.

18       5. Mit Eingabe vom 11. Februar 2020 an den Verwaltungsgerichtshof verwiesen die revisionswerbenden Parteien auf die mit Bescheid der belangten Behörde vom 26. Februar 2018 erteilte und konsumierte Änderungsbewilligung (Erkenntnis des LVwG vom 13. März 2019). Im Ergebnis sei die Entscheidung über die Frage des Beseitigungsauftrages und der Nutzungsuntersagung hinfällig, weil zwischenzeitig ein genehmigter Bestand vorliege. Der Rechtsgrund für den Beseitigungsauftrag sowie die Nutzungsuntersagung sei weggefallen.

19       Mit hg. Verfügungen vom 2. März 2020 wurde den revisionswerbenden Parteien Gelegenheit gegeben, zur Frage der Gegenstandslosigkeit der vorliegenden Revisionen, und den anderen Parteien des Verfahrens Gelegenheit gegeben, zu diesem Sachverhalt Stellung zu nehmen.

20       Eine Stellungnahme langte beim Verwaltungsgerichtshof nicht ein.

21       6. Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist die Revision nach Anhörung des Revisionswerbers in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde. Diese Bestimmung ist nicht nur auf die Fälle der formellen Klaglosstellung beschränkt. Ein Einstellungsfall (wegen Gegenstandslosigkeit) liegt insbesondere auch dann vor, wenn der Revisionswerber kein rechtliches Interesse mehr an einer Sachentscheidung des Gerichtshofes hat.

22       Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes versteht, wie sich § 33 Abs. 1 VwGG entnehmen lässt, der Gesetzgeber das Rechtsschutzbedürfnis (Rechtsschutzinteresse) als Prozessvoraussetzung für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof. Liegt diese Voraussetzung schon bei Einbringung einer Revision nicht vor, ist diese unzulässig. Fällt diese Voraussetzung erst nach Einbringung einer zulässigen Revision weg, so führt dies zu einer Einstellung des Verfahrens.

23       Das Rechtsschutzinteresse ist immer dann zu verneinen, wenn es (aufgrund der geänderten Umstände) für die Rechtsstellung des Revisionswerbers keinen Unterschied mehr macht, ob die angefochtene Entscheidung aufrecht bleibt oder aufgehoben wird bzw. wenn die Erreichung des Verfahrenszieles für ihn keinen objektiven Nutzen hat, die in der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen somit insoweit nur (mehr) theoretische Bedeutung besitzen. Der Verwaltungsgerichtshof ist, wenn er zur Erkenntnis gelangt, dass der Revisionswerber durch die angefochtene Entscheidung unabhängig von der Frage ihrer Gesetzmäßigkeit in seinem Recht nicht verletzt sein kann, zu einer rein abstrakten Prüfung der Rechtmäßigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht berufen (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 25.9.2018, Ra 2016/05/0011, mwN).

24       In den Revisionsfällen ist eine zur Verfahrenseinstellung führende Gegenstandslosigkeit eingetreten, weil durch Änderung maßgebender Umstände das rechtliche Interesse der revisionswerbenden Parteien an der Entscheidung weggefallen ist. Aufgrund der - nach Erlassung der gegenständlich angefochtenen Erkenntnisse - eingetretenen Rechtskraft der der Erstrevisionswerberin erteilten Änderungsbewilligung vom 26. Februar 2018 (Erkenntnis des LVwG vom 13. März 2019; beinhaltend die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung des erwähnten Rücksprunges in der südlichen Brandwand des Bauvorhabens), somit der Erteilung der Baubewilligung für jenes Vorhaben, welches den Gegenstand des Beseitigungsauftrages und des Benützungsverbotes bildete, ist ein Vollzug sowohl des Beseitigungsauftrages als auch des Benützungsverbotes ausgeschlossen. Die Vollstreckung dieser Entscheidungen ist wegen wesentlicher Änderung der Sachlage unzulässig (vgl. dazu VwGH 20.9.2005, 2002/05/0822; VwGH 12.8.2014, 2011/06/0126; VwGH 25.9.2018, Ra 2016/05/0011, jeweils mwN).

25       Im Hinblick darauf ist nicht ersichtlich, dass einer meritorischen Entscheidung in den vorliegenden Fällen noch praktische Bedeutung zukäme. Wie bereits erwähnt, ist der Verwaltungsgerichtshof zur Klärung von bloß theoretischen Rechtsfragen nicht berufen. Dies gilt auch dann, wenn die einem Revisionsfall zugrunde liegende Rechtsfrage für künftige Verwaltungsverfahren bzw. verwaltungsgerichtliche Verfahren von Interesse ist (vgl. erneut VwGH 25.9.2018, Ra 2016/05/0011, mwN).

26       Die Revision zu Ra 2018/06/0117 bis 0126 und die Revision zu Ra 2018/06/0127 bis 0136 waren daher in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und die Revisionsverfahren einzustellen.

27       Gemäß § 58 Abs. 2 VwGG ist der nachträgliche Wegfall des Rechtsschutzinteresses bei der Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu berücksichtigen. Würde die Entscheidung über die Kosten einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern, so ist darüber nach freier Überzeugung zu entscheiden.

28       In den Revisionsfällen kann ohne unverhältnismäßigen Prüfungsaufwand nicht gesagt werden, wie die verwaltungsgerichtlichen Verfahren ausgegangen wären, wären die Revisionen nicht gegenstandslos geworden. Ein Kostenzuspruch findet daher nicht statt.

Wien, am 22. Juli 2020

Schlagworte

Baubewilligung BauRallg6

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018060117.L00

Im RIS seit

28.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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