TE Vwgh Beschluss 2020/8/5 Ra 2020/22/0139

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Veröffentlicht am 05.08.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

B-VG Art133 Abs4
NAG 2005 §11 Abs1 Z5
NAG 2005 §11 Abs2 Z4
NAG 2005 §11 Abs3
NAG 2005 §11 Abs5
NAG 2005 §21 Abs1
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, in der Revisionssache des S S, vertreten durch Mag.a Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunnerstraße 26/3, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 21. Oktober 2019, VGW-151/044/10811/2019-15, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4        Der Revisionswerber, ein indischer Staatsangehöriger, verfügt seit dem Jahr 2014 über einen Aufenthaltstitel in Italien, der verlängert werden kann. Am 29. April 2019 stellte er persönlich beim Landeshauptmann von Wien (Behörde) einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Zusammenführende ist seine Ehefrau, eine österreichische Staatsbürgerin, die er am 4. Jänner 2019 geheiratete hatte. Am 2. Mai 2019 wurde die gemeinsame Tochter, ebenfalls österreichische Staatsbürgerin, geboren.

5        Mit Bescheid vom 17. Juli 2019 wies die Behörde den Antrag des Revisionswerbers wegen unzulässiger Inlandsantragstellung gemäß § 21 Abs. 1 NAG und wegen unzureichender Unterhaltsmittel gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG ab.

6        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien (VwG) die Beschwerde - nach Durchführung einer Verhandlung - als unbegründet ab und erklärte eine ordentliche Revision für unzulässig.

Begründend führte das VwG zusammengefasst aus, der Revisionswerber habe zwar zulässigerweise am 29. April 2019 den gegenständlichen Antrag im Inland gestellt, danach aber die höchstens zulässige visumfreie Aufenthaltsdauer gemäß Art. 6 des Schengener Grenzkodex überschritten und dadurch den Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG verwirklicht.

Im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG berücksichtigte das VwG zu Gunsten des Revisionswerbers sein Familienleben mit seiner Ehefrau, seiner Tochter und seiner Stieftochter, sein Sprachzertifikat (Niveau A2), einen Vorvertrag für eine Vollzeitbeschäftigung als Küchenhelfer sowie seine wiederholten Aufenthalte in Österreich, deren Dauer insgesamt aber weit unter fünf Jahren liege. Dem hielt es entgegen, dass der Revisionswerber bereits im Jahr 2017 seine visumfreie Aufenthaltsdauer deutlich überschritten habe, in Italien familiär, sozial und wirtschaftlich eingebunden sowie zeitweise geringfügig beschäftigt sei. Weiter führte das VwG aus, dass die österreichischen Angehörigen bei Nichterteilung eines Aufenthaltstitels an den Revisionswerber keinesfalls gezwungen wären, das Bundesgebiet zu verlassen, und beurteilte auch das Kindeswohl der Tochter sowie der Stieftochter nicht als gefährdet, zumal sich der Revisionswerber „unter Beachtung der Dreimonatsregel bis zu einem halben Jahr pro Jahr im Inland aufhalten“ könne und es ihm zuzumuten sei, einen Antrag imAusland zu stellen oder nach einer zulässigen Inlandsantragstellung die Entscheidung in Italien abzuwarten.

7        In der Zulässigkeitsbegründung wendet sich der Revisionswerber gegen die Interessenabwägung (Hinweis auf VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0271, betreffend die Trennung von einem österreichischen oder in Österreich dauerhaft niedergelassenen Ehepartner) und rügt, das VwG habe sich nicht ausreichend mit dem Kindeswohl auseinandergesetzt (Hinweis auf VwGH 30.6.2015, Ra 2015/21/0059 bis 0062).

8        Dazu ist zunächst auszuführen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen, wenn sie - wovon auch hier auszugehen ist - auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfolgte, nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. VwGH 3.6.2020, Ra 2019/22/0193, Rn. 15, mwN).

Eine solche Unvertretbarkeit wurde im gegenständlichen Fall nicht aufgezeigt. Der Revisionswerber kann sich im Rahmen der Regelungen des Schengener Grenzkodex für bestimmte Zeiträume rechtmäßig in Österreich aufhalten und seine Familie kann ihn auch jederzeit in Italien besuchen.

Der gegenständlich zu beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich somit wesentlich von jenem, der dem hg. Erkenntnis Ra 2016/21/0271 (betreffend eine aufenthaltsbeendende Maßnahme, die eine dauerhafte Trennung der Familienangehörigen zur Folge hätte, zumal die Führung eines gemeinsamen Familienlebens in Pakistan als unzumutbar beurteilt und ein solches in Serbien nicht geprüft wurde) zugrunde lag.

Mit dem Hinweis auf Ra 2015/21/0059 bis 0062 vermag der Revisionswerber auch kein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von der hg. Rechtsprechung aufzuzeigen. Mit dem zitierten Beschluss wurde die Revision betreffend die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen samt Festsetzung einer Ausreisefrist und Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung einer Familie aus der Russischen Föderation zurückgewiesen, wobei die Interessenabwägung auch unter Bedachtnahme auf das in der Revision in den Vordergrund gestellte Kindeswohl nicht beanstandet wurde. Daraus ist für den Revisionswerber nichts zu gewinnen.

9        In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher zurückzuweisen.

Wien, am 5. August 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220139.L00

Im RIS seit

28.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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