Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Dr. Herwig Hasslacher, Rechtsanwalt in Villach, gegen die beklagte Partei K***** GmbH & Co KG, D-*****, vertreten durch Mag. Dr. Hans Herwig Toriser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 5.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 100 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 20. März 2020, GZ 2 R 186/19h-45, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Villach vom 29. August 2019, GZ 43 C 282/18a-34, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 497,73 EUR (darin 79,47 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der Kläger kaufte am 12. 9. 2018 eine von der Beklagten hergestellte Stufenstehleiter. Die Leiter war im Zeitpunkt des Kaufs zusammengeklappt und mit durchsichtigem Plastik foliert. Auf der Unterseite der obersten breiten Trittfläche (fünfte Stufe) befand sich eine zusammengefaltete, an der Leiter angeklammerte Benutzerinformation in mehreren Sprachen. Der deutschsprachige Text war im angehefteten Zustand an der Leiter von außen sichtbar. Unter Punkt „3. Benutzung der Leiter“ war festgehalten: „d) Stehleitern nicht zum Aufsteigen auf eine andere Ebene benutzen“. Auf der Unterseite der Leiter waren 27 Piktogramme angebracht, die in der Benutzerinformation ebenfalls abgebildet und mit Nummern versehen waren. Das mit 3. d) gekennzeichnete Piktogramm verbat das Übersteigen von der Leiter auf eine andere Trittfläche. Die Piktogramme waren vor dem Auseinanderklappen der Leiter von außen deutlich sichtbar.
Der Kläger stellte die Leiter erstmals am 21. 9. 2018 (seitlich und unmittelbar anschließend) vor einer Belagsbühne auf, um sie zum Auf- und Absteigen auf die Belagsbühne zu verwenden. Beim Auspacken der Leiter nahm er sowohl die Piktogramme als auch die Benutzerinformation wahr, studierte jedoch weder die Piktogramme noch las er die Benutzerinformation durch. Der Kläger benützte die Leiter ca vier bis fünf Mal zum Auf- und Absteigen auf das Baugerüst. Als er dann wieder vom Baugerüst auf die Stehleiter steigen wollte, hielt er sich mit seiner rechten Hand am oberen Rundbügel der Leiter fest und stieg gleichzeitig mit seinem rechten Fuß in Richtung oberste (fünfte) Stufe zur Leiter. Dabei übte er einen solchen seitlichen Druck auf die Leiter aus, dass diese seitlich wegkippte und der Kläger zu Boden stürzte. Durch die seitliche Belastung im Zeitpunkt des Übersteigens, was zum Umkippen der Leiter führte, wurde gleichzeitig auf den Leiterholm ein solcher Druck ausgeübt, dass dieser knickte.
Der Kläger begehrte von der Beklagten – gestützt auf das PHG – die Zahlung von Schmerzengeld für die beim Unfall vom 21. 9. 2018 erlittenen Verletzungen und die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche Unfallfolgen.
Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren übereinstimmend ab.
Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht für zulässig erklärt, weil der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 2 Ob 249/02k in einem zumindest annähernd vergleichbaren Fall das Vorliegen eines Instruktionsfehlers bejaht habe.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist entgegen dem – nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
1. Bei den Produktfehlern ist nach der Rechtsprechung zwischen Konstruktionsfehlern, Produktionsfehlern und Instruktionsfehlern zu unterscheiden. Beim Konstruktionsfehler ist die Enttäuschung der Sicherheitserwartung im technischen Konzept begründet. Beim Produktionsfehler (Fabrikationsfehler) entspricht zwar das Konzept und das danach hergestellte „idealtypische Produkt“ den Erwartungen, nicht aber einzelne Stücke, weil der Produktionsprozess nicht normgerecht war. Beim Instruktionsfehler macht nur die unzureichende Darbietung das Produkt fehlerhaft (RIS-Justiz RS0107606). Ob die maßgebenden Sicherheitserwartungen erfüllt sind bzw ob und welche Produktinstruktionen erforderlich sind, entscheidet sich regelmäßig nach der Kasuistik des Einzelfalls (RS0107610 [T10; T12]; RS0071549 [T5]). Diese Fragen begründen daher – ausgenommen den Fall einer hier nicht vorliegenden korrekturbedürftigen Fehlbeurteilung – keine erhebliche Rechtsfrage.
2.1 Es trifft zu, dass der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 2 Ob 249/02k einen Instruktionsfehler bejaht hat, weil das der dortigen Steh- und Schiebeleiter mit zwei Perlongurten zur Spreizsicherung beigefügte Piktogramm nicht ausreichte, um den durchschnittlichen Produktbenützer vor der bekannten Gefahr aus der dynamischen Belastung bei nicht optimaler Spannung der Gurtenbänder zu warnen. Inwieweit diese Ausführungen des Obersten Gerichtshofs zu einer anderen Leiter und zu einem anderen Piktogramm im Zusammenhang mit einer ganz anderen Gefahr als hier aber auf den Anlassfall übertragbar sein sollten, erschließt sich weder aus der Revision noch aus der Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts.
2.2 Der Revisionswerber meint, dass das gegenständliche Piktogramm keinesfalls allgemein verständlich und klar sei, weil dort nur eine normale Stehleiter und keine Stehleiter mit Podest, wie der Kläger sie erworben habe, abgebildet sei. Außerdem werde nicht vor einem seitlichen Übersteigen, wie es der Kläger praktiziert habe, gewarnt.
Der Kläger lässt nicht nur die schriftliche Erläuterung „Stehleitern nicht zum Aufsteigen auf eine andere Ebene benutzen“ in der Benutzerinformation außer Acht, die durch die Kennzeichnung mit 3. d) leicht dem dazugehörigen Piktogramm zugeordnet werden kann. Er verkennt auch das Wesen von Piktogrammen, die Informationen durch vereinfachte grafische Darstellung vermitteln. Weder mit seiner Beobachtung, dass die stilisierte Stehleiter im Piktogramm kein Podest aufweist, noch mit seinem Einwand, dass nicht speziell vor einem seitlichen Übersteigen, sondern nur vor einem Übersteigen ganz allgemein gewarnt wird, womit eben jede Form des Übersteigens zu unterlassen ist, weckt der Kläger Bedenken an der Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Instruktion im Anlassfall ausreichend war. Daran ändert auch nichts, dass die Beklagte nicht explizit auf die Gefahr des Einknickens des Leiterholms durch das Übersteigen hingewiesen hat. Das Einknicken des Leiterholms war nach den Feststellungen Folge des mit dem Übersteigens auf die Leiter ausgeübten seitlichen Drucks, womit sich gerade ein Risiko verwirklichte, dem das Verbot begegnen sollte.
2.3 Des vom Revisionswerber angeregten Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH bedarf es nicht, zumal die Fragestellung in Wahrheit nicht auf die Auslegung der DIN-EN131-3 abzielt. Vielmehr will der Kläger (unter vollständiger Ausklammerung der ebenfalls auf diese Europäische Norm zurückgehenden Erläuterungen in der Benutzerinformation) den Bedeutungsinhalt einzelner auf der Leiter angebrachter Piktogramme im konkreten Rechtsstreit durch den EuGH geklärt haben (zur Entscheidungsbefugnis des EuGH s auch Schima in Mayer/Stöger, EUV/AEUV Art 267 AEUV Rz 40).
3. Auch die Ansicht der Vorinstanzen, der Kläger habe keinen Konstruktions- bzw Produktionsfehler nachgewiesen, hält sich im Rahmen der gesicherten Rechtsprechung: Nach den Feststellungen war das Einknicken des Holmes an jener Stelle, an der das Sicherheitsgurtband angebracht war und der Holm durch die notwendige Bohrung für das Annieten des Bandes eine Schwachstelle aufwies, Folge des (verbotenen) Übersteigens. Die mechanischen Werte im Bereich des eingeknickten Holmes entsprachen – wie sich anlässlich der nachträglichen technischen Überprüfung herausstellte – der Normvorgabe. Damit ist die Fehlerfreiheit des Produkts indiziert (vgl RS0110464). Dagegen führt der beweispflichtige (vgl RS0117103) Kläger nur die durch keine Feststellungen gedeckte Behauptung ins Treffen, ein Konstruktionsfehler liege vor und ein Produktionsfehler sei nicht auszuschließen.
4. Ein angeblicher Mangel im erstinstanzlichen Verfahren, der in der Berufung zwar geltend gemacht, vom Berufungsgericht aber verneint wurde, kann nicht mehr in der Revision gerügt werden, außer das Berufungsgericht hat infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen (RS0042963 [T52]). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Ob ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden soll, ist zudem eine Frage der Beweiswürdigung und daher nicht revisibel (RS0043320).
5. Insgesamt gelingt es dem Kläger nicht, eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, die die Revision zulässig machen würde, aufzuzeigen. Die Revision war daher zurückzuweisen.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision des Klägers in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]). Da die Beklagte ihren Sitz in Deutschland hat, ist bei den begehrten Rechtsanwaltskosten lediglich die in Deutschland zu entrichtende Umsatzsteuer (19 %) zuzusprechen (RS0114955 [T10]).
Textnummer
E128886European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0080OB00035.20K.0629.000Im RIS seit
25.08.2020Zuletzt aktualisiert am
24.06.2021