Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Roch als Vorsitzenden sowie den Hofrat Priv.-Doz. Dr. Rassi und die Hofrätinnen Mag. Korn, Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Dr. Britta Schönhart-Loinig, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. A*****, vertreten durch Dr. Anika Loskot, Rechtsanwältin in Wien, als Kammerkommissärin gemäß § 34a RAO für Mag. Kurt Decker, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unzulässigkeit einer Exekution, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 5. April 2020, GZ 42 R 396/19z-97, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Akt wird dem Berufungsgericht zur Ergänzung seiner Entscheidung durch einen Bewertungsausspruch zurückgestellt.
Text
Begründung:
Die Parteien sind seit 1970 verheiratet. Der Beklagte zog im Jahr 2000 aus der Ehewohnung in *****straße ***** aus, in der die Klägerin seitdem allein lebt. Betreffend diese Wohnung gab es zahlreiche Rechtsstreitigkeiten. Die vor dem Erstgericht zu AZ 2 C 36/11d erhobene Besitzstörungsklage, mit der der hier Beklagte Besitzstörung an der Ehewohnung durch die hier klagende Partei geltend machte, wurde wegen der (mit dem Auszug des Beklagten verbundenen) Aufgabe seines Besitzes an der Wohnung rechtskräftig abgewiesen. Ebenfalls abgewiesen wurde seine vor dem Erstgericht zu AZ 98 C 8/13w auf jederzeitigen ungehinderten Zutritt zur Ehewohnung und Herausgabe der erforderlichen Schlüssel gerichtete (petitorische) Klage. Dieser Klagsabweisung lag zugrunde, dass die Streitteile ein Alleinbenützungsrecht der Klägerin an der Wohnung vereinbarten; vgl dazu auch die zurückweisende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 7 Ob 139/16s.
Mit einer weiteren Klage in einem Besitzstörungsverfahren (im Folgenden: Titelprozess) machte der hier Beklagte geltend, dass ihm die dort beklagte Klägerin den Zutritt zu seinen in der Wohnung befindlichen Fahrnissen verunmöglicht und ihn dadurch am Besitz an den Fahrnissen gestört habe. In diesem Verfahren schlossen die Streitteile einen Vergleich, in dem sich die Klägerin verpflichtete, dem Beklagten Zutritt zu seinen in „*****straße ***** befindlichen Fahrnissen zu gewähren“. Im Vergleich wurden auch die näheren Modalitäten der Zutrittsgewährung samt einem detailliert geregelten Procedere über die vorherige Kontaktaufnahme geregelt. Mangels Bewertung betrug der Streitgegenstand im Titelprozess 5.000 EUR (§ 56 Abs 2 JN).
Aufgrund des im Titelprozess geschlossenen Vergleichs wurde dem Beklagten im vor dem Erstgericht zu AZ 62 E 4500/15b geführten Exekutionsverfahren nach § 354 EO die Exekution zur Erwirkung der Gewährung des Zutritts zu den Fahrnissen bewilligt. Zudem verhängte das Exekutionsgericht wegen weiterer (Straf-)Anträge des Beklagten mehrere Geldstrafen über die Klägerin.
Mit ihrer mit 5.200 EUR bewerteten exekutionsrechtlichen Klage begehrt die Klägerin zuletzt, dass „der betriebene Anspruch, zu dessen Gunsten … die Exekution bewilligt wurde, hinsichtlich der Strafbeschlüsse ON 9 vom 8. 2. 2016, ON 13 vom 7. 3. 2016 und ON 21 vom 25. 4. 2016 erloschen (ist)“. Sie macht im Wesentlichen geltend, dass sie den Vergleich erfüllt habe. Sie habe dem Beklagten stets den Zugang zu den Fahrnissen gewährt. Dem Beklagten sei von ihr nur der Zugang jener Teile der Wohnung verweigert worden, in denen sich keine Fahrnisse des Beklagten befunden hätten. Sie habe damit nicht gegen ihre Verpflichtungen aus dem Vergleich verstoßen. Zudem sei die Betreibung des Anspruchs wegen Änderung der Verhältnisse schikanös geworden. Der Beklagte habe an den Fahrnissen kein Interesse, arbeite dort etwa mit seinem (mitgebrachten) Laptop, bringe immer neue Gegenstände in die Wohnung und gebärde sich dort als „Hausherr“.
Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Ein Bewertungsausspruch unterblieb.
Dagegen erhob der Beklagte eine „außerordentliche“ Revision, die dem Obersten Gerichtshof unmittelbar vorgelegt wurde.
Rechtliche Beurteilung
Diese Vorgangsweise widerspricht der Rechtslage.
1. Besteht der Entscheidungsgegenstand – wie hier – nicht ausschließlich in einem Geldbetrag, hat das Berufungsgericht nach § 500 Abs 2 ZPO in seinem Urteil einen Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands zu treffen.
2. Ein Bewertungsausspruch hat auch bei der vorliegenden exekutionsrechtlichen Klage zu erfolgen, und zwar unabhängig davon, ob man sie als Oppositionsklage (RS0001567) oder als Impugnationsklage (RS0001005) ansieht.
3. Die allenfalls in Betracht kommende Ausnahme des § 502 Abs 5 Z 1 ZPO, die eine Bewertung nicht erfordert (A. Kodek in Rechberger/Klicka5 § 500 ZPO Rz 8; Pimmer in Fasching/Konecny3 § 500 ZPO Rz 24) liegt hier nicht vor.
3.1 Diese Bestimmung setzt voraus, dass eine im § 49 Abs 1 Z 2a oder Z 2b JN bezeichnete familienrechtliche Streitigkeit vorliegt. Vorliegend kommt allenfalls eine „andere aus dem gegenseitigen Verhältnis der Ehegatten entspringenden Streitigkeit“ (Z 2b leg cit) in Betracht.
3.2 Streitigkeiten aus dem gegenseitigen Verhältnis der Eheleute sind nur solche, die ohne Berücksichtigung der den Ehegatten kraft Gesetzes auferlegten besonderen Rechte und Pflichten nicht zu lösen sind; die Wurzel des konkreten Konflikts muss demnach in einem Meinungsstreit über Rechte und Pflichten liegen, die sich aus dem Eheband der Streitteile ergeben, zumindest muss das Eheverhältnis dafür mitbestimmend sein (4 Ob 190/16v). Ein auch zwischen anderen Personen denkbares Rechtsverhältnis erzeugt keine Streitigkeiten, die für das gegenseitige Verhältnis von Ehepartnern typisch sind (RS0044093; RS0121843; Lovrek in Fasching/Konecny3 § 502 ZPO Rz 216).
3.3 Für die im hier zu beurteilenden Rechtsstreit aufgeworfenen Fragen ist das Eheband der Streitteile nicht maßgeblich, weil auch bei unverheirateten Paaren Streitigkeiten über Fahrnisse einer der Partner denkbar sind.
3.4 Nach der Rechtsprechung fallen unter die Eigenzuständigkeit des § 49 Abs 1 Z 2b JN auch Klagen, die die nach § 97 ABGB besonders geschützte Ehewohnung betreffen (3 Ob 541/91; 4 Ob 206/07h; 6 Ob 136/13p).
3.4.1 Das setzt aber voraus, dass sich der Kläger auf § 97 ABGB stützt (RS0044093 [T25]). Im Titelprozess stützte sich der Beklagte nicht auf § 97 ABGB, seine Ansprüche auf Benützung der Ehewohnung wurden vielmehr in davon getrennten Verfahren (erfolglos) geltend gemacht. Thema des Titelprozesses war der Besitz an seinen Fahrnissen. Besondere aus § 97 ABGB abzuleitende Rechte wurden nicht geltend gemacht. Damit betraf aber der Titelprozess eine Streitigkeit, die auch zwischen nicht verheirateten Paaren bestehen kann (vgl auch die 2 Ob 269/08k [keine Streitigkeit nach § 49 Abs 1 Z 2b JN bei einem Anspruch auf Herausgabe von Fahrnissen]). Daran ändert auch nicht der Umstand, dass sich die Fahrnisse (zufällig) in der Ehewohnung befinden, weil ein Anspruch auf Zugang und Benützung eigener Fahrnisse das Eheband nicht voraussetzt.
4. Wegen des Fehlens des erforderlichen Bewertungsausspruchs sind die Akten dem Berufungsgericht zur Ergänzung seiner Entscheidung zu übermitteln.
Textnummer
E128925European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0030OB00098.20P.0708.000Im RIS seit
27.08.2020Zuletzt aktualisiert am
27.08.2020