TE Vwgh Erkenntnis 2020/8/3 Ra 2020/20/0034

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Veröffentlicht am 03.08.2020
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
FlKonv Art1 AbschnA Z2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des S A in W, vertreten durch DDr. Rainer Lukits, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 2019, L511 2155027-1/48E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung der Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein aus Bagdad stammender irakischer Staatsangehöriger sunnitischer Glaubensrichtung, stellte am 29. März 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, von Angehörigen der schiitischen Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq tätlich angegriffen und zum Tode verurteilt worden zu sein. Alleine wegen seiner Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensrichtung drohe ihm eine asylrelevante Gruppenverfolgung.

2        Mit Bescheid vom 29. März 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei und legte eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Das BVwG erachtete das Vorbringen des Revisionswerbers, wonach es infolge eines persönlichen Rachefeldzuges seines Geschäftspartners zu tätlichen Übergriffen auf den Revisionswerber durch Angehörige der Asa'ib Ahl al-Haqq gekommen sei, als glaubwürdig. Hingegen beurteilte es das Vorbringen, wonach der Revisionswerber auf der Todesliste dieser Miliz aufgeschienen sei und im Jahr 2019 noch aufscheine, mit näherer Begründung als unglaubwürdig. Es traf insbesondere Feststellungen zur Lage der Sunniten, die wie der Revisionswerber einen sunnitisch konnotierten Namen trügen, allgemein im Irak und speziell in Bagdad.

5        Rechtlich folgerte es, dass - wenngleich sich aus den Länderberichten ergebe, dass Sunniten einem Gefährdungspotential unterlägen - sich nicht daraus ergebe, dass im Irak ein Genozid der Sunniten stattfinde. Vor dem länderspezifischen Hintergrund sei nicht ersichtlich, dass der Revisionswerber mit der für die Asylgewährung erforderlichen maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsse, zumal das Aufscheinen auf einer Todesliste der Asa'ib Ahl al-Haqq für unglaubwürdig befunden worden sei und auch keine weiteren Risikofaktoren zur Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensrichtung hinzuträten.

6        Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 11. Dezember 2019, E 4268/2019-5, die Behandlung derselben ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Revision nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten sowie nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8        Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, das BVwG sei von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen abgewichen. Das Erkenntnis enthalte keine nachvollziehbare Begründung, aus welchen Gründen das angenommene Gefährdungspotential für die Annahme einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung nicht ausreiche.

9        Die Revision ist zulässig, sie ist auch begründet.

10       Um den Status eines Asylberechtigten zu erhalten, muss nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dem Revisionswerber bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 17.9.2019, Ra 2019/18/0273, mwN).

11       Das BVwG zitiert in seinen rechtlichen Erwägungen die von ihm getroffenen Länderfeststellungen, wonach in Bagdad die Sicherheitslage für Sunniten überaus fragil sei und die meisten Opfer von Übergriffen, die von Milizen in Bagdad ausgeübt würden, Sunniten seien. Milizen nähmen Menschen in ihren Wohnhäusern fest und betrieben eigene Haftanstalten, in denen Folterungen und Misshandlungen stattfänden, ohne dass es zur Einmischung von Seiten der Behörden komme. Weiter verwies es auf die von ihm getroffenen Feststellungen, wonach im Kontext zielgerichteter Gewalt gegen Sunniten ein sunnitischer Name in manchen Fällen als Todesurteil wahrgenommen werden könne und es Fälle gegeben habe, wo junge Männer mit sunnitischen Namen unter dem Vorwand eines Sicherheitschecks festgenommen worden und in der Folge verschwunden seien. Aus welchen Erwägungen das BVwG in weiterer Folge jedoch die Schlussfolgerung zieht, dass eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit von asylrelevanten Verfolgungshandlungen nicht vorliege, lässt sich der Begründung - wie die Revision zutreffend darlegt - nicht entnehmen. Die zitierten Länderfeststellungen tragen diese Einschätzung jedenfalls nicht ohne Weiteres.

12       Wenn das BVwG das Nichtvorliegen eines Genozids anspricht, ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine derartige Eingriffsintensität nicht vorliegen muss, um eine Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK zu bejahen (vgl. allgemein etwa VwGH 22.5.2018, Ra 2018/18/0220, mwN; zur „Gruppenverfolgung“ vgl. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).

13       Das angefochtene Erkenntnis war im Hinblick auf den dargelegten für den Ausgang des Verfahrens relevanten Begründungsmangel gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften - zur Gänze, weil die rechtlich von der Frage der Zuerkennung von Asyl abhängenden Aussprüche ihre Grundlage verlieren - aufzuheben.

14       Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

15       Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 3. August 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200034.L01

Im RIS seit

03.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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