TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/11 L516 1426806-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.07.2019
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Entscheidungsdatum

11.07.2019

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

L516 1426806-2/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (auch XXXX ), geb. XXXX , StA. Pakistan, vertreten durch Mag. Nikolaus RAST, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.06.2015, XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.06.2019 zu Recht erkannt:

A)

I.

Das Beschwerdeverfahren wird hinsichtlich der Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs 1 iVm § 31 Abs 1 VwGVG eingestellt.

II.

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und es wird festgestellt, dass gemäß § 9 BFA-VG die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig ist.

Gemäß § 55 Abs 1 AsylG wird XXXX (auch XXXX ) der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte am 18.04.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Erstbefragung nach dem Asylgesetz (AsylG) fand dazu am selben Tag statt, eine Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 23.04.2012.

Ein erster Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.04.2012, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers zur Gänze abgewiesen und dieser nach Pakistan ausgewiesen worden war, wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 29.07.2014 gemäß § 28 Abs 3 VwGVG behoben und das Verfahren wurde zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurückverwiesen.

Am 20.08.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem BFA niederschriftlich einvernommen.

Das BFA richtete am 28.01.2015 eine Anfrage an die Staatendokumentation, deren Beantwortung am 04.05.2015 beim BFA einlangte. Die Anfragebeantwortung wurde dem Beschwerdeführer am 01.06.2015 zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt und der Beschwerdeführer äußerte sich dazu mit schriftlicher Stellungnahme vom 11.06.2015

Am 29.05.2015 wurde der Beschwerdeführer vor dem BFA erneut niederschriftlich einvernommen.

Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und (II.) gemäß § 8 Abs 1 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Das BFA erteilte unter einem (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Gleichzeitig wurde vom BFA mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren amtswegig eine juristische Person als Rechtsberater zur Seite gestellt.

Der Beschwerdeführer hat gegen den am 25.06.2015 zugestellten Bescheid am 07.07.2015 Beschwerde erhoben und diesen zur Gänze angefochten.

Das BFA übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht am 20.08.2015 und 07.03.2016 Bescheide des AMS, mit dem für den Beschwerdeführer Beschäftigungsbewilligungen erteilt wurden.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 06.06.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer im Beisein eines Vertreters teilnahm; die belangte Behörde erschien dazu nicht.

Der Beschwerdeführer legte durch seinen ausgewiesenen Vertreter mit Schriftsatz vom 19.06.2019 weitere Dokumente vor und zog gleichzeitig die Beschwerde gegen Spruchpunkt I und II des angefochtenen Bescheides zurück; die Beschwerde gegen Spruchpunkt III jenes Bescheides wurde ausdrücklich aufrechterhalten.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhaltsfeststellungen:

1.1 Der Beschwerdeführer führt in Österreich die im Spruch angeführten Namen und sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan und gehört der Volksgruppe der Belutschen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität steht fest: Der korrekte Name des Beschwerdeführers lautet XXXX ; geboren ist er am XXXX (Verwaltungsverfahrensakt des BFA, Aktenseiten (AS) 23, 47; pakistanischer Reisepass; Identity Card).

1.2 Der Beschwerdeführer stammt ursprünglich aus XXXX in der Provinz Belutschistan, besuchte acht Jahre die Schule und reiste im 2012 aus Pakistan aus. Seine Eltern sind verstorben. Drei Schwestern des Beschwerdeführers leben in Belutschistan, zwei in Karachi; vier von den Schwestern sind verheiratet. Zwei Brüder leben und arbeiten in Karachi und sind verheiratet. Der Beschwerdeführer steht mit seinen Geschwistern in Pakistan in telefonischem Kontakt. Ein weiterer Bruder des Beschwerdeführers namens XXXX , geb XXXX , lebt in XXXX , ist verheiratet und Vater eines neunjährigen Sohnes und verfügt seit 11.11.2015 über eine bis November 2025 gültige Daueraufenthaltskarte.

1.3 Der Beschwerdeführer reiste am 18.04.2012 in das Bundesgebiet ein und hält sich seither ununterbrochen in Österreich auf. Gegenständlich handelt es sich um den einzigen Antrag auf internationalen Schutz, sein Aufenthalt ist seither rechtmäßig. Im ersten Verfahrensgang wurde eine negative Entscheidung des BFA schon einmal aufgehoben. Er hat von Beginn seines Verfahrens an sämtlichen Ladungen Folge geleistet und an seinen Verfahren mitgewirkt.

1.4 Der Beschwerdeführer ist gesund. Er ist seit Februar 2013 nicht mehr auf Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde angewiesen. Er war bereits seit August 2015 in drei Saisonen im Rahmen von Kontingentbewilligungen in einem Gastronomiebetrieb als Küchengehilfe sozialversicherungspflichtig unselbstständig beschäftigt. Aktuell ist der Beschwerdeführer seit August 2016 als Reklameverteiler selbstständig sozialversicherungspflichtig erwerbstätig. Der Beschwerdeführer hat sich während seines Aufenthaltes in Österreich eine eigene Existenz aufgebaut, bezahlt für seine Unterkunft Miete und ist sohin selbsterhaltungsfähig, arbeitsfähig und -willig. Der Beschwerdeführer verfügt auch eine aktuelle Einstellungszusage eines in XXXX ansässigen Gastronomiebetriebes als Küchenhilfe im Ausmaß einer Vollbeschäftigung vom 18.06.2019. Daneben betätigt sich der Beschwerdeführer ehrenamtlich bei der Caritas und verteilt im Zuge dessen Essen an hilfsbedürftige Personen. Der Beschwerdeführer hat einen österreichischen und internationalen Freundeskreis aufgebaut. Er hatte auch bereits kurzfristig eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsangehörigen, mit welcher der Beschwerdeführer auch nach der Trennung nach wie vor befreundet ist. Er kümmert sich des Weiteren häufig als Onkel um seinen Neffen, dem Sohn seines in Österreich daueraufenthaltsberechtigten Bruders, spielt mit ihm und bringt ihn auch zur Schule.

1.5 Der Beschwerdeführer hat am XXXX 2016 die Prüfung ÖSD Zertifikat A2 für die deutsche Sprache bestanden; er kann sich verständlich in deutscher Sprache verständigen.

1.6 Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

2. Die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen:

2.1 Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Identität des Beschwerdeführers (oben II.1.1.) ergeben sich im Einklang mit seinen Angaben im Verfahren, welche insofern stringent waren und an denen auf Grund der Sprachkenntnisse auch nicht zu zweifeln war. Der festgestellte Name XXXX und das ebenso festgestellte Geburtsdatum XXXX beruhen auf den mit Schriftsatz vom 19.06.2019 von seinem rechtsfreundlichen Vertreter vorgelegten Kopien seines gültigen pakistanischen Reisepasses und seiner "National Identity Card Overseas Pakistanis" (OZ 18). Seine Identität steht somit fest. Der im Verfahren bisher angenommene Familienname XXXX bezeichnet die Volksgruppe, welcher der Beschwerdeführer angehört, der bisherige Vorname XXXX stellt eine weitere Transkriptionsmöglichkeit des pakistanischen Namens XXXX dar. Die unterschiedliche Namensführung im Verfahren ergibt sich aus der in Pakistan unterschiedlich zulässigen Namensführung (UK, A Guide to Names and Naming Practices, 2006, www.fbiic.gov/public/2008/nov/Naming_practice_guide_UK_2006.pdf).

2.2 Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu den Lebensverhältnissen in Pakistan, seiner Ausreise aus Pakistan und zu seinen Familienangehörigen (oben 1.2) beruhen auf seinen Angaben im ersten Verfahren vor dem BFA und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung (Niederschrift 29.05.2015, Aktenseiten (AS) 375, 377; Verhandlungsschrift 06.06.2019 (VHS), S 9 f) sowie auf den Eintragungen im Zentralen Melderegister (ZMR) und Zentralen Fremdenregister (IZR) zum Bruder des Beschwerdeführers), welche insofern stringent waren und keine Anhaltspunkte für die Annahme boten, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich falsche Angaben gemacht hätte.

2.3 Die Feststellungen zur Einreise und zur Aufenthaltsdauer in Österreich sowie zum gestellten Antrag auf internationalen Schutz (oben 1.3) ergeben sich aus dem Inhalt des vom BFA vorgelegten Verwaltungsverfahrensaktes und dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes im Einklang mit den Eintragungen im Zentralen Fremdenregister.

2.4 Die Feststellung zu den Lebensverhältnissen des Beschwerdeführers und seinen Privat- und Familienleben in Österreich (oben 1.4), ergeben sich aus seinen diesbezüglichen Angaben im Zuge der mündlichen Verhandlung am 06.06.2019, die insoweit konsistent und widerspruchsfrei waren sowie im Einklang mit den Eintragungen im elektronischen Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich (GVS), den vorliegenden erteilten Beschäftigungsbewilligung des AMS und dem aktuellen Sozialversicherungsdatenauszug stehen und daher von ihm glaubhaft gemacht werden konnten (OZ 3, 7, 16, 18; VHS, S 5, 6-10; Beilage zur VHS).

2.5 Die Feststellungen zur erfolgreich absolvierten Deutschprüfung und den vorhandenen Deutschkenntnissen (oben 1.5) beruhen auf dem in der mündlichen Verhandlung im Original vorgelegten und in Kopie zum Akt genommenen Zertifikat und dem in der mündlichen Verhandlung ohne Dolmetscher in deutscher Sprache geführten Gesprächsabschnitt. Der Beschwerdeführer verstand alle ihm in der Verhandlung in deutscher Sprache gestellten Fragen sofort. Er konnte diese auch ohne zu zögern, wenn auch manchmal durch Nachfragen des Bundesverwaltungsgerichtes, verständlich beantworten (VHS, S 5, 6).

2.6 Die strafrechtliche Unbescholtenheit (oben 1.6) ergibt aus einer aktuellen Einsichtnahme in Strafregister der Republik Österreich.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Spruchpunkt I

Zur Einstellung des Verfahrens zu den Spruchpunkten I und II des angefochtenen Bescheides

3.1 Der Beschwerdeführer hat durch seinen ausgewiesenen Vertreter mit Schriftsatz vom 19.06.2019 ausdrücklich und unmissverständlich erklärt, die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheides des BFA zurückzuziehen (OZ 18). Diese Erklärung weist auch keine Hinweise auf das Vorliegen von Willensmängeln auf (vgl VwGH 17.10.2013, 2011/21/0140; 17.04.2009, 2007/03/0040; 31.05.2006, 2006/10/0075; 11.07.2003, 2000/06/0173).

3.2 Die Zurückziehung der Beschwerde zu den Spruchpunkten I und II bewirkt, dass Spruchpunkte I und II des gegenständlich angefochtenen Bescheides des BFA in Rechtskraft erwachsen sind, weshalb das Beschwerdeverfahren hinsichtlich Spruchpunkte I und II des Bescheides des BFA spruchgemäß einzustellen war (vgl VwGH 29.04.2015, Fr 2014/20/0047).

Spruchpunkt II

Stattgabe der Beschwerde gegen Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides, Feststellung, dass gemäß § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, Erteilung des Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten.

Rechtsgrundlagen

3.3 Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

3.4 Gemäß § 52 Abs 9 FPG ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

3.5 Gemäß § 55 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. (Abs 1) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird. (Abs 1a) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. (Abs 2) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt. (Abs 3) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde. (Abs 4)

3.6 Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG idgF die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

3.7 Gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war; 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens; 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; 4. der Grad der Integration; 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden; 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit; 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts; 8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren; 9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

3.8 Gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

3.9 Gemäß § 55 Abs 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1.) dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und 2.) der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl I Nr 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl Nr 189/1955) erreicht wird. Gemäß Abs 2 ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs 1 Z 1 vorliegt.

3.10 Gemäß § 81 Abs 36 NAG gilt das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I Nr 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl I Nr 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren. Die §§ 7 bis 16 Integrationsgesetz, BGBl I Nr 68/2017, mit Ausnahme von § 13 Abs. 2 traten mit 1. Oktober 2017 in Kraft.

Zum gegenständlichen Verfahren

3.11 Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung dieser Maßnahme gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG 2014 (nur) zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0041).

3.12 Folgende Umstände - zumeist in Verbindung mit anderen Aspekten - stellen Anhaltspunkte dafür dar, dass der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit zumindest in gewissem Ausmaß genützt hat, um sich zu integrieren: Erwerbstätigkeit des Fremden (vgl. E 26. Februar 2015, Ra 2014/22/0025; E 18. Oktober 2012, 2010/22/0136; E 20. Jänner 2011, 2010/22/0158), das Vorhandensein einer Beschäftigungsbewilligung (vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253), eine Einstellungszusage (vgl. E 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0165; E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082), das Vorhandensein ausreichender Deutschkenntnisse (vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253; E 14. April 2016, Ra 2016/21/0029 bis 0032), familiäre Bindungen zu in Österreich lebenden, aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen (vgl. E 23. Mai 2012, 2010/22/0128; (betreffend nicht zur Kernfamilie zählende Angehörige) E 9. September 2014, 2013/22/0247), ein Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich bzw. die Vorlage von Empfehlungsschreiben (vgl. E 18. März 2014, 2013/22/0129; E 31. Jänner 2013, 2011/23/0365), eine aktive Teilnahme an einem Vereinsleben (vgl. E 10. Dezember 2013, 2012/22/0151), freiwillige Hilfstätigkeiten (vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253), ein Schulabschluss (vgl. E 16. Oktober 2012, 2012/18/0062) bzw. eine gute schulische Integration in Österreich (vgl. E, 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253; E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082) oder der Erwerb des Führerscheins (vgl. E 31. Jänner 2013, 2011/23/0365) (VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005).

3.13. Fallbezogen sprechen zunächst gegen den weiteren Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich und für die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung die Umstände, dass der Beschwerdeführer im April 2012 unrechtmäßig in Österreich eingereist ist und sein Aufenthaltsstatus grundsätzlich ein unsicherer war. Für den Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich spricht demgegenüber nach dem festgestellten Sachverhalt, dass sich der Beschwerdeführer seit April 2012 und sich somit seit über sieben Jahren und drei Monaten ununterbrochen in Österreich aufhält, zudem durchgehend rechtmäßig. Der Beschwerdeführer hat von Beginn seines Verfahrens an sämtlichen Ladungen Folge geleistet und an seinen Verfahren mitgewirkt, weshalb ihm die bisherige Verfahrensdauer nicht anzulasten ist. Sein Aufenthaltsstatus ist zwar grundsätzlich ein unsicherer, aber aufgrund der bereits einmal im ersten Verfahrensgang erfolgreich erhobenen Beschwerde und der damit erfolgten Aufhebung des ersten Bescheides des BFA musste der Beschwerdeführer nicht damit rechnen, dass er jedenfalls eine negative Entscheidung in seinem Verfahren erhalten würde. Gegenständlich handelt es sich auch um seinen einzigen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer ist gesund. Er ist seit Februar 2013 nicht mehr auf Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde angewiesen. Er war bereits seit August 2015 in drei Saisonen im Rahmen von Kontingentbewilligungen in einem Gastronomiebetrieb als Küchengehilfe sozialversicherungspflichtig unselbstständig beschäftigt. Aktuell ist der Beschwerdeführer seit August 2016 als Reklameverteiler selbstständig sozialversicherungspflichtig erwerbstätig. Der Beschwerdeführer hat sich während seines Aufenthaltes in Österreich eine eigene Existenz aufgebaut, bezahlt für seine Unterkunft Miete und ist sohin selbsterhaltungsfähig, arbeitsfähig und -willig. Der Beschwerdeführer verfügt auch eine aktuelle Einstellungszusage eines in Wien ansässigen Gastronomiebetriebes als Küchenhilfe im Ausmaß einer Vollbeschäftigung vom 18.06.2019. Daneben betätigt sich der Beschwerdeführer ehrenamtlich bei der Caritas und verteilt im Zuge dessen Essen an hilfsbedürftige Personen. Der Beschwerdeführer hat einen österreichischen und internationalen Freundeskreis aufgebaut. Er hatte auch bereits kurzfristig eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsangehörigen, mit welcher der Beschwerdeführer auch nach der Trennung nach wie vor befreundet ist. Er kümmert sich des Weiteren häufig um den Sohn seines in Österreich daueraufenthaltsberechtigten Bruders, spielt mit ihm und bringt ihn auch zur Schule. Der Beschwerdeführer hat die zertifizierte Deutschprüfung für das Niveau A2 bestanden und kann sich auch auf Deutsch selbst in einer Gerichtsverhandlung verständlich ausdrücken. Auch wenn der Beschwerdeführer zu seinen in Pakistan lebenden weiteren Geschwistern noch telefonischen Kontakt hat, so hat er mittlerweile doch seinen Lebensmittelpunkt, seine Freunde sowie Bekannte in Österreich. Das Bundesverwaltungsgericht gelangt daher schließlich im konkret zu beurteilenden Fall aufgrund des in der mündlichen Verhandlung am 06.06.2019 verschafften persönlichen Eindrucks hinsichtlich der bereits erfolgreich erfolgten Integration des Beschwerdeführers in die österreichische Gesellschaft zu einer positiven Zukunftsprognose und zu dem festgestellten Sachverhalt.

In Anbetracht der gegenständlichen Umstände überwiegt das private Interesse des Beschwerdeführers an der Fortführung seines Privatlebens in Österreich das öffentliche Interesse an einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme. Es ist auch keine ausreichende Rechtfertigung zu erkennen, warum öffentliche Interessen es zwingend erfordern würden, dass der Beschwerdeführer Österreich verlassen müsste.

3.14 Im Ergebnis ergibt sich daraus, dass unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles den privaten Interessen des Beschwerdeführers ein so großes Gewicht zukommt, dass die Auswirkungen der aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Es erweist sich daher die im angefochtenen Bescheid angeordnete aufenthaltsbeendende Maßnahme als unzulässig und eine Rückkehrentscheidung daher auf Dauer unzulässig.

3.15 Der Beschwerdeführer hat am XXXX die Prüfung ÖSD Zertifikat A2 für die deutsche Sprache bestanden. Gemäß § 81 Abs 36 NAG gilt das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I Nr 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl I Nr 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren. Die §§ 7 bis 16 Integrationsgesetz, BGBl I Nr 68/2017, mit Ausnahme von § 13 Abs 2 traten mit 1. Oktober 2017 in Kraft.

3.16 Es war daher im Ergebnis spruchgemäß der Beschwerde gegen Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides stattzugeben, festzustellen, dass gemäß § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, sowie dem Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs 1 Z 2 AsylG den Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten zu erteilen.

Zu B)

Revision

3.17 Da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage klar bzw durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist, ist die Revision nicht zulässig.

3.18 Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asylverfahren Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltsdauer Aufenthaltstitel Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK Interessenabwägung Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Selbsterhaltungsfähigkeit selbstständig Erwerbstätiger Teileinstellung teilweise Beschwerderückziehung Zukunftsprognose

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L516.1426806.2.00

Im RIS seit

19.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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