Entscheidungsdatum
15.07.2019Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
L519 2221089-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Isabella Zopf als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. Türkei, vertreten durch LANDL & EDELMANN Rechtsanwaltspartnerschaft, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 5.6.2019, Zl. 142239408-190100236, betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot in der Dauer von 10 Jahren zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird in allen Spruchpunkten als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE :
I. Verfahrensgang
I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als BF bezeichnet), ist Staatsangehöriger der Republik Türkei und somit Drittstaatsangehöriger. Er wurde am XXXX in Österreich geboren und hat hier die Schule besucht. Er verfügt über einen Aufenthaltstitel Daueraufenthalt-EU, gültig bis XXXX.
I.2. Der BF weist in Österreich folgende strafgerichtliche Verurteilungen auf:
1. LG XXXX vom XXXX , wegen §§ 127, 128 Abs. 1 Z.4, 129 Z.1, 130 1. Fall, 146, 223 Abs. 2, 224, 241a Abs.1 1.Satz StGB; Freiheitsstrafe von 6 Monaten, bedingt auf 3 Jahre;
2. BG XXXX vom XXXX , wegen §§ 125, 136 Abs. 1, 127 StGB; Geldstrafe von 100 Tagessätzen a 2 Euro, bedingt auf 2 Jahre;
3. LG XXXX vom XXXX wegen §§ 127, 128 Abs. 1 Z.4, 129 Z.1, 130 4.Fall, 15 Abs. 1 StGB; Freiheitsstrafe von 12 Monaten, davon 4 Monate unbedingt und 8 Monate bedingt auf 3 Jahre;
4. LG XXXX vom XXXX , wegen §§ 127, 129 Abs. 1 StGB; Freiheitsstrafe von 3 Monaten;
5. LG XXXX vom XXXX , wegen §§ 15 Abs.1, 127, 128 Abs. 1 Z.2, 129 Abs. 2, 130 1. Fall und 134 Abs. 1 StGB; Freiheitsstrafe von 12 Monaten;
6. LG XXXX vom XXXX wegen §§ 241e Abs. 1, 127 StGB; Freiheitsstrafe von 3 Monaten;
7. LG XXXX vom XXXX , wegen §§ 27 Abs. 1 Z. 1 8.Fall und Abs. 3, 27 Abs. 1 Z. 1 1. und 2. Fall, 30 Abs. 1 8. Fall SMG und §§ 127, 129 Z. 1, 15 Abs. 1, 241e Abs. 1, 146, 147 Abs. 1 Z. 1 2. Fall, 229 Abs. 1 und 135 Abs. 1 StGB; Freiheitsstrafe von 7 Monaten;
8. LG XXXX vom XXXX wegen §§ 15, 127 StGB; Zusatzfreiheitsstrafe von 1 Monate unter Bedachtnahme auf LG XXXX ;
9. XXXX vom XXXX , wegen § 27 Abs. 1 Z. 1 8. Fall SMG; Freiheitsstrafe von 12 Monaten;
10. XXXX vom XXXX , wegen §§ 105 Abs. 1, 127, 130 1. Fall StGB und § 27 Abs. 1 Z. 1 7. Fall SMG; Zusatzfreiheitsstrafe von 4 Monaten unter Bedachtnahme auf XXXX ;
11. LG XXXX vom XXXX , wegen §§ 229 Abs. 1, 15, 127, 129 Abs. 1 Z. 1 und 2, 130 Abs. 2 2. Fall StGB; Freiheitsstrafe von 3 1/2 Jahren;
I.3. Mit Schreiben vom 29.1.2019 wurde der BF vom BFA dahingehend in Kenntnis gesetzt, dass aufgrund seiner zahlreichen Verurteilungen beabsichtigt ist, eine aufenthaltsbeendende Maßnahme und eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Gleichzeitig wurde ihm die Möglichkeit eingeräumt, zahlreiche konkrete Fragen zu seinem Privat- und Familienleben zu beantworten und zu den mitübermittelten Länderfeststellungen eine Stellungnahme abzugeben.
I.4. Im Schreiben vom 4.2.2019 führte der BF im Wesentlichen aus, dass er vertreten werde, aber nicht feststehe, von wem. Er sei in Österreich geboren und aufgewachsen. Er sei gesund und habe die Volks- und Hauptschule besucht. Seine Eltern lebten ebenfalls in Österreich und er stehe in ständigem Kontakt mit ihnen. Er habe zeitweise gearbeitet und sei zwischendurch immer wieder von seiner Familie unterstützt worden. Soziale Bindungen in Österreich habe er nicht. Neben Deutsch spreche er auch Türkisch und Englisch. Er sei in Österreich integriert und zu Urlaubszwecken in die Türkei gereist. Er habe keine Barmittel. Freiwillig kehre er nicht in die Türkei zurück, da die politische Lage dort sehr kritisch sei und er den Präsenzdienst noch nicht absolviert habe. Außerdem sei seine Mutter schwer krank und er wolle sich um sie kümmern. Er absolviere auch gerade eine Lehre als Metallbautechniker, die kurz vor dem Abschluss stünde.
I.5. Mit im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde wurde gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei. Der Beschwerde wurde gem. § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Eine Frist zur freiwilligen Ausreise wurde gem. § 55 Abs. 4 FPG nicht gewährt. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 5 FPG wurde in Bezug auf den BF ein auf 10 Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen.
I.5.2. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Verhalten des BF als Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.
I.5.3. Zur abschieberelevanten Lage in der Republik Türkei traf die belangte Behörde ausführliche und schlüssige Feststellungen.
I.5.4. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass die Rückkehrentscheidung keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK darstelle und aufgrund der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ein Einreiseverbot zu erlassen sei.
I.6. Gegen den im Spruch genannten Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.
Im Wesentlichen wurde neben Wiederholungen und allgemeinen Ausführungen vorgebracht, dass der BF eine schwierige Kindheit gehabt habe und mit falschen Freunden in Kontakt gekommen sei. Derzeit mache er in der Haft eine Lehre als Metallfacharbeiter. Eine Drogentherapie habe er positiv abgeschlossen. Er habe das Haftübel verspürt und wolle nunmehr in Österreich ein ordentliches Leben führen. Seine Mutter befinde sich in einem sehr schlechten Gesundheitszustand und sei erheblich eingeschränkt.
Im ggst. Verfahren sei ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt worden. Die schriftliche Befragung zum Familien- und Privatleben hätte detaillierter erfolgen müssen. Dann wäre auch hervorgekommen, dass der BF noch 2 ältere Brüder hat, von denen ihn der älteste laufend unterstützt.
In der Herkunftsregion des BF weise die Infrastruktur massive Mängel auf. Aufgrund der desolaten wirtschaftlichen Lage in dieser Region würde der BF in die Armut abgleiten. Außerdem würde er dort aufgrund seiner Verurteilungen vermutlich ausgegrenzt.
Die an den BF gestellten Fragen seien schablonenhaft und hätten zum Teil auch keine Relevanz für das ggst. Verfahren.
Die Länderfeststellungen seien mangelhaft, unvollständig und teilweise auch unrichtig. Die wirtschaftliche Lage habe sich in den letzten Jahren extrem verschlechtert. Der BF habe keinerlei Anknüpfungspunkte in der Türkei.
Bei der Gefährdungsprognose sei lediglich die Vergangenheit, nicht aber Gegenwart und Zukunft berücksichtigt worden. Aufgrund der Haft habe der BF einen Gesinnungswandel durchgemacht.
I.7. Die Beschwerde langte am 11.7.2019 beim BVwG ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
II.1.1. Der Beschwerdeführer:
Beim BF handelt es sich um einen mittellosen türkischen Staatsangehörigen, welcher am XXXX in Österreich geboren wurde. Er fällt unter das Assoziationsabkommen mit der Türkei und verfügt über einen Aufenthaltstitel Daueraufenthalt-EU, gültig bis 24.7.2019.
Er hat in Österreich Volks- und Hauptschule besucht, eine dann begonnene Lehre wurde nach ca. 1/2 Jahr wieder abgebrochen. Der BF hat dann lediglich tage- bzw. wochenweise gearbeitet. Erst 2011 war er 8 1/2 Monate längerfristig beim Verein zur Förderung von Arbeit und Beschäftigung geringfügig beschäftigt. Bei diesem Verein war er auch über die folgenden Jahre - jeweils für einige Monate - geringfügig beschäftigt. In der Zwischenzeit bezog der BF Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Vor seiner Festnahme hat der BF zuletzt 2016 bei einer Personalservicefirma gearbeitet. In der Haft absolviert der BF laut eigener Angabe derzeit eine Lehre zum Metalltechniker.
Der BF ist ein junger, lediger, gesunder, arbeitsfähiger Mann mit einer in der Türkei - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage.
Der BF spricht neben Deutsch auch Türkisch und besuchte in der Vergangenheit die Türkei zu Urlaubszwecken.
In Österreich leben die Eltern des BF und zwei erwachsene Brüder. Vor Antritt seiner Haftstrafe, aus der der BF voraussichtlich am 23.9.2020 entlassen wird, lebte der BF mit seinen Eltern im gemeinsamen Haushalt. Nicht festgestellt werden kann eine schwere Erkrankung der Mutter, die einen Pflegebedarf des BF nach sich ziehen könnte. Der BF hat in Österreich keine Sorgepflichten.
Der BF behauptet, in Österreich integriert zu sein, soziale Bindungen in Österreich gab er allerdings keine an.
Der BF möchte offensichtlich sein künftiges Leben in Österreich gestalten und hält sich seit seiner Geburt durchgehend im Bundesgebiet auf.
Die Identität des BF steht fest.
Der BF weist in Österreich folgende strafgerichtliche Verurteilungen auf:
1. LG XXXX vom XXXX , wegen §§ 127, 128 Abs. 1 Z.4, 129 Z.1, 130 1. Fall, 146, 223 Abs. 2, 224, 241a Abs.1 1.Satz StGB; Freiheitsstrafe von 6 Monaten, bedingt auf 3 Jahre;
2. BG XXXX vom XXXX , wegen §§ 125, 136 Abs. 1, 127 StGB; Geldstrafe von 100 Tagessätzen a 2 Euro, bedingt auf 2 Jahre;
3. LG XXXX vom XXXX wegen §§ 127, 128 Abs. 1 Z.4, 129 Z.1, 130 4.Fall, 15 Abs. 1 StGB; Freiheitsstrafe von 12 Monaten, davon 4 Monate unbedingt und 8 Monate bedingt auf 3 Jahre;
4. LG XXXX vom XXXX , wegen §§ 127, 129 Abs. 1 StGB; Freiheitsstrafe von 3 Monaten;
5. LG XXXX vom XXXX , wegen §§ 15 Abs.1, 127, 128 Abs. 1 Z.2, 129 Abs. 2, 130 1. Fall und 134 Abs. 1 StGB; Freiheitsstrafe von 12 Monaten;
6. LG XXXX vom XXXX wegen §§ 241e Abs. 1, 127 StGB; Freiheitsstrafe von 3 Monaten;
7. LG XXXX XXXX , wegen §§ 27 Abs. 1 Z. 1 8.Fall und Abs. 3, 27 Abs. 1 Z. 1 1. und 2. Fall, 30 Abs. 1 8. Fall SMG und §§ 127, 129 Z. 1, 15 Abs. 1, 241e Abs. 1, 146, 147 Abs. 1 Z. 1 2. Fall, 229 Abs. 1 und 135 Abs. 1 StGB; Freiheitsstrafe von 7 Monaten;
8. LG XXXX vom XXXX , wegen §§ 15, 127 StGB; Zusatzfreiheitsstrafe von 1 Monate unter Bedachtnahme auf LG XXXX ;
9. XXXX vom XXXX , wegen § 27 Abs. 1 Z. 1 8. Fall SMG; Freiheitsstrafe von 12 Monaten;
10. XXXX vom XXXX , wegen §§ 105 Abs. 1, 127, 130 1. Fall StGB und § 27 Abs. 1 Z. 1 7. Fall SMG; Zusatzfreiheitsstrafe von 4 Monaten unter Bedachtnahme auf XXXX
11. LG XXXX vom XXXX , wegen §§ 229 Abs. 1, 15, 127, 129 Abs. 1 Z. 1 und 2, 130 Abs. 2 2. Fall StGB; Freiheitsstrafe von 3 1/2 Jahren;
II.1.3. Die Lage im Herkunftsstaat im Herkunftsstaat Türkei
Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat werden folgende Feststellungen getroffen:
Sicherheitslage
Als Reaktion auf den gescheiterten Putsch vom 15.7.2016 hat der türkische Präsident am 20.7.2016 den Notstand ausgerufen. Dieser berechtigt die Regierung, verschiedene Einschränkungen der Grundrechte wie der Versammlungs- oder der Pressefreiheit zu verfügen (EDA 24.1.2017). Auf der Basis des Ausnahmezustandes können u. a. Ausgangssperren kurzfristig verhängt, Durchsuchungen vorgenommen und allgemeine Personenkontrollen jederzeit durchgeführt werden. Personen, gegen die türkische Behörden strafrechtlich vorgehen (etwa im Nachgang des Putschversuchs oder bei Verdacht auf Verbindungen zur sogenannten Gülen-Bewegung), kann die Ausreise untersagt werden (AA 24.1.2017a).
Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage. In den größeren Städten und in den Grenzregionen zu Syrien kann es zu Demonstrationen und Ausschreitungen kommen. Im Südosten des Landes sind die Spannungen besonders groß, und es kommt immer wieder zu Ausschreitungen und bewaffneten Zusammenstößen. Trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen besteht das Risiko von Terroranschlägen jederzeit im ganzen Land. Seit dem Sommer 2015 hat die Zahl der Anschläge zugenommen. Im Südosten und Osten des Landes, aber auch in Ankara und Istanbul haben die Attentate zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert, darunter Sicherheitskräfte, Bus-Passagiere, Demonstranten und Touristen (EDA 24.1.2017).
Die Situation im Südosten, so die Europäische Kommission, blieb eine der schwierigsten Herausforderungen für das Land. Die Türkei sah sich mit einer weiterhin sehr ernsten Verschlechterung der Sicherheitslage konfrontiert, in der es zu schweren Verlusten an Menschenleben nach dem Zusammenbruch der Verhandlungen zur Lösung der Kurdenfrage im Juli 2015 kam. Das Land wurde von mehreren terroristischen Großangriffen seitens der PKK und dem sog. Islamischen Staat (auch Da'esh) betroffen. Die Behörden setzten ihre umfangreiche Anti-Terror-kampagnen gegen die kurdische Arbeiterpartei (PKK) fort.Das Ausmaß der Binnenflucht aus jenen Zonen, in denen eine Ausgangssperre herrschte, sowie der mangelnde Zugang zur Grundversorgung in diesen Gebieten gaben der EK ebenfalls Anlass zu großer Sorge. Die EK sah die dringliche Notwendigkeit des ungehinderten Zuganges von unabhängigen Ermittlern in die Region. Überdies zitierte die EK die Venediger Kommission des Europarates, wonach sich die Verhängung der Ausgangssperren weder im Einklang mit der türkischen Verfassung noch mit den internationalen Verpflichtungen des Landes befände (EC 9.11.2016).
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) wies auf die rechtliche Einschätzung der Venediger Kommission vom 13.6.2016 hin, wonach die seit August 2015 verhängten Ausgangssperren im Südosten des Landes gegen die türkische Verfassung und den Rechtsrahmen verstoßen haben. Denn Ausgangssperren können nur in Zusammenhang mit dem materiellen oder dem Notstandsrecht verhängt werden, wofür es aber eines parlamentarischen Beschlusses bedarf, welcher jedoch nie gefasst wurde. Die Versammlung zeigte sich auch besorgt, dass 21 demokratisch gewählte kurdische Bürgermeister verhaftet und 31 weitere wegen Unterstützung oder Begünstigung einer terroristischen Organisation entlassen wurden. Die Versammlung äußerte ihre Besorgnis ob der breiten Interpretation des Anti-Terror-Gesetzes, um gewaltfreie Äußerungen zu bestrafen und jede Botschaft zu kriminalisieren, wenn diese sich bloß vermeintlich mit den Interessen einer Terrororganisation deckten (PACE 22.6.2016).
Mehr als 80 Prozent der Provinzen im Südosten des Landes waren von Gewalt betroffen. Sieben von neun Provinzen Südostanatoliens sowie zwölf von 14 Provinzen Ostanatoliens waren von Attentaten der PKK, der TAK und des sog. IS, Vergeltungsoperationen der Regierung und bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften betroffen. In den Provinzen Diyarbakir, Mardin und Sirnak kam es zu den meisten, in Hakkâri, Kilis, Sanliurfa und Van zu relativ vielen Vorfällen (SFH 25.8.2016).
Für den Menschenrechtskommissar des Europarates bestand kein Zweifel daran, dass weite Bevölkerungsteile von den Ausgangssperren und Antiterrormaßnahmen betroffen waren. Laut Parlamentarischer Versammlung des Europarates waren 1,6 Millionen Menschen in den städtischen Zentren von den Sperrstunden betroffen, und mindestens 355.000 Personen wurden vertrieben. Zahlreichen glaubwürdigen Berichten zufolge, die durch dokumentarische Beweise und Videoaufnahmen gesichert wurden, haben die türkischen Sicherheitskräfte in manchen Fällen schwere Waffen eingesetzt, darunter auch Artillerie und Mörser sowie Panzer und schwere Maschinengewehre. Dies deckt sich mit den Zerstörungen, die der Menschenrechtskommissar angetroffen hat. Mehre Städte in den südöstlichen Landesteilen wurden zum Teil schwer zerstört. Der Gouverneur von Diyarbakir schätzte, dass 50% der Häuser von sechs Stadtvierteln in der Altstadt von Sur nun völlig unbewohnbar wurden, und dass weitere 25% beschädigt wurden (CoE-CommDH 2.12.2016).
Bereits im März 2016 wurde von schweren Verwüstungen der Stadt Cizre berichtet. Vom Cudi-Viertel auf der linken Seite des Tigris waren nur noch die Ruinen eingestürzter Häuser übrig; ein Hinweis darauf, dass die Panzer mit ihren Granaten systematisch auf die Stützpfeiler der Wohnhäuser zielten. 80 Prozent der Wohngebiete in Cizre sollen zerstört worden sein (LMD 7.7.2016). In Silopi wurden gemäß Regierungsberichten vom März 2016 6.694 Häuser und Wohnungen im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und PKK-nahen Guerillakämpfern beschädigt, wobei 27 komplett zerstört wurden. Lokale Quellen setzten die Zahl der betroffenen Wohnstätten wesentlich höher an. 241 Wohnobjekte, die im Regierungsbericht nicht aufscheinen, seien völlig zerstört worden (Rudaw 15.3.2016).
Laut der Sicherheitsagentur "Verisk Maplecroft" wurden 2016 bei 269 Terroranschlägen 685 Menschen getötet und mehr als 2.000 verwundet (FT 4.1.2017). Das "Bipartisan Policy Center" zählte bis Dezember 2016 eine Verdoppelung der Opferzahlen im Vergleich zu 2015. Beinahe 300 Personen wurden 2016 bei den größeren Terroranschlägen der Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) und des sog. Islamischen Staates getötet. 2015 waren es weniger als 150 (BI 21.12.2016).
Neben Anschlägen der PKK und ihrer Splittergruppe TAK wurden mehrere schwere Anschläge dem sog. Islamischen Staat zugeordnet.
Bei einem Selbstmordanschlag auf eine Touristengruppe im Zentrum Istanbuls wurden im Jänner 2016 zwölf Deutsche getötet. Die Regierung gab dem IS die Schuld für den Anschlag (Zeit 17.1.2017). Am 28. Juni 2016 kamen bei einem Terroranschlag auf den Istanbuler Flughafen Atatürk über 40 Menschen ums Leben. Die Behörden gingen von einer Täterschaft des sog. Islamischen Staates (IS) aus (Standard 30.6.2016). Am 20.8.2016 riss ein Selbstmordanschlag des sog. IS auf eine kurdische Hochzeit in Gaziantep mehr als 50 Menschen in den Tod (Standard 22.8.2016). Mahmut Togrul, lokaler Parlamentarier der HDP, sagte, dass die Hochzeitsgäste größtenteils Unterstützer der HDP gewesen seien, weshalb der Anschlag nicht zufällig, sondern als Racheakt an den Kurden zu betrachten sei (Guardian 22.8.2016). In einer Erklärung warf die HDP der Regierung vor, sie habe Warnungen vor Terroranschlägen durch den sog. IS ignoriert. Vielmehr habe die Regierungspartei AKP tatenlos zugesehen, wie sich die Terrormiliz IS gerade in der grenznahen Stadt Gaziantep ausgebreitet hat (tagesschau.de 21.8.2016). Ein weiterer schwerer Terroranschlag des sog. IS erfolgte in der Silvesternacht 2016/17. Während eines Anschlags auf den Istanbuler Nachtclub Reina wurden 39 Menschen getötet, darunter 16 Ausländer (Zeit 17.1.2017).
Die PKK hat am 12.3.2016 eine Dachorganisation linker militanter Gruppen gegründet, um ihre eigenen Fähigkeiten auszuweiten und ihre Unterstützungsbasis jenseits der kurdischen Gemeinschaft auszudehnen. Die neue Gruppe, bekannt als die "Revolutionäre Bewegung der Völker" (HBDH), wird vom Chef der radikalsten linken Fraktion innerhalb der PKK, Duran Kalkan, geleitet. Erklärte Absicht der Gruppe, die den türkischen Staat und im Speziellen die herrschende AKP ablehnt, ist es, die politische Agenda voranzutreiben, wozu auch Terroranschläge u.a. gegen Ausländer gehören. Die Gruppe unterstrich zudem das Scheitern der kurdischen Parteien in der Türkei, auch der legalen HDP (Stratfor 15.4.2016). Laut Berichten beabsichtigt die HBDH Propagandaaktionen durchzuführen, um auch die Unterstützung von türkischen Aleviten zu erhalten, und um "Selbstverteidigungsbüros" in den Vierteln der südlichen und südöstlichen Städte zu errichten. Die HBDH will auch Druck auf Dorfvorsteher und Beamte ausüben, die in Schulen und Gesundheitsdiensten arbeiten, damit diese entweder kündigen oder die Ortschaften verlassen (HDN 4.4.2016). Neun verbotene Gruppen trafen sich auf Einladung der PKK am 23.2.2016 zur ihrer ersten Sitzung im syrischen Latakia, darunter die Türkische kommunistische Partei/ Marxistisch-Leninistisch (TKP/ML), die Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) [siehe 3.4.], die Revolutionäre Kommunistische Partei (DKP), die Türkische Kommunistische Arbeiterpartei/ Leninistin (TKEP/L), die Kommunistische Partei der Vereinten Nationen (MKP), die türkische Revolutionäre Kommunistenvereinigung (TIKB), das Revolutionshauptquartier und die Türkische Befreiungspartei-Front (THKP-C) [siehe 3.5] (HDN 4.4.2016; vgl. ANF News 12.3.2016). Die HBDH sieht in der Türkei eine Ein-Parteien-Diktatur bzw. ein faschistisches Regime entstehen, dass u.a. auf der Feindschaft gegen die Kurden gründet (ANF News 12.3.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (6.2.2017a): Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_28DF483ED70F2027DBF64AC902264C1D/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/TuerkeiSicherheit_node.html, Zugriff 6.2.2017
- ANF News (12.3.2016): Peoples' United Revolutionary Movement established for a joint struggle, http://anfenglish.com/news/peoples-united-revolutionary-movement-established-for-a-joint-struggle, Zugriff 25.1.2017
- BPC - Bipartisan Policy Center (21.12.2016): Terror Attacks in Turkey Mark Regional and Internal Conflicts, http://bipartisanpolicy.org/blog/turkey-regional-and-internal-conflicts/, Zugriff 24.1.2017
- CoE-CommDH - Council of Europe - Commissioner for Human Rights (2.12.2016): Memorandum on the Human Rights Implications of Anti-Terrorism Operations in South-Eastern [CommDH (2016)39], https://wcd.coe.int/com.instranet.InstraServlet?command=com.instranet.CmdBlobGet&InstranetImage=2952745&SecMode=1&DocId=2393034&Usage=2, Zugriff 24.1.2017
- Der Standard (22.8.2016): Anschlag auf Kurdenhochzeit: Ein Kind als Attentäter, http://derstandard.at/2000043149810/Anschlahgg-auf-Kurdenhohzeit-Ein-Kind-als-Attentaeter, Zugriff 24.1.2017
- Der Standard (30.6.2016): Istanbul-Anschlag: Spur nach Russland und Zentralasien, http://derstandard.at/2000040160430/Istanbul-Anschlag-Spur-nach-Russland-und-Zentralasien, Zugriff 24.1.2017
- Die Zeit (17.1.2017): Verdächtiger gesteht Attentat auf Nachtclub, http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-01/anschlag-istanbul-nachtclub-verdaechtiger-gestaendnis, Zugriff 24.1.2017
- EC - European Commission (9.11.2016): Turkey 2016 Report [SWD (2016) 366 final], http://ec.europa.eu/enlargement/pdf/key_documents/2016/20161109_report_turkey.pdf, Zugriff 24.1.2017
- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (24.1.2017): Reisehinweise Türkei, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/tuerkei/reisehinweise-fuerdietuerkei.html, Zugriff 24.1.2017
- FT - Financial Times (4.1.2017): No sign of Turkish shift on Syria and Kurds after terror attacks, https://www.ft.com/content/9ac04d9c-d25f-11e6-b06b-680c49b4b4c0, Zugriff 24.1.2017
- HDN - Hürriyet Daily News (4.4.2016): Newly-formed PKK initiative to target Turkish cities, conduct political propaganda: Report, http://www.hurriyetdailynews.com/newly-formed-pkk-initiative-to-target-turkish-cities-conduct-political-propaganda-report.aspx?pageID=238&nID=97276&NewsCatID=341, Zugriff 25.1.2017
- LMD - Le Monde Diplomatique (7.7.2016): In den Ruinen von Cizre und Sûr, http://monde-diplomatique.de/artikel/!5317476, 24.1.2017
- PACE - Council of Europe - Parliamentary Assembly (22.6.2016): The functioning of democratic institutions in Turkey [Resolution 2121 (2016), Provisional version], http://semantic-pace.net/tools/pdf.aspx?doc=aHR0cDovL2Fzc2VtYmx5LmNvZS5pbnQvbncveG1sL1hSZWYvWDJILURXLWV4dHIuYXNwP2ZpbGVpZD0yMjk1NyZsYW5nPUVO&xsl=aHR0cDovL3NlbWFudGljcGFjZS5uZXQvWHNsdC9QZGYvWFJlZi1XRC1BVC1YTUwyUERGLnhzbA==&xsltparams=ZmlsZWlkPTIyOTU3, Zugriff 25.1.2017
- Rudaw (15.3.2016): Over 6,600 homes damaged by fighting in Kurdish Silopi, Ankara says, http://www.rudaw.net/english/middleeast/turkey/15032016, Zugriff 24.1.2017
- SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (25.8.2016): Türkei: Situation im Südosten - Stand August 2016, https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/tuerkei/160825-tur-sicherheitslage-suedosten.pdf, Zugriff 24.1.2017
- Stratfort (15.4.2016): Turkey's Militants Get More Organized, https://www.stratfor.com/sample/analysis/turkeys-militants-get-more-organized, Zugriff 25.1.2017
- tagesschau.de (21.8.2016): Zwischen Trauer und Wut, https://www.tagesschau.de/ausland/gaziantep-115.html, Zugriff 24.1.2017
- The Guardian (22.8.2016): Erdogan blames Isis for suspected suicide attack at wedding in Turkey, https://www.theguardian.com/world/2016/aug/20/several-dead-in-suspected-terrorist-blast-at-wedding-in-turkey, Zugriff 24.1.2017
Wehrdienst
Die türkische Armee (TSK) ist zu 50% eine Berufsarmee, ergänzt um 200.000 Wehrpflichtige. Jedes Jahr werden etwa 300.000 türkische Männer über 18 Jahren für zwölf Monate einberufen. Nach offiziellen Angaben haben 1,9 Millionen junge Männer wegen ihres Studiums den Wehrdienst aufgeschoben. Weitere drei Millionen haben aus verschiedenen anderen Gründen einen Aufschub beantragt. Rund 650.000 entziehen sich gesetzwidrig der Wehrpflicht (AM 4.7.2018).
Jeder männliche türkische Staatsangehörige unterliegt ab dem 20. Lebensjahr der Wehrpflicht. Das Wehrdienstalter beginnt am 1. Januar des Jahres, in dem der Betreffende das 19. Lebensjahr vollendet und endet am 1. Januar im Jahr des 41. Geburtstags. Diejenigen, die innerhalb dieser Zeit den Wehrdienst nicht abgeleistet haben, werden von der Wehrpflicht nicht befreit. Der Wehrdienst wird in den Streitkräften einschließlich der Jandarma abgeleistet. Söhne und Brüder von gefallenen Soldaten können vom Wehrdienst befreit werden (AA 3.8.2018).
Das Parlament hat am 26.7.2018 ein Gesetz ratifiziert, das es den Bürgern ermöglicht, die Dauer ihres Militärdienstes durch die Zahlung eines bestimmten Geldbetrages zu verkürzen. Das Gesetz ermöglicht es den Bürgern, ihren Militärdienst in nur 21 Tagen statt in fünfeinhalb oder zwölf Monaten zu absolvieren, wenn sie Hochschulabsolventen sind und Geld via Bankkonten an die Regierung zahlen. Nach dem Gesetz sind Bürger, die am oder vor dem 1. Januar 1994 geboren wurden, verpflichtet 21 Tage Militärdienst zu leisten, wenn sie 15.000 TL (ca. 2.000 Euro) zahlen (DS 26.7.2018). Fast 450.000 Personen [Stand 2.9.2018] haben sich in der Türkei für den kaufbaren, verkürzten Militärdienst beworben. Die Antragstellung begann am 3.8. und endet am 3.11.2018 (Anadolu 2.9.2018).
Mit der ebenfalls am 26. Juli 2018 erfolgten Gesetzesänderung gilt für den "Freikauf" von auf Dauer im Ausland lebenden türkischen Wehrpflichtigen nun folgendes: Die Gesamtsumme, die für den "Freikauf" festgelegt ist, beträgt 2.000 ? (Connection e.V. 27.07.2018, vgl. DS 26.7.2018). Er ist bis zur Vollendung des 38. Lebensalters zu zahlen, kann aber auch noch später gezahlt werden. Es besteht die Verpflichtung, eine vom türkischen Verteidigungsministerium angebotene Fernausbildung abzuleisten. Wie dies genau aussehen soll, ist bislang unklar (Connection e.V. 27.07.2018).
Transsexuelle, Transvestiten und Homosexuelle konnten unter der Bezeichnung "psycho-sexuelle Störungen" nach Vorsprache bei der Wehrdienstbehörde und Untersuchungen vom Militärdienst befreit werden. Im Gesundheitsgesetz der türkischen Streitkräfte vom 12.11.2015 wird Homosexualität wie folgt beschrieben: "Sexuelle Verhaltensweisen und Einstellungen, die im militärischen Umfeld die Harmonie und Funktionalität beeinträchtigen könnten." Homosexualität führte daher im Grundsatz zur Wehrdienstuntauglichkeit, die jedoch bis zum gescheiterten Putschversuch vom 15.7.2016 durch ärztliches Gutachten in Militärkrankenhäusern festgestellt werden musste. In Folge des gescheiterten Putschversuchs wurden alle militärischen Krankenhäuser geschlossen; das Personal wurde entweder verhaftet, entlassen oder in zivile Einrichtungen überführt (AA 3.8.2018).
Medienberichten zufolge erlitten einige Wehrpflichtige schwere Schikanen, körperliche Misshandlungen und Folterungen, die manchmal zu Selbstmord führten (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
* AA - Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei
* Al Monitor (4.7.2018): Young Turks with enough cash seek to skip military service, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/07/turkey-paid-exemption-from-military-service-lobby-wins.html, 21.8.2018
* Anadolu Agency (2.9.2018): Turkey: Paid military service attracts 450,000 people, https://www.aa.com.tr/en/todays-headlines/turkey-paid-military-service-attracts-450-000-people/1244447, Zugriff 17.9.2018
* Connection e.V. (27.07.2018): Freikaufsregelung, Ausbürgerung, Ausmusterung und Asyl, https://de.connection-ev.org/article-1609, Zugriff 17.9.2018
* Daily Sabah (26.7.2018): Turkish parliament ratifies paid military exemption law, https://www.dailysabah.com/turkey/2018/07/26/turkish-parliament-ratifies-paid-military-exemption-law, Zugriff 17.9.2018
* USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430322.html, Zugriff 14.8.2018
Kurdisch-stämmige Rekruten in der Armee
Laut der kurdischen Nachrichtenplattform "Ekurd Daily" werden kurdische Rekruten in den Konfliktzonen der Südost-Türkei eingesetzt, wo sie Gefahr laufen auf kurdische Deserteure zu stoßen, die sich der PKK angeschlossen haben. Überdies stehen kurdische Rekruten unter einem hohen Risiko, Opfer von Menschenrechtsverletzungen - dazu gehören Erniedrigungen, Schläge und Folter - zu werden, mitunter sogar getötet zu werden. 90% der Selbstmorde in den Streitkräften fielen auf ethnische Kurden. Todesfälle wurden vom Militär als vermeintliche Selbstmorde oder Unfälle dargestellt werden, wobei angemessene Untersuchungen der Vorfälle ausblieben. Deserteure und Wehrdienstverweigerer wurden generell als mit der PKK sympathisierend betrachtet, weil sie willentlich den Wehrdienst verabsäumen (ED 1.3.2016).
In den 1990er Jahren wurden während der Kämpfe zwischen der Armee und der PKK kurdische Rekruten selten in die Kriegsgebiete des Südostens entsandt. Diese Politik hat sich durch die AKP schrittweise geändert, als diese aufgrund ihrer Kurdenpolitik auch für Kurden wählbar wurde, und es zudem zu Verhandlungen mit der PKK kam. Angesichts des erneuten Konflikts glauben allerdings viele in den kurdischen Gebieten, dass die Regierung absichtlich kurdisch-stämmige Soldaten in den Kampf gegen die PKK entsendet, um den Ruf der PKK als kurdische Widerstandsbewegung zu diskreditieren (Rudaw 4.2.2016).
Die türkischen Streitkräfte berufen ihre Wehrpflichtigen generell in andere Landesteile ein, damit diese die Türkei kennenlernen. Es kann also durchaus sein, dass ein kurdisch-stämmiger junger Mann aus Ankara nach Diyarbakir einberufen wird und vice versa. Bei den Anschlägen der PKK werden auch immer wieder kurdisch-stämmige Wehrpflichtige und Berufssoldaten getötet. Viele junge Männer im Südosten der Türkei verschwinden aber vor ihrer Einberufung in die Wälder zur PKK. Ein weiterer Grund für die Einberufung in andere Landesteile soll auch sein, dass die Bevölkerung im Osten oder Südosten des Landes grundsätzlich weniger gebildet ist und traditionell eine andere Lebenseinstellung hat. Die Erfahrungen im Westen sollen mit nach Hause genommen werden und - so hofft man jedenfalls - das künftige Leben zumindest ein wenig beeinflussen (VB 10.11.2016).
Aus Sicht der Österreichischen Botschaft besteht keine Systematik in der Diskriminierung von Minderheiten im Militär, weder betreffend die kurdische- als auch die alevitische Minderheit. Es existieren aber Einzelfälle (ÖB 10.2017).
Quellen:
* ED - Ekurd Daily (1.3.2016): Kurdish Conscripts Confront Impossible Odds In Turkey, http://ekurd.net/kurdish-conscripts-odds-turkey-2016-03-01, Zugriff 21.8.2018
* Rudaw (4.2.2016): Turkey's Kurdish soldiers: new victims of an old conflict, http://rudaw.net/english/middleeast/turkey/04022016, Zugriff 21.8.2018
* VB - Verbindungsbeamter des BMI in Ankara (10.11.2016): per E-Mail
* ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2017): Asylländerbericht Türkei
Wehrersatzdienst / Wehrdienstverweigerung / Desertion
Die Türkei ist das einzige Mitglied des Europarates, das das Recht auf Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen nicht anerkennt (EC 17.4.2018).
Wehrdienstverweigerung ist strafbar und Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist bis dato noch nicht möglich. Derzeit besteht für Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen nur die Möglichkeit, eine Haftstrafe abzusitzen; danach erfolgt normalerweise die "Befreiung". Im März 2012 wurde erstmals ein Urteil des Militärgerichts von dem Recht auf Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen vom EGMR beeinflusst. Der angeklagte Wehrdienstleistende war nach fünf Monaten im Militärdienst geflohen und teilte seine Dienstverweigerung aus Gewissensgründen (aus religiösen Gründen) mit. Der Wehrdienstleistende wurde aufgrund seiner Flucht und seiner Dienstverweigerung vom Militärgericht angeklagt, wurde aber nicht wegen der Militärdienstverweigerung, sondern wegen seiner Flucht zu zehn Monaten Haft verurteilt. Das Militärgericht hat in seinem Urteil, das erste Mal auf die Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs Bezug genommen, das die Rechte von Wehrdienstverweigerern aus Gewissensgründen schützt (Art. 9 EMRK). Der EGMR hat die Türkei bereits in einigen Fällen im Zusammenhang mit der Verweigerung der Anerkennung von Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen verurteilt. Im Fall Savda gegen die Türkei hatte der EGMR festgehalten, dass ein System, das keinen Ersatzdienst und kein entsprechendes Verfahren vorsieht, keinen gerechten Ausgleich zwischen dem allgemeinen Interesse der Gesellschaft und jenem von Wehrdienstverweigerern treffe und hatte eine Verletzung von Art. 9 EMRK (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit) bejaht (ÖB 10.2017).
Seit Änderung von Art. 63 tMilStGB ist nunmehr bei unentschuldigtem Nichtantritt oder Fernbleiben vom Wehrdienst statt einer Freiheitsstrafe zunächst eine Geldstrafe zu verhängen. Subsidiär bleiben aber Haftstrafen bis zu sechs Monaten möglich. Die Verjährungsfrist beträgt zwischen fünf und acht Jahren, falls die Tat mit Freiheitsstrafe bedroht ist. Suchvermerke für Wehrdienstflüchtlinge werden seit Ende 2004 nicht mehr im Personenstandsregister eingetragen (AA 3.8.2018).
Denjenigen, die nicht zum Wehrdienst erscheinen oder verspätet erscheinen, drohen je nach Dauer des Fernbleibens unterschiedliche Gefängnisstrafen. Die Bestrafung folgt zusammen mit Geldstrafen, deren Umfang sich gestaffelt an den Jahren des Fernbleibens orientiert (VB 15.2.2017).
Das türkische Gesetz zu Desertion definiert in Artikel 66 die Strafe für Desertion. Militärpersonal wird mit einer Gefängnisstrafe zwischen einem und drei Jahren belegt: wenn die betreffende Person sich von ihrer Einheit oder ihrem Einsatzort ohne Urlaub für mehr als sechs Tage entfernt hat; oder wenn die betreffende Person nach einem absolvierten Urlaub nicht innerhalb von sechs Tagen zum Dienst zurückkehrt und keine Entschuldigung dafür hat. Die Strafe beläuft sich auf mindestens zwei Jahre Gefängnis, wenn die Person Waffen, Munition oder weitere der Armee gehörende Gegenstände, Ausrüstung, Tiere oder Transportmittel entwendet; wenn die Person während des Dienstes desertiert; wenn die Person die Übertretung wiederholt. Artikel 67 definiert, dass Militärpersonal, das ins Ausland geflohen ist, mit drei bis fünf Jahren Gefängnis bestraft werden kann, und zwar nach einer Absenz von drei Tagen, falls die betreffende Person das Land ohne Erlaubnis verlässt. Die Strafe soll mindestens fünf Jahre betragen soll und auf bis zu zehn Jahre erhöht werden: wenn die ins Ausland geflohene Person Waffen, Munition oder weitere der Armee gehörende Gegenstände, Ausrüstung, Tiere oder Transportmittel entwendet; wenn sie während des Dienstes desertiert; wenn sie die Übertretung wiederholt; oder wenn sie während einer Mobilisierung (für Krieg) desertiert. Schließlich können desertierte Militärangehörige für Befehlsverweigerung angeklagt und bestraft werden. Für andauernden Ungehorsam in der Öffentlichkeit drohen bis zu fünf Jahren Gefängnisstrafe. Wer andere Soldaten zum Ungehorsam anstiftet, kann mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden. Das im Rahmen des Ausnahmezustands erlassene Dekret 691 vom 2.6.2017 hält unter anderem fest, dass Soldaten, die sich mehr als drei Tage ohne offizielle Erlaubnis im Ausland aufhalten, als Deserteure betrachtet und entsprechend bestraft werden. Ein ins Ausland geflohener Deserteur muss mit einer Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe von mindestens fünf Jahren rechnen. Eine Strafe von zehn Jahren ist jedoch auch möglich (SFH 22.3.2018).
Quellen:
* AA - Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei
* EC - European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf, Zugriff 21.8.2018
* ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2017): Asylländerbericht Türkei
* SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (22.3.2018): Türkei: Desertion und Sicherheits-operationen im Südosten (August 2015 bis Mai 2016); Auskunft der SFH-Länderanalyse, https://www.ecoi.net/en/file/local/1438152/1226_1531473548_180322-tur-desertion-anonym.pdf, Zugriff am 21.8.2018
* VB - Verbindungsbeamter des BMI. in Ankara (15.2.2017): per E-Mail
Grundversorgung/Wirtschaft
Schätzungen besagten, dass sich das Wachstum des Bruttosozialprodukts 2016 auf unter 3% gemindert hat. Allerdings wird seitens der OECD ein Wiederanstieg auf 3,75% bis 2018 erwartet. Die türkische Wirtschaft ist weiterhin mit dem geopolitischen Gegenwind und ungelösten politischen Problemen konfrontiert. Nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2015 verschlechterte sich die Marktstimmung nur vorrübergehend. Allerdings kam es im Zuge der geopolitischen Unsicherheiten und der Verlängerung des Ausnahmezustandes zu einer Herabstufung der Ratings, was zu einer zusätzlichen Schwächung der Landeswährung und der Aktienmärkte führte. Das Vertrauen der privaten Haushalte und Unternehmen sank. Die Unsicherheiten sind zwar hoch, doch die Fiskal-, Aufsichts- und Geldpolitik wirken unterstützend und sollten den Privatkonsum wieder anregen (OECD 11.2016).
Die türkische Wirtschaft hat mit enormen Problemen zu kämpfen. Im dritten Quartal des Jahres 2016 fiel das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 1,8% niedriger aus als im Vorjahresquartal, teilte die nationale Statistikbehörde mit. Es war das erste Mal seit 27 Quartalen, dass ein Minus verzeichnet wurde. Die BIP-Entwicklung im dritten Quartal ist bislang das deutlichste Zeichen, dass die schwierige politische Lage im Land sich auf die Wirtschaft auswirkt. Laut der Statistikbehörde gingen die privaten Konsumausgaben um 3,2% zurück. Die Exporte sanken demnach sogar um 7% (Zeit 12.12.2016).
Ein düsteres Bild ergibt ein Blick auf die Detailzahlen für 2016. Die Fertigungsindustrie als Rückgrat der türkischen Wirtschaft sank im dritten Quartal 2016 um fast 5%. Der wichtige Agrarsektor und der Dienstleistungsbereich schrumpften um 1% respektive 2% seit Anfang 2016. Turbulenzen im Privatsektor, Erschütterungen im Bankenbereich, ein Anstieg der Arbeitslosigkeit sowie schrumpfende Einkommen drohen für 2017. Der Hauptgrund liegt darin, dass sich die türkische Wirtschaft auf externe Fonds verlässt und sich eben diese angesichts eines gestiegenen Dollars aus dem Land zurückziehen (AM 4.1.2017).
Die Arbeitslosigkeit bleibt ein gravierendes Problem. Aus der jungen Bevölkerung drängen jährlich mehr als eine halbe Million Arbeitssuchende auf den Arbeitsmarkt, können dort aber nicht vollständig absorbiert werden. Hinzu kommt das starke wirtschaftliche Gefälle zwischen strukturschwachen ländlichen Gebieten (etwa im Osten und Südosten) und den wirtschaftlich prosperierenden Metropolen. Die durchschnittliche Arbeitslosenquote lag im Jahr 2015 bei knapp über 10%. Herausforderungen für den Arbeitsmarkt bleiben der weiterhin hohe Anteil der Schwarzarbeit und die niedrige Erwerbsquote von Frauen. Dabei bezieht der überwiegende Teil der in Industrie, Landwirtschaft und Handwerk erwerbstätigen ArbeiterInnen weiterhin den offiziellen Mindestlohn. Er wurde für das Jahr 2016 auf 1.647 Türkische Lira brutto festgesetzt. Die Entwicklung der Realeinkommen hat mit der Wirtschaftsentwicklung nicht Schritt halten können, sodass insbesondere die ärmeren Bevölkerungsschichten am Rande des Existenzminimums leben (AA 10.2016c, BS 2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.2017c): Wirtschaft, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_E9DC3FE4C4E50A1CDD48B99ED27D8701/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Tuerkei/Wirtschaft_node.html, Zugriff 6.2.2017
- AM - Al Monitor (4.1.2017): Why 2017 doesn't bode well for Turkey's economy, http://fares.al-monitor.com/pulse/originals/2017/01/turkey-economy-black-winter-alarm.html, Zugriff 11.1.2017
- BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Turkey Country Report, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Turkey.pdf, Zugriff 11.1.2017
- Die Zeit (12.12.2016): Türkische Wirtschaft schrumpft erstmals seit Jahren, http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-12/tuerkei-wirtschaft-politische-situation-unruhe-auswirkungen, Zugriff 11.1.2017
- OECD - Organisation for Economic Co-operation and Development (11.2016): developments in individual oecd and selected non-member economies - Turkey, http://www.oecd.org/eco/outlook/economic-forecast-summary-turkey-oecd-economic-outlook-november-2016.pdf, Zugriff 11.1.2017
II.1.4. Der BF stellt aufgrund seines 11-fachen strafbaren Verhaltens eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die Gemeinschaft dar. Eine positive Zukunftsprognose (bzgl. des Verhaltens) konnte nicht erstellt werden. Es ergibt sich aus dem Ermittlungsverfahren überdies, dass die Abschiebung des BF in die Türkei zulässig und möglich ist und war die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot geboten.
2. Beweiswürdigung
II.2.1. Das erkennende Gericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben und ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durchgeführt. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.
II.2.2. Die personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich des BF ergeben sich aus seinen in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben sowie der seitens des BF abgegebenen Stellungnahme. Die Feststellungen zu den strafrechtlich relevanten Vorfällen ergeben sich aus den diesbezügliche polizeilichen bzw. strafgerichtlichen Unterlagen, dem Strafregisterauszug und den Urteilsausfertigungen.
II.2.3 Zu der getroffenen Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen -sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges- handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Die getroffenen Feststellungen ergeben sich daher im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen im Rahmen einer Gesamtschau Aktualität zu.
Der BF trat auch den Quellen und deren Kernaussagen nicht konkret und substantiiert entgegen. Soweit in der Beschwerde unsubstantiiert ausgeführt wird, die Länderfeststellungen seien nicht aktuell, ist dem entgegenzuhalten, dass das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation im Fall relevanter Vorfälle in Form von Kurzinformationen laufend aktualisiert wird und daher als Up-to-date anzusehen ist. Außerdem wurden dem BF mit Schreiben des BFA vom 29.1.2019 die Länderfeststellungen mit der Einladung übermittelt, eine Stellungnahme dazu abzugeben, was er aber nicht tat. Eine Verletzung des Parteiengehörs kann daher nicht erkannt werden. Soweit eine Verschlechterung der Wirtschaftslage in der Türkei ins Treffen geführt wird, ist dem grundsätzlich zuzustimmen. Allerdings ist die Wirtschaftslage bei weitem nicht so, dass der BF keine Arbeit bekommen würde und deshalb nicht in der Lage wäre, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Außerdem ist der BF in keiner Weise gezwungen, in die Herkunftsregion seiner Eltern zu ziehen. Vielmehr kann er in einer der Großstädte wie Istanbul, Ankara, Izmir etc. leben und arbeiten. Dabei wird ihm mit Sicherheit auch dienlich sein, wenn er - wie er in seiner Beschwerde behauptet - demnächst in der Strafanstalt seine Lehre abschließt, da sein frühest möglicher Entlassungstermin ohnedies erst am 23.9.2020 ist. Letztlich kann ihn in der Türkei auch seine Familie von Österreich aus finanziell unterstützen.
II.2.4. In Bezug auf den weiteren festgestellten Sachverhalt ist anzuführen, dass die von der belangten Behörde vorgenommene freie Beweiswürdigung (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76; Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305) im hier dargestellten Rahmen im Sinne der allgemeinen Denklogik und der Denkgesetze im Wesentlichen von ihrem objektiven Aussagekern her in sich schlüssig und stimmig ist.
II.2.4.1. Nach der Rechtsprechung des VwGH hat die Verpflichtung der Behörde zur amtswegigen Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes dort ihre Grenze, wo es der Mitwirkung der Partei bedarf und diese eine solche unterlässt (Erk. d. VwGH vom 12.9.2006, 2003/03/2006).
Auf die Mitwirkung des Asylwerbers im Verfahren ist Bedacht zu nehmen (§ 15 AsylG 2005) und im Rahmen der Beweiswürdigung - und damit auch bei der Beurteilung der Glaubhaftmachung - zu berücksichtigen (Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005 Kommentar, S 385 mwN auf die Judikatur des VwGH). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre [VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua], gesundheitliche [VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601], oder finanzielle [vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099] Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279). Wenn Sachverhaltselemente im Ausland ihre Wurzeln haben, ist die Mitwirkungspflicht und Offenlegungspflicht der Partei in dem Maße höher, als die Pflicht der Behörde zur amtswegigen Erforschung des Sachverhaltes wegen des Fehlens der ihr sonst zu Gebote stehenden Ermittlungsmöglichkeiten geringer wird. Tritt in solchen Fällen die Mitwirkungspflicht der Partei in den Vordergrund, so liegt es vornehmlich an ihr, Beweise für die Aufhellung auslandsbezogener Sachverhalte beizuschaffen (VwGH 12.07.1990, Zahl 89/16/0069).
Insgesamt gesehen wurde der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der belangten Behörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben, der immer noch die gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die belangte Behörde hat auch die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in der angefochtenen Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt und teilt das hier entscheidende Gericht auch die tragenden Erwägungen der Beweiswürdigung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid.
II.2.4.2. Der konnte auch im Beschwerdeverfahren, insbesondere in der Beschwerde, den Feststellungen der belangten Behörde nicht entsprechend entgegentreten. Vielmehr erhellte sich für das BVwG, dass der BF nunmehr mit der Beschwerdeschrift versuchte, sich in einem besseren Licht darzustellen, als es den wahren Begebenheiten entspricht. So versuchte der BF, in seiner Beschwerde seine wiederholten Straftaten, die sich überwiegend gegen fremdes Eigentum und das SMG richten, was auf eine intensive Beschaffungskriminalität des BF hindeutet, durch eine schwierige Kindheit und einen Umgang mit "falschen Freunden" zu rechtfertigen. Dagegen spricht allerdings alleine die 11-fache Delinquenz des BF von 2007 bis 2017.
Schon in diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass die fremdenpolizeilichen Beurteilungen unabhängig und eigenständig, von denen des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen sind (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096). Es obliegt daher dem erkennenden Gericht festzustellen, ob eine Gefährdung im Sinne des FPG vorliegt oder nicht. Es geht bei der Erlassung eines Einreiseverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).
Das BFA hat zu Recht ausgeführt, dass der BF bereits 11 Vorstrafen aufweist, davon 2 als Zusatzstrafen. Zuletzt wurde der BF am 11.7.2017 wegen Urkundenunterdrückung und wegen gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch zu einer Freiheitsstrafe von 3 1/2 Jahren verurteilt. Mildernd waren dabei das Geständnis des BF und eine teilweise Schadensgutmachung, erschwerend 9 einschlägige Vorstrafen, das Zusammentreffen von Vergehen und Verbrechen und das Vorliegen der Voraussetzungen der Strafverschärfung bei Rückfall.
Dabei drang der BF mit einem Komplizen überwiegend gewaltsam mehrfach in Geschäftslokale ein, um dort Geldbeträge zu stehlen. Weiter ging er in Geschäftslokale und stahl Geld aus den Kassen. Er schreckte auch nicht davor zurück, die Geldbörse seiner eigenen Mutter aus deren Schlafzimmer stehlen. Das gestohlene Geld wurde Essen, Drogen etc. ausgegeben. Der BF hielt es bei sämtlichen Taten ernsthaft für möglich und fand sich damit ab, den Berechtigten fremde, bewegliche Sachen im Gesamtwert von über 5.000,- Euro wegzunehmen und sich anzueignen. In allen Fällen war dem BF klar, dass er keinen Rechtsanspruch auf die weggenommenen Gegenstände hatte und kam es ihm gerade darauf an, den Berechtigten diese Sachen wegzunehmen, um sich oder einen Dritten durch die Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Außerdem nahm der BF in Kauf und fand sich billigend damit ab, durch Einschlagen von Türen und Fenstern bzw. Aufzwängen und Einbrechen in ein Gebäude zu seiner Beute zu gelangen. Dem BF ging es dabei darum, sich durch die fortlaufende Begehung von Einbruchsdiebstählen eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen, wobei dieses 400,- Euro monatlich deutlich überstiegen hat.
Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung hat das nunmehr entscheidende Gericht den Eindruck gewonnen, dass der BF nach wie vor den Unrechtsgehalt seiner Taten nicht eingesehen hat bzw. einen äußerst ungünstigen und uneinsichtigen Eindruck hinterlassen hat, indem er sich in seiner Beschwerde auf eine schwierige Kindheit und falsche Freunde herauszureden versucht. Keinesfalls kann von einem reumütigen Verhalten gesprochen werden und geht aus dem letzten Urteil auch deutlich hervor, dass der BF bei den Straftaten federführend war, während dem 2. Angeklagten die Rolle des Aufpassers zukam. Damit scheidet die Argumentation mit den falschen Freunden eindeutig aus.
Das BVwG bezieht auch die wiederholte, einschlägige Tatbegehung gegen fremdes Eigentum und die Verstöße gegen das SMG durch den BF über Jahre hinweg bei der Beurteilung der Dauer des Einreiseverbotes mit ein. Dass der BF tatsächlich in der Haft eine positiv abgeschlossene Drogentherapie absolviert hätte, wurde von ihm nicht bewiesen, zB. durch ein ärztliches Attest. Für das BVwG ist auch klar ersichtlich, dass es sich bei den Verbrechen des BF gegen fremdes Eigentum um Beschaffungskriminalität handelt, um so seinen Drogenkonsum zu finanzieren.
Auch konnte der BF in der Stellungnahme vom 4.2.2019 bzw. in seiner Beschwerde nicht glaubwürdig erläutern, warum ihr ein solcher Fehler nicht nochmals passieren sollte. Gerade das Risiko der Beschaffungskriminalität in Zusammenhang mit Suchtgiftkonsumenten wiegt in diesem Zusammenhang besonders schwer.
Soweit behauptet wird, die schriftliche Befragung des BF sei nicht ordnungsgemäß, ist seitens des erkennenden Gerichtes festzustellen, dass diese grundsätzlich nicht zu beanstanden ist. Die belangte Behörde hat den BF dahingehend in Kenntnis gesetzt, dass die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme beabsichtigt ist. Gleichzeitig wurden dem BF 23 konkrete Fragen zu seinem Privat- und Familienleben gestellt. Dem BF stand es dabei in seinem eigenen Interesse und im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten frei, diese Fragen entsprechend ausführlich zu beantworten bzw. bereits in diesem Verfahrensstadium eine Rechtsvertretung beizuziehen. Stattdessen beschränkte er sich auf überwiegend knappe Antworten und führte auch in seiner Beschwerde nichts Konkreteres zu seinem Privat- und Familienleben aus. Dass der BF 2 Brüder hat, wurde vom BFA ohnedies berücksichtigt. Wenn einer davon den BF unterstützt, kann er ihm auch in die Türkei Geld schicken oder via soziale Medien, Skype, etc. mit ihm kommunizieren. Dass die Mutter des BF seiner Pflege bedürfe konnte der BF nicht glaubhaft darlegen, da er diesbezüglich keine Beweismittel wie ärztliche Befunde etc. beigebracht hat. Dieses Vorbringen ist auch insofern nicht glaubhaft, da der BF seit November 2017 in Strafhaft ist. Sollte die Mutter tatsächlich pflegebedürftig sein, kann dies offenbar auch anderweitig (Vater, Brüder, Pflegedienste odgl.) sichergestellt werden.
Dem Akteninhalt kann auch nicht entnommen werden, weshalb die an den BF gerichteten Fragen schablonenhaft sein sollten und er seine Situation nicht frei, vollständig und unbeschwert schildern hätte können. Der BF hätte vielmehr ausreichend Gelegenheit gehabt, seine Situation schriftlich ausführlich darzulegen.
Auch der Argumentation in der Beschwerde, der BF könne nicht in die Herkunftsregion seiner Eltern zurück, da die Dorfbewohner nunmehr von seinen in Österreich begangenen Straftaten wissen würde, kann das BVwG nichts abgewinnen. Zum einen muss sich der BF nicht in diesem Gebiet niederlassen, zum anderen kann nicht nachvollzogen werden, weshalb die Dorfbewohner von den Straftaten des BF wissen sollten, wenn nicht er selbst oder seine Familie davon berichtet haben.
Das Beschwerdevorbringen, wonach der BF in der türkischen Grammatik nicht sattelfest sei, kommt keine Glaubwürdigkeit zu, da der BF laut eigener Angabe der türkischen Sprache mächtig ist, was ohne zumindest Grundkenntnisse der Grammatik nicht möglich ist.
II.2.4.2. Zu den Anknüpfungspunkten in Österreich ist festzustellen, dass sich der BF offensichtlich vorwiegend in der Familie und der türkischen Community aufhält. Von besonderen sozialen Kontakten, welche über die Verbindungen die durch den Aufenthalt automatisch geknüpft werden hinausgehen, kann damit nicht ausgegangen werden. Außerdem verneinte der BF in seiner Stellungnahme besondere soziale Kontakte, wie zB. Mitgliedschaften bei Vereinen, österr. Freunde etc.
II.2.4.3. Zu den Kontakten in der Türkei ist auszuführen, dass der BF selbst angegeben hat, dass er in der Vergangenheit zumindest zu Urlaubszwecken in die Türkei gereist ist. Darüber hinaus ist es auch möglich, dass die Eltern und die Brüder den BF im Rahmen der Rückkehr finanziell unterstützen können. Der BF spricht auch Türkisch. Außerdem ist dem BF bei der Existenzgründung in der Türkei die in Österreich in der Haft absolvierte Lehre sicherlich hilfreich.
II.2.4.4. Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer den Eingriff in sein Privat- und Familienleben hinzunehmen hat, zumal dies durch Art. 8 Abs. 2 EMRK gedeckt ist (vgl. rechtliche Beurteilung unten).
3. Rechtliche Beurteilung
II.3.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht
II.3.1.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF) entscheidet das Bundesverwaltungs-gericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
II.3.1.2. Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesver-waltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl I 10/2013 idgF entscheidet im gegenständlichen Fall der Einzelrichter.
II.3.1.3. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft und hat das ho. Gericht im gegenständlichen Fall gem. § 17 leg. cit das AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt. Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.
II.3.1.4. Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, es den angefochtenen Bescheid, auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Zu A) (Spruchpunkt I)
II.3.2. Erlassung einer Rückkehrentscheidung
II.3.2.1. Gesetzliche Grundlagen (auszugsweise):
§ 9 BFA-VG, Schutz des Privat- und Familienlebens:
"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.