TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/18 L521 2142880-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.07.2019
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Entscheidungsdatum

18.07.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

L521 2142880-1/25E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Türkei, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, 1170 Wien, Wattgasse 48, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.12.2016, Zl. 1067164000-150460047, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 04.02.2019 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Absatz 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 05.05.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung am 07.05.2015 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen EASt gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger der Türkei zu sein. Er sei am XXXX in der Stadt XXXX in der gleichnamigen Provinz geboren und habe zuletzt in Istanbul im Stadtteil XXXX gelebt, Angehöriger der türkischen Volksgruppe, bekenne sich zum alevitischen Glauben und sei ledig.

Er habe in der Türkei vier Jahre die Grundschule und eine höhere Schule besucht und sei zuletzt als Arbeiter beruflich tätig gewesen. Seine Eltern und seine zwei Brüder seien derzeit in der Türkei aufhältig.

Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, er habe die Türkei am 04.05.2015 illegal mit einem Lastkraftwagen verlassen und sei dermaßen schlepperunterstützt auf dem Landweg nach Österreich verbracht worden, wo er am folgenden 05.05.2015 angekommen sei.

Zu den Gründen seiner Ausreise befragt, führte der Beschwerdeführer aus, er sei aufgrund seiner Teilnahme bei Protestkundgebungen festgenommen und der Mitgliedschaft bei der Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front, DHKP-C) festgenommen und zwei Jahre angehalten worden. Am 18.03.2014 sei er enthaftet worden. Die Staatsanwaltschaft fordere in seinem Verfahren eine Haftstrafe von fünfzehn Jahren. Nachdem sein Rechtsanwalt im mitgeteilt habe, dass die Urteilsverkündung bevorstehe, habe er die Türkei verlassen, da er unschuldig sei.

2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 14.10.2015 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Vorarlberg, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in türkischer Sprache niederschriftlich von der zur Entscheidung berufenen Organwalterin einvernommen.

Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht zu haben, der Einvernahme folgen zu können und die türkische Sprache zu verstehen.

Zur Person befragt gab der Beschwerdeführer an, am XXXX in der Stadt XXXX geboren zu sein. Er sei türkischer Staatsangehöriger, bekenne sich zur alevitischen Glaubensrichtung, sei Angehöriger der türkischen Volksgruppe, ledig und kinderlos. In der Türkei habe er nach dem Schulbesuch als Fabrikarbeiter gearbeitet. Im Hinblick auf ein politisches Engagement legte der Beschwerdeführer dar, der CHP seit dem Jahr 2008 als Mitglied angehört zu haben.

In Istanbul habe er gemeinsam mit seinen zwei jüngeren Brüdern bei seinen Eltern im Stadtteil XXXX gelebt. Mit seiner dort nach wie vor aufhältigen Familie stehe er in Kontakt.

Zum Ausreisegrund befragt führte der Beschwerdeführer aus, er habe an erlaubten Demonstrationen und Pressekonferenzen teilgenommen und nie etwas mit verbotenen Gruppierungen zu tun gehabt. Dennoch hätten Polizisten mit der Behauptung einen Haftbefehl gegen ihn erwirkt, dass er mit "verbotenen Parteien" in Verbindung stehen würde. Es sei auch niemals eine Waffe bei ihm gefunden worden. Da er obgleich unschuldig ständig gesucht worden sei, habe er sich zur Ausreise entschlossen. Andernfalls wäre er bis zu fünfzehn Jahre lang inhaftiert worden.

Auf Nachfrage legte der Beschwerdeführer dar, sich nicht an Details hinsichtlich der Teilnahme an Demonstrationen und Pressekonferenzen erinnern zu können. Er habe gegen die Kündigung einer Krankenschwester demonstriert, gegen das Arbeitszeitgesetz und für eine regierungskritische Zeitschrift. Die Proteste hätten sich in den Jahren 2011 und 2012 zugetragen. Er sei dann bei einer "ganz normalen Personenkontrolle" festgenommen worden, nachdem festgestellt worden sie, dass sein Ausweis gefälscht war. Nach vier Tagen sicherheitsbehördlicher Anhaltung sei die Untersuchungshaft verhängt worden, aus der er dann am 18.03.2014 entlassen worden sei. Obwohl er unmittelbar nach der Entlassung den Ausreiseentschluss gefasst habe, habe er zunächst Hoffnung geschöpft. In der Folge sei er öfters von der Polizei kontrolliert worden. Einmal habe er eine Unterschrift verweigert, nachdem zuvor eine Unterschrift seines Vaters zur Herstellung eines verfälschten Dokumentes verwendet worden sei. Vor dem Haus seiner Familien hätten öfters Fahrzeuge geparkt, was zuvor nie der Fall gewesen sei. In seinem Viertel habe er viele Personen gesehen, die er nicht gekannt habe. Einmal sei er in einem öffentlichen Park von einem Zivilpolizisten nach seinem Ausweis gefragt worden. Nachdem ihm sein Rechtsanwalt mitgeteilt habe, dass er "ziemlich sicher inhaftiert" werde, sei er ausgereist.

Im Fall einer Rückkehr befürchte er, zu einer Haftstrafe von fünfzehn Jahren verurteilt zu werden, die er in Einzelhaft verbüßen müsse.

3. Mit dem hier angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.12.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - soweit für das Beschwerdeverfahren von Relevanz - nach der Wiedergabe der Einvernahmen des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person insbesondere aus, gegen den Beschwerdeführer sei in der Türkei ein Strafverfahren wegen seiner angeblichen Mitgliedschaft in der DHKP-C anhängig. Bis zum Abschluss des Verfahrens befinde sich der Beschwerdeführer auf freiem Fuß, er habe sich mit der Ausreise dem laufenden Strafverfahren entzogen.

Der Beschwerdeführer verfüge im Heimatland über familiäre Anknüpfungspunkte und es erweise sich deshalb eine Rückkehr als zumutbar und möglich. Eine asylrelevante Verfolgung im Rückkehrfall sei nicht feststellbar.

In der Beweiswürdigung wird diesbezüglich dargelegt, der Beschwerdeführer habe die wider ihn erhobene Anklage urkundlich nachgewiesen. Er verfügte in der Türkei über eine Rechtsanwältin und könne dermaßen auf das Verfahren Einfluss nehmen, ferner sei aus den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat abzuleiten, dass das türkische Justizsystem funktionieren würde, auch wenn Defizite hinsichtlich der Verfahrensdauer bestünden.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Dem Beschwerdeführer sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, da er im Irak über genügend Anknüpfungspunkte verfüge und keine reale Gefahr einer Verletzung in elementaren Rechte sowie keine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts drohe. Dem Beschwerdeführer sei schließlich kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen und erweise sich die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Privatlebens als zulässig.

4. Mit Verfahrensanordnungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.12.2015 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt und der Beschwerdeführer ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

5. Gegen den dem Beschwerdeführer am 07.12.2016 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.06.2017 richtet sich die im Wege der bevollmächtigten Rechtsberatung fristgerecht am 16.12.2016 eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser wird inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, den angefochtenen Bescheid abzuändern und dem Antrag auf internationalen Schutz Folge zu geben und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen oder hilfsweise den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen bzw. die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären und dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 zu erteilen. Eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt und jedenfalls eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begehrt.

In der Sache bringt der Beschwerdeführer nach Wiederholung seiner bereits vorgebrachten Ausreisegründe im Wesentlichen vor, das belangte Bundesamt habe die angefochtene Entscheidung auf unvollständige Länderberichte gestützt und insbesondere Ermittlungen zur Misshandlungen und Folter in türkischen Haftanstalten nicht berücksichtigt. Ausweislich der Berichte würden vermeintliche Anhänger der DHKP-C in türkischen Haftanstalten systematisch gefoltert und sei dem Beschwerdeführer deshalb internationaler Schutz zuzuerkennen.

Hinsichtlich der Beweiswürdigung wird im Besonderen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe kein Vertrauen in das türkische Rechtssystem, weil er unschuldig in Untersuchungshaft genommen worden sei. Insbesondere nach dem versuchten Staatsstreich von Teilen der türkischen Armee würden Abgeordnete, regierungskritische Journalisten, Anwälte und Zivilpersonen auf Grundlage staatsanwaltschaftlicher Anordnungen festgenommen und inhaftiert. Nunmehr wären diese Staatsanwälte selbst wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung inhaftiert worden. Hinsichtlich seiner Mitgliedschaft in der CHP könne der Beschwerdeführer nunmehr Beweise vorlegen. Seine Furcht vor Verfolgung sei im Kontext der Länderberichte glaubhaft und wohlbegründet.

6. Die Beschwerdevorlage langte am 22.12.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde zunächst der Gerichtsabteilung L520 zur Erledigung zugewiesen. Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 20.10.2017 wurde das Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung L513 und aufgrund einer weiteren Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 07.08.2018 der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

7. Mit Eingabe vom 13.02.2018 brachte der Beschwerdeführer Urkunden in türkischer Sprache in Vorlage, die einer Übersetzung in die deutsche Sprache zugeführt wurden.

8. Am 14.12.2018 langte eine Beschwerdeergänzung beim Bundesverwaltungsgericht ein und bringt der Beschwerdeführer darin vor, am 05.12.2018 habe ein Einsatzkommando der türkischen Polizei mit 50 Polizisten die Wohnung seines Bruders gestürmt und diesen festgenommen. Sein Bruder werde seit seiner Ausreise regelmäßig von der Polizei aufgesucht und die Ausreise des Beschwerdeführers auch der Grund der Festnahme gewesen. Sein Bruder würde nunmehr erpresst, gegen den Beschwerdeführer auszusagen oder weiter inhaftiert zu bleiben. Zivilpolizisten hätten seinem Bruder auch mitgeteilt, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet in der Türkei bekannt sei und der Beschwerdeführer entführt werden solle. Der Beschwerdeergänzung waren Urkunden in türkischer Sprache angeschlossen, die ebenfalls einer Übersetzung in die deutsche Sprache zugeführt wurden.

9. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.01.2019 wurden der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers aktuelle länderkundliche Informationen zur Lage im Herkunftsstaat zur Vorbereitung der für den 04.02.2019 anberaumten mündlichen Verhandlung übermittelte. Innerhalb der eingeräumten Frist langte keine Stellungnahme der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers ein.

10. Am 04.02.2019 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner rechtsfreundlichen Vertretung sowie eines gerichtlich beeideten Dolmetschers für die für die türkische Sprache durchgeführt.

Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung in der Türkei anhand aktueller Länderdokumentationsunterlagen erörtert. welche dem Beschwerdeführer ausgefolgt und eine Stellungnahme hiezu freigestellt wurde. Der Beschwerdeführer brachte ein türkischsprachiges Dokument in Vorlage, wonach sein Vater seinen Bruder für sechs Monate nicht in der Haftanstalt besuchen dürfe, ferner überreichte er Teilnamebestätigungen und Lichtbilder im Hinblick auf seine Aktivitäten in Österreich.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist der mündlichen Verhandlung entschuldigt ferngeblieben und hat die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde mit Schreiben vom 18.12.2018 beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist Staatsangehöriger der Türkei und bekennt sich zur alevitischen Glaubensrichtung. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Die Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers kann nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Er beherrscht Türkisch in Wort und Schrift auf muttersprachlichem Niveau.

Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in der Stadt XXXX in der gleichnamigen Provinz geborgen, übersiedelte jedoch bereit im Jahr 1984 mit seiner Familie nach Istanbul und wuchs dort im Stadtteil XXXX auf. Der Beschwerdeführer besuchte in Istanbul die Grundschule, die Hauptschule und das Lyzeum. Er leistete außerdem seinen 18-monatigen Wehrdienst vollständig ab. Im Anschluss daran trat der Beschwerdeführer in das Berufsleben ein und war bis in das Jahr 2012 als Arbeiter berufstätig und bestritt und dermaßen seinen Lebensunterhalt bestritt.

Am frühen Morgen des 03.08.2012 wurde der Beschwerdeführer in Istanbul gemeinsam mit der XXXX festgenommen wegen des Verdachts der beabsichtigten Begehung terroristischer Straftaten festgenommen und vom 06.08.2012 bis zum 18.03.2014 infolge einer gerichtlichen Entscheidung in Untersuchungshaft angehalten. Nach seiner Enthaftung arbeitete der Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise neuerlich als Arbeiter in einer Glasfabrik.

Zuletzt lebte der Beschwerdeführer im Stadtteil XXXX in Istanbul gemeinsam mit seinen Eltern seinen zwei Brüdern in einer Mietwohnung. Der Vater des Beschwerdeführers ist Beamter in Pension und bezieht einen Ruhegenuss, seine Mutter führt den Haushalt. Einer der Brüder des Beschwerdeführers lebt auch gegenwärtig noch bei den Eltern, er ist als Arbeiter erwerbstätig. Der weitere Bruder des Beschwerdeführers gründete eine Familie und ist Lehrer, er befindet sich derzeit in Untersuchungshaft. Der Beschwerdeführer steht mit seinen Verwandten in der Türkei in regelmäßigen Kontakt, er ist allerdings der Ansicht, dass die Telefongespräche abgehört werden. Er kommuniziert außerdem mittels WhatsApp mit seinen Angehörigen.

Der Beschwerdeführer ist Mitglied der Cumhuriyet Halk Partisi (CHP). Es kann nicht festgestellt werden, dass sich der Beschwerdeführer der Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front, DHKP-C) angeschlossen hat.

Der Beschwerdeführer verließ die Türkei am 04.05.2015 illegal und gelangte schlepperunterstützt mit einem Lastkraftwagen auf dem Landweg nach Österreich, wo er am 05.05.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.2. Der Beschwerdeführer hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seines alevitischen Religionsbekenntnisses zu gewärtigen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in der Türkei vor seiner Ausreise einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr in die Türkei der Gefahr einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

1.3. Die Oberstaatsanwaltschaft Istanbul hat am 18.01.2013 zur Zahl 2013/51 gegen den Beschwerdeführer und elf weitere Verdächtige, darunter die XXXX , Anklage insbesondere wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation, der Teilnahme an verbotenen Versammlungen in sechs Fälle, der Gutheißung terroristischer Vereinigungen, eines Verstoßes gegen das Waffengesetz und der Urkundenfälschung erhoben. Der Beschwerdeführer wird als achter Angeklagter angeführt. Ihm wird Urkundenfälschung, Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation, Propaganda für eine Terrororganisation, die Organisation und Durchführung illegaler Versammlungen und Demonstrationen und die Teilnahme an deren Aktionen sowie der Kauf oder Transport und Besitz von Patronen und einer nicht registrierten Schusswaffe zur Last gelegt.

In der Anklageschrift wird in Ansehung des Beschwerdeführers insbesondere folgendes ausgeführt:

"Am 24.08.2012 um 4:15 Uhr morgens sah ein Team der Fahrzeugpatrouille in der Istanbul, Kreis Eyüp, Siedlung XXXX , in der Nähe der Kreuzungsstelle Baraj Yolu und Atatürk Caddesi, ein Mann und eine Frau, welche nebeneinander in Richtung Gazi Mah. gingen. Der Mann hatte in der linken Hand eine schwarze Tasche und die Frau hatte in der Hand eine schwarze Plastiktasche und auf ihrer Schulter eine braune Tasche. Da diese Personen in der Nacht, während der Dunkelheit, in einer ruhigen Gegend bewegten, wollte man sie auf Verdacht stoppen. Dabei ging die männliche Person auf die Polizeibeamten zu und er bewegte dabei seine rechte Hand in Richtung seiner Gürtelschnalle. Deshalb haben die Beamten ihre Waffen auf diese Personen gerichtet. Daraufhin bewegten sich die Personen nicht mehr. Sie wurden gebeten, sich an den Drahtzaun am Straßenrand zu lehnen, indem sie ihre Hände hoch hoben und bevor sie sich gegen den Drahtzaun stützten ihre Taschen auf den Boden zu legen.

Bei der oberflächlichen Durchsuchung der männlichen Person wurde, im Bereich des vorderen Hosenbundes eine Pistole mit der Aufschrift CZ85 B CAL 9 LUGER und dazugehörige Magazin sichergestellt. Die Personen haben versucht, die am Boden liegenden Taschen zu nehmen. Da es vermutet wurde, in diesen Taschen, Waffen oder Sprengstoff aufbewahrt werden, wurden sie daran gehindert diese Taschen zu erreichen. Diese Taschen wurden unter Schutz genommen und anschließend nach einem Spezialisten-Team verlangt. Währenddessen wurden notwendige Sicherheitsmaßnahmen getroffen.

Von den Personen wurden die Personalausweise verlangt. Die männliche Person übergab den Polizeibeamten ein Ausweis, mit der türkischen ID-Nummer: 18458725796, ausgestellt für XXXX und die weibliche Person übergab ein Ausweis mit der türkischen ID-Nummer: 19976599500, ausgestellt für XXXX . Aus der GBT-Überprüfung der Polizei ging hervor, dass die Personen unbescholten waren. Bei der Überprüfung der übergebenen Personalausweise wurde vermutet, dass diese gefälscht sind. Als die Personen zur Polizeistation XXXX drohten sie die Beamten mit folgenden Worten: ?Wir werden so lange töten, bis dieser uniformierte Stab erschöpft ist. Ihr seid ein amerikanischer Diener. Ihr habt uns heute, morgen werden unsere Freunde uns rächen. Ihr habt uns noch nicht vernichten können. Folter ist unehrenhaft.' Deshalb wurde vermutet, dass diese Personen Mitglieder einer Terrororganisation sind.

Bei der Überprüfung der sichergestellten Taschen durch das Entsorgungsteam, wurden folgende Gegenstände festgestellt:

- Aus einer braunen Damen-Armtasche wurden folgende Gegenstände sichergestellt: 1 Stück Pistole der Marke Pietro Baretta 9 mm, mit der Seriennummer E 47758 P (Cal 4692) samt 3 Magazine, mit 45 Patronen mit der Aufschrift CBC 9 mm LUGER, insgesamt TL 110,00 und ein Mehrzweckmesser

- Aus einer schwarzen Reisetasche wurden folgende Gegenstände sichergestellt: 1 Stück orangefarbene fluoreszierende Weste, ein paar Handschuhe, 1 Paar weiße halbe Gesichtsmasken und Bekleidungsstücke. Die Gegenstände wurden wegen der Überprüfung, von den Beamten abgesichert. Für diese Gegenstände wurde ein Beschluss über die Beschlagnahme eingeholt.

Nach Informationen aus Geheimdienstquellen geht hervor, dass die Terrororganisation DHKP/C in Griechenland, im illegalen Bereich, eine politische und militärische Ausbildung hat.

Es wurde festgestellt, dass es sich bei diesen Personen um XXXX handelt. Diese Informationen wurden der Sicherheitsdirektion Istanbul gemeldet, bevor die Verdächtigen XXXX festgenommen wurden. Es wurde bekanntgegeben, dass die im Namen von Einzelpersonen ausgestellten gefälschten Personalausweise von Mitgliedern der Terrororganisation DHKP/C, bei den illegalen Aktivitäten und deren Vorbereitungen verwendet werden. Die Festnahme der Verdächtigen, mit gefälschten Personalausweisen, hat die Richtigkeit der Geheimdienst-Informationen bestätigt.

Untersuchung der gefälschten Personalausweise: Aus dem kriminalpolizeilichen Gutachten geht hervor, dass der Personalausweis von XXXX , ausgestellt für XXXX und der der Personalausweis von XXXX , ausgestellt für XXXX , gefälscht sind. Diese wurden in den Akt genommen.

Ballistische Untersuchung der Pistolen: Aus dem Gutachten des kriminalpolizeilichen Labors geht hervor, dass die Pistolen und die Schusspatronen im Geltungsbereich der Nummer 6136 des Gesetzes eingetragen sind.

Untersuchung der Micro SD-Karte: Bei den Personen wurden in einer Tasche eine Micro-SD-Speicherkarte mit schwarzem 2-GB-Gehäuse mit SDC02G-Etikett und eine MICROSD-Speicherkarte mit 2-GB-Gehäuse mit MICROSD-Bezeichnung, sichergestellt. Bei der Untersuchung des erhaltenen digitalen Materials wurde festgestellt, dass es mehrere mit XXXX verschlüsselte Dateien sind, die im militärischen Flügel der Terrororganisation DHKP/C verwendet werden, damit die in der bewaffneten Propaganda-Einheit (SPB) tätigen Personen, über das Internet mit den Administratoren der Organisation, verschlüsselt kommunizieren können.

Untersuchung der fluoreszierenden Weste: Bei der Festnahme der Personen XXXX und XXXX , die in der bewaffneten Propaganda-Einheit (SPB) aktiv tätig waren, wurde eine Tasche durchsucht, die die Personen, bei sich hatten. In dieser Tasche wurden eine Baustellen-Weste und Handschuhe sichergestellt. Von der Sicherheitsdirektion Istanbul wurde festgestellt, dass diese von den Bauarbeitern, im Außenbereich, benützt werden.

XXXX , die als Mitglieder der bewaffneten Propaganda-Einheiten (SPB) der Terrororganisation DHKP/C aktiv tätig waren, haben sich in der Hirkai Serif Moschee mit Handschuhen und Weste umzogen und wurden am 30.07.2012, vor einem bewaffneten Attentat, vor der Sicherheitsdirektion der Provinz, in Gewahrsam genommen. Es wurde angenommen, dass XXXX , die Bau-Handschuhe und Weste in einer möglichen Handlung an der Sicherheitsdirektion Istanbul verwenden werden.

Der Zeuge XXXX sagte als Geheimzeuge, über XXXX , folgendes aus: Ich kenne diese Person als XXXX . Ich weiß es, dass sie ein Mitglied des Hauptkomitees der Organisation ist. Sie regelt die Waffen- und Wohnangelegenheiten für die Organisationsmitglieder und der bewaffneten Propaganda-Einheiten (SPB). Sie ist ein Flügel der bewaffneten Organisation.

Feststellungen über die Verdächtigen XXXX :

Um die ärztlichen Berichte der 2 (zwei) festgenommenen Personen zu erhalten, die im Verdacht der Vorbereitung auf die Handlungen der bewaffneten Propaganda-Einheiten (SPB) für die Terrororganisation DHKP/C stehen, wurden sie wegen der medizinischen Untersuchung zur Gerichtsmedizin in XXXX gebracht. Während der Übernahme der ärztlichen Berichte, wehrten sich die beiden Personen und sie schrien folgende Slogans: ?Es lebe die Revolutionäre Volksbefreiungspartei - Sie werden uns niemals fertigmachen.'

Von der Verdächtigen XXXX wurde eine Speichelprobe entnommen. Während der Entnahme leistete sie Widerstand gegen die Beamten und schrie: ?Der Name der Hoffnung heißt DHKPC. Wir werden nach der Rechnung des Massakers vom 19. Dezember, erfragen. Die Unterdrückungen können uns nicht einschüchtern. Wir haben für die Folterungen abgerechnet und werden abrechnen. Foltern ist unehrenhaft.'

9. XXXX

Bei der Durchsuchung des Verdächtigen, wurden folgende Gegenstände sichergestellt:

1 Stück Pistole der Marke CZ 9 mm

1 Stück in der Pistole befindliches Patronen-Magazin

15 Stück Schuss-Patronen im Magazin

Außerdem: Aus den Geheimdienstinformationen geht hervor, dass der Verdächtige im Jahre 2011, wegen der Teilnahme an der politischen und militärischen Ausbildung der Terrororganisation DHKP/C nach Griechenland gefahren ist.

Der Vater des Verdächtigen, XXXX gab in seiner Vernehmung folgendes an: Der Verdächtige XXXX ist mein Sohn. Mein Sohn wurde aufgrund seiner gewerkschaftlichen Aktivitäten in seinen Firmen entlassen. Nach einem Streit verließ er im Februar 2011 die elterliche Wohnung. Ab diesem Zeitpunkt übernachtete er im Verein für Grundrechte und Freiheiten XXXX . Dort hat er die Zeitschrift XXXX verkauft. Ich habe von ihm seit Juli 2011 nichts gehört.

Die festgestellten Handlungen des Verdächtigen XXXX :

1. Vorfall:

AM 09.05.2010 wurde das Mitglied der DHKP/C XXXX , von unserem Staatspräsident begnadigt. Sie verstarb wegen ihrer Krankheit. Ihr Leichnam wurde mit der Teilnahme der Personen, die in der Terrororganisation DHKP/C aktiv tätig sind, beerdigt. Eine Gruppe der Teilnehmer des Begräbnisses trugen ein Transparent mit der Aufschrift; Die Krebspatientin XXXX fiel zum Märtyrer. XXXX ist unsterblich. "VOLKSFRONT" Sie trugen rote Flaggen, die die Terrororganisation DHKP/C repräsentieren, in ihren Händen. Um die Identität der Teilnehmer des Begräbnisses festzustellen, wurden Überprüfungen durchgeführt. Es wurde festgestellt, dass der Verdächtige XXXX am gegenständlichen Begräbnis teilnahm und die rote Flagge der DHKP/C trug.

2. Vorfall:

Am 14.09.2010 wurde von der Arbeiterstruktur der Terrororganisation DHKP/C vor der Arbeiter-Gewerkschaft TEK GIDA in Istanbul ein Sitzstreik durchgeführt. Die Teilnehmer trugen Plakate mit folgenden Aufschriften: Mit 4C wird die Sklaverei bestätigt. Wir sollten gegen die Imperialisten und ihre Kollaborateure, die 4C aufzwingen, kämpfen. "REVOLUTIONÄRE ARBEITERBEWEGUNG". Sie trugen dabei Westen mit der Aufschrift: Kein Widerstand gegen 4C bedeutet, sich dem Imperialismus zu unterwerfen. Werdet Ihr die Arbeiter dem Imperialismus überlassen? "REVOLUTIONÄRE ARBEITERBEWEGUNG". Dabei haben sie sich vor dem Gebäude der Arbeiter-Gewerkschaft TEK GIDA, angekettet. Bei der Überprüfung der Identität der Teilnehmer wurde folgendes festgestellt: Der Verdächtige XXXX nahm an dieser Veranstaltung teil und trug dabei eine Weste mit der Aufschrift Wir sind Arbeiter. Wir haben Recht und wir werden siegen. Er hat sich vor dem Gebäude der Arbeiter-Gewerkschaft TEK GIDA, angekettet.

3. Vorfall:

Am 24.12.2010 hat der Verdächtige eine Presseerklärung im Kreis XXXX abgegeben, um gegen die Operation im Betrieb der offenen Struktur der Terrororganisation DHKP/C, der Zeitschrift XXXX zu protestieren. Die Teilnehmer an der Aktion für Unabhängigkeit, Demokratie, Sozialismus, haben Plakate mit der Aufschrift: XXXX Drucke und Anhaltungen können uns nicht zum Schweigen bringen, aufgestellt und Westen mit XXXX getragen. Bei der Überprüfung der Identität der Teilnehmer wurde folgendes festgestellt: Der Verdächtige XXXX nahm an der gegenständlichen Veranstaltung teil und trug dabei eine Weste mit der Aufschrift XXXX und er bewegte sich mit der Gruppe.

4. Vorfall:

Am 25.10.2010 wurde von der Arbeiter-Struktur der Terrororganisation DHKP/C, Revolutionären Bewegung, zum Protest gegen das Beutel-Gesetz (Gesetz zur Änderung bestimmter Forderungen und Änderungen des Gesetzes über die Sozialversicherung und die allgemeine Krankenversicherung sowie einiger anderer Gesetze und Verordnungsgesetze, gemeint), eine Handlung vor dem AKP-Gebäude in XXXX , realisiert. Die Teilnehmer an der Protestaktion trugen Plakate mit der Aufschrift: Das Beutel-Gesetz bedeutet Erpressung, Sklaverei, Deportation, Schinderei, Unsicherheit und Hunger. Wir vereinigen uns, leisten Widerstand und siegen gegen den Feind des Volkes, AKP. (Revolutionäre Arbeiterbewegung Arbeiterfront) Er trug dabei eine Weste mit der Aufschrift Wir sind Arbeiter, wir haben Recht und wir werden siegen.

5. Vorfall:

Am 05.12.2010 wurde vor dem Lyzeum XXXX im Kreis Beyoglu/Istanbul von der Arbeiter-Struktur der Terrororganisation DHKP/C, DIH Revolutionäre Arbeiter-Bewegung, eine Presseerklärung organisiert. Die Teilnehmer trugen Transparente mit der Aufschrift: Imperialismus und Kollaborateure werden verlieren. Die Arbeiter werden siegen. (Revolutionäre Arbeiterbewegung Arbeiterfront). XXXX hat Widerstand geleistet und gesiegt. Die widerstandleistenden Leiharbeiter von XXXX und die widerstandleistenden Leiharbeiter von XXXX sind nicht allein. AKP ist Feind der Arbeiter. Es lebe der Organisationskampf. Mit Unterschrift von (Revolutionäre Arbeiterbewegung Arbeiterfront). Bei der Überprüfung der Personaldaten der Teilnehmer wurde festgestellt, dass der Verdächtige XXXX an der Presseerklärung teilnahm, eine rote Weste mit der Aufschrift Wir sind Arbeiter, wir haben Recht und wir werden siegen trug und sich mit der Gruppe bewegte.

6. Vorfall:

Am 06.12.2010 wurde vor dem israelischen Konsulat von der Front-Struktur der Terrororganisation DHKP/C, VOLKSFRONT, gegen den Staat Israel, eine Protestkundgebung organisiert. Die Teilnehmer trugen Transparente mit der Aufschrift: Sie können die Rechte gegen die Isolierung nicht übernehmen. Freiheit XXXX . (Volksfront) Schlachter-Staat darf nicht entscheiden. Isolation ist die Politik des Imperialismus. (Volksfront) Sie trugen weiters rote Flaggen der Terrororganisation DHKP/C. Bei der Überprüfung der Personaldaten der Teilnehmer wurde festgestellt, dass der Verdächtige XXXX eine rote Weste mit der Aufschrift Wir sind Arbeiter, wir haben Recht und wir werden siegen. Der Verdächtige verzehrte die Verpflegung, während der Fahr zur Sicherheitsdirektion Istanbul, wegen des Hungerstreiks, nicht.

Bewertung über das Ergebnis des 2. Vorfalls:

Den Geheimdienstberichten zufolge war die Terrororganisation DHKP/C auf der Suche nach Maßnahmen gegen die Sicherheitskräfte. In diesem Zusammenhang begannen viele Mitglieder der Organisation, in den bewaffneten Propaganda-Einheiten (SPB), der illegalen Terrororganisation, zu arbeiten. Einige Mitglieder dieser Organisation erhielten politische und militärische Ausbildung in den Organisationslagern in Griechenland. Um nicht entschlüsselt zu werden, wird berichtet, dass ihnen gefälschte Identität und Schutz in den Zellenheimen geboten, die als sichere Häuser bezeichnet werden. In diesem Zusammenhang ist zu sehen, dass die Mitglieder der Terrororganisation DHKP/C im letzten Prozess, überschneidend mit den Geheimdienstberichten oder aufgrund der geleisteten Arbeit ohne die Handlung begehen zu können, ertappt worden sind.

Aus dem Geheimdienstbericht geht hervor, dass die am 03.08.2012 festgenommenen Organisationsmitglieder XXXX angefangen haben bei den SPB-Einheiten aktiv waren, XXXX in den Organisations-Camps in Griechenland politische und militärische Ausbildung hatte. Bei der Festnahme hatten sie Pistolen und sehr viel Munition bei sich. Außerdem hatten sie gefälschte Personalausweise bei sich. Aus den Geheimdienstberichten geh hervor, dass diese Ausweise von den Organisationsmitgliedern verwendet werden. Bei der Untersuchung der in der Tasche sichergestellten Bauarbeiter-Westen und Handschuhe und des erhaltenen digitalen Materials wurde festgestellt, dass es mehrere mit XXXX verschlüsselte Dateien sind, die im militärischen Flügel der Terrororganisation DHKP/C verwendet werden, damit die in der bewaffneten Propaganda-Einheiten (SPB) tätigen Personen, über das Internet mit den Administratoren der Organisation, verschlüsselt kommunizieren können.

Der Vater von XXXX erklärte in seiner Vernehmung, dass sein Sohn seit einem Jahr verschwunden ist. Wenn man die Aktivitäten dieser Personen in der Vergangenheit, in den demokratischen Strukturen der Terrororganisation DHKP/C berücksichtigt, dann versteht sich, dass die Mitglieder der oben genannten Organisation, ein zweiköpfiges SPB-Team sind, das geschaffen wurde, um Aktionen im Auftrag von DHPK/C durchzuführen.

Der kriminalpolizeiliche Bericht, über die gefälschten Personalausweise, welche bei den Verdächtigen sichergestellt worden sind, wurde in den Akt genommen.

ERGEBNIS:

Wie oben ausgeführt, wurden die Geheimdienstberichte eingeholt und die Materialien, Ermittlungsberichte und Festnahmeprotokolle, Waffen, Aussagen, die geheimen Aussagen, das Verhalten der Verdächtigen während der Festnahme und der Haft, wurden berücksichtigt.

XXXX hat folgende Strafhandlungen begangen:

Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation, Propagieren für eine Terrororganisation, Verstoß gegen die Nummer 2911 des Gesetzes, Verstoß gegen die Nummer 6136 des Gesetzes, Betrug

XXXX hat folgende Strafhandlungen begangen:

Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation, Propagieren für eine Terrororganisation (6x), Verstoß gegen die Nummer 2911 des Gesetzes (6x), Verstoß gegen die Nummer 6136 des Gesetzes, Betrug."

Es kann nicht festgestellt werden, dass die wider den Beschwerdeführer erhobene Anklage aus einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Grund erhoben wurde oder dass die strafrechtliche Verfolgung des Beschwerdeführers auf anderen unsachlichen Motiven beruht. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass die Strafverfolgung dem Zweck dient, den Beschwerdeführer für die Teilnahme an erlaubten gewerkschaftlichen und regierungskritischen Aktivitäten im Jahr 2012 zu bestrafen.

Der Beschwerdeführer wurde in der Türkei vom 03.08.2012 bis zum 18.03.2014 polizeilich bzw. nach Verhängung der Untersuchungshaft mit gerichtlichem Beschluss vom 06.08.2012 in Untersuchungshaft angehalten und am 18.03.2014 noch vor dem Abschluss des erstinstanzlichen Strafverfahrens aufgrund eines Beschlusses des 2. Schwurgerichtes Istanbul aufgrund der Beweislage, der Haftdauer und des Wegfalls der Fluchtgefahr und Verdunkelungsgefahr enthaftet.

Dem Beschwerdeführer wurde im Rahmen der Hauptverhandlung Gelegenheit eingeräumt, sich zu verteidigen. Er ist in seinem Strafverfahren rechtsanwaltlich vertreten. Das Strafverfahren ist derzeit in erster Instanz beim 2. Schwurgericht Istanbul anhängig, ein Urteil in Abwesenheit ist nicht ergangen.

Die Mitangeklagte XXXX (nunmehr verheiratete XXXX ) wurde ebenfalls enthaftet. Das gegen sie geführte Strafverfahren ist ebenfalls unerledigt in erster Instanz anhängig. XXXX lebt in Istanbul und ist dort erwerbstätig.

Zum Entscheidungszeitpunkt kann weder festgestellt werden, ob bzw. wann ein (erstinstanzliches) Urteil infolge der wider den Beschwerdeführer erhobenen Anklage ergehen wird. Ebenso wenig kann gegenwärtig festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer der ihm zur Last gelegten Taten ganz oder teilweise schuldig erkannt wird oder ein gänzlicher oder teilweiser Freispruch ergeht bzw. zu welcher Strafe er im Fall eines Schuldspruches verurteilt werden würde. Ausgehend davon kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt und er anschließend seine Strafe in einer Typ-F-Hochsicherheitsstrafvollzugsanstalt verbüßen müsste. Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Anhaltung in Haft mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit gefoltert würde.

Der Beschwerdeführer befand sich vom 18.03.2014 bis zur Ausreise auf freiem Fuß, er wurde jedoch mit einem Ausreiseverbot belegt. Es kann nicht festgestellt werden, dass ihm unmittelbar vor der Ausreise neuerlich die Festnahme drohte. Der Beschwerdeführer verließ die Türkei auf illegalem Weg, um sich dem gegen ihn anhängigen Strafverfahren und einem möglichen zukünftigen Strafantritt im Hinblick auf eine allfällige Verurteilung zu entziehen.

Den türkischen Strafverfolgungsbehörden ist bekannt, dass sich der Beschwerdeführer in Österreich aufhält. Dass ein Verfahren zur Auslieferung des Beschwerdeführers angestrengt wurde, kann nicht festgestellt werden.

Es kann abseits davon nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat dort einer anderweitigen individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr in seine Herkunftsregion einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

1.4. Der Bruder des Beschwerdeführers wurde im Jahr 2018 nicht von Sicherheitskräften festgenommen und wider ihn in der Folge wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung zum Zweck der Schlepperei die Untersuchungshaft verhängt, um belastende Aussagen gegen den Beschwerdeführer zu erpressen.

1.5. Der Beschwerdeführer unterliegt bei einer Rückkehr in die Türkei nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer staatlichen Verfolgung im Hinblick auf seiner (einfachen) Mitgliedschaft bei der CHP und seiner Beteiligung an deren politischen Aktivitäten. Ferner kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat aufgrund seiner tatsächlichen oder vermeintlichen kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit im Fall einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit willkürlicher Gewaltausübung, willkürlichem Freiheitsentzug oder exzessiver Bestrafung durch staatliche Organe ausgesetzt wäre.

1.6. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge in der Türkei.

Der Beschwerdeführer gehört der Gülen-Bewegung nicht an und war nicht in den versuchten Staatsstreich durch Teile der türkischen Armee in der Nacht vom 15.07.2016 auf den 16.07.2016 verwickelt.

1.7. Der Beschwerdeführer ist ein arbeitsfähiger Mensch mit bestehenden Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage. Er verfügt über mehrere Jahre Berufserfahrung als Arbeiter. Dem Beschwerdeführer ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.

Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung.

Der Beschwerdeführer verfügt für den Fall der Rückkehr über ein türkisches Identitätsdokument (Nüfus) im Original und eine Wohnmöglichkeit in der Mietwohnung seiner Familie in Istanbul.

1.8. Der Beschwerdeführer hält sich seit dem 05.05.2015 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in Österreich ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel.

Der Beschwerdeführer bezieht seit der Antragstellung am 05.05.2015 Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und lebt in einer Unterkunft für Asylwerber in der Gemeinde XXXX in Vorarlberg.

Der Beschwerdeführer ist für keine Person sorgepflichtig und pflegt im Übrigen normale soziale Kontakte. In der Stadt St. Pölten lebt eine Cousine, mit der der Beschwerdeführer in telefonischen Kontakt steht, persönliche Begegnungen sind aufgrund der Entfernung selten. Der Beschwerdeführer hat in der Gemeinde XXXX ehrenamtliche Hilfstätigkeiten in einem Altenheim geleistet. Er nimmt im Rahmen des Projektes " XXXX " am wöchentlichen Sportnachmittag teil.

Der Beschwerdeführer ist nicht legal erwerbstätig und es wurde ihm auch keine Erwerbstätigkeit am regulären Arbeitsmarkt in verbindlicher Weise zugesichert.

Der Beschwerdeführer besucht sprachliche Qualifizierungsmaßnahmen zum Erwerb der deutschen Sprache und legte am 13.11.2017 die Prüfung auf dem Niveau A2 ab.

Der Beschwerdeführer verehrt die in der Türkei geborene österreichische Staatsangehörige XXXX , wohnhaft in 1130 Wien, XXXX , die er bereit in der Türkei kennenlernte. Die Genannte ist den Angaben des Beschwerdeführers seit kurzem geschieden, sie und auch der Beschwerdeführer lehnen eine Eheschließung ab, solange dem Beschwerdeführer nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird. Der Beschwerdeführer lebt mit XXXX nicht im gemeinsamen Haushalt, in den letzten zwei Jahren kam es nur einmal zu einem persönlichen Kontakt. Die gegenwärtige Anschrift der XXXX ist dem Beschwerdeführer nicht geläufig.

Der Beschwerdeführer lernte eigenen Angaben zufolge auch im Bundesland Vorarlberg Frauen kennen, sein ungewisser Aufenthaltsstatuts hinderte ihn allerdings daran, "ernsthafte Beziehung[en]" einzugehen.

1.9. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Er wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

1.10. Zur gegenwärtigen Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten Quellen getroffen:

1. Politische Lage

Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte sowie den Grundsätzen ihres Gründers Atatürk besonders verpflichtet. Staats- und Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems per 9.7.2018 der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt (AA 3.8.2018).

Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, mit der Möglichkeit einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet zwei Wochen später eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten statt. Die 600 Mitglieder der Großen Türkischen Nationalversammlung, ein Einkammerparlament, werden durch ein proportionales System mit geschlossenen Parteienlisten bzw. unabhängigen Kandidaten in 87 Wahlkreisen für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Wahlkoalitionen sind erlaubt. Es gilt eine 10%-Hürde für Parteien bzw. Wahlkoalitionen, die höchste unter den Staaten der OSZE und des Europarates. Die Verfassung garantiert die Rechte und Freiheiten, die den demokratischen Wahlen zugrunde liegen, nicht ausreichend, da sie sich auf Verbote zum Schutze des Staates beschränkt und der Gesetzgebung diesbezügliche unangemessene Einschränkungen erlaubt. Im Rahmen der Verfassungsänderungen 2017 wurde die Zahl der Sitze von 550 auf 600 erhöht und die Amtszeit des Parlaments von vier auf fünf Jahre verlängert (OSCE/ODIHR 25.6.2018).

In der Verfassung wird die Einheit des Staates festgeschrieben, wodurch die türkische Verwaltung zentralistisch aufgebaut ist. Es gibt mit den Provinzen, den Landkreisen und den Gemeinden (belediye/mahalle) drei Verwaltungsebenen. Die Gouverneure der 81 Provinzen werden vom Innenminister ernannt und vom Staatspräsidenten bestätigt. Den Landkreisen steht ein vom Innenminister ernannter Regierungsvertreter vor. Die Bürgermeister und Dorfvorsteher werden vom Volk direkt gewählt, doch ist die politische Autonomie auf der kommunalen Ebene stark eingeschränkt (bpb 11.8.2014).

Am 16.4.2017 stimmten bei einer Beteiligung von 85,43% der türkischen Wählerschaft 51,41% für die von der regierenden AKP initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung, welche ein exekutives Präsidialsystem vorsah (OSCE 22.6.2017, vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Der Staat hat nicht garantiert, dass die WählerInnen unparteiisch und ausgewogen informiert wurden. Zivilgesellschaftliche Organisationen konnten an der Beobachtung des Referendums nicht teilhaben. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des bestehenden Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).

Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) und die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) legten bei der Obersten Wahlkommission Beschwerde ein, dass 2,5 Millionen Wahlzettel ohne amtliches Siegel verwendet worden seien. Die Kommission wies die Beschwerde zurück (AM 17.4.2017). Gegner der Verfassungsänderung demonstrierten in den größeren Städten des Landes gegen die vermeintlichen Manipulationen (AM 18.7.2017). Die OSZE kritisiert eine fehlende Bereitschaft der türkischen Regierung zur Klärung von Manipulationsvorwürfen (FAZ 19.4.2017).

Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan 52,6% der Stimmen, sodass ein möglicher zweiter Wahlgang obsolet wurde. Der Kandidat der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), Muharrem Ince, erhielt 30.6%. Der seit November 2016 inhaftierte ehemalige Ko-Vorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtas, erhielt 8,4% und die Vorsitzende der neu gegründeten Iyi-Partei, Meral Aksener, erreichte 7,3%. Die übrigen Mitbewerber lagen unter einem Prozent. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AK-Partei 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Zwar verlor die AKP die absolute Mehrheit, doch durch ein Wahlbündnis mit der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unter dem Namen "Volksbündnis", verfügt sie über eine Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekuläre CHP gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative iyi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische HDP mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 26.6.2018). Zwar hatten die Wähler und Wählerinnen eine echte Auswahl, doch bestand keine Chancengleichheit zwischen den Kandidaten und Parteien. Der amtierende Präsident und seine Partei genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu ihren Gunsten widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit auch in den Medien ein. Internationale Wahlbeobachter der ODIHR-Beobachtermission konstatieren in ihrem vorläufigen Bericht vielfältige Verstöße gegen den Fairnessgrundsatz (u.a. ungleicher Medienzugang, Wahl unter Ausnahmezustand) die aber die Legitimität des Gesamtergebnisses insgesamt nicht in Frage stellen. Der Wahlkampf fand freilich in einem stark polarisierten politischen Umfeld statt (OSCE/ODIHR 25.6.2018).

Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen; den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidialerlässe zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen; das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft; das Regierungsbudget aufzustellen; Vetogesetze zu erlassen; und vier von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte und zwölf von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Die traditionellen Instrumente des Parlaments zur Kontrolle der Exekutive, wie z. B. ein Vertrauensvotum und die Möglichkeit mündlicher Anfragen an die Regierung, sind nicht mehr möglich. Nur schriftliche Anfragen können an Vizepräsidenten und Minister gerichtet werden. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Grundsatz des Vorrangs von Gesetzen vor Präsidialerlässen ist im neuen System verankert. Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidialerlässen beantragen kann (EC 17.4.2018).

Unter dem Ausnahmezustand wurde die Schlüsselfunktion des Parlaments als Gesetzgeber eingeschränkt, da die Regierung auf Verordnungen mit "Rechtskraft" zurückgriff, um Fragen zu regeln, die nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren hätten behandelt werden müssen. Das Parlament erörterte nur eine Handvoll wichtiger Rechtsakte, insbesondere das Gesetz zur Änderung der Verfassung und umstrittene Änderungen seiner Geschäftsordnung. Nach den sich verschärfenden politischen Spannungen im Land wurde der Raum für den Dialog zwischen den politischen Parteien im Parlament weiter eingeschränkt. Die oppositionelle Demokratische Partei der Völker (HDP) wurde besonders an den Rand gedrängt, da viele HDP-ParlamentarierInnen wegen angeblicher Unterstützung terroristischer Aktivitäten verhaftet und zehn von ihnen ihres Mandates enthoben wurden (EC 17.4.2018).

Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 verabschiedete das türkische Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet ist (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). In 27 Paragrafen wird geregelt, wie der Staat den Kampf gegen den Terror auch im Normalzustand weiterführen will. So behalten die Gouverneure einen Teil ihrer Befugnisse aus dem Ausnahmezustand. Sie dürfen weiterhin Menschen, bei denen der Verdacht besteht, dass sie "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit stören", bis zu 15 Tage lang den Zugang zu bestimmten Orten und Regionen verwehren und die Versammlungsfreiheit einschränken. Grundsätzlich darf es wie im Ausnahmezustand nach Einbruch der Dunkelheit keine Demonstrationen im Freien mehr geben. Zusätzlich können sie Versammlungen mit dem Argument verhindern, dass diese "den Alltag der Bürger nicht auf extreme und unerträgliche Weise erschweren dürfen". Der neue Gesetzestext regelt im Detail, wie Richter, Sicherheitskräfte oder Ministeriumsmitarbeiter entlassen werden können. Außerdem will die Regierung wie während des Ausnahmezustandes die Pässe derer, die wegen Terrorverdachts aus dem Staatsdienst entlassen oder suspendiert werden, ungültig machen. Auch die Pässe ihrer Ehepartner können weiterhin annulliert werden (ZO 25.7.2018). Auf der Plus-Seite der gesetzlichen Regelungen steht die weitere Verkürzung der Zeit in Polizeigewahrsam ohne richterliche Anordnung von zuletzt sieben auf nun maximal vier Tage. Innerhalb von 48 Stunden nach der Festnahme sind Verdächtige an den Ort des nächstgelegenen Gerichts zu bringen. In den ersten Monaten nach dem Putsch konnten Bürger offiziell bis zu 30 Tage in Zellen verschwinden, ohne einen Richter zu sehen (NZZ 18.7.2018).

In der Nacht vom 15.7. auf den 16.7.2016 kam es zu einem versuchten Staatsstreich durch Teile der türkischen Armee. Insbesondere Istanbul und Ankara waren von bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen. In Ankara kam es u.a. zu Angriffen auf die Geheimdienstzentrale und das Parlamentsgebäude. In Istanbul wurde der internationale Flughafen vorrübergehend besetzt. Der Putsch scheiterte jedoch. Kurz vor Mittag des 16.7.16 erklärte der türkische Ministerpräsident Yildirim, die Lage sei vollständig unter Kontrolle (NZZ 17.7.2016). Mehr als 300 Menschen kamen ums Leben (Standard 18.7.2016). Sowohl die regierende islamisch-konservative Partei AKP als auch die drei im Parlament vertretenen Oppositionsparteien - CHP, MHP und die pro-kurdische HDP - hatten sich gegen den Putschversuch gestellt (SD 16.7.2016). Unmittelbar nach dem gescheiterten Putsch wurden 3.000 Militärangehörige festgenommen. Gegen 103 Generäle wurden Haftbefehle ausgestellt (WZ 19.7.2016a). Das Innenministerium suspendierte rund 8.800 Beamte, darunter 7.900 Polizisten, über 600 Gendarmen sowie 30 Provinz- und 47 Distriktgouverneure (HDN 18.7.2016). Über 150 Höchstrichter und zwei Verfassungsrichter wurden festgenommen (WZ 19.7.2016a; vgl. HDN 18.7.2016). Die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter zeigte sich tief betroffenen über die aktuellen Entwicklungen in der Türkei. Laut Richtervereinigung dürfen in einem demokratischen Rechtsstaat Richterinnen und Richter nur in den in der Verfassung festgelegten Fällen und nach einem rechtsstaatlichen und fairen Verfahren versetzt oder abgesetzt werden (RIV 18.7.2016).

Staatspräsident Erdogan und die Regierung sahen den im US-amerikanischen Exil lebenden Führer der Hizmet-Bewegung, Fethullah Gülen, als Drahtzieher der Verschwörung und forderten dessen Auslieferung (WZ 19.7.2016b). Präsident Erdogan und Regierungschef Yildirim sprachen sich für die Wiedereinführung der 2004 abgeschafften Todesstrafe aus, so das Parlament zustimmt (TS 19.7.2016; vgl. HDN 19.7.2016). Neben zahlreichen europäischen Politikern machte daraufhin auch die EU-Außenbeauftragte, Federica Mogherini, klar, dass eine EU-Mitgliedschaft der Türkei unvereinbar mit Einführung der Todesstrafe ist. Zudem sei die Türkei Mitglied des Europarates und somit an die europäische Menschrechtskonvention gebunden (Spiegel 19.7.2016).

Seit der Einführung des Ausnahmezustands wurden über 150.000 Personen in Gewahrsam genommen, 78.000 verhaftet und über 110.000 Beamte entlassen, während nach Angaben der Behörden etwa 40.000 wieder eingestellt wurden, etwa 3.600 von ihnen per Dekret (EC 17.4.2018). Justizminister Abdulhamit Gül verkündete am 10.2.2017, dass rund 38.500 Mitglieder der Gülen-Bewegung, 10.000 der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) und rund 1.350 Mitglieder des sogenannten Islamischen Staates in der Türkei in Untersuchungshaft genommen oder verurteilt wurden. 2017 wurden von Staatsanwälten mehr als vier Millionen Untersuchungen eingeleitet. Laut Gül verhandelten die Obersten Strafgerichte 2017 mehr als sechs Millionen neue Fälle (HDN 12.2.2017). Die türkische Regierung hat Ermittlungen gegen insgesamt 612.347 Personen in der gesamten Türkei eingeleitet, weil sie in den letzten zwei Jahren angeblich "bewaffneten terroristischen Organisationen" angehört haben. Das Justizministerium gibt an, dass allein 2017 Ermittlungen gegen 457.425 Personen eingeleitet wurden, die im Sinne von Artikel 314 des Türkischen Strafgesetzbuches (TCK) als Gründer, Führungskader oder Mitglieder bewaffneter Organisationen gelten (TP 10.9.2018, vgl. SCF 7.9.2018). Mit Stand 29.8.2018 waren rund 170.400 Personen entlassen und 81.400 Personen in Gefängnissen inhaftiert (TP 29.8.2018).

Sowohl die türkische Regierung, Staatspräsident Erdogan als auch die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) erklärten Ende Juli 2015 angesichts der bewaffneten Auseinandersetzungen den seit März 2013 bestehenden Waffenstillstand bzw. Friedensprozess für beendet (Spiegel 25.7.2015; vgl. DF 28.7.2015). Hinsichtlich des innerstaatlichen Konfliktes forderte das EU-Parlament einen sofortigen Waffenstillstand im Südosten der Türkei und die Wiederaufnahme des Friedensprozesses, damit eine umfassende und tragfähige Lösung zur Kurdenfrage gefunden werden kann. Die kurdische Arbeiterpartei (PKK) sollte die Waffen niederlegen, terroristische Vorgehensweisen unterlassen und friedliche und legale Mittel nutzen, um ihren Erwartungen Ausdruck zu verleihen (EP 14.4.2016; vgl. Standard 14.4.2016). Die Europäische Kommission bekräftigt das Recht der Türkei die Kurdische Arbeiterpartei (PKK), die weiterhin in der EU als Terrororganisation gilt, zu bekämpfen. Allerdings müssten die Anti-Terrormaßnahmen angemessen sein und die Menschenrechte geachtet werden. Die Lösung der Kurdenfrage durch einen politischen Prozess ist laut EK der einzige Weg, Versöhnung und Wiederaufbau müssten ebenfalls von der Regierung angegangen werden. (EC 9.11.2016).

2. Sicherheitslage

Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage. In den größeren Städten und in den Grenzregionen zu Syrien kann es zu Demonstrationen und Ausschreitungen kommen. Im Südosten des Landes sind die Spannungen besonders groß, und es kommt immer wieder zu Ausschreitungen und bewaffneten Zusammenstößen. Der nach dem Putschversuch vom 15.7.2016 ausgerufene Notstand wurde am 18.7.2018 aufgehoben. Allerdings wurden Teile der Terrorismusabwehr, welche Einschränkungen gewisser Grundrechte vorsehen, ins ordentliche Gesetz überführt. Die Sicherheitskräfte verfügen weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen. Trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen besteht das Risiko von Terroranschlägen jederzeit im ganzen Land. Im Südosten und Osten des Landes, aber auch in Ankara und Istanbul haben Attentate wiederholt zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert, darunter Sicherheitskräfte, Bus-Passagiere, Demonstranten und Touristen (EDA 19.9.2018).

Im Juli 2015 flammte der Konflikt zwischen Sicherheitskräften und PKK wieder militärisch auf, der Lösungsprozess kam zum Erliegen. Die Intensität des Konflikts innerhalb des türkischen Staatsgebiets hat aber seit Spätsommer 2016 nachgelassen (AA 3.8.2018).

Mehr als 80% der Provinzen im Südosten des Landes waren zwischen 2015 und 2016 von Attentaten der PKK, der TAK und des sogenannten IS, sowie Vergeltungsoperationen der Regierung und bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften betroffen (SFH 25.8.2016). Ein hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3 des BMEIA) gilt in den Provinzen Agri, Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbakir, Gaziantep, Hakkari, Kilis, Mardin, Sanliurfa, Siirt, Sirnak, Tunceli und Van - ausgenommen in den Grenzregionen zu Syrien und dem Irak. Gebiete in den Provinzen Diyarbakir, Elazig, Hakkar

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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