Entscheidungsdatum
31.07.2019Norm
AVG §78Spruch
L519 2105089-3/12E
schriftliche Ausfertigung des am 27.05.2019 verkündeten erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Türkei, vertreten durch RA Dr. BLUM, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.01.2019, Zl. XXXX , betreffend Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.05.2019 zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (idF BF) wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX , wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Jahren verurteilt.
2. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion XXXX vom XXXX , wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 und § 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz (FPG) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Berufungsbescheid des UVS XXXX vom XXXX , keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt.
Das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wurde am 02.08.2013 eingestellt.
3. Im August 2012 stellte der in Strafhaft befindliche BF erstmalig einen Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes. Der BF bereue die Ermordung seiner Lebensgefährtin, habe aber guten Kontakt zu den beiden Kindern und wolle diesen aufrechterhalten. Dass die Tat in Anwesenheit der minderjährigen Kinder erfolgte, beweise, dass er sich in einem Ausnahmezustand befand. Er lebe seit 1980 mit seiner Familie in Österreich und habe in der Türkei keine Anknüpfungspunkte. Der Antrag wurde mit Bescheid der LPD vom 22.03.2013 abgewiesen.
4. Am 21.01.2013 stellte der BF den zweiten Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes, welcher mit Bescheid vom 27.03.2013 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Entscheidung des UVS vom27.11.2013 nicht gefolgt.
5. Am 02.04.2015 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots und begründete dies wiederum damit, dass er nicht beabsichtigt habe, seine Lebensgefährtin zu töten. Sie habe ihn massiv provoziert, was ihn zur Tat habe hinreißen lassen. Er lebe seit seinem 7. Lebensjahr in Österreich und habe zu seiner Heimat Türkei keinen Bezug mehr. Im Jahr 1996 habe er die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft beantragt, diesen Antrag aber wieder zurückgezogen. Das Verhältnis zu seinen Töchtern sei durch sein Fehlverhalten verletzt, es habe sich aber um eine Verzweiflungstat gehandelt. Durch eine Abschiebung würde der Kontakt zu seinen (erwachsenen) Töchtern und seiner Familie, die alle österreichische Staatsbürger seien, abreißen. Es gebe keine wesentlichen öffentlichen Interessen, die gegen einen Verbleib in Österreich sprechen würden.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 17.08.2016, Zl. XXXX , wurde der Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots gemäß § 69 Abs. 2 FPG abgewiesen. Gemäß § 78 AVG iVm § 1 Abs. 1 Bundesverwaltungsabgabenverordnung 1983 wurde dem Beschwerdeführer die Entrichtung einer Verwaltungsabgabe in Höhe von ? 6,50 vorgeschrieben.
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die maßgeblichen Umstände, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbots geführt hätten, sich nicht in entscheidungsrelevanter Weise geändert hätten. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer über seinen rechtsfreundlichen Vertreter fristgerecht Beschwerde. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sich zum Wohlverhalten im Strafvollzug bzw. zur konkreten Ausgestaltung des aktuell stattfindenden Strafvollzugs keine Feststellungen im Bescheid fänden. Der Beschwerdeführer verbringe sämtliche Zeit außerhalb des Strafvollzugs mit seinen Töchtern und anderen Verwandten, insbesondere seinen Brüdern. Der Beschwerdeführer befinde sich seit 1980 in Österreich und sei sozial integriert. Der Beschwerdeführer sei seit einiger Zeit Freigänger und habe sich dabei nichts zu Schulden kommen lassen.
Die Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 20.02.2018, L524 2105089-2 als unbegründet abgewiesen.
6. Mit Eingabe vom 08.08.2018 brachte der BF erneut gegenständlichen, vierten Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes ein. Gleichzeitig wurde beantragt festzustellen, dass das Aufenthaltsverbot keine Gültigkeit erhalten hat. Letzteres da der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 19.09.2013 in der Rechtssache Filev und Osmani, C-297/12, ausgesprochen habe, dass die Wirkung unbefristeter Aufenthalts- oder Rückkehrverbote, die vor der Umsetzung der Richtlinie erlassen worden seien, über die in der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG vom 16.12.2008 vorgesehene Höchstdauer von fünf Jahren nicht aufrechterhalten werden dürften.
Ausgeführt wurde, dass dem BF nunmehr Ausgang bewilligt worden wäre und er seine Zeit außerhalb des Strafvollzuges vorwiegend mit seinen Töchtern verbringe. Zudem wurde ein psychiatrisches Fachgutachten vom 19.02.2016 vorgelegt, wonach eine Kriminalprognose aus psychiatrischer Sicht als günstig eingestuft werden könne und eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den BF nicht mehr gegeben wäre.
7. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid des BFA wurde der Antrag des BF auf Feststellung, dass das gegen ihn erlassene Aufenthaltsverbot keine Gültigkeit mehr hat, als unzulässig zurückgewiesen. Der Antrag des BF auf Aufhebung des gegen ihn erlassenen unbefristeten Aufenthaltsverbotes gemäß § 69 Abs. 2 FPG wurde abgewiesen. Unter einem wurde gemäß § 78 AVG die Entrichtung einer Bundesverwaltungsabgabe in Höhe von EUR 6,50 binnen 28 Tagen vorgeschrieben.
8. In der fristgerecht eingebrachten Beschwerde wurde ausgeführt, dass mit dem Feststellungsantrag für die Zukunft festgestellt werden soll, dass das Aufenthaltsverbot nicht mehr besteht. Der Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 18.02.2015 stelle klar, dass aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 19.09.2013 in der Rechtssache Filiev und Osmani, Zl. C297/12 die Wirkung unbefristeter Aufenthalts- oder Rückkehrverbote, die vor dem 01.07.2011 erlassen wurden, über die in der Rückführungsrichtlinie vorgesehene Höchstdauer von 5 Jahren hinausgehend nicht aufrechterhalten werden dürften.
Zudem würde eine Gefahr nicht mehr bestehen und wurde hierfür wiederum auf das Gutachten aus dem Jahr 2016 verwiesen. Gemäß Gutachten wären die Gründe für das Aufenthaltsverbot weggefallen und habe der BF diesen Umstand durch die problemlosen Freigänge bewiesen. Die bedingte Entlassung sei nur vor dem Hintergrund des Aufenthaltsverbotes nicht möglich gewesen. Der BF sei in Österreich integriert und bestünden keine Anknüpfungspunkte an die Türkei.
9. Das BVwG holte Auskünfte aus der Justizanstalt, in welcher der BF untergebracht ist ein.
10. Für den 27.05.2019 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.
Mit Schreiben vom 03.06.2019 wurde die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses begehrt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und verfügte über einen Niederlassungsnachweis.
Der Beschwerdeführer hat zwei erwachsene Töchter (geb. 1994 und 1995), die in Österreich leben. Es leben auch vier Geschwister und die Eltern des Beschwerdeführers in Österreich. Die Familienangehörigen fahren in die Türkei auf Urlaub und besitzen die Eltern eine Wohnung in XXXX .
Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des BG XXXX vom XXXX wegen Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Wochen verurteilt.
Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX , rechtskräftig seit XXXX 2003, wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Wochen verurteilt. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX , rechtskräftig seit XXXX 2007, wurde der Beschwerdeführer wegen Mordes an seiner Lebensgefährtin durch Versetzen von zahlreichen Messerstichen gemäß § 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Jahren verurteilt.
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion XXXX vom XXXX , wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 und § 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz (FPG) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Berufungsbescheid des UVS XXXX vom XXXX , keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit XXXX 2006 in Haft, es werden ihm seit September 2016 Ausgänge bewilligt, wobei er diese Zeit vorwiegend bei seinen Eltern verbringt. Mit seiner älteren Tochter besteht alle 14 Tage während des Ausganges Kontakt, mit der jüngeren hat der BF sich in den letzten 3 Jahren 3-4 Mal getroffen. Lediglich die ältere Tochter hat ihn 2x während seiner Haft im Gefängnis besucht. Im Rahmen des Strafvollzuges arbeitet der BF seit 2 Jahren als Reinigungskraft.
Der Beschwerdeführer stellte insgesamt bereits 4 Mal Anträge auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots aus der Strafhaft heraus.
Die Gründe, die zur Erlassung dieses Aufenthaltsverbotes geführt haben, nämlich die Annahme der vom Beschwerdeführer ausgehenden schwerwiegenden Gefährdung, sind nicht weggefallen.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, dem Verfahren vor der belangten Behörde, der Beschwerde und insbesondere dem Ermittlungsverfahren vor dem BVwG samt mündlicher Verhandlung.
Die Feststellungen zu den Familienangehörigen und deren Lebensumstände ergeben sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers.
Die Feststellungen zu den strafrechtlichen Verurteilungen ergeben sich aus einem Strafregisterauszug sowie dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX .
Im Urteil aus dem Jahr 2007 ist wörtlich festgehalten: "Den Provokationen XXXX , insbesondere im Zusammenhang mit der Vaterschaft von XXXX und XXXX , kommt nicht jene Bedeutung zu, dass diese zu einer milderen Beurteilung der vom Angeklagten verübten Tat führen." Es wurden zwar das Geständnis und die Provokation als mildernd angeführt (und als erschwerend eine Vorstrafe), dennoch ist aufgrund der Schwere der Tat bzw. dem massiven Unrecht und insbesondere dem Nichtvorliegen eines emotionalen Ausnahmezustandes eine Verurteilung wegen Mordes und nicht wegen Totschlages erfolgt und eine Freiheitsstrafe von 18 Jahren verhängt worden. Davon abgesehen, dass dies bereits bei Erlassung des Aufenthaltsverbotes bekannt war, geht der Rechtfertigungsversuch des BF hinsichtlich der Provokation damit ins Leere und ist auf die gravierende Schwere der Tat durch den BF (Ermordung der Lebensgefährtin mit mehreren Messerstichen vor den Augen der beiden minderjährigen Kinder) hinzuweisen.
Im psychiatrischen Gutachten vom 19.02.2016 ist zwar festgehalten, dass die Kriminalprognose aus psychiatrischer Sicht als günstig eingestuft werden kann, sobald der zukünftige Lebensraum realistisch festgelegt, zukünftige Sozialkontakte und Unterstützungsmöglichkeiten möglichst konkret vorbereitet und der BF sich mit dem Aufenthaltsverbot und der damit verbundenen Erschwerung des Kontakts zu seinen Kindern abgefunden hat und wurde hinsichtlich einem schweren Gewaltdelikts ein niedriges Rückfallrisiko festgestellt. Dass der BF keinerlei Gefahr mehr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen würde, wurde aber vom Psychiater gerade nicht ausgeführt und ging dieser offenbar von einer Eingliederung in der Türkei aus. Die günstige Kriminalprognose steht vor allem unter der Bedingung, dass die Zukunft in der Türkei entsprechend vorbereitet wird, was jedoch offensichtlich nicht passiert. Vielmehr versucht der BF vehement, in Österreich zu verbleiben (4x Antragstellung auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes), weshalb dieser Kriminalprognose kaum Gewicht beigemessen werden kann.
Die geltend gemachten familiären Beziehungen zu den Töchtern bzw. insbesondere zur älteren Tochter, da der Kontakt zur jüngeren kaum vorhanden ist, bestanden schon bei Erlassung des Aufenthaltsverbotes. Entgegen den mehrfachen Ausführungen des BF in Schriftsätzen stellte sich in der Verhandlung vor allem heraus, dass der BF letztlich lediglich 3-4 mal in den letzten 3 Jahren zur jüngeren Tochter Kontakt hatte und diese ihm letztlich die Ermordung der Mutter noch nicht verziehen hat. Bei den Ausgängen wird als Kontaktpunkt der Vater des BF - neben Drittpersonen - genannt. Auch auf der Besucherliste des Gefängnisses scheint lediglich die ältere Tochter mit 2 Besuchen (1x 2012 und 1x 2013 und nicht wie vom BF in der Verhandlung angegeben 2014 oder 2015) auf, die jüngere nicht. Demgegenüber bekam der BF tatsächlich regelmäßig Besuch von den Eltern und Geschwistern sowie weiteren Bekannten, eine besondere Verbindung zu den Töchtern ergibt sich daraus gerade nicht, auch wenn der BF in der Verhandlung angegeben hat, dass vorerst zumindest mit den Töchtern schriftlicher Verkehr bestanden hat, welcher jedoch auch 2010 abriss.
Dass dem BF nunmehr Freigänge bewilligt wurden, bei welchen es zu keinen Problemen kam sowie der Umstand, dass grundsätzlich eine bedingte vorzeitige Entlassung des BF in Erwägung gezogen wurde, vermag weder eine wesentliche Änderung des Sachverhalts darzustellen noch zu belegen, dass der BF nunmehr keine Gefahr mehr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt (vgl. rechtliche Beurteilung unten).
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Gültigkeit des Aufenthaltsverbotes
3.1.1. § 69 Fremdenpolizeigesetz 2005 BGBl. I Nr. 100/2005, idgF lautet:
"Gegenstandslosigkeit und Aufhebung
§ 69. (1) Eine Ausweisung wird gegenstandslos, wenn der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung (§ 70) nachgekommen ist.
(2) Ein Aufenthaltsverbot ist auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind.
(3) Das Aufenthaltsverbot tritt außer Kraft, wenn einem EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird."
§ 9 BFA-VG lautet:
§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
der Grad der Integration,
die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
....
3.1.2. Gemäß § 125 Abs. 16 FPG bleiben vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Aufenthaltsverbote gemäß § 60 oder Rückkehrverbote gemäß § 62 bis zum festgesetzten Zeitpunkt weiterhin gültig.
Gemäß § 125 Abs. 25 FPG bleiben vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 87/2012 erlassene Aufenthaltsverbote bis zum festgesetzten Zeitpunkt weiterhin gültig und können nach Ablauf des 31. Dezember 2013 gemäß § 69 Abs. 2 und 3 in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012 aufgehoben werden oder außer Kraft treten.
Dies bedeutet, dass solche Aufenthaltsverbote rechtlich existent bleiben, solange sie nicht in ihrer Gültigkeit abgelaufen sind, nach § 69 Abs. 2 FPG 2005 aufgehoben wurden oder nach sonstigen gesetzlichen Vorschriften als nicht (mehr) bestehend anzusehen sind (vgl. VwGH vom 07. 11.2012, 2012/18/0052).
Das diesem Verfahren zugrunde liegende unbefristetes Aufenthaltsverbot wurde mit Bescheid der Bundespolizeidirektion XXXX vom XXXX , gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 und § 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz (FPG) erlassen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Berufungsbescheid des UVS XXXX vom XXXX , keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt. Dieses Aufenthaltsverbot ist somit grundsätzlich weiterhin gültig.
Gemäß § 60 Abs. 1 iVm. Abs. 2 Z 1 FPG 2005 idF. BGBl. I Nr. 99/2006 konnte gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt war, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Als bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1 galt dabei insbesondere, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtkräftig verurteilt worden war (§ 60 Abs. 2 Z 1 FPG 2005).
Ein Aufenthaltsverbot konnte dabei gemäß § 63 Abs. 1 FPG idF BGBl. I Nr. 100/2005 in den Fällen des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG unbefristet und sonst für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes war gemäß § 63 Abs. 2 FPG 2005 auf die für die Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen.
Wenn nach der durch das FrÄG 2011 geänderten Rechtslage gemäß § 67 Abs. 2 FPG 2005 idF FrÄG 2011 ein Aufenthaltsverbot nur für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden darf, weil die Voraussetzungen nach § 67 Abs. 3 FPG 2005 idF FrÄG 2011 nicht erfüllt sind und eine Verkürzung der Dauer des Aufenthaltsverbots nicht in Betracht kommt (vgl. § 69 Abs. 2 FPG 2005 idF FrÄG 2011), ist dem Umstand, dass nach derzeitiger Rechtslage kein unbefristetes Aufenthaltsverbot gegen den Fremden erlassen werden dürfte, in der Form nachzukommen, dass nach Ablauf von zehn Jahren die Behörde das Aufenthaltsverbot jedenfalls von Amts wegen (aber auch auf Antrag des Fremden) aufzuheben hat. Demgegenüber ist, wenn das Vorliegen einer Gefährdung immer noch zu bejahen und auch sonst die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes zulässig ist, der Antrag auf dessen Aufhebung abzuweisen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde die gesetzlich höchstzulässige Dauer (noch) nicht überschritten wurde (vgl. VwGH vom 24.01.2012, 2011/18/0267).
Ein vor dem Inkrafttreten des FrÄG 2011 erlassenes Aufenthaltsverbot ist nach § 69 Abs. 2 FPG 2005 idF FrÄG 2011 iSd dort getroffenen Anordnung aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind (vgl. VwGH vom 19.03.2013, 2012/21/0082, mit Verweis auf VwGH vom 2808.2012, 2012/21/0159). Solche Gründe liegen bereits dann vor, wenn nach der bereits durch das FrÄG 2011 geänderten und auch nunmehr aktuell geltenden Rechtslage nach deren Maßstäben gegenüber dem Fremden gemäß § 53 Abs. 2 und 3 FPG 2005 lediglich ein Einreiseverbot für die Dauer von höchstens fünf bzw. zehn Jahren zulässig wäre. Dem Umstand, dass nach derzeitiger Rechtslage kein unbefristetes Einreiseverbot gegen den Fremden erlassen werden dürfte, ist in der Form nachzukommen, dass die Behörde nach Ablauf von zehn Jahren das Aufenthaltsverbot von Amts wegen oder auf Antrag des Fremden aufzuheben hat (vgl. VwGH vom 02.10.2012, 2012/21/0028, mit Verweis auf VwGH vom 24.01.2012, 2011/18/0267).
Zum Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes war aufgrund der damaligen Rechtslage die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes mit unbefristeter Dauer im gegenständlichen Fall zulässig. Gegen den BF könnte aber aufgrund der Bestimmung des § 67 Abs. 3 Z 1 FPG (Aufenthaltsverbot - 5 Jahre Freiheitsstrafe) bzw. § 53 Abs. 3 Z 5 FPG (Einreiseverbot - 3 Jahre Freiheitsstrafe) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot aufgrund seiner Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 18 Jahren auch aktuell ein unbefristetes Aufenthaltsverbot/Einreiseverbot verhängt werden.
Das 2007 erlassene unbefristete Aufenthaltsverbot hätte aufgrund der nunmehr geltenden Rechtslage und des, dem unbefristeten Aufenthaltsverbot zugrundeliegenden, Sachverhaltes (unbedingte Freiheitsstrafen von mehr als fünf bzw. 3 Jahren) auch aktuell - allerdings dann als unbefristetes Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 iVm. Abs. 3 Z 5 FPG (vgl. VwGH vom 04.04.2019, Ra 2019/21/0009) - erlassen werden dürfen.
Insofern liegt im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung keine derartige Änderung der Rechtslage vor, die zu einer zwingenden amtswegigen Behebung des unbefristeten Aufenthaltsverbotes führen musste oder eine Feststellung der Ungültigkeit des Aufenthaltsverbotes mit sich bringen könnte.
Die Aufrechterhaltung des unbefristeten Aufenthaltsverbots ist trotz der Änderung der Rechtslage (vgl. Verweis in der Beschwerde auf Erlass des Ministeriums) zulässig, weil der BF von einem Gericht zu einer fünf Jahre (weit) übersteigenden Freiheitsstrafe verurteilt wurde und daher der Tatbestand des § 67 Abs 3 Z 1 FPG erfüllt war. Eine allenfalls verspätete Umsetzung der Richtlinie 2008/115/EG durch Österreich ändert daran nichts, zumal Art 11 Abs 2 dieser Richtlinie vorsieht, dass die Dauer eines Einreiseverbots (iSd Art 3 Nr 6 der Richtlinie) fünf Jahre überschreiten kann, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Der EuGH hat demgemäß in dem in der Beschwerde angeführten Urteil vom 19.09.2013 in der Rechtssache C-297/12 (Filev und Osmani) ausgesprochen, dass Art 11 Abs 2 der Richtlinie 2008/115/EG es verbietet, die Wirkungen unbefristeter Einreiseverbote, die vor dem Zeitpunkt der Anwendbarkeit der Richtlinie verhängt wurden, über die vorgesehene Höchstdauer von fünf Jahren hinaus aufrechtzuerhalten, es sei denn, diese Verbote wurden gegen Drittstaatsangehörige verhängt, die eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellen. Aufgrund der schwerwiegenden Gewaltdelinquenz des BF, welcher nach einer Körperverletzung gegen einen Freund, einem gegen ihn Verhängten Betretungsverbot zu Gunsten seiner Lebensgefährtin letztere vor den Augen ihrer Kinder mit mehreren Messerstichen getötet hat, was die Verhängung der Haftstrafe von 18 Jahren gegen den BF erforderlich machte, besteht kein Zweifel daran, dass der BF eine solche schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt, sodass die Aufrechterhaltung eines fünf Jahre übersteigenden Aufenthaltsverbots im Einklang mit europarechtlichen Vorgaben steht. Eine zulässige maximale Höchstdauer eines Aufenthaltsverbotes bzw. Einreiseverbotes ist der Richtlinie zudem nicht zu entnehmen. Die Rückführungs-RL enthält auch keine Bestimmungen über das Wiederaufleben eines ursprünglich erteilten Aufenthaltstitels im Fall einer nachträglichen Behebung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme. Somit lässt sich aus der unmittelbaren Geltung der Rückführungs-RL weder ein automatisches Erlöschen des Aufenthaltsverbotes noch ein Wiederaufleben des ursprünglich erteilten Aufenthaltstitels ableiten (VwGH vom 09.08.2018, Zl. Ra 2018/22/0045).
Der Antrag auf Feststellung, dass das Aufenthaltsverbot keine Gültigkeit mehr hat, ging damit schon aus diesem Grund ins Leere.
Die Erlassung eines Feststellungsbescheides ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ua dann zulässig, wenn die betreffende bescheidmäßige Feststellung im öffentlichen Interesse oder im rechtlichen Interesse einer Partei gelegen ist (vgl zB VwGH 20. Dezember 1996, 93/17/0008). Der Feststellungsantrag ist jedoch ein subsidiärer Rechtsbehelf; ein Feststellungsbescheid ist daher ua dann unzulässig, wenn die strittige Frage im Rahmen eines anderen gesetzlich vorgesehenen Verfahrens entschieden werden kann (vgl VwGH 29. März 1993, 92/10/0039).
Eine Feststellung in dem oben dargestellten Sinn ist nicht ein notwendiges, letztes und einziges Mittel zweckentsprechender Rechtsverteidigung. Dies da in einem eigenen Verfahren über eine etwaige Aufhebung des Aufenthaltsverbotes abzusprechen ist, wozu der Antrag gemäß § 69 Abs. 2 FPG zur Verfügung steht.
Zudem sieht das Gesetz keine Anträge auf Feststellung der Rechtswidrigkeit (vgl. auch VwGH vom 24.04.2018, Zl. Fe 2018/07/0001 hinsichtlich der nur für ordentliche Gerichte bestehenden Möglichkeit der Einbringung eines Feststellungsantrags) vor. Für eine derartige Feststellung besteht für das BVwG keine Rechtsgrundlage. Bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes gemäß § 69 Abs. 2 FPG besteht ein Recht auf Aufhebung und war der entsprechende Feststellungsantrag als unzulässig zurückzuweisen. Insofern hat das BFA - wenngleich mit einer nicht tragfähigen rechtlichen Begründung (kein Leistungsbescheid) - den Antrag zu Recht als unzulässig zurückgewiesen.
3.2. Weiterbestehen der Gründe für das Aufenthaltsverbot
3.2.1. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann ein Antrag nach § 69 Abs. 2 FPG auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit der Erlassung der Maßnahme die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben, wobei im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag auch auf die nach der Verhängung der Maßnahme eingetretenen und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen ist. Bei der Entscheidung über die Aufhebung einer solchen Maßnahme kann die Rechtmäßigkeit jenes Bescheides (Erkenntnisses), mit dem diese Maßnahme erlassen wurde, nicht mehr überprüft werden. Eine Änderung der Rechtslage kann allerdings den Wegfall eines Grundes für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes darstellen und ist demnach bei der Prüfung der Zulässigkeit der Aufrechterhaltung eines Aufenthaltsverbotes zu berücksichtigen. Das heißt jedoch nicht, dass die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes schon dann zu erfolgen habe, wenn seine Erlassung bei fiktiver Geltung der aktuellen Rechtslage nicht möglich gewesen wäre (vgl. VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0050 unter Hinweis auf VwGH 24.201.2012, 2011/18/0267, Punkt 4.2. der Entscheidungsgründe; VwGH 30.09.2014, 2013/22/0282).
Bei einer Entscheidung nach § 69 Abs. 2 FPG kommt es nach dem Gesagten auf Veränderungen der maßgebenden Umstände (zu Gunsten oder zu Lasten des Fremden) - einschließlich der Rechtslage - an. Stellt sich die Situation im Entscheidungszeitpunkt so dar, dass nunmehr in Anbetracht der aktuellen Verhältnisse keine - dem seinerzeitigen Aufenthaltsverbot entsprechende - aufenthaltsbeendende Maßnahme mehr erlassen werden dürfte, liegen also gegenwärtig die Voraussetzungen für die Verhängung einer entsprechenden aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht mehr vor, so wäre einem Aufhebungsantrag nach § 69 Abs. 2 FPG stattzugeben. Erbrächte die aktuelle Beurteilung dagegen das Ergebnis, es hätte auch aus derzeitiger Sicht eine aufenthaltsbeendende Maßnahme zu ergehen, müsste das Aufhebungsbegehren abgewiesen werden wäre (vgl. VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0050).
Ob die Gründe, die zur Erlassung geführt haben, weggefallen sind, ist nach den gemäß § 67 Abs. 1 FPG maßgeblichen Ermessenskriterien zu prüfen. Hierbei hat eine Gesamtbetrachtung der seit der Verhängung eingetretenen Sachlage, also auch zusätzlicher belastender Umstände, zu erfolgen. Auf dieser Grundlage ist zu prüfen, ob von einem Aufenthalt des Betroffenen noch die seinerzeit für die Erlassung maßgeblichen Gefahren ausgehen. Ist dies zu verneinen, ist das Aufenthaltsverbot aufzuheben. Gegen diesen Fremden darf nur wegen eines anderen Sachverhalts neuerlich ein Aufenthaltsverbot verhängt werden (vgl. Szymanski in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht, § 69 FPG 2005, Anm. 4. (Stand 01.03.2016, rdb.at).
Der Verwaltungsgerichtshof hielt zuletzt in seiner Entscheidung vom 16.05.2019, Zl. Ra 2019/21/0121 fest, dass § 9 Abs. 4 BFA-VG durch das FrÄG 2018 mit Ablauf des 31. August 2018 - zur Gänze - außer Kraft getreten ist (§ 56 Abs. 12 BFA-VG). Eine Anwendung des (seinerzeitigen) § 9 Abs. 4 Z 2 BFA-VG kam im vorliegenden Fall daher nicht mehr in Betracht. Zwar sind die Wertungen der ehemaligen Aufenthaltsverfestigungstatbestände im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG weiter beachtlich (in diesem Sinn VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0152, Rn. 20). Damit ist für den BF aber schon deshalb nichts gewonnen, weil sich auch nach der alten Rechtslage ein von einem "alten" Aufenthaltsverbot betroffener Drittstaatsangehöriger im Aufhebungsverfahren nicht mit Erfolg auf die Verfestigungstatbestände des § 9 Abs. 4 BFA-VG berufen konnte (VwGH 30.6.2016, Ra. 2016/21/0050, Rn. 15, unter ausdrücklicher Abkehr der vom Revisionswerber ins Treffen geführten, mit VwGH 7.11.2012, 2012/18/0052, begründeten und zur Rechtslage vor Inkrafttreten des BFA-VG ergangenen Judikatur). Zudem hielt der VwGH in der vorzitierten Entscheidung fest, dass die in den Zulässigkeitsausführungen der Revision angesprochenen assoziationsrechtlichen Stillhalteklauseln dem dargestellten Ergebnis nicht entgegenstehen (vgl. VwGH 4.4.2019, Ra 2019/21/0009, Rn. 33).
3.2.2. Es sind für das Gericht keine Umstände erkennbar, die die begehrte Aufhebung des Aufenthaltsverbotes tragen könnten.
3.2.2.1. Die Entscheidung über die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes kann nur nach Einzelfallbeurteilung erfolgen, weshalb insoweit die abstrakte allgemeine Festlegung eines Wohlverhaltenszeitraumes nicht in Betracht kommt. Dass es aber grundsätzlich eines Zeitraums des Wohlverhaltens - regelmäßig in Freiheit - bedarf, um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der vom Fremden ausgehenden Gefährlichkeit ausgehen zu können, was grundsätzlich Voraussetzung für die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes ist, kann nicht mit Erfolg in Zweifel gezogen werden (Hinweis VwGH 22.01.2013, 2012/18/0185; 22.05.2013, 2013/18/0041); ebenso wenig, dass dieser Zeitraum üblicherweise umso länger anzusetzen sein wird, je nachdrücklicher sich die für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Gefährlichkeit manifestiert hat (VwGH vom 26.04.2018, Zl. Ra 2018/21/0027; vgl. VwGH 22.01.2015, Ra 2014/21/0009).
Aus dem Status als "Freigänger" während der Strafhaft lässt sich keine maßgebliche Minderung der sich aus dem strafbaren Vorverhalten ergebenden Gefährdung ableiten (vgl. VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0143 unter Hinweis auf VwGH 12.10.2010, 2010/21/0335).
Im vorliegenden Fall befindet sich der Beschwerdeführer nach wie vor in Strafhaft. Die grundsätzliche Voraussetzung eines Wohlverhaltenszeitraums in Freiheit liegt daher nicht vor.
Soweit in der Beschwerde auf ein positives Gutachten aus Anlass seiner bedingten Entlassung verwiesen wurde, ist dem entgegenzuhalten, dass ein durch ein Gutachten festgestellter Gesinnungswandel, der nicht in einem - einen relevanten Zeitraum umfassenden - Wohlverhalten (gemeint: in Freiheit) seine Entsprechung gefunden hat, für den Wegfall der Gefährdungsprognose nicht ausreicht (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0108 sowie vom 17.11.2016, Zl. Ra 2016/21/0193).
Vor allem ist zudem der Wohlverhaltenszeitraum in Freiheit üblicherweise umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden manifestiert hat (VwGH vom 22. Jänner 2015, Ra 2014/21/0009). Der BF wurde wegen eines besonders schweren Verbrechens, das eine erhebliche und nachhaltige Gefahr für die Allgemeinheit indiziert hat, verurteilt. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen (VwGH 06.10.1999, Zahl 99/01/0288).
Wie oben schon dargelegt wurde ist der Zeitraum eines zwischenzeitigen Wohlverhaltens des von einem Aufenthaltsverbot Betroffenen in Relation zur Vorwerfbarkeit der Gründe, die zur Erlassung desselben geführt hatten, zu setzen. Je gravierender also das zur Last zu legende Fehlverhalten war, desto länger ist der Zeitraum zu bemessen, dessen Ablauf als solcher schon per se für die Möglichkeit eines positiven Gesinnungswandels sprechen würde. Insgesamt ging sohin aus dem Vorbringen nicht hervor, inwieweit ein redlicher Lebenswandel anzunehmen wäre, wenn der BF aus der Strafhaft entlassen wäre, aus dem wiederum abzuleiten wäre, dass er zukünftig keine Gefahr mehr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit in Österreich darstellen würde. Schließlich ist gerade das dem BF angelasteten Delikt des Mordes bei dieser grausamen Tatausführung als besonders gravierend einzustufen und würde es daher einen besonders langen Zeitraum des Wohlverhaltens erfordern, der im gegenständlichen Fall jedoch aufgrund der Strafhaft nicht feststellbar war.
Es kann somit noch nicht von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der vom Fremden ausgehenden Gefährlichkeit ausgegangen werden. Weder aus dem Status als Freigänger, noch aus dem Gutachten ergibt sich eine maßgebliche Minderung der sich aus dem strafbaren Vorverhalten ergebenden Gefährdung. Auch ist der Maßstab, den ein Psychiater im Rahmen einer Kriminalprognose anzuwenden hat ein anderer als der, der im Rahmen der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes heranzuziehen ist und hat auch das Gutachten nicht ergeben, dass keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung mehr vorhanden sei (vgl. Beweiswürdigung).
3.2.2.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 25.04.2014, Ro 2014/21/0033, festgehalten:
"Richtig ist zwar, dass auch im Verfahren über einen Antrag auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes eine Interessenabwägung nach der genannten Bestimmung (Anmerkung: § 61 FPG idF des FrÄG 2011, nunmehr fast wörtlich § 9 BFA-VG) vorzunehmen ist, wenn durch das Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird (vgl. unter vielen etwa das hg. Erkenntnis vom 22.05.2013, 2013/18/0035). Dabei ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 61 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 61 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. idS etwa das hg. Erkenntnis vom 16.05.2012, 2011/21/0277, Punkt 2. der Entscheidungsgründe, mwN)."
Im Lichte dessen war auch abzuwägen, ob die Beibehaltung des gg. Aufenthaltsverbotes einen allenfalls unzulässigen Eingriff in das Privat- und/oder Familienleben des BF zum Entscheidungszeitpunkt darstellt.
Als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd. Art. 8 EMRK entspricht, müssen neben der Verwandtschaft noch weitere Umstände hinzutreten. So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgehen (siehe Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2008] 197 ff). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert.
Was die privaten und familiären Verhältnisse des in Österreich seit seiner Kindheit lebenden und arbeitenden Beschwerdeführers anlangt, so wurde darauf verwiesen, dass der Beschwerdeführer Kontakt zu seinen erwachsenen Töchtern habe und weitere Familienangehörige in Österreich leben. Seine Töchter und die anderen Familienangehörigen befanden sich allerdings bereits im Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes in Österreich. Insoweit ist es zu keiner Verstärkung der privaten und familiären Beziehungen des Beschwerdeführers zu Österreich gekommen. Das Vorbringen, der Beschwerdeführer verbringe jene Zeit, die er außerhalb des Strafvollzugs verbringen kann, mit seinen Töchtern und sämtlichen anderen Verwandten, insbesondere Brüdern, vermögen in diesem Zusammenhang keine maßgebliche Verstärkung der Anknüpfungspunkte zu Österreich ergeben. Insbesondere erwies sich der Kontakt zu den Töchtern als lediglich lose und vage.
Soweit der BF damit vermeint, dass das Aufenthaltsverbot einen massiven Eingriff in sein Privat- und Familienleben darstelle, da er in der Türkei keine Anknüpfungspunkte habe und demgegenüber in Österreich integriert sei, ist festzuhalten, dass er auch mit diesem Vorbringen keine maßgebliche, gegenüber dem Aufenthaltsverbotsbescheid aus dem Jahr 2007 eingetretene Änderung in den familiären Verhältnissen aufzeigt. Den zweifellos erheblichen familiären Bindungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet steht die aus diesem strafbaren Verhalten resultierende Gefährdung des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Gewaltkriminalität gegenüber. Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers ist von einer gesteigerten (Körperverletzung und Mord) und dermaßen schwerwiegenden (Mord) Intensität gekennzeichnet, was nur auf eine hohe kriminelle Energie des Beschwerdeführers schließen lässt. Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang auch zu beachten, dass der Beschwerdeführer mehrfach gegen Personen gewalttätig und deswegen strafrechtlich verurteilt wurde bzw. gegen ihn ein Betretungsverbot verhängt wurde. Dieses Verhalten seinen Familienangehörigen (auch Mord vor Augen der Kinder) gegenüber mindert die privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich. Ebenso hat der Beschwerdeführer allfällige Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in seinem Heimatland im öffentlichen Interesse hinzunehmen (vgl. dazu VwGH vom 10.09.2013, 2013/18/0034).
Das Verhältnis des BF zu seinen in Österreich aufhältigen Angehörigen ist durch seine Volljährigkeit relativiert. Eine allfällige Unterstützung durch seine Familienangehörigen kann auch im Ausland erfolgen. Eine allgemeine Kontaktaufnahme zwischen den Familienangehörigen ist mittels moderner Kommunikationsmittel möglich. In emotionaler Hinsicht hat er die Trennung von Kindern, Eltern und seinen Geschwistern - ebenso wie allfällige Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in seinem Heimatland - im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen (vgl. VwGH vom 18. Dezember 2008, 2008/21/0616).
Angesichts der Umstände, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Jahr 2007 geführt haben, stehen der Aufhebung des Aufenthaltsverbotes zwingende öffentliche Interessen, insbesondere die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, entgegen. Es wurden keine Umstände aufgezeigt, die darauf hindeuten würden, dass sich die seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände in entscheidungsrelevanter Weise geändert hätten.
Im Ergebnis ist der belangten Behörde dahingehend beizupflichten, dass sich seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes die dafür maßgebenden Umstände nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers geändert haben. Seine persönlichen Interessen an einer Aufhebung des Aufenthaltsverbotes überwiegen das öffentliche Interesse an seiner Aufrechterhaltung nicht.
Auch im Rahmen der nach § 9 BFA-VG gebotenen Abwägung ergibt sich damit nicht, dass das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes überwiegt. Die Trennung von seiner Familie ist im Hinblick auf das große öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit hinzunehmen.
3.2.2.3. In einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Aspekte war sohin weder die für eine Aufhebung oder Verkürzung des gegen den BF erlassenen Aufenthaltsverbots erforderliche Voraussetzung eines nachhaltigen positiven Gesinnungswandels gegeben noch stellt die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbots einen unzulässigen, weil unverhältnismäßigen Eingriff in seine Rechtssphäre dar.
3.3. Verwaltungsabgaben
Gemäß § 78 Abs. 1 AVG können den Parteien in den Angelegenheiten der Bundesverwaltung [...] für die Verleihung von Berechtigungen oder sonstige wesentlich in ihrem Privatinteresse liegende Amtshandlungen der Behörden Bundesverwaltungsabgaben auferlegt werden, sofern die Freiheit von derlei Abgaben nicht ausdrücklich durch Gesetz festgesetzt ist.
Gemäß § 78 Abs. 2 AVG sind für das Ausmaß der Bundesverwaltungsabgaben, abgesehen von den durch Gesetz besonders geregelten Fällen, durch Verordnung der Bundesregierung zu erlassende Tarife maßgebend [...].
Gemäß § 1. Abs. 1 der Verordnung der Bundesregierung über die Verwaltungsabgaben in den Angelegenheiten der Bundesverwaltung und über die Art ihrer Einhebung bei den Bundesbehörden (BVwAbgV) haben die Parteien für jede Verleihung einer Berechtigung oder für sonstige wesentlich in ihrem Privatinteresse liegende Amtshandlungen, die von Behörden im Sinne des Art. VI Abs. 1 des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen oder infolge Säumnis einer solchen Behörde vom Verwaltungsgerichtshof vorgenommen wurden, in den Angelegenheiten der Bundesverwaltung - abgesehen von den durch Gesetz besonders geregelten Fällen - die gemäß dem Abschnitt II festgesetzten Verwaltungsabgaben zu entrichten.
Gemäß Tarif A Z. 2 BVwAbgV beträgt das Ausmaß der Verwaltungsabgabe in den Angelegenheiten der Bundesverwaltung für sonstige Bescheide oder Amtshandlungen, die wesentlich im Privatinteresse der Partei liegen, soweit nicht eine andere Tarifpost Anwendung findet, EUR 6,50.
Bei der Beurteilung der Frage, ob und allenfalls in wessen Privatinteresse eine Amtshandlung lag, ist die einzelne Amtshandlung nicht isoliert, sondern im Gesamtzusammenhang jenes Verfahrens zu sehen, dessen Teil sie bildet. Dabei ist auf das jeweilige Verfahrensziel abzustellen (VwGH 01.09.2017, Ra 2016/03/0055).
Für das gegenständliche Verfahren bedeutet dies, dass die belangte Behörde auf Einschreiten des BF das nunmehrige Verfahren eingeleitet und geführt hat. In Ermangelung eines amtswegigen Behebungsgrundes des Aufenthaltsverbotes ist sohin von einem wesentlichen privaten Interesse des BF auszugehen. Dass das BFA dabei auch öffentliche Interessen zu beachten hatte, schadet nicht, zumal das Verfahrensziel die Herabsetzung bzw. Aufhebung des Aufenthaltsverbotes aus privaten Interessen des BF war. Bei der Entscheidung der belangten Behörde handelte es sich um einen sonstigen Bescheid, der im Privatinteresse des BF liegt, weshalb gemäß § 78 AVG iVm. § 1 Abs. 1 iVm. Tarif A Z. 2 BVwAbgV die Vorschreibung einer Verwaltungsabgabe iHv EUR 6,50 rechtmäßig war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die Abweisung der Beschwerde stützt sich auf die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Aufhebung von Aufenthaltsverboten.
Schlagworte
Änderung maßgeblicher Umstände Aufenthaltsverbot Interessenabwägung Mord mündliche Verkündung öffentliche Interessen schriftliche Ausfertigung Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft subjektive Rechte Verwaltungsabgabe WohlverhaltenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:L519.2105089.3.00Im RIS seit
19.08.2020Zuletzt aktualisiert am
19.08.2020