TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/20 G304 2196229-1

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Veröffentlicht am 20.02.2020
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Entscheidungsdatum

20.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z2
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G304 2196227-1/12E

G304 2196230-1/12E

G304 2196229-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Beatrix LEHNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, (BF1), der XXXX, geb.XXXX, und des XXXX, geb. XXXX, (BF 3), alle StA. Irak, BF3 gesetzlich vertreten durch die XXXX, geb. XXXX, (B2), alle vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.04.2018, Zl. XXXX (BF1), XXXX(BF2), XXXX (BF3) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.06.2019 zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden gegen Spruchpunkt IV. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 BFA-VG für auf Dauer unzulässig erklärt.

Den BF wird gemäß §§ 54 Abs. 1 Z. 2 iVm § 54 Abs. 2, 55 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

Im Übrigen werden die Beschwerden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesasylamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) wurden die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihr Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.), den BF gemäß § 57 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen die BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt V.), und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Dabei wurde beantragt, den BF den Status der Asylberechtigten, in eventu den Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, allenfalls den angefochtenen Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur Verfahrensergänzung an die belangte Behörde zurückzuverweisen, einen landeskundigen Sachverständigen zu beauftragen, der sich mit der aktuellen Situation im Irak befasst, allenfalls die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären, allenfalls einen Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen, allenfalls festzustellen, dass die Abschiebung in den Irak unzulässig ist.

3. Am 24.05.2018 langten beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) mit "Beschwerdevorlage" vom 23.05.2018 die gegenständlichen Beschwerden samt dazugehörigen Verwaltungsakten ein.

4. Am 28.06.2019 wurde vor dem BVwG, Außenstelle Graz, mit den B1, BF2, BF3 und ihrem Rechtsvertreter im Beisein einer Arabisch-Dolmetscherin eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Ein Vertreter der belangten Behörde ist nicht zur Verhandlung erschienen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF sind irakische Staatsangehörige, stammen aus Bagdad und gehören der arabischen Volksgruppe und der muslimisch-sunnitischen Glaubensrichtung an. Die BF1 und BF2 sind Ehegatten, der BF 3 ist ihr Sohn und nunmehr 16 Jahre alt.

1.2. Die BF haben in Bagdad noch Geschwister der BF1 und BF2 und weitere Verwandte als familiäre Anknüpfungspunkte und zu ihnen auch, wenn auch unregelmäßig, aufrechten Kontakt. In Österreich lebt ein erwachsener Sohn der BF1 und BF2 bzw. Bruder des BF3, der im September 2015 Asylstatus erlangt hat.

Während der BF1, gelernter Isolationstechniker, im Irak seinen Lebens- bzw. den Familienunterhalt selbst bestreiten konnte, leben die BF in Österreich von der Grundversorgung.

1.3. Die BF haben August 2014 auf legale Weise den Irak verlassen und sind über die Türkei, wo sie einen Asylantrag gestellt und sich etwas mehr als ein Jahr lang aufgehalten haben, dann über Griechenland, wo sie im Oktober 2015 angehalten wurden, und dann weiter Mazedonien, Kroatien und Slowenien bis nach Österreich gereist.

Aufgrund diesbezüglich einheitlicher Angaben der BF war zwar feststellbar, dass die BF den Irak auf legale Weise verlassen haben, wann genau sie aus dem Irak ausgereist sind, und ob sie direkt vom Irak in die Türkei geflogen oder zunächst vom Irak in den Iran gereist und von dort in die Türkei geflogen sind oder sich vor ihrem Aufenthalt in der Türkei in Syrien aufgehalten haben, konnte, wie in der Beweiswürdigung aufgezeigt, aufgrund widersprüchlicher Angaben dazu nicht festgestellt werden.

1.4. Am 30.10.2015 stellten die BF jeweils ihren verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit gegenständlich angefochtenen Bescheiden wurden ihre Anträge abgewiesen und wurde gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung erlassen.

1.5. Das Fluchtvorbringen des BF1, worauf sich auch die BF2 und der BF3, der keine eigenen Fluchtgründe hat, stützen, er sei im Irak von schiitischen Milizangehörigen bedroht worden, war wegen widersprüchlicher Angaben der BF dazu nicht glaubhaft.

Festgestellt wird, dass die BF ihre Heimat nicht aufgrund eines fluchtauslösenden Ereignisses, sondern aufgrund der allgemein schlechten Sicherheitslage nach problemloser Ausreisevorbereitung, nachdem sie sich ungefähr zehn Tage zuvor zur Ausreise entschlossen hatten, verlassen haben.

Festgestellt werden kann, dass die BF im Irak nie Probleme mit Behörden hatten, nicht politisch tätig waren und keiner politischen Partei angehörten.

1.6. Die B1 und BF3 sind grundsätzlich gesund.

Die BF2 hat nachweislich gesundheitliche Probleme mit der Schilddrüse, dem Blutdruck und dem Bewegungsapparat, und nimmt Medikamente dagegen ein.

1.7. Die BF haben in Österreich einige Integrationsschritte gesetzt, alle BF sich sozial integriert, der BF1 Deutschkurse und der BF3 nach Einreise im Alter von 11 Jahren nachweislich die Mittelschule, einen Polytechnischen Lehrgang besucht und danach eine Höhere Technische Lehranstalt anvisiert.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und der vorliegenden Gerichtsakten des BVwG.

2.2. Zur Person der BF und ihren individuellen Verhältnissen:

2.2.1. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit der BF getroffen wurden, beruhen diese auf dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt. Dass die BF aus Bagdad stammen, haben sie im Verfahren einheitlich angegeben.

2.2.2. Dass die BF noch Verwandte in Bagdad haben und den Kontakt zu diesen von Zeit zu Zeit aufrecht halten, ergab sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben der B1 und BF2 vor dem BFA (AS 74f, Zl. G304 2196227-1; AS 58, Zl. G304 2196230-1). Dass der Sohn S. in Österreich ebenfalls ein Asylverfahren laufen hatte und im September 2016 Asylstatus erlangen konnte, ergab sich aus dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt bzw. den diesbezüglichen Angaben der BF1 und BF2 (AS 74, Zl. G304 2196229-1; AS 58, Zl. G304 2196230-1).

Dass der BF1 in Bagdad eine Ausbildung zum Isolationstechniker absolviert und diese Tätigkeit ausgeübt hat, beruht auf seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben in der Erstbefragung (AS 5) und seinem damit zusammenhängenden Vorbringen vor dem BFA (AS 74).

2.2.3. Fest steht, dass die BF unterschiedliche Angaben zu ihrer Ausreise und ihren anfänglichen Aufenthaltsstaaten gemacht haben:

Die BF2 gab in ihrer Erstbefragung an, im August 2014 direkt vom Irak in die Türkei geflogen zu sein (AS 7, Zl. G304 2196230-1). Der BF1 gab in seiner Erstbefragung an, am 14.08.2014 aus der Heimat ausgereist und mit dem Flugzeug in die Türkei geflogen zu sein (AS 9, G304 2196227-1).

Im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 03.04.2018 sprachen sie plötzlich davon, nicht direkt vom Irak in die Türkei ausgereist zu sein, sondern, bevor sie in die Türkei gekommen sind, noch woanders gewesen zu sein:

Der BF1 gab vor dem BFA, aufgefordert, den Weg vom Irak nach Österreich zu schildern, an, am 02.07.2014 mit einem Taxi in den Iran gefahren zu sein, dort ca. 45 Tage lang geblieben und danach (vom Iran aus) mit einem Flugzeug in die Türkei gereist zu sein (AS 73, Zl. G304 2196227-1). Die B2 gab zunächst wie der BF1 an, am 02.07.2014 den Irak verlassen zu haben, erwähnte dann jedoch nichts von einem Aufenthalt im Iran, sondern sprach, befragt danach, ob sie nun zum ersten Mal im Ausland sei, davon, sie seien in Syrien und der Türkei gewesen, bis sie hierhergekommen seien (AS 57, G304 2196230-1). Auch der BF1 sprach vor dem BFA davon, in Syrien gewesen zu sein - "ca. 2008, 2009", in welcher Zeit einer seiner Brüder entführt worden sein soll (AS 79, G304 2196227-1). Die Angabe seiner Ehegattin, bevor sie "hierhergekommen" gekommen seien, in Syrien und der Türkei gewesen zu sein, deutet jedenfalls auf einen Aufenthalt in Syrien nach ihrer Ausreise aus dem Irak hin.

Die Angabe ihres Sohnes in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 03.04.2018, er sei noch sehr klein gewesen, als er in Syrien gewesen sei (AS 47, Zl. G304 2196229-1) deutet jedoch auf keinen Aufenthalt in Syrien gleich nach der Ausreise 2014, als der BF3 zehn Jahre alt war, sondern auf einen früheren Aufenthalt dort, etwa nach Angaben des BF1 vor dem BFA, "ca. 2008, 2009" (AS 79, Zl. G304 2196227-1) hin.

Aufgefallen ist, dass der BF3 dann jedoch, befragt danach, ob er vor der Ausreise woanders gelebt habe, angab, sich nicht daran erinnern zu können, woanders gelebt zu haben (AS 47, Zl. G304 2196229-1).

Es ist angesichts seines damaligen geringen Alters nicht auszuschließen, dass er sich tatsächlich nicht mehr an einen Aufenthalt in Syrien 2008, 2009 erinnern konnte, jedoch auch nicht ausschließbar, dass er von seinen Eltern davon erfahren hat und nur vor dem BFA nichts davon berichten wollte. Gegen einen Syrien-Aufenthalt 2008, 2009 spricht jedenfalls das Vorbringen des BF1 vor dem BFA, immer in Bagdad gelebt zu haben.

Fest steht, dass nur der BF1 vor dem BFA vorgebracht hat, am 02.07.2014 vom Irak zunächst in den Iran gereist zu sein, die BF2 hingegen nicht, sprach diese doch zwar vor dem BFA, offenbar abgesprochen mit dem BF1, ebenso von einer Ausreise am 02.07.2014, nicht jedoch in den Iran, sondern davon, sich, bis sie hierhergekommen sei, auch in Syrien und der Türkei aufgehalten zu haben.

Der BF1 gab wie seine Ehefrau, die BF2, in der Erstbefragung an, im August 2014 aus dem Irak ausgereist und legal mit einem irakischen Reisepass direkt von Bagdad in die Türkei gereist zu sein, und wollte offenbar mit einem Vorbringen vor dem BFA über eine frühere Ausreise in den Iran einen Zusammenhang zu seinem in Österreich aufhältigen Sohn S. herstellen, dem er am 29.06.2014 ein Taxi in den Iran besorgt haben soll.

Aufgrund dieser Widersprüche rund um die Ausreise bzw. Reise der BF konnte ein nach Ausreise der BF aus dem Irak etwas mehr als einjähriger Aufenthalt der BF in der Türkei, dann, wie aus einem Fremdenregisterauszug hervorgehend, eine Anhaltung der BF in Griechenland im Oktober 2015, und aus ihren glaubhaften Angaben über den weiteren Reiseverlauf hervorgehend, eine Reise über Mazedonien, Kroatien und Slowenien festgestellt werden.

2.2.4. Dass die B1 und BF3 grundsätzlich gesund sind, beruht auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben im Verfahren.

Dass die BF2 gesundheitliche Probleme mit ihrer Schilddrüse, ihrem Blutdruck und Bewegungsapparat hat und dagegen Medikamente einnimmt, beruht auf ihren eigenen diesbezüglichen Angaben vor dem BFA (AS 56, G304 2196230-1). Dass sich ihre Schilddrüsenprobleme, eine Schilddrüsenüberfunktion, seit ihrem Aufenthalt in Österreich wesentlich gebessert haben, war aus vorgelegten Befunden ersichtlich.

2.2.5. Die Feststellungen zur Integration der BF ergab sich aus dem Akteninhalt.

2.3. Zum Fluchtvorbringen der BF:

Der BF1 brachte in seiner Einvernahme vor dem BFA im Wesentlichen vor, von schiitischen Milizangehörigen bedroht worden zu sein und deswegen mit den BF2, BF3 ausgereist zu sein.

Er schilderte, aufgefordert zu einer möglichst lebensnahen, detaillierten Schilderung seiner Fluchtgründe, Folgendes:

"Ich bin arbeiten gegangen und habe ein friedliches Leben geführt. Mein Wohnbezirk (...) ist eine schiitische Gegend. An einem Tag, als ich in der Arbeit war, hat meine Frau mich angerufen und teilte mir mit, dass weder ich noch (erg.: an dieser Stelle der Vorname des älteren Sohnes der BF1 und BF2 angeführt; im Folgenden: "S" für "Sohn") nach Hause kommen dürfen. S. hat mit mir gearbeitet. Als mir das meine Frau mitgeteilt hat, war ich überrascht. Ich war nervlich fertig, als meine Frau mir das gesagt hat. Ich habe von meiner Frau gefordert, dass sie mir sagen soll, warum S. und ich nicht nachhause kommen sollen. Ich fragte, ob (BF3) was passiert wäre. Meine Frau sagte mir, dass drei oder vier Autos bei uns vor dem Haus gestanden sind. Darin saßen bewaffnete Männer und haben nach dir und S. gefragt. (...) Als mir meine Frau das mitteilte, bin ich mit S. nicht mehr nach Hause gegangen. Ich habe zu meiner Frau gesagt, ich werde mich bei Deinem Bruder verstecken. Das habe ich dann auch gemacht. Zwei Tage später kamen die bewaffneten Personen nochmals zu mir nach Hause und fragten nach mir und S. Die Milizen drohten meiner Frau, wenn ich mich oder S. den Milizen nicht ergebe, werden sie meinen jüngeren Sohn mitnehmen. Am selben Tag am Abend, hat meine Frau alle Gegenstände, wie Geld und Goldschmuck, mitgenommen und ist zum Haus ihres Bruders zu mir gekommen. Ich möchte anmerken, dass, als die bewaffneten Personen das erste Mal zu uns nach Hause gekommen sind, war das der 26.06.2014. Zwei Tage später am 28.06.2014 kamen sie das zweite Mal. An diesem Tag hat meine Frau unser Haus verlassen und ist zu ihrem Bruder zu mir gekommen. Am nächsten Tag, am 29.06.2014 habe ich dafür gesorgt, dass mein Sohn S. mit einem Taxi in den Iran ausreisen konnte. Ich verließ das Land mit meiner Frau und meinem jüngeren Sohn am 02.07.2014." (AS 76, Zl. G304 2196227-1).

Der BF1 gab dann an, sein Sohn S. sei allein nach Österreich gekommen, dessen Frau sei ihm dann im Zuge des Familiennachzuges gefolgt.

Die weitere Einvernahme des BF1 vor dem BFA gestaltete sich auszugsweise wie folgt:

"LA: Von welcher Miliz wurden Sie und Ihr Sohn bedroht?

VP: Von der Miliz Asa¿ib Ahl al Haqq bedroht. Sie sagten zu meiner Frau, dass sie von dieser Miliz sind.

LA: Warum ist die Miliz gerade zu Ihnen nach Hause gekommen?

VP: Das erste, weil wir Sunniten sind und wir in einer schiitischen Gegend wohnen. Die Milizen haben in unserer Gegend gemacht. Sie haben unseren Bezirk unter Kontrolle. Sie wussten, wer Sunnit und wer Schiit ist. Wo man genau wohnt und was man genau macht. Sie haben ausreichende Informationen über uns.

LA: Ihr Sohn S. hat bei seiner Einvernahme zu Protokoll gegeben, dass die Miliz mit Ihnen gesprochen hat. Sie gaben an, dass die Miliz mit Ihrer Frau gesprochen hat. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?

VP: Ich bleibe bei meinen Angaben. Ich habe die Milizen weder gesehen noch gesprochen. Die Milizen haben nur mit meiner Frau gesprochen.

(...)

LA: Ihr Sohn hat zu Protokoll gegeben, dass die Milizen im Juli 2014 bei Ihnen gewesen sind. Sie sagten, dass die Milizen im Mai 2014 bei Ihnen waren. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?

VP: Ich weiß nicht, warum er das gesagt hat, aber die Daten und die Reihenfolge habe ich richtig angegeben.

Anmerkung LA: Der VP wird der Teil der Niederschrift seines Sohnes S. vom 27.01.2016, den die Miliz betrifft, rückübersetzt. Die VP bleibt bei seinen gemachten Angaben.

(...)

LA: Seit wann steht Ihre Wohngegend unter der Kontrolle der schiitischen Miliz?

VP: Sie haben die Gegend seit 2014 unter Kontrolle. Seit der IS einmarschiert ist. Nach dem Einmarsch des IS im Irak waren das irakische Militär und die irakische Polizei machtlos. Die Milizen haben jede Menge Waffen und haben diese Schwäche in der Sicherheitssituation ausgenutzt und haben die Kontrolle über die Bezirke in Bagdad übernommen.

LA: Vor 2014 konnten Sie in Ihrem Bezirk in Ruhe leben und arbeiten?

VP: Es gab auch keine Sicherheit. Wir haben auch in Angst und Panik gelebt. Ich war als Sunnit unakzeptiert und unerwünscht.

(...)

LA: Haben Sie jemals erwogen, an einen anderen Ort in Ihrem Heimatland zu ziehen, um den Problemen zu entgehen?

VP: Ich bin nicht auf die Idee gekommen, weil ich als arabischer Sunnit in ganz Bagdad in Gefahr bin. Die Milizen sind sehr gut vernetzt. Im Nordirak sind die Kurden. Als Araber brauche ich einen Bürgen, um dort leben zu dürfen. Im Südirak sind die Schiiten. Dort ist mein Leben ebenfalls in Gefahr. Deshalb bin ich nicht auf die Idee gekommen.

LA: Welche Befürchtungen haben Sie für den Fall einer Rückkehr in Ihr Heimatland?

VP: Ich habe Angst getötet zu werden. Ich und meine Familie. Wir fürchten den Tod.

LA: Würde Ihnen im Fall der Rückkehr etwas von Seiten der staatlichen Behörden drohen?

VP: Die Milzen sind vom Iran unterstützt. Die Milizen haben im gesamten Irak die Macht. Die Milizen können über die Regierung bestimmen und sind stärker als die irakischen Behörden selbst. Die Milizen können frei entscheiden. Wenn sie jemanden töten müssen, werden sie es tun.

LA: Haben Sie sich bezüglich Ihrer Probleme an die irakischen Behörden gewendet?

VP: Das könnte ich nicht, weil die Milizen mit der Behörde kooperieren. Im Endeffekt würde ich nichts erreichen.

(...)." (AS 77ff, Zl. G304 2196227-1).

Die BF2 erstattete vor dem BFA, aufgefordert zur Schilderung ihrer Fluchtgründe, folgendes Fluchtvorbringen:

"Es kamen an einem Tag Milizen zu uns nach Hause und haben nach meinem Mann und meinem Sohn S. gefragt. Beide waren nicht zu Hause und das habe ich der Miliz auch gesagt. Freunde von meinem Sohn S. haben ihn gewarnt, dass Leute, die zu den Milizen gehören, ihn suchen. Ich habe meinen Mann angerufen und habe ihn gewarnt, dass sie nicht nach Hause kommen sollen. Mein Mann ging mit S. zu meinem Bruder. Zwei Tage später kamen die Milizen erneut zu mir und fragten nach meinem Mann und S. Die Milizen haben uns gedroht, wenn mein Mann oder S. sich nicht ergeben, werden sie stattdessen meinen Sohn (BF3) mitnehmen. Ich habe meine Wertgegenstände mitgenommen und bin mit meinem Sohn (BF3) zu meinem Bruder gezogen, bis wir am 02.07.2014 das Land verlassen haben. Ich möchte anmerken, dass die Milizen bewaffnet waren, als sie mit ihren Autos zu mir nach Hause gekommen sind. Wir hatten Angst getötet zu werden, weil die Milizen davor haben, wie ich erwähnt habe, Angehörige wie meinen Bruder getötet. Wir leben als Sunniten dort in Gefahr."

Die niederschriftliche Einvernahme der BF2 gestaltete sich dann auszugsweise wie folgt:

"LA: Wann und welche Milizen waren bei Ihnen?

VP: Es kam die Miliz Asa¿ib Ahl al Haqq am 26.06.2014 zu mir. Nachgefragt: Wie viele Personen waren das? Es waren einige Männer, die vor der Tür gestanden sind und es sind auch Männer in den Autos gesessen. Ich hatte Angst als ich die Türe aufgemacht habe.

LA: Was haben die Männer zu ihnen gesagt?

VP: Sie fragten nach meinem Mann und nach S. Ich sagte ihnen, dass beide nicht da sind.

LA: Warum haben die Milizen nach ihrem Mann und S. gefragt? Was wollten die Männer?

VP: Wir wohnen in einer schiitischen Gegend. Wir Sunniten sind Ziel für diese Milizen.

Ständig wollen die Milizen Sunniten rekrutieren. Ich hatte Angst um meine Angehörigen.

(...).

LA: Haben Sie sich an die Behörden gewendet?

VP: Nein, weil die Milizen mit den Behörden kooperieren.

(...)

LA: Haben Sie jemals erwogen, an einen anderen Ort in Ihrem Heimatland zu ziehen, um den Problemen zu entgehen?

VP: Nein. Wo sollen wir sonst hingehen. Überall sind Milizen.

LA: Seit wann steht Ihre Wohngegend unter der Kontrolle der schiitischen Miliz?

VP: Seit der IS Zeit. Nachgefragt: Wann war das? Seit 2014.

LA: Vorher konnten Sie in Ihrem Bezirk in Ruhe Ihr Leben bestreiten?

VP: Nein. Vor der Miliz Asa¿ib Ahl al Haqq und nach dem Sturz von Saddam Hussein haben immer wieder andere Milizen den Bezirk angegriffen. Ich möchte noch anmerken, dass es seit dem Sturz von Saddam Hussein immer wieder Unruhen und Auseinandersetzungen wegen religiöser Probleme gegeben hat. Wir mussten im Jahr 2007 nach Syrien ziehen. Dort haben wir ca. zwei Jahre gelebt. In unserer Gegend haben die Milizen Al Mahdi unsere Gegend kontrolliert.

LA: Welche Befürchtungen haben Sie für den Fall einer Rückkehr in Ihr Heimatland?

VP: Ich habe Angst um mein Leben und das Leben meiner Familie.

LA: Würde Ihnen im Falle einer Rückkehr etwas von Seiten der staatlichen Behörden drohen?

VP: Nein. Nur von Seiten der Milizen. Ich möchte aber anmerken, dass die Milizen anstatt der Behörde die Macht haben.

(...)." (AS 60ff, Zl. G304 2196230-1).

Die BF2 gab an, ihr Sohn, der BF3, habe dieselben Fluchtgründe wie sie selbst und keine eigenen Fluchtgründe.

Aus den Angaben der BF1 und BF2 im Zuge ihrer Erstbefragung, der vorhin teilweise wiedergegebenen niederschriftlichen Einvernahme der BF vor dem BFA am 03.04.2018 mit teilweisem Vorhalt anderslautender Angaben ihres Sohnes S. in dessen Einvernahme im Jänner 2016, schriftlichen Stellungnahmen ihres Rechtsvertreters und dem Beschwerdevorbringen ergab sich vor dem Hintergrund der den BF zuletzt vorgehaltenen bzw. aktuell amtsbekannten Länderberichten Folgendes:

Beide, sowohl der BF1 als auch die BF2, sprachen vor dem BFA davon, dass am 26.06.2014 erstmals schiitische Milizangehörige zu ihnen nachhause gekommen seien. Zwei Tage später am 28.06.2014 wären sie das zweite Mal gekommen. Ihnen wurde jeweils vorgehalten, ihr Sohn S. habe in seiner Einvernahme davon gesprochen, Milizen seien im Juli 2014 bei ihnen zuhause gewesen. Beide, der BF1 und die BF2, blieben jedoch bei ihren Angaben.

Nachdem sie sich dann beim Bruder der BF2 versteckt hätten, seien sie am 02.07.2014 ausgereist.

Die Angabe des BF1 in der Erstbefragung, "10 - 12 Tage vor der Ausreise" und die Angabe der BF2 in der Erstbefragung, "10 - 15 Tage vor der Ausreise" hätten sie ihren Ausreiseentschluss gefasst, zugrundelegend, hätten die BF somit spätestens am 22.06.2014 - zehn Tage vor ihrer Ausreise - ihren Ausreiseentschluss gefasst. An diesem Tag hätten schiitische Milizangehörige jedoch noch nicht bei ihnen zuhause nach dem BF1 und dem Sohn S. nachgefragt gehabt, sondern erstmals erst am 26.06.2014.

Den Angaben der BF in ihrer Erstbefragung folgend, sie seien im August 2014 aus ihrem Heimatland ausgereist - der BF1 sprach vom 14.08.2014, wären die BF mehr als ein Monat nach dem letzten Vorfall vom 28.06.2014 aus dem Irak ausgereist, was bei einer tatsächlichen Bedrohungssituation nicht nachvollziehbar ist. Ebenso spricht die offenbar problemlose legale Ausreise der BF - die BF1 und BF2 sprachen in ihrer Erstbefragung glaubhaft davon, mit dem Flugzeug auf legale Weise mit ihren Reisepässen ausgereist zu sein - für kein nachhaltiges Interesse schiitischer Milizangehöriger an der Person des BF1.

Erst beim zweiten Vorfall sollen die bei der BF2 zuhause aufgetauchten Personen gedroht haben, dass sie, sollte sich ihr Mann, der BF1, oder ihr Sohn S. nicht ergeben, ihren jüngeren Sohn, den BF3 mitnehmen würden. Fest steht jedenfalls, dass der BF3 nicht mitgenommen wurde und auch die BF2 unbehelligt geblieben ist.

Beide, sowohl der BF1 als auch die BF2, sprachen vor dem BFA davon, nach dem Einmarsch des IS im Jahr 2014 Probleme gehabt zu haben, stehe ihre Wohngegend doch seither unter der Kontrolle schiitischer Milizen (AS 78, Zl. G304 2196227-1; AS 60, Zl. G304 2196230-1). Die BF2 gab an, dass die Milizen ständig Sunniten rekrutieren wollten und sie Angst um ihre Angehörigen hatte (AS 60, Zl. G304 2196230-1).

Die BF2 gab etwas später befragt danach an, dass sie auch vor dem Einmarsch des IS nach dem Sturz von Saddam Hussein keine Ruhe gehabt hätten, habe es doch "immer wieder Unruhen und Auseinandersetzungen wegen religiöser Probleme gegeben." Sie hätten im Jahr 2007 nach Syrien ziehen müssen. Dort hätten sie ca. zwei Jahre gelebt. Ihre Wohngegend sei in dieser Zeit von der schiitischen Miliz Al Mahdi kontrolliert worden (AS 61, Zl. G304 2196230-1).

Diese von der BF2 angesprochenen konfessionell bedingten Unruhen und Auseinandersetzungen spiegeln die vergangene politische bzw. Sicherheitslage im Irak wieder:

Dies geht aus den den angefochtenen Bescheiden zugrunde liegenden Länderberichten hervor. Diese besagen etwa Folgendes:

Die Vorstöße de IS im Nord- und Zentralirak 2014 und Anfang 2015 und das damit verbundene Sicherheitsvakuum in anderen Landesteilen haben auch dazu geführt, dass Milizen und Stammesführer die Macht an sich gerissen haben, und das staatliche Machtmonopol und die Rechtsstaatlichkeit aufgeweicht wurden (UHCR 14.11.2016). Die PMF - Milizen (erg.: darunter auch die von der BF2 angesprochene Miliz Asa¿ib Ahl al Haqq), die ursprünglich entstanden sind, um den IS zu bekämpfen (andere gab es allerdings auch schon vor dem IS), verrichten nun in den Stadtvierteln von Bagdad Polizeiarbeit. Dadurch konkurrieren sie mit der regulären Polizei, missachten die Gesetze und verhalten sich oft eher wie mafiöse Gruppen. Laut Angaben eines Bagdader Polizisten könne man die mutmaßlichen Rechtsverletzungen der Milizen nicht ahnden; es käme zu Straßenkämpfen zwischen den Milizen und die Polizei müsse neutral bleiben und würde daher nicht in die Kämpfe eingreifen (Niqash 19.01.2017).

Die zielgerichtete Gewalt gegen sunnitische Araber hat in Bagdad ebenso wie in anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten des Irak seit 2014 zugenommen. In Bagdad wurde gemeldet, dass sunnitische Binnenvertriebene gedrängt wurden, aus schiitischen und gemischt sunnitisch-schiitischen Wohngebieten auszuziehen (UHCR 14.11.2016). Auch gewaltsame Vertreibungen von Sunniten aus mehrheitlich von Schiiten bewohnten Vierteln Bagdads kamen laut dem Leiter des Sicherheitskomitees des Provinzrates Bagdads vor. Zum Teil würde es dabei weniger um konfessionell motivierten Hass gehen, sondern darum, die Grundstücke der vertriebenen Familien übernehmen zu können (IC 1.11.2016).

Viele Familien waren durch den konfessionellen Konflikt dazu gezwungen, ihre Häuser zu verlassen, und sie siedelten sich zunehmend entlang konfessioneller Grenzen wieder an (IOM 31.01.2017). Somit sind separate sunnitische und schiitische Viertel entstanden. (IOM 31.1.2017).

Den staatlichen Stellen ist es nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen, insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Dies geht einher mit Repressionen, mitunter auch Vertreibungen von Angehörigen der jeweils anderen Konfession, Minderheiten geraten oft zwischen die Fronten (AA 7.2.2017).

Die große Zahl der Binnenvertriebenen im Irak und die weitverbreitete Pauschal-Auffassung, dass sunnitische Araber IS-Mitglieder sind oder mit dem IS sympathisieren, hat Berichten zufolge dazu geführt, dass immer mehr sunnitische Araber und sunnitische Turkmenen, die nicht vertrieben wurden und in Bagdad und anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten leben, nach dem Anti-Terror-Gesetz von 2005 verhaftet werden (UHCR 14.11.2016). Teilweise unterzogen die Regierungskräfte alle männlichen Personen im kampffähigen Alter (etwa zwischen 15 und 65 Jahren), die aus Gebieten unter IS-Kontrolle geflohen waren, einer Sicherheitsüberprüfung. Sie wurden in behelfsmäßige Hafteinrichtungen oder provisorische Auffanglager gebracht, in denen sie Tage oder sogar Monate ausharren mussten, häufig unter extrem harten Bedingungen. Terrorverdächtige wurden an Sicherheitsbehörden wie die Abteilung für Verbrechensbekämpfung, die Abteilung für Terrorismusbekämpfung oder di Geheimdienstabteilung des Innenministeriums überstellt, wo ihnen Folter und andere Misshandlungen drohten, und regelmäßig wurde ihnen der Kontakt zu ihren Familien oder Rechtsbeiständen verwehrt. Sicherheitskräfte und Milizen nahmen mutmaßliche Terrorverdächtige ohne Haftbefehl in ihren Wohnungen, an Kontrollpunkten und in Lagern für Binnenvertriebene fest und informierten weder die Betroffenen noch deren Angehörige über die Gründe für die Festnahme (AI 22.2.2017).

Die zielgerichtete Gewalt gegen sunnitische Araber hat in Bagdad und anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten des Irak seit 2014 zugenommen. Die sunnitische Zivilbevölkerung wird nach IS-Attacken auf die schiitische Zivilbevölkerung von den ISF und verbündeten Streitkräften der PMU regelmäßig ins Visier genommen und im Rahmen offensichtlicher Vergeltungsmaßnahmen wurden sunnitische Zivilpersonen getötet und ihre Häuser, Geschäfte und Moscheen zerstört (UNHCR 14.11.2016).

Männer und Jugendliche ab 15 Jahren wurden unter Druck gesetzt, bewaffneten Stammesgruppen zur Bekämpfung des IS beizutreten, um nicht für IS-Angehörige gehalten zu werden (UHCR 14.11.2016).

In Bagdad gab es somit vor Ausreise der BF die von der BF2 angesprochene Rekrutierung von sunnitischen Männern (und Jugendlichen ab 15 Jahren) durch schiitische Milizen. Die BF2 schilderte jedenfalls keine nachhaltige Suche schiitischer Milizangehöriger nach dem BF1, wäre er doch bei wahrhaftem Interesse an seiner Person - bereits wegen der großflächigen Vernetzung schiitischer Milizen im Irak - nicht nur, wie die BF2 angab, am 26.06.2014 und zwei Tage später am 28.06.2014 bei ihnen zuhause, sondern auch bei seiner Arbeitsstelle und bei Verwandten in Bagdad und in diesem Fall auch bei dem Bruder der BF2, wo sich der BF1 dann bis zur Ausreise versteckt gehalten haben soll, gesucht worden.

Die schiitischen Milizangehörigen sollen jedenfalls nicht mit Nachdruck vorgegangen sein, sondern die BF2 nur nach ihrem Mann gefragt und ihr beim zweiten Mal angedroht haben, im Falle, dass sich ihr Mann und ihr Sohn S. nicht ergeben sollten, beim nächsten Mal ihren jüngeren Sohn, den BF3, mitzunehmen.

Der Sohn S. der BF1 und BF2 ist laut Angaben des BF1 vor dem BFA am 29.06.2014 aus dem Irak ausgereist. Der BF1 gab an:

"Am nächsten Tag (erg.: nach dem zweiten Vorfall vom 28.06.2014) am 29.06.2014 habe ich dafür gesorgt, dass mein Sohn (S.) mit einem Taxi in den Iran ausreisen konnte. Ich verließ das Land mit meiner Frau und meinem jüngeren Sohn am 02.07.2014." (AS 76, Zl. G304 2196227-1).

Dass der BF1 am 29.06.2014, einen Tag nach dem angeblich zweiten Vorfall, bei dem die BF2 zuhause von schiitischen Milizangehörigen aufgesucht und nach dem BF1 und ihrem Sohn S. gefragt worden sein soll, mit der Außenwelt bzw. Öffentlichkeit in Kontakt gestanden und für seinen Sohn S. ein Taxi für die Ausreise besorgt haben will, in angeblich derselben Bedrohungssituation wie sein Sohn mit den BF2 und BF3 bis zu ihrer Ausreise drei Tage später am 02.07.2014 jedoch weiterhin beim Bruder der BF2 verblieben sein soll, zeugt von keiner Furcht vor Verfolgung vor der Ausreise.

Im Bewusstsein, dass die Erstbefragung nicht vordergründig der Ermittlung der Fluchtgründe dient, wird darauf hingewiesen, dass der BF1 in seiner Erstbefragung angegeben hat, seinen Sohn S. in die Türkei geschickt zu haben. Davon war vor dem BFA jedoch nicht die Rede, sprach der BF1 da doch nur davon, für seinen Sohn am 29.06.2014 ein Taxi in den Iran besorgt zu haben. Wie er in seiner Erstbefragung angab, hat der BF1 selbst mithilfe von Schleppern für sich und seine Familie die Reise organisiert, und zwar in einer Stadt in der Türkei, sich demnach somit erst nach ihrer offenbar problemlosen Ausreise aus dem Irak in der Türkei um eine schlepperunterstützte Weiterreise umgesehen (AS 11, Zl. G304 2196227-1).

In der Erstbefragung sprach der BF1 davon, am 14.08.2014 mit dem Flugzeug von Bagdad in die Türkei geflogen zu sein. Auch seine Ehegattin, die BF2 gab in der Erstbefragung an, sie seien im August 2014 mit dem Flugzeug in die Türkei geflogen. Beide berichteten über eine legale Ausreise mit einem vom Passamt in Bagdad ausgestellten irakischen Reisepass.

Die BF1 und BF2 behaupteten vor dem BFA hingegen, sie hätten am 02.07.2014 den Irak verlassen. Der BF1 gab dazu näher an:

"Ich habe den Irak am 02.07.2014 verlassen. Ich fuhr mit einem Taxi in den Iran. Von Bagdad nach Teheran. In Teheran blieb ich ca. 45 Tage. Danach reiste ich mit einem Flugzeug in die Türkei. Ich kam in Ankara an. In der Türkei habe ich ca. 1 Jahr und 2 Monate gelebt. Danach bin ich mit einem Schlauchboot nach Griechenland (Mytilene) gereist. (...)." (AS 73, Zl. G304 2196227-1).

Nach diesen Angaben soll der BF1 nicht vom Irak, sondern erst, nachdem er vom Irak in den Iran gereist war, vom Iran in die Türkei gereist sein.

Dies ist nicht glaubwürdig.

Es macht vielmehr den Anschein, dass der BF1 mit seinem vor dem BFA gegenüber dem Vorbringen in der Erstbefragung geänderten Fluchtvorbringen über eine eigene Bedrohung durch schiitische Milizangehörige mehr Glaubwürdigkeit erreichen wollte. Dies ist ihm jedoch nicht gelungen, sprechen doch Widersprüche rund um die Ausreise und die behaupteten Fluchtgründe dagegen:

Der BF1 sprach in seiner Erstbefragung nicht von einer eigenen, sondern eine ausschließlich seinen Sohn S. betroffenen Bedrohungssituation und gab an:

"Mein Sohn wurde von den Milizen bedroht. Ich schickte ihn in die Türkei, er ist dann nach Österreich weitergereist. Die kamen dann zu mir, und fragten öfters nach meinem Sohn. Letztens haben die Milizen meiner Frau gesagt, dass, wenn mein Sohn nicht da ist, sie mich und meinen jüngeren Sohn mitnehmen. Ich kann das jedoch nicht beweisen. Im Irak ging es mir finanziell gut, ich hatte dort alles, was man für ein angenehmes Leben gebraucht hätte. Die Türkei habe ich verlassen, da ich nicht in den Irak zurück kann, das Geld geht mir außerdem auch aus. Von der UN bekommen wir in der Türkei keine Unterstützung. Ich habe mir gedacht, mit dem letzten Geld, das ich habe, kann ich es in Europa versuchen. Österreich war mein Zielland, da in Österreich jeder Mensch akzeptiert wird. Ich hatte viele gute Dinge von Österreich gehört, aber als ich angekommen bin, da wurde ich nochmals positiv überrascht." (AS 11, Zl. G304 21296227-1).

Vor dem BFA gab der BF1 jedenfalls nur an, seine Frau und nicht er selbst sei von schiitischen Milizangehörigen aufgesucht und zum BF1 und Sohn S. befragt worden. Davon, dass auch der BF1 selbst von Milizangehörigen nach seinem Sohn gefragt worden sei, war da nicht die Rede.

Es ist zudem davon auszugehen, dass bei Wahrheit seines Vorbringens in der Erstbefragung, die schiitischen Milizen würden, wenn sein Sohn nicht da sei, ihn selbst und seinen jüngeren Sohn mitnehmen, es der BF1 mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht für nötig gehalten hätte hinzuzufügen, dies nicht beweisen zu können.

Nach nahtlosem Übergang sprach der BF1 in der Erstbefragung dann davon, es sei ihm im Irak finanziell gut gegangen, und er habe alles für ein angenehmes Leben gehabt. Im darauffolgenden Vorbringen konzentrierte sich der BF1 dann darauf, aus finanziellen Gründen die Türkei verlassen zu haben, hätten sie dort doch keine Unterstützung bekommen, und daraufhin Österreich anvisiert.

Auch im Übrigen wurde im Zuge des Verfahrens vorwiegend auf die allgemein schlechten Verhältnisse vor Ort Bezug genommen:

Mit schriftlicher Stellungnahme ihres Rechtsvertreters vom 10.04.2018 wurde "Bezug nehmend auf die Einvernahme und den Vorhalt der Länderfeststellungen" allgemeingehalten auf den Inhalt des "Amnesty International Report 2016/17 - The State oft the World¿s Human Rights-Iraq" eingegangen und Folgendes ausgeführt:

"Die Ast wären im Falle der Rückkehr von den politischen und religiösen Spannungen und Problemen wieder persönlich betroffen. Die Lage im Irak ist für Familien keineswegs ausreichend sicher.

Die Schilderungen der Familie sind in Übereinstimmung mit der Berichtslage und insgesamt glaubwürdig.

Beantragt werden konkrete persönliche Recherchen, diese werden die Authentizität der Ast untermauern.

Frau (BF2) hätte im Irak auch aufgrund ihrer westlichen Lebenseinstellung keine Zukunft mehr.

Die Söhne sind im Irak als Zugehörige der sozialen Gruppe der jungen Männer gefährdet, in Kampfhandlungen und Fehden verwickelt zu werden.

Es wird daher ersucht, nach Durchführung der noch fehlenden Ermittlungen Asyl oder in eventu subsidiären Schutz zu gewähren." (AS 125ff, Zl. G304 2196230-1).

Auch in ihrer Beschwerde wurde auf allgemeine Verhältnisse bzw. Missstände im Irak Bezug genommen. Der allgemeine Hinweis auf die allgemein westliche Lebenseinstellung der BF ist zudem unbegründet geblieben, ebenso wie die Angabe in der schriftlichen Stellungnahme von April 2018, die BF2 hätte aufgrund ihrer westlichen Lebenseinstellung keine Zukunft mehr.

In der Beschwerde wurde zudem fallentfremdet plötzlich auf eine Herkunft "des", ohne Angabe "welchen", Beschwerdeführers "aus Kuwait" hingewiesen, und zwar im Zuge folgenden allgemeingehaltenen Vorbringens bzw. Beschwerdeabsatzes:

"In der Beweiswürdigung wird nicht beachtet, dass eine Asylrelevanz in den von den Beschwerdeführern erlittenen Verfolgungshandlungen in mehrfacher Hinsicht vorliegt - einerseits ist die Verfolgung der Beschwerdeführer asylrelevant, weil die irakischen Behörden nicht in der Lage sind, Personen wie sie vor der Gewalt von Terroristen, weder Schiiten noch Sunniten, zu beschützen, selbst wenn eine Willigkeit dazu bestehen würde.

Andererseits wurde die geschlechtsspezifische Verfolgung der Beschwerdeführerin nicht beurteilt und auch nicht die westliche Lebenseinstellung der Beschwerdeführer, die in Widerspruch zur im Irak herrschenden konservativ-islamischen Gesellschaftsordnung steht, insbesondere in Hinblick auf die Herkunft des Beschwerdeführers aus Kuwait." (etwa betreffend BF2, AS 317, Zl. G304 2196230-1).

In der Beschwerde steht weiter:

"Die Behauptungen des Bundesamtes verwundern auch umso mehr, als die Länderberichte die zunehmende Eskalation des inter-konfessionellen Bürgerkrieges im Irak belegen." (AS 317, Zl. G304 2196230-1).

Mit diesem Vorbringen wurde ausdrücklich auf die Bürgerkriegssituation, demnach somit auf eine für alle irakische Staatsangehörige unsichere Lage im Herkunftsstaat Bezug genommen.

In der Beschwerde wurde folglich festgehalten:

"Die Beschwerdeführer brachten eine konkrete individuelle Verfolgung vor, da sie aufgrund ihrer Tätigkeit, und ihrer Herkunft mit dem Umbringen bedroht wurden, und sie haben bereits konkrete Verfolgungshandlungen erlitten, die sie und ihre Familie in ihrer Sicherheit erschüttert haben."

Dieses Vorbringen ist jedenfalls derart unkonkret, dass daraus nicht hervorgeht, aufgrund welcher Tätigkeit die BF mit dem Umbringen bedroht worden sein sollen. Die BF sprachen stets nur von einer mit ihrer muslimisch-sunnitischen Glaubensrichtung zusammenhängenden Bedrohung, nicht jedoch von einer Bedrohung aufgrund einer bestimmten Tätigkeit.

Das Beschwerdevorbringen war somit unkonkret, auch in Bezug auf die Bürgerkriegssituation allgemeingehalten und spekulativ.

Der BF1 ist mit den BF2 und BF3 offenbar nicht aufgrund eines fluchtauslösenden Vorfalls ausgereist, hätten sie andernfalls doch gleich nach ihrer Einreise in die Europäische Union in Griechenland um Asyl bzw. internationalen Schutz angesucht. Sie wurden in Griechenland im Oktober 2015 nur kurzzeitig wegen illegalen Aufenthaltes angehalten. Auch später in Slowenien haben sie keinen Asylantrag gestellt.

Erst nach ihrer Einreise in Österreich stellten sie am 30.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, dies jedoch nicht aus Angst vor Verfolgung, wogegen auch die allgemeine Bezugnahme auf politische und religiöse Spannungen und Probleme im Irak im Zuge der schriftlichen Stellungnahme von April 2018 spricht, sondern in Hoffnung, über ihr Asylverfahren ein Bleiberecht mit mehr Sicherheit und besseren Lebensbedingungen als in ihrer Heimat zu erlangen.

Das Beschwerdevorbringen über eine "konkrete individuelle Verfolgung", "da sie von den schiitischen Milizen mit dem Tod bedroht wurden", wurde ebenso nicht näher begründet.

Die BF sprachen jedenfalls nicht davon, mit dem Tod bedroht worden zu sein, sei doch laut Angaben der BF die BF2 von schiitischen Milizangehörigen nur aufgesucht und nach dem BF1 und ihrem Sohn S. gefragt und beim zweiten Mal bedroht worden, es werde beim nächsten Mal, sollten sich ihr Ehemann und ihr Sohn nicht freiwillig ergeben, ihr jüngerer Sohn, der BF3, mitgenommen werden. Von einer ausdrücklichen Todesdrohung war nicht die Rede. Die BF gaben lediglich an, sie hätten bei einer Rückkehr Angst um ihr Leben und dasjenige ihrer Familie bzw. Angst davor, getötet zu werden (AS 62, Zl. G304 2196230-1; AS 79, Zl. G304 2196227-1).

Dass die BF vor ihrer Ausreise keine Furcht vor Verfolgung hatten, ergab sich auch daraus, dass die BF2 in ihrer Erstbefragung davon berichtete, ihr Mann, der BF1, habe "sein Auto verkauft", danach hätten sie beschlossen das Land zu verlassen. (AS 9, Zl. G304 2196230-1). Der BF1 sorgte sich somit vor ihrer Ausreise zunächst in aller Öffentlichkeit um den Verkauf seines Autos, um über genügend Mittel für ihre Reise zu verfügen. Dies spricht für eine geplante, unbehinderte Ausreisevorbereitung.

Aus dem anfänglichen Vorbringen des BF1 nach Aufforderung zu einem detaillierten Fluchtvorbringen vor dem BFA, anmerken zu wollen, dass er sich im Irak nur um seine Familie und seine Arbeit gekümmert habe, arbeiten gegangen sei und ein friedliches Leben geführt habe, geht hervor, dass dem BF1 das familiäre Wohlbefinden sehr wichtig ist. Sein Vorbringen vor dem BFA, seit seinem 12. Lebensjahr bis zur Ausreise (der BF1 sprach davon, "bis ich das Land verlassen habe") habe er seine Arbeit als Lüftungsproduzent (mit seiner Ausbildung zum Isolationstechniker zusammenhängend) ausgeübt (AS 74), spricht für eine jahrelange ungehinderte Erwerbstätigkeit, und zwar so lange, bis er mit den BF2 und BF3 das Land verlassen hat. Auch daraus ist ersichtlich, dass der BF1 vor seiner Ausreise keiner Einschränkung oder Furcht unterlegen war.

Die BF konnten jedenfalls keine individuelle Bedrohungssituation vor ihrer Ausreise glaubhaft machen, sondern nur eine Ausreise aufgrund der allgemein schlechten Sicherheitslage rund um die zwischen Sunniten und Schiiten bestehenden konfessionellen Spannungen in der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen woanders.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Zu Spruchteil A):

3.2. Da die BF1 und BF2 Ehegatten und der minderjährige BF3 ihr nunmehr 16 Jahre alte Sohn ist, mit dem sie nach Österreich gekommen sind, und am 30.10.2015 die BF1 und BF2 für sich und die BF2 als gesetzliche Vertreterin des BF3 auch für diesen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, sind ihre Asylverfahren nach § 34 Abs. 4 AsylG gemeinsam im Familienverfahren zu führen.

3.3. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

3.3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zl. 98/20/0399; 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

3.3.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht der BF, in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist.

Wie aus der Beweiswürdigung ersichtlich, ist es den BF nicht gelungen, eine ihnen aufgrund der Zugehörigkeit zur Glaubensrichtung der Sunniten, demnach aus einem GFK-Grund, individuell drohende Verfolgung glaubhaft zu machen.

Auch wenn es im Irak zu Diskriminierungen und einzelnen Vergeltungsschlägen gegen sunnitische Araber kommen mag, gibt es in Bagdad sowie im restlichen Land keine systematische alle Sunniten betreffende gezielte Verfolgung und sind seit dem militärischen Sieg der irakischen Armee über den IS im Dezember 2017 hunderte Straßensperren und Checkpoints in Bagdad weggefallen.

Das Beschwerdevorbringen bezüglich geschlechtsspezifischer Verfolgung der BF2, der konservativ-islamischer Gesellschaftsordnung widersprechenden westlichen Lebenseinstellung der BF blieb bloß mutmaßend bzw. nicht näher begründet, weshalb darauf nicht näher einzugehen war.

Fest steht, dass die BF aufgrund der allgemein schlechten (Sicherheits-) Lage in ihrem Heimatland aus dem Irak ausgereist sind.

Fest steht auch, dass nicht nur die BF, sondern alle irakischen Staatsbürger von der Bürgerkriegssituation im Irak betroffen waren und allgemein schlechten Verhältnissen vor Ort keine Asylrelevanz beigemessen wird.

Es liegt somit keine asylrelevante Verfolgung der BF im Irak vor, weshalb die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß

§ 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen war.

3.4. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

3.4.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

Somit ist vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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