TE Bvwg Beschluss 2020/3/31 W233 2191116-2

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Veröffentlicht am 31.03.2020
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Entscheidungsdatum

31.03.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §32 Abs1 Z2

Spruch

W233 2191116-2/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Andreas FELLNER als Einzelrichter über den Antrag des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Pakistan, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.12.2019, Zl. W233 2191116-1/17E abgeschlossenen Asylverfahrens:

A) Der Antrag auf Wiederaufnahme wird gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1. Der Antragsteller stellte am 29.07.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Am 29.07.2017 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des damals minderjährigen Antragstellers in Anwesenheit seiner Rechtsberaterin statt. Dabei gab er zu seinem Gesundheitszustand befragt an, dass er an keinen Krankheiten leide, die der Einvernahme entgegenstehen oder das Asylverfahren beeinträchtigen würden.

Am 15.09.2017 wurde der Antragsteller einer multifaktoriellen Altersdiagnostik überzogen. Aus dem Gutachten der Medizinischen Universität Wien vom 17.09.2017 ergibt sich zusammengefasst, dass das vom Antragsteller im Verfahren genannte Geburtsdatum mit dem festgestellten höchstmöglichen Mindestalter vereinbar ist und er die Volljährigkeit nach dem errechneten fiktiven Geburtsdatum am XXXX erreicht.

Am 07.02.2018 wurde der Antragsteller vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Punjabi und einer Vertrauensperson niederschriftlich einvernommen und führte dabei zu seinem Gesundheitszustand aus, dass er gesund sei und keine Medikamente benötige.

Mit Bescheid vom 26.02.2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan (Spruchpunkt II.) ab. Dem Antragsteller wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Des Weiteren wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Antragstellers gemäß § 46 FPG nach Pakistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). In Spruchpunkt VI. wurde dem Antragsteller gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine 14-Tägige Frist für seine freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt.

Dagegen erhob der Antragsteller im Wege seiner Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

1.2. Am 07.10.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, in welcher der Beschwerdeführer zu seinem Gesundheitszustand ausführte, dass er aufgeregt sei, es ihm aber ansonsten gut gehe und er keine Medikamente nehme.

Mit Erkenntnis vom 19.12.2019 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Antragstellers als unbegründet ab. Mit diesem Erkenntnis wurde unter anderem festgestellt, dass der Antragsteller gesund ist. Diese Entscheidung erwuchs durch die Zustellung am 20.12.2019 in Rechtskraft.

Zu sowohl an den Verfassungsgerichtshof als auch an den Verwaltungsgerichtshof gestellten Anträgen auf Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Beschwerde bzw. außerordentlichen Revision gegen dieses Erkenntnis sind bisher keine Entscheidung bekanntgeworden.

Seinem im Wege seiner Antragstellung auf Gewährung von Verfahrenshilfe gestellten Antrag auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz in Form einer einstweiligen Anordnung unmittelbar aufgrund des Unionsrechts, wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.03.2020, Zl.: W233 2191116-1/22E, nicht stattgegeben.

1.3. Mit Schriftsatz vom 20.03.2020, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 25.03.2020, stellte der Antragsteller einen auf § 32 VwGVG gestützten Antrag auf Wiederaufnahme des mit im Spruch genannten Erkenntnisses abgeschlossenen Verfahrens. Konkret beantragt der Antragsteller, dass im Rahmen einer neuerlichen Einvernahme die Aspekte seiner Glaubwürdigkeit am Stand der Wissenschaften der Psychologie und Psychiatrie gewürdigt werden in eventu die aktenkundigen Aspekte, welche für das Bundesverwaltungsgericht unglaubwürdig erschienen, am Stand der Wissenschaft der Psychologie und Psychiatrie neu zu würdigen. Zudem wurde für den Fall einer neuen mündlichen Anhörung, die Einbeziehung des das Gutachten erstellenden Facharztes, beantragt.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass er erst im Rahmen des abschließenden Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts zum ersten Mal über seine in Österreich festgestellte Minderjährigkeit Kenntnis erlangt und daher Kontakt zu Mitarbeitern der Einrichtung " XXXX ", welche dort im Jahre 2018 tätig gewesen seien, aufgenommen hätte. Im Jahre 2018 habe er den dort tätigen Psychologen, Herrn XXXX , getroffen, der ihm bei einem Privatbesuch über die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) aufgeklärt und ihm eine Abtestung bei einem Facharzt für Psychiatrie geraten habe. Am 10. März [2019] habe er das dem Antrag beiliegende Gutachten vom 9. März 2020 erhalten, demnach bei ihm diese Diagnose zweifelsfrei vorliege.

In dem den Antrag auf Wiederaufnahme angeschlossenen fachärztlichen psychiatrischen Gutachten vom 09.03.2020 über den Antragsteller ist die psychiatrische Diagnose "Posttraumatische Belastungsstörung, aktuell minderschweres depressives Zustandsbild, bisher ohne antidepressiver Medikation - ICD 1 F 43.1" festgehalten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Feststellungen:

Der oben unter I. dargestellte und sich vollständig aus dem vorliegenden Verwaltungsakt sowie dem vorliegenden hg. Vorakt ergebende Verfahrensgang wird festgestellt.

Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den hg. Vorakt des Antragstellers, beinhaltend insbesondere das Protokoll der Erstbefragung vom 29.07.2017, das Gutachten zur Altersfeststellung vom 17.09.2017, das Protokoll der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 07.02.2018, den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.02.2018, die Beschwerde vom 23.03.2018, das Protokoll der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 07.10.2019 sowie das hg. Erkenntnis vom 19.12.2019. Die festgestellten Tatsachen ergeben sich zweifelsfrei aus dem bisherigen Verfahrensgang und der Aktenlage.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 59 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der BAO, des AgrVG, und des DVG und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist. Mit Fuchs (in Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 32 VwGVG Anm. 13, Stand 1.10.2018, rdb.at) ist der Systematik des VwGVG folgend anzunehmen, dass sämtliche Entscheidungen über Wiederaufnahmeanträge - als selbstständige Entscheidungen - in Beschlussform zu erfolgen haben (ebenso Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahren der Verwaltungsgerichte2, 2017, § 32 VwGVG K 29).

Zu A) Abweisung des Wiederaufnahmeantrags:

§ 32 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 57/2018, lautet:

§ 32. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn

1. das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist oder

2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder

3. das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder

4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) Das Verwaltungsgericht hat die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen.

(5) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse."

In der Regierungsvorlage zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (2009 Blg NR, XXIV. GP) ist festgehalten, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im VwGVG weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen auf Grund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen. Durch den Ausschluss der Anwendung des IV. Teiles des AVG ist das AVG in diesem Bereich für unanwendbar erklärt worden, wobei aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung und ähnlichen Formulierung der Bestimmung des § 32 Abs. 1-3 VwGVG mit § 69 AVG die bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sinngemäß anzuwenden sind bzw. die bisherige Judikatur zu § 69 AVG herangezogen werden kann.

In diesem Sinne sprach der Verwaltungsgerichtshof zuletzt in seinem Beschluss vom 30.04.2019, Ra 2018/10/0064, aus, dass die Wiederaufnahmsgründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet sind und daher auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmsgründe zurückgegriffen werden kann.

Voraussetzung für die Stellung eines Wiederaufnahmeantrages ist gemäß § 32 Abs. 1 VwGVG die Parteistellung im wiederaufzunehmenden Verfahren (vgl. VwGH 27.02.2019, Ra 2018/10/0095; ferner Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 32 VwGVG Anm. 4, Stand 1.10.2018, rdb.at). Der Antragsteller hatte als Beschwerdeführer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Parteistellung, sodass er grundsätzlich einen Wiederaufnahmeantrag stellen kann.

Zudem setzt ein Wiederaufnahmeantrag ein durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichts abgeschlossenes Verfahren voraus (vgl. VwGH 28.04.2015, Ro 2015/18/0001) und muss aus dem Antrag auch hervorgehen, dass die Wiederaufnahme eines näher bezeichneten Verfahrens begehrt wird. Zumindest muss aus dem Inhalt der Eingabe hervorgehen, auf welches abgeschlossene Verfahren sich der Antrag auf Wiederaufnahme bezieht (vgl. zu § 69 AVG VwGH 18.03.1993, 92/09/0212).

Der Antragsteller begehrt mit seiner Eingabe vom 20.03.2020 die Wiederaufnahme des mit Erkenntnis vom 19.12.2019, Zl. W233 2191116-1/17E abgeschlossenen Verfahrens. Dies erhellt allein schon daraus, dass sich der Antragsteller in seiner Begründung auf das "abschließende Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts" bezieht.

Der Grund, auf den sich das Wiederaufnahmebegehren stützt, ist im Antrag aus eigenem Antrieb konkretisiert und schlüssig darzulegen und hat der Wiederaufnahmswerber dabei anzugeben, zu welchem Zeitpunkt die Tatsachen, auf die sich die vorgelegten Beweismittel beziehen, entstanden sind (vgl. VwGH 14.03.2019, Ra 2018/18/0403).

Zur Begründung des Wiederaufnahmeantrages wird vorgebracht, dass sich der Antragsteller im Jahr 2018 mit einem Psychologen getroffen habe, der ihn über die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer PTBS bei ihm aufklärte und ihm die Abtestung bei einem Facharzt für Psychiatrie angeraten habe. Aufgrund des beiliegenden Gutachtens vom 09.03.2020 liege bei ihm diese Diagnose zweifelsfrei vor.

Der Wiederaufnahmeantrag ist gemäß § 32 Abs. 2 VwGVG binnen zwei Wochen ab dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller vom Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst ab diesem Zeitpunkt schriftlich (§ 17 VwGVG iVm § 13 Abs. 1 AVG; vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 32 VwGVG Anm. 12, Stand 1.10.2018, rdb.at) beim Verwaltungsgericht einzubringen. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (vgl. zu § 69 AVG VwGH 19.05.1993, 91/13/0099; 25.01.1996, 95/19/0003). Die in § 69 Abs. 2 AVG vorgesehene subjektive Frist beginnt bereits mit der Kenntnis des Antragstellers von dem Sachverhalt, der den Wiederaufnahmegrund bilden soll; entscheidend ist die Kenntnis von einem Sachverhalt, nicht aber die rechtliche Wertung dieses Sachverhalts. Für den Fristenlauf ist daher nicht maßgebend, ob dem Antragsteller die mögliche Qualifizierung eines Sachverhalts als Wiederaufnahmegrund bewusst ist (vgl. VwGH 01.07.2019, Ra 2019/14/0261).

Im gegenständlichen Fall bringt der Antragsteller vor, dass er im Jahr 2018 von einem Psychologen über die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer PTBS aufgeklärt worden sei und diese Diagnose in der Folge durch das Gutachten vom 09.03.2020 bei ihm zweifelsfrei vorliege.

Ein Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG setzt unter anderem voraus, dass neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten (vgl. VwGH 14.03.2019, Ra 2018/18/0403, mwN). Ob diese Eignung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die im Wiederaufnahmeverfahren zu beantworten ist; ob tatsächlich ein anderes Ergebnis des Verfahrens zustande kommt, ist sodann eine Frage, die im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären ist (vgl. VwGH 21.05.2019, Ra 2018/19/0510, mwN). Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs können Tatsachen und Beweismittel im Sinn des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG nur dann einen Grund für die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens darstellen, wenn sie bei Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens bereits vorhanden waren und deren Verwertung der Partei jedoch ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich wurde, nicht jedoch, wenn es sich um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel handelt. Dieser Wiederaufnahmegrund ermöglicht nicht die neuerliche Aufrollung eines abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens in Fragen, die im früheren Verfahren hätten vorgebracht werden können. Der Wiederaufnahmegrund des Hervorkommens neuer Tatsachen oder Beweismittel kann von vornherein nur ein Umstand sein, der den Sachverhalt betrifft, der dem das wiederaufzunehmende Verfahren abschließenden Bescheid/Erkenntnis zugrunde gelegt wurde. Eine in einem anderen Verfahren geäußerte Rechtsansicht kann niemals einen solchen Wiederaufnahmegrund darstellen. Auch das nachträgliche Erkennen, dass im abgeschlossenen Verwaltungsverfahren Verfahrensmängel oder eine unrichtige rechtliche Beurteilung seitens der Behörde vorgelegen seien, bildet keinen Wiederaufnahmegrund nach dieser Bestimmung (vgl. VwGH 30.04.2019, Ra 2018/10/0064, mwN).

Gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen; gleiches gilt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für neu entstandene Beweismittel, sofern sie sich auf "alte" - d.h. nicht erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene - Tatsachen beziehen (vgl. VwGH 14.03.2019, Ra 2018/18/0403, mwN).

Ungeachtet des Erfordernisses der Neuheit ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund nur dann tauglich, wenn es nach seinem objektiven Inhalt und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche das BVwG entweder die den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens bildende Entscheidung oder zumindest die zum Ergebnis dieser Entscheidung führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (vgl. VwGH 21.05.2019, Ra 2018/19/0510, mwN).

Die neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel dürfen ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht worden sein. Es ist zwar notwendig, aber nicht ausreichend, dass die Tatsachen (Beweismittel) im wieder aufzunehmenden Verfahren nicht geltend gemacht worden sind; es ist darüber hinaus auch erforderlich, dass sie - allenfalls auch im Verfahren vor einer höheren Instanz - nicht geltend gemacht werden konnten und dass die Partei daran kein Verschulden trifft. Jegliches Verschulden, das die Partei an der Unterlassung ihrer Geltendmachung trifft, auch leichte Fahrlässigkeit, schließt somit den Rechtsanspruch auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus (VwGH 19.03.2003, 2000/08/0105). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 69 AVG - die wie oben ausgeführt auf die Bestimmungen des § 32 VwGVG anzuwenden sind - handelt es sich beim "Verschulden" im Sinne des Abs. 1 Z 2 um ein Verschulden im Sinne des § 1294 ABGB. Bei der Beurteilung des Verschuldens im Zusammenhang mit einer Wiederaufnahme ist das Maß dafür ein solcher Grad des Fleißes und der Aufmerksamkeit, welcher bei gewöhnlichen Fähigkeiten aufgewendet werden kann (siehe § 1297 ABGB). Konnte die wiederaufnahmewerbende Partei eine Tatsache oder ein Beweismittel bei gehöriger Aufmerksamkeit und gebotener Gelegenheit schon im Verwaltungsverfahren geltend machen, unterließ sie es aber, liegt ein ihr zuzurechnendes Verschulden vor, das eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließt (VwGH 08.04.1997, 94/07/0063; 10.10.2001, 98/03/0259). Ob die Fahrlässigkeit leicht oder schwer ist (§ 1294 ABGB), ist irrelevant (vgl. Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 [2014] Rz 598; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 36 ff.).

Eine Wiederaufnahme setzt nicht Gewissheit darüber voraus, dass die Entscheidung im wieder aufzunehmenden Verfahren anders gelautet hätte. Für die Bewilligung oder Verfügung der Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens genügt es, dass diese Voraussetzung mit einiger Wahrscheinlichkeit zutrifft; ob sie tatsächlich vorliegt, ist erst in dem wiederaufgenommenen Verfahren zu entscheiden. Sachverhaltsänderungen nach Abschluss des wieder aufzunehmenden Verfahrens haben bei der Entscheidung über die Wiederaufnahme außer Betracht zu bleiben (VwGH 13.12.2002, 2001/21/0031; 07.09.2005, 2003/08/0093; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 42 ff.; siehe dazu weiters Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 [2014] Rz. 600, die in diesem Zusammenhang von einem "höheren Grad der Wahrscheinlichkeit" sprechen).

Für den vorliegenden Fall ist daher Folgendes festzuhalten:

Das dem Wiederaufnahmeantrag vorangegangene Verfahren wurde mit dem im Spruch genannten Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.12.2019 rechtskräftig abgeschlossen. Da die vom Antragsteller vorgebrachte Posttraumatische Belastungsstörung erst im Rahmen einer nach diesem Zeitpunkt, nämlich am 09.03.2020, durchgeführten fachärztlichen Begutachtung diagnostiziert wurden, liegen neue Tatsachen und Beweismittel im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG nicht vor. Dass diese Erkrankung des Antragstellers bereits vor der Erlassung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.12.2019 bestanden hätte, lässt sich weder dem Antrag auf Wiederaufnahme noch dem fachärztlichen Gutachten vom 09.03.2020 entnehmen. Sachverhaltsänderungen die nach einer Entscheidung eingetreten sind, stellen keinen Grund für eine Wiederaufnahme eines Verfahrens dar, sondern kann in einem solchen Fall ein neuer Antrag gestellt werden, weil in diesem Fall einem auf der Basis des geänderten Sachverhalts gestellten Antrag die Rechtskraft bereits erlassener Entscheidungen nicht entgegensteht (vgl. jüngst VwGH vom 04.03.2020, Ra 2020/18/0069 mwN).

Darüber hinaus ist Voraussetzung eines Antrags auf Wiederaufnahme eines Verfahrens, dass die im Verfahren nicht geltend gemachten Tatsachen oder Beweismittel ohne Verschulden der Partei erfolgte. Diese Voraussetzung ist im Falle des Antragstellers jedoch nicht erfüllt, da er in seinem Antrag auf Wiederaufnahme selbst ausführt, dass ihm der Umstand, dass bei ihm das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung mit Wahrscheinlichkeit vorliege, weswegen ihm das Aufsuchen eines Facharztes für Psychiatrie angeraten worden sei, seit dem Jahr 2018 bekannt sei. Obwohl ihm die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Posttraumatischen Belastungsstörung bereits 2018 bekannt war, hat der Antragsteller weder in seiner Befragung vor dem Bundesamt am 07.02.2018 noch vor dem Bundesverwaltungsgericht am 07.10.2019 zu seinem Gesundheitszustand befragt, Angaben darüber getätigt. Vielmehr hat er in diesen Befragungen ausgeführt gesund zu sein und keine Medikamente zu nehmen (vgl. AS 245) bzw. dass er ein bisschen aufgeregt sei, aber es ihm ansonsten gut gehe und er keine Medikamente nehme (vgl. Verhandlungsschrift vom 07.10.2019, S. 3, unten). Dass ihm dieses Unterlassen des Vorbringens von Tatsachen über seinen Gesundheitszustand nicht vorzuwerfen wäre, wird weder in seinem Antrag noch in dem beiliegenden fachärztlichen Gutachten aufgezeigt. Auch unter Beachtung seines Vorbringens in seinem Antrag auf Wiederaufnahme, dass er erstmals in seinem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht über seine Beschwerde von seiner in Österreich festgestellten Minderjährigkeit erfahren hätte, ist ihm dieses Verschulden zuzurechnen. Denn zum einen kann diese Behauptung des Antragstellers aufgrund der in seinem Akt einliegenden Ladung zum Zwecke der ärztlichen Untersuchung zur Altersfeststellung für den 15.09.2017 (siehe AS 77), dem im Akt einliegenden Gutachten zur Volljährigkeitsbeurteilung vom 17.09.2017 (siehe AS 93ff) und seiner Aussage in seiner Befragung vor dem Bundesamt am 07.02.2018, dass sein von der Behörde geführtes Geburtsdatum stimme bzw. Ärzte festgestellt hätten, dass er im Jahre XXXX geboren sei (siehe AS 245), nicht nachvollzogen werden. Zum anderen widerspricht diese Behauptung seinen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 07.10.2019 getätigten Aussagen, dass er sein genaues Geburtsdatum zwar nicht kenne, er aber im Jahr XXXX geboren und sein genaues Geburtsdatum festgestellt worden sei.

Somit ist dem Antragsteller das Unterbleiben des Vorbringens über seinen Gesundheitszustand, nämlich, dass er an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leidet, im bereits abgeschlossenen Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz vom 29.07.2017 als ihm zurechenbares Verschulden anzulasten, weswegen schon allein deshalb die Wiederaufnahme seines rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens ausgeschlossen ist.

Da die Sachlage aufgrund des vom Antragsteller in seinem Wiederaufnahmeantrag erstatteten Vorbringens in Verbindung mit dem vorgelegten fachärztlichen Gutachten vom 09.03.2020 als geklärt erscheint, konnte eine mündliche Erörterung der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben. Im vorliegenden Fall liegen keine widersprechenden prozessrelevanten Behauptungen vor, die es erforderlich machen würden, dass sich das Gericht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien verschafft. Vielmehr ist die hier zu beantwortende Frage, ob ein Wiederaufnahmegrund iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG vorliegt, rechtlicher Natur. Im Übrigen fällt ein Wiederaufnahmeantrag grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK (vgl. VwGH 29.05.2017, Ra 2017/16/0070).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Wie bereits oben ausgeführt, wurde § 32 Abs. 1 bis 3 VwGVG nach den Materialien der Bestimmung des § 69 AVG nachempfunden, weshalb auf die einheitliche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 69 AVG zurückgegriffen werden kann. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen im Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Gesundheitszustand psychische Erkrankung PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) Verschulden Wiederaufnahme Wiederaufnahmeantrag Wiederaufnahmegrund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W233.2191116.2.00

Im RIS seit

19.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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