TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/31 W211 1431152-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.03.2020
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Entscheidungsdatum

31.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AVG §69 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W211 1431152-3/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Iran, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer ist ein iranischer Staatsangehöriger, der am XXXX .2012 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Mit Bescheid vom XXXX .2014 erkannte ihm das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im 2. Rechtsgang den Status eines Asylberechtigten zu.

Mit Schreiben vom XXXX .2019 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt zu einer Einvernahme geladen. Diese fand am XXXX .2019 unter dem Titel einer "Einvernahme zur Prüfung eines möglichen Aberkennungsverfahrens" statt. Als "mögliche Wiederaufnahmegründe" führte das Bundesamt dabei aus, dass die nunmehr auch eingereiste Gattin des Beschwerdeführers in ihrer Einvernahme am XXXX .2019 eine Heiratsurkunde aus dem Iran vorgelegt habe, aus der hervorgehe, dass der Beschwerdeführer seine Frau im September 2018 mittels Vollmacht nach dem islamischen Recht geheiratet habe. Die Asylzuerkennung beruhe aber auf einer Konversion des Beschwerdeführers ins Christentum. Der Beschwerdeführer führte dazu aus, dass es im Iran keine andere Möglichkeit gegeben habe, zu heiraten. Der Ehevertrag sei ein vorgedrucktes Formular gewesen; anders hätte das Paar nicht heiraten können. Die Mutter des Beschwerdeführers habe seine Vollmacht gehabt. Er wolle später auch nach österreichischem Recht und in der Kirche heiraten.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom XXXX .2019 wurde das hinsichtlich der mit Bescheid vom XXXX .2014 rechtskräftig entschiedenen Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG als in I. Instanz anhängiges Verfahren wieder aufgenommen (Spruchpunkt I.), der Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.), der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt III.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt IV.), eine Rückkehrentscheidung in den Iran erlassen (Spruchpunkt V.), eine Abschiebung in den Iran für zulässig erklärt (Spruchpunkt VI.) und eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt VII.). Mit Verfahrensanordnung vom XXXX 2019 wurde dem Beschwerdeführer amtswegig eine Rechtsberatung zur Seite gestellt.

Mit Schriftsatz vom XXXX .2019 wurde gegen den Bescheid vom XXXX .2019 eine Beschwerde eingebracht, in der unter anderem ausgeführt wurde, dass die Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG gegenständlich unzulässig sei, sowie die Voraussetzungen der Bestimmung jedenfalls nicht vorliegen würden.

Am XXXX .2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, seine Vertretung und ein Dolmetscher für Farsi teilnahmen. Die belangte Behörde erschien zur Verhandlung nicht.

Mit Schriftsatz vom XXXX 2020 wurden von der Vertretung des Beschwerdeführers eine schriftliche Stellungnahme und ergänzende Unterlagen eingebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG liegen nicht vor.

2. Beweiswürdigung:

Der Beschwerdeführer stellte am XXXX .2012 einen Antrag auf internationalen Schutz und gab bereits in der Erstbefragung am selben Tag an, christlich zu sein und bereits vor ca. 4 Monaten den Weg zum Christentum gefunden zu haben (AS 7, 15).

Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am XXXX .2012 gab der Beschwerdeführer soweit wesentlich an, in Österreich die heilige Messe zu besuchen. Er habe sich schon im Iran für das Christentum interessiert und dann einen Drohbrief der Basiji erhalten. Nunmehr sei er Protestant, da es in der protestantischen Religion keine Bedingungen gebe. Er sei erst seit zwei Monaten dabei und noch nicht weit informiert (AS 95ff).

Nachdem das Bundesasylamt mit Bescheid vom XXXX .2012 den Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen und eine Ausweisung ausgesprochen hatte, wurde eine Beschwerde eingebracht und dieser ein Schreiben des Leiters der Iranisch Christlichen Gemeinde vom XXXX 2012 beigelegt, wonach der Beschwerdeführer seit Juli 2012 an verschiedenen wöchentlichen Veranstaltungen der Gemeinde in Wien teilnehme. Er habe Interesse am Christentum gezeigt und wolle getauft werden. Der Beschwerdeführer bekenne sich öffentlich als Christ und spreche gerne über seinen Glauben (AS 209).

Der Asylgerichtshof führte in seiner Entscheidung vom XXXX .2013, mit der der Bescheid vom XXXX .2012 behoben und das Verfahren zurückverwiesen wurde, aus, dass die Einvernahme eines geeigneten Zeugen der Iranisch Christlichen Gemeinde unerlässlich gewesen wäre (AS 225).

Im fortgesetzten Verfahren vor dem Bundesamt wurde erneut ein Schreiben des Leiters der Iranischen Christlichen Gemeinde vom XXXX .2014 vorgelegt, wonach der Beschwerdeführer weiterhin die wöchentlichen Veranstaltungen in der Gemeinde besuche. Er habe regelmäßig am Taufunterricht teilgenommen und sei am XXXX .2013 getauft worden. Nach der Taufe besuche der Beschwerdeführer manchmal die wöchentlichen Veranstaltungen, weil er nicht in Wien wohne. Er beteilige sich gerne am Gemeindeleben und sei ein treues Mitglied der Gemeinde. Er habe außerdem an einem siebenwöchigen Glaubensunterricht teilgenommen (AS 255). Weiter wurde ein Taufzeugnis der Iranischen Christlichen Gemeinde vorgelegt (AS 261).

In der Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am XXXX .2014 gab der Beschwerdeführer in seiner fünfundzwanzig Minuten dauernden Befragung zusammengefasst an, sich für die Iranische Christliche Gemeinde in der Evangeliumsgemeinde entschieden zu haben und nunmehr getauft zu sein (AS 263ff).

Aus dem Verwaltungsakt geht weiter nicht hervor, dass das Bundesamt den Leiter der Iranischen Christlichen Gemeinde in Wien zeugenschaftlich einvernommen hat.

Aus diesen dem Verwaltungsakt zu entnehmenden Sachverhalten lässt sich bereits ablesen, dass der Beschwerdeführer konsistent im Laufe seines Verfahrens auf Zuerkennung von internationalem Schutz angegeben hat, Christ geworden zu sein und sich für das Christentum zu interessieren. Weiter wurden im Verfahren vor der Behörde zwei Schreiben des Leiters seiner evangelikalen Gemeinde und ein Taufschein vorgelegt. Aus dem Unterlagen geht weiter nicht hervor, dass die belangte Behörde dem Hinweis des Asylgerichtshofs nachgekommen wäre, gerade diesen Leiter der christlichen Gemeinde des Beschwerdeführers einzuvernehmen, um daraus näher zu ermitteln, ob dem Interesse des Beschwerdeführers eine innere Überzeugung zugrunde liegen würde. Schließlich kann die erneute Einvernahme des Beschwerdeführers nach der Zurückverweisung des Verfahrens im Jahr 2014 nur als rudimentär angesehen werden; eine relevante Befragung zum zB Taufkurs wurde nicht durchgeführt.

Im Rahmen der Verhandlung beim BVwG nach seiner Religion befragt gab der Beschwerdeführer unter anderem an wie folgt - Auszüge aus dem Verhandlungsprotokoll:

" [...] R: Was waren das für Fragen und was waren die Antworten?

P: Als Beispiel: Ich habe mich immer gefragt, was das für ein Gott ist, dass man einem Dieb die Hand abhackt. Warum soll ich mich so viel vor Gott fürchten. Auf der einen Seite sagt er, ich bin barmherzig, und auf der anderen Seite muss ich mich vor ihm fürchten. Einerseits sagt er, ich habe einen freien Menschen erschaffen, er kann sich selber aussuchen, was er macht. Auf der anderen Seite sagt er, ich habe die Hölle erschaffen. Wenn jemand etwas Schlechtes getan hat, dann kommt er in die Hölle. Auch die Steinigung ist eine schlechte Strafe. Diese Fragen haben mich immer beschäftigt.

R: Was zeichnet Ihre jetzige Religion aus?

P: Der Gott ist lieb. Es gibt ein Gebot, das sagt, betet zu Gott und achtet eure Nachbarn. Liebt die anderen, wie euch selbst. Es wird überall in der Bibel über Liebe und Barmherzigkeit gesprochen. Die Fragen, die mich beschäftigt haben, die Antworten darauf habe ich in dieser Religion und in der Bibel gefunden. Jesus hat gesagt, er ist nicht deshalb hergekommen, um die Gebote von Moses zu vernichten, sondern um sie zu verbessern. Ein Beispiel: Eine schlechte Frau wurde gebracht und die Anhänger von Jesus wollten sie steinigen. Jesus hat gesagt: "Derjenige soll den ersten Stein werfen, der keine Sünde begangen hat." Hat man schon einmal vom Vater Fisch gebeten und eine Schlange bekommen? Das dient als Beispiel für die Barmherzigkeit Gottes. Das heißt, wenn ich von meinem Vater etwas erwarte, dann bekomme ich das.

R: Wollten Sie das noch erklären? Was ist noch einmal das Beispiel mit dem Fisch?

P: Kann es sein, dass Sie von Ihrem Vater einen Fisch verlangt haben und er statt einem Fisch eine Schlange gegeben hat? Gott würde das nicht tun. Der Himmelvater würde dir immer den Fisch geben.

[...]

R: Was waren das für Fragen, die Ihnen die Leute gestellt haben?

P: Die Fragen waren große Fragen z.B. haben sie gefragt, wie das geht, dass jemand anderer stirbt und gekreuzigt wird, aber mir dafür die Sünden vergeben werden. Solche Fragen haben sie gestellt. Eine andere Frage: z.B. haben sie über die Dreifaltigkeit gefragt und gesagt, dass sie sich das nicht vorstellen können. Dann habe ich ihnen diese Dreifaltigkeit erklärt. Ich kann sagen, ca. 95 % der Leute haben diese Frage gestellt.

R: Können Sie mir auch die Dreifaltigkeit erklären?

P: Das heißt Vater, Sohn und der Heilige Geist. ZB: Mein Name ist XXXX . Für meine Freunde bin ich ein Freund, für meinen Bruder bin ich ein Bruder, für meine Eltern bin ich ein Sohn. Aber in Wahrheit bin ich nur eine Person. Ich bin XXXX . Dann habe ich sie gefragt: der barmherzige oder der liebe Gott ist im Himmel; das haben sie bejaht. Dann habe ich gefragt: kann er sich in Gestalt eines Menschen umwandeln, damit die damaligen Menschen und die zukünftigen Menschen an ihn glauben? Ich habe auch gefragt, ob er sich als Heiliger Geist in die Menschen bringen kann? Ich habe dann gesagt, dass er es kann. Er ist allmächtig. Er wurde auch gekreuzigt, damit unsere Sünden vergeben werden. Sie haben es bejaht. Gott kann alles machen, er ist allmächtig. Dann habe ich gesagt, dass sich der liebe Gott in drei Formen gewandelt hat, damit du an Gott glaubst. Das ist das größte Problem von denen, die nicht beim Christentum sind, sie können sich die Dreifaltigkeit nicht vorstellen. Dann haben sie Fragen gestellt, wenn wir an Jesus Christus glauben, werden unsere Sünden vergeben? Dann habe ich gesagt: "Ja." Es ist nicht so, dass man jederzeit neue Sünden begehen kann. Ich habe dieses Thema auch mit einem Afghanen, der derzeit in Kanada lebt, diskutiert. Er ist derzeit ein Christ und hat auch 3 bis 4 Personen konvertiert und geht immer in die Kirche. Ich wollte damit sagen, er war ein Afghane, der hier gewohnt hat, und ich habe ihn damals konvertiert. [...]"

Aus diesen Angaben geht für die erkennende Richterin jedenfalls hervor, dass sich der Beschwerdeführer mit christlichen Glaubenssätzen bewusst und reflektiert auseinandergesetzt hat.

Dabei wird nicht übersehen, dass auch die erkennende Richterin anzweifelt, wie intensiv der Beschwerdeführer seine christliche Religion in Österreich nunmehr auslebt - seine eigenen Angaben (vgl. das Verhandlungsprotokoll) wie auch die des Leiters seiner Gemeinde (vgl. die Einvernahme am XXXX .2019 (AS 43ff) deuten darauf hin, dass der Beschwerdeführer bereits seit längerem Versammlungen seiner Gemeinde nicht oder nur mehr selten besucht und sich auch zwischenzeitlich in der Gemeinde nicht wohl fühlte. Allerdings spielen diese Sachverhalte für die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen, keine Rolle.

Und schließlich kann jedenfalls nicht von einer im Iran möglichen Eheschließung des Beschwerdeführers über Vollmacht im Jahr 2018 geschlossen werden, dass dieser zum Zeitpunkt des zuerkennenden Bescheids der Behörde am XXXX .2014 kein Christ gewesen sein soll; die diesbezügliche Begründung der belangten Behörde greift hier zu kurz und berücksichtig nicht, dass die Heiratsurkunde, die im Akt der Ehefrau zu W211 XXXX aufliegt, die Qualität von auszufüllenden Formblättern hat, und der Iran eine Eheschließung zwischen einer Muslimin und einem konvertierten Christen nicht vorsieht (vgl. S 68 des Länderinformationsblatts zum Iran vom XXXX 2019 zum Eherecht). Rückschlüsse auf die tatsächliche Glaubensüberzeugung des Beschwerdeführers erlauben diese Unterlagen und Vorgänge jedenfalls in Zusammenschau mit den weiteren Sachverhalten nicht.

Damit muss es im Ergebnis zur Feststellung kommen, dass die notwendigen Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme wegen einer Erschleichung nicht vorliegen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Vom Erschleichen eines Bescheides kann nur dann gesprochen werden, wenn der Bescheid seitens der Partei durch eine vorsätzliche (also schuldhafte), verpönte Einflussnahme auf die Entscheidungsunterlagen veranlasst wird (VwGH 8. 9. 1998, 98/08/0090; 7. 9. 2005, 2003/08/0171; zum Erschleichen eines Prüfungsergebnisses durch Verwendung unerlaubter Hilfsmittel vgl Novak, ÖJZ 1996, 542 ff sowie VwSlg 15.606 A/2001). Nach Ansicht des VwGH kann eine Erschleichung nur von der Partei oder ihrem Vertreter vorgenommen werden, da im Tatbestand "Erschleichen" ein "Sichzuwenden" liegt, wofür jedenfalls die Behörde oder ein Dritter (Kolonovits/Muzak/Stöger11 Rz 595; Schulev-Steindl6 Rz 341; Walter/Thienel AVG § 69 Anm 10; aA Hellbling 454; Spanner, ÖVBl 1932, 316) nicht in Betracht kommt (VwGH 19. 2. 1992, 91/12/0296; vgl auch VwGH 8. 11. 1995, 93/12/0178; 28. 9. 2000, 99/09/0063). Der VwGH rekurriert bei dieser Auslegung auf die "naheliegende Bestimmung des § 530 Abs. 1 Z. 3 ZPO, der von strafbaren Betrugshandlungen des Gegners oder eines Parteienvertreters spricht" (VwGH 19. 2. 1992, 91/12/0296).

Das "Erschleichen" eines Bescheides liegt dann vor, wenn die Entscheidung in der Art zustande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei vor Erlassung des Bescheides (VwGH 16. 2. 1999, 96/08/0270; 24. 10. 2013, 2013/07/0151) objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht wurden (vgl VwGH 22. 3. 2012, 2011/07/0228; 23. 11. 2017, Ra 2017/22/0185) und diese Angaben dann dem Bescheid zugrunde gelegt worden sind. Das Verschweigen wesentlicher Umstände ist dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen (vgl VwGH 8. 6. 2006, 2004/01/0470; 22. 3. 2012, 2011/07/0228; 23. 11. 2017, Ra 2017/22/0185; Eder/Martschin/Schmid2 VwGVG § 32 K 10). Dabei muss die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen sein und ihr nicht zugemutet werden können, von Amts wegen noch weitere, der Feststellung der Richtigkeit der Angaben dienliche Erhebungen zu pflegen. Wenn es die Behörde verabsäumt, von den ihr im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offenstehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen, schließt dieser Mangel es aus, auch objektiv unrichtige Parteiangaben als ein Erschleichen des Bescheides iSd § 69 Abs 1 Z 1 AVG zu werten (VwGH 6. 3. 1953, 1034/52; 8. 6. 2006, 2004/01/0470; 8. 5. 2008, 2004/06/0123; 22. 3. 2011, 2008/21/0428). Zusammengefasst müssen nach Ansicht des Gerichtshofes vier Voraussetzungen gegeben sein (VwGH 25. 4. 1995, 94/20/0779; 29. 1. 2004, 2001/20/0346; 20. 9. 2011, 2008/01/0777):

? Erstens müssen objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung gemacht worden sein.

? Zweitens muss ein Kausalzusammenhang zwischen den unrichtigen Angaben der Partei und dem Entscheidungswillen (Spruch) der Behörde bestehen.

? Drittens muss Irreführungsabsicht der Partei vorliegen, nämlich eine Behauptung oder ein Verschweigen wider besseres Wissen in der Absicht, daraus einen Vorteil zu erlangen.

? Viertens darf es die Behörde nicht verabsäumt haben, im Zuge eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens die Unrichtigkeit der Angaben zu erkennen.

Um den Wiederaufnahmetatbestand des § 69 Abs 1 Z 1 AVG zu erfüllen, muss demnach die Partei im Verfahren vor der Behörde das Zustandekommen der Entscheidungsgrundlagen absichtlich, dh vorsätzlich (und nicht bloß fahrlässig [VwGH 28. 9. 2000, 99/09/0063; 7. 9. 2005, 2003/08/0171]) entweder durch objektiv unrichtige Angaben oder durch Verschweigen entscheidungswesentlicher Umstände oder Tatsachen (VwGH 22. 4. 1977, 87/77; 23. 3. 2004, 2003/01/0594; 7. 9. 2005, 2003/08/0171; 22. 3. 2012, 2011/07/0228) beeinflusst haben (vgl VwGH 30. 4. 1986, 85/09/0103; 7. 7. 1992, 90/08/0164; 8. 11. 1995, 93/12/0178), um daraus einen Nutzen, eine vorteilhafte Entscheidung zu lukrieren, die ansonsten nicht zu erwarten gewesen wäre (vgl VwGH 23. 3. 2004, 2003/01/0594; VfGH 27. 6. 2007, B 3563/05).

Das Verschweigen wesentlicher Umstände ist dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen (VwGH 22. 4. 1977, 87/77; 8. 6. 2006, 2004/01/0470; 22. 3. 2012, 2011/07/0228), wobei von einem Verschweigen von Tatsachen nur dann gesprochen werden kann, wenn die Partei zu deren Bekanntgabe verpflichtet war, sie aber absichtlich geheim hält (VwSlg 5812 A/1962; VwGH 10. 4. 1985, 83/09/0159).

Das den Tatbestand des Erschleichens erfüllende Verhalten muss denknotwendig der Erlassung des Bescheides vorangegangen sein (VwSlg 5812 A/1962; VwGH 16. 2. 1999, 96/08/0270; 18. 10. 2000, 98/09/0098). Es kann sich nur dann um entscheidungswesentliche Umstände oder Unterlassungen (vgl VwGH 30. 9. 2004, 2001/20/0157) handeln , wenn die unrichtigen (unvollständigen) Angaben der Partei dem Bescheid auch zugrunde gelegt worden sind (VwGH 1. 3. 1972, 1995/71; 22. 4. 1977, 87/77; 13. 12. 2005, 2003/01/0184). Zwischen den unrichtigen oder lückenhaften Angaben der Partei und dem Entscheidungswillen der Behörde muss also - wie gesagt - ein Kausalzusammenhang gegeben sein (VwGH 25. 4. 1995, 94/20/0779; 29. 1. 2004, 2001/20/0346; 13. 12. 2005, 2003/01/0184).

Mit Irreführungsabsicht hat die Partei dann gehandelt, wenn sie vorsätzlich, also wider besseres Wissen, falsche Angaben gemacht oder entscheidungswesentliche Umstände verschwiegen hat (vgl VwGH 25. 4. 1995, 94/20/0779) und damit das Ziel verfolgte, daraus einen (vielleicht) sonst nicht erreichbaren Vorteil zu erlangen (VwGH 10. 9. 2003, 2003/18/062; 29. 1. 2004, 2001/20/0346; 8. 6. 2006, 2004/01/0470). Ob die Partei ihr Handeln darauf abgestellt hat, entzieht sich als innerer Willensvorgang der unmittelbaren menschlichen Erkenntnis (VwGH 9. 3. 1983, 83/01/0002; 26. 5. 2003, 2001/12/0115). Die Behörde hat aus den das rechtswidrige Verhalten der Partei begleitenden Umständen in freier Beweiswürdigung auf das eventuelle Vorliegen einer solchen Absicht zu schließen (vgl VwGH 18. 10. 2012, 2011/22/0261; 25. 2. 2014, 2012/01/0156; 27. 5. 2014, 2011/10/0187). Als Beurteilungsgrundlage dient das Gesamtverhalten jener Person, der die Erschleichung vorgehalten wird (VwGH 16. 2. 1999, 96/08/0270; 18. 10. 2000, 98/09/0098). Es müssen aber schon im wiederaufzunehmenden Verfahren (nicht also etwa nur im Wiederaufnahmeverfahren selbst) Handlungen oder Unterlassungen feststellbar gewesen sein, die eine Erschleichungsabsicht erkennen lassen (VwGH 25. 4. 1995, 94/20/0779; 16. 2. 1999, 96/08/0270).

Ein Erschleichen liegt schließlich nach zutreffender Rsp des VwGH (Schulev-Steindl6 Rz 341) nur vor, wenn die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen ist und eine Situation besteht, in der ihr nicht zugemutet werden kann, über die Richtigkeit und daher auch Vollständigkeit der Angaben noch Erhebungen von Amts wegen zu pflegen (VwSlg 10.670 A/1982; VwGH 19. 12. 2005, 2000/12/0051; 20. 9. 2011, 2008/01/0777). Hat es aber die Behörde verabsäumt, von den ihr im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offenstehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen und blieb die Erschleichungshandlung aufgrund einer Sorgfaltswidrigkeit der Behörde unentdeckt (Janko, bbl 1999, 52; vgl auch VwGH 19. 2. 1992, 91/12/0296), schließt dieser Mangel es aus, auch objektiv unrichtige Parteiangaben von wesentlicher Bedeutung (bzw ein Verschweigen) als ein Erschleichen des Bescheides iSd § 69 Abs 1 Z 1 AVG zu werten (VwGH 29. 1. 2004, 2001/20/0346; 13. 12. 2005, 2003/01/0184; 8. 6. 2006, 2004/01/0470; vgl auch Hengstschläger/Leeb6 Rz 580; Kolonovits/Muzak/Stöger11 Rz 595; Werner, JBl 1954, 324; aA Hellbling 454 f). Nur wenn die erforderlichen Ermittlungen mit einem übermäßigen, außer Verhältnis stehenden Aufwand verbunden wären und es in den Angaben der Partei keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass sie falsch oder lückenhaft sind, kann - auch wenn die Behörde die ihr nicht zumutbaren Erhebungen unterlassen hat - davon ausgegangen werden, dass der Tatbestand des Erschleichens iSd § 69 Abs 1 Z 1 AVG bzw des § 32 Abs 1 Z 1 VwGVG erfüllt ist (VwGH 29. 1. 2004, 2001/20/0346; ferner VwGH 8. (vgl. zu den vorangegangen Absätzen Hengstschläger/Leeb, AVG § 70 (Stand 1.1.2020, rdb.at), K 12-15).

Dass der Beschwerdeführer die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten mit Bescheid vom XXXX .2014 erschlichen haben soll, kam im Verfahren nicht hervor. Zum einen lässt sich dem Verfahren - einerseits vor der Behörde bis zum Zuerkennungsbescheid, aber auch nunmehr im Verfahren um die Wiederaufnahme - nicht entnehmen, dass sich der Beschwerdeführer mit dem Christentum nicht auseinandergesetzt haben soll. So wurde er getauft und damit in die Iranische Christliche Gemeinde aufgenommen, und bestätigte der Leiter der Gemeinde in zwei Schreiben aus 2012 und 2014, dass sich der Beschwerdeführer für die Religion interessiere, er an den Versammlungen teilnehme, er den Taufkurs besuche und an einem siebenwöchigen Glaubensunterricht teilgenommen habe. Darüber hinaus wies der Beschwerdeführer auch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am XXXX .2020 - trotzdem er sich vielleicht nunmehr weniger mit dem Glauben beschäftigt - reflektierte Kenntnisse zu seinem christlichen Glauben auf, die darauf hindeuten, dass sich der Beschwerdeführer jedenfalls mit seinem christlichen Glauben näher beschäftigt hat.

Für eine Wiederaufnahme aus dem Grund der Erschleichung ist zu prüfen, ob ein Antragsteller eben vor Erlassung eines Bescheids objektiv unrichtige Angaben mit Irreführungsabsicht gemacht hat. Dass das in diesem Fall geschehen ist, zeigte die Behörde in keinster Weise auf und kam auch sonst im Verfahren nicht hervor.

Außerdem kann gegenständlich nicht übersehen werden, dass die belangte Behörde im ursprünglichen Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz eben gerade nicht von ihr offenstehenden Möglichkeiten Gebrauch gemacht hat, um die Glaubensüberzeugung des Beschwerdeführers stichhaltig zu prüfen: so kam sie der Anregung des Asylgerichtshofs bereits nicht nach, den Leiter der christlichen Gemeinde zeugenschaftlich einzuvernehmen, und blieb sie auch bei ihrer Einvernahme des Beschwerdeführers im zweiten Verfahrensgang nur an der Oberfläche. Davon, dass die Einvernahme eines Zeugen oder die nähere Befragung eines Antragstellers für die belangte Behörde besondere Schwierigkeiten dargestellt hätten, kann nicht ausgegangen werden. Selbst wenn also - entgegen der Meinung der erkennenden Richterin - von objektiv unrichtigen Parteienangaben des Beschwerdeführers im Zuerkennungsverfahren ausgegangen werden sollte, schließt dieser Mangel es aus, eine solche als Erschleichung des Bescheids im Sinne des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG zu werten.

Damit liegen die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens über den Antrag auf Zuerkennung von internationalem Schutz nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG nicht vor und ist daher Spruchpunkt I. des Bescheids vom XXXX .2019 ersatzlos zu beheben.

3.2. Die Trennbarkeit eines Bescheides, der die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligt oder verfügt und gleichzeitig die Sache selbst erledigt, hat zur Folge, dass die Möglichkeit der Verletzung subjektiver Rechte der Partei jeweils getrennt für die jeweiligen selbständigen Teile der Entscheidung zu beurteilen ist (VwGH 26. 6. 2002, 2002/12/0015). Die beiden voneinander zu trennenden Aussprüche, nämlich die Bewilligung oder Verfügung der Wiederaufnahme einerseits und die neue Entscheidung in der Sache andererseits, können jeweils auch für sich allein bekämpft werden.

Wird der die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligende oder verfügende Bescheid beim VwG angefochten, wird auch die neue Sachentscheidung infrage gestellt (vgl VwGH 10. 12. 1991, 89/14/0063). Bei Aufhebung des Bescheides, mit dem die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligt oder verfügt wurde, durch das VwG, fällt die neue, im wiederaufgenommenen Verfahren ergangene Sachentscheidung ebenfalls wieder weg. Der mit der Bewilligung oder Verfügung der Wiederaufnahme des Verfahrens außer Kraft getretene Bescheid lebt ex tunc wieder auf. Das aufhebende Erkenntnis des VwG erfasst beide Bescheide, also sowohl den die Wiederaufnahme bewilligenden oder verfügenden Bescheid als auch notwendigerweise die neue Entscheidung in der Sache selbst (vgl VwGH 13. 12. 2018, Ra 2018/22/0128; 16. 1. 2019, Ra 2018/02/0332; Hengstschläger/Leeb6 Rz 597; Schulev-Steindl6 Rz 353). (vgl. zu diesen beiden Absätzen Hengstschläger/Leeb, AVG § 70 (Stand 1.1.2020, rdb.at), K 101).

Da nunmehr der Spruchpunkt I. des Bescheids vom XXXX .2019, der die Wiederaufnahme des Verfahrens auf Zuerkennung von internationalem Schutz verfügte, behoben wurde, ist auch die in den Spruchpunkten II. - VII. des angefochtenen Bescheids vom XXXX .2019 ergangene Sachentscheidung ersatzlos zu beheben. Der Bescheid vom XXXX .2014 lebt ex tunc wieder auf.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben unter 3. dargestellte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im Übrigen war eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Prüfung vorzunehmen.

Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Abänderung eines Bescheides amtswegige Wiederaufnahme Behebung der Entscheidung ersatzlose Behebung Erschleichen Konversion Religion Verfahrensmangel Voraussetzungen Wiederaufnahme Wiederaufnahmegrund Zeugenbeweis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W211.1431152.3.00

Im RIS seit

19.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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