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19/05 Menschenrechte;Norm
AufG 1992 §3 Abs1 Z2;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 96/19/0688Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens,
Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winkler, über die Beschwerde
1.) der 1964 geborenen VK, sowie 2.) der 1983 geborenen AK, beide in Wien, beide vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres je vom 18. Jänner 1996, zu 1.) Zl. 304.688/3-III/11/96 (betreffend die Erstbeschwerdeführerin), sowie zu 2.) Zl. 304.688/2-III/11/95 (betreffend die Zweitbeschwerdeführerin), jeweils betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
1. Der die Erstbeschwerdeführerin betreffende Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat der Erstbeschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren der Erstbeschwerdeführerin wird abgewiesen.
2. Die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin wird als unbegründet abgewiesen.
Die Zweitbeschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesministerium für Inneres) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin. Die Erstbeschwerdeführerin verfügte über Wiedereinreisesichtvermerke vom 23. November 1988 bis 28. Februar 1989, vom 29. März 1989 bis 30. Mai 1989, vom 13. April 1989 bis 23. April 1990, vom 27. April 1990 bis 23. April 1991 sowie vom 21. Mai 1991 bis zum 23. April 1992. Am 1. September 1995 beantragte sie die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 24. Oktober 1995 wurde dieser Antrag gemäß § 5 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufG) in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 Fremdengesetz (FrG) abgewiesen. Die Erstbeschwerdeführerin erhob Berufung.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. Jänner 1996 wurde die Berufung der Erstbeschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 AufG und § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG abgewiesen. Die belangte Behörde traf die Feststellung, daß sich die Erstbeschwerdeführerin seit 22. April 1992 ohne gültigen Sichtvermerk und ohne irgendeine andere Aufenthaltsbewilligung im Bundesgebiet aufhalte. Da die Erstbeschwerdeführerin erst am 7. September 1995 einen Antrag auf Verlängerung der Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz eingebracht habe, stehe fest, daß sie sich über drei Jahre illegal in Österreich aufgehalten habe. Dieser illegale Aufenthalt stelle eine gravierende Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit dar. Somit liege der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG vor und könne der Erstbeschwerdeführerin keine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden. Hinsichtlich der Privatinteressen der Erstbeschwerdeführerin werde festgestellt, daß diese gegen fremdenrechtliche Bestimmungen verstoßen habe, indem sie bewußt längere Zeit ohne gültige Aufenthaltsberechtigung in Österreich aufhältig gewesen sei. Die Berufungsbehörde erwarte von den Antragstellern, die das Wohl der Republik Österreich genießen wollten, ein den fremdenrechtlichen Bestimmungen adäquates Verhalten; damit sei die Einhaltung fremdenrechtlicher Bestimmungen besonders im Fall der Erstbeschwerdeführerin gemeint. Insbesondere wegen der Beispielswirkung durch die Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit besonders im Fall der Erstbeschwerdeführerin sei die Berufungsbehörde nicht in der Lage, die privaten Interessen der Erstbeschwerdeführerin zu "priorieren". In ihrem Fall sei der Eingriff in ihr Privat- und Familienleben gerechtfertigt, da die Einhaltung fremdenrechtlicher Bestimmungen höherwertig anzusehen sei als die privaten Interessen an der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die zu hg.
Zl. 96/19/0687 protokollierte Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin.
Die Zweitbeschwerdeführerin verfügte über Wiedereinreisesichtvermerke vom 13. April 1989 bis 23. April 1990, vom 27. April 1990 bis 23. April 1991 und vom 21. Mai 1991 bis zum 22. April 1992. Sie stellte, vertreten durch ihre Mutter, am 7. September 1995 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 25. Oktober 1995 wurde dieser Antrag gemäß § 4 Abs. 3 AufG abgewiesen. Die Zweitbeschwerdeführerin erhob Berufung.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. Jänner 1996 wurde die Berufung der Zweitbeschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit §§ 3 Abs. 4, 4 Abs. 3 und 5 Abs. 1 AufG abgewiesen. Die belangte Behörde ging davon aus, daß der Antrag der Mutter der Zweitbeschwerdeführerin abgewiesen worden sei. Bei der Überprüfung des gesicherten Unterhaltes gemäß § 5 Abs. 1 AufG habe die Berufungsbehörde festgestellt, daß dieser nur durch die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin bestritten werde. Die Tatsache, daß die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin nicht in Österreich aufhältig sein dürfe und hier daher auch nicht arbeiten könne, führe zur Beurteilung der Berufungsbehörde, daß der Unterhalt für die Dauer des Aufenthaltes nicht gesichert sei und der Zweitbeschwerdeführerin daher gemäß § 5 Abs. 1 AufG eine Aufenthaltsbewilligung nicht erteilt werden dürfe. Gerade im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen habe die Berufungsbehörde festgestellt, daß unter Abwägung der persönlichen Interessen der Zweitbeschwerdeführerin mit den öffentlichen Interessen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK die öffentlichen Interessen überwögen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die zu hg.
Zl. 96/19/0688 protokollierte Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin.
In ihrer Beschwerde machen die Beschwerdeführerinnen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Die Beschwerdeausführungen stützen sich darauf, daß die belangte Behörde in keiner Weise berücksichtigt habe, daß die Erstbeschwerdeführerin über einen Befreiungsschein für fünf Jahre verfüge, als Hausbesorgerin ca. S 4.500,-- monatlich verdiene und seit 1989 in Österreich sei. Inwieweit durch das Verhalten der Erstbeschwerdeführerin eine gravierende Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit eingetreten sein solle, sei nicht erfindlich. Es sei vielmehr durch ihre Arbeit bewiesen, daß sie ein ordentliches Mitglied der Gesellschaft sei. Die Beschwerdeführerinnen seien daher in ihrem Recht auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung verletzt.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber erwogen:
Im Hinblick auf das Datum der Zustellung der angefochtenen Bescheide (25. Jänner 1996) hatte die belangte Behörde die Rechtslage nach Inkrafttreten der AufG-Novelle, BGBl. Nr. 351/1995, anzuwenden.
§ 3 Abs. 1 Z. 2 und § 4 Abs. 3 AufG lauten:
"§ 3. (1) Ehelichen und außerehelichen minderjährigen Kindern und Ehegatten
1.
...
2.
von Fremden, die auf Grund einer Bewilligung, eines vor dem 1. Juli 1993 ausgestellten Sichtvermerks oder sonst gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 bis 5 rechtmäßig seit mehr als zwei Jahren ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben, ist nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 Z. 3 und 4 eine Bewilligung zu erteilen, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5 Abs. 1) vorliegt.
...
§ 4. (1) ...
...
3. Eine Bewilligung gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 ist jeweils mit der gleichen Befristung zu erteilen, wie die der Bewilligung des Ehegatten bzw. Elternteiles oder Kindes, bei der ersten Bewilligung aber höchstens für die Dauer von fünf Jahren.
§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist."
§ 10 Abs. 1 Z. 4 FrG lautet:
"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn
...
4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;"
Aus der Begründung des die Erstbeschwerdeführerin betreffenden Bescheides geht klar hervor, daß die Versagung der Bewilligung - nur - darauf gestützt wurde, daß die Beschwerdeführerin Österreich nicht vor Ablauf der Gültigkeitsdauer ihres letzten Sichtvermerkes verlassen habe. Dieser Umstand rechtfertigt aber für sich alleine noch nicht die Annahme, daß der weitere Aufenthalt der Erstbeschwerdeführerin im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 9. November 1995, Zl. 95/19/0263, vom 14. Mai 1996, Zl. 95/19/0907, und vom 27. Juni 1997, Zl. 96/19/1177), zumal auch nach dem Akteninhalt keine Anhaltspunkte für eine subjektive, darauf gerichtete Verhaltensweise der Erstbeschwerdeführerin erkennbar sind.
Der die Erstbeschwerdeführerin betreffende angefochtene Bescheid erweist sich somit als inhaltlich rechtswidrig und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Zweitbeschwerdeführerin trat der maßgeblichen Sachverhaltsannahme der belangten Behörde, ihre Mutter habe im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides über keine Aufenthaltsbewilligung verfügt, nicht entgegen. Der belangten Behörde ist daher dahingehend beizupflichten, daß die Mutter der Beschwerdeführerin, mit der die Familienzusammenführung angestrebt wurde, im Zeitpunkt der Erlassung des von der Zweitbeschwerdeführerin angefochtenen Bescheides keine Fremde war, auf die die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG zutrafen. Demnach stand der Zweitbeschwerdeführerin ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Bewilligung aus dem Grunde des § 3 Abs. 1 AufG nicht zu. Eine Anwendung des § 4 Abs. 3 AufG kam daher gar nicht in Betracht (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 25. Jänner 1996, Zl. 95/19/0710, sowie vom 30. Mai 1997, Zl. 96/19/1000).
Der Zweitbeschwerdeführerin konnte auch im Wege einer Ermessensentscheidung über ihren Erstantrag keine Bewilligung zum Zweck der Familienzusammenführung mit ihrer Mutter erteilt werden, weil die (erstmalige) Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum allein geltend gemachten Zweck der Familienzusammenführung jedenfalls voraussetzt, daß sich der Angehörige, mit dem die Familienzusammenführung angestrebt wird, rechtmäßig im Inland befindet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1996, Zl. 95/19/0549).
Aus den Verwaltungsakten sind auch keine Umstände ersichtlich, aus denen sich ergeben könnte, daß durch die Versagung der gegenständlichen Bewilligung in ein gemäß Art. 8 Abs. 1 MRK geschütztes Familienleben der Zweitbeschwerdeführerin (mit ihrer Mutter) eingegriffen worden wäre. Im Hinblick darauf, daß sich die Zweitbeschwerdeführerin selbst seit Ablauf des zuletzt erteilten Sichtvermerkes am 23. April 1992, somit fast drei Jahre lang, nicht rechtmäßig in Österreich aufhielt und die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin über keine Aufenthaltsbewilligung im Zeitpunkt der Bescheiderlassung verfügte, steht auch Art. 8 MRK einer Versagung der Bewilligung nicht entgegen. Aus dieser Bestimmung ist kein Recht eines Kindes, das sich unrechtmäßig in Österreich aufhält, auf Familienzusammenführung mit einem Elternteil, der im Zeitpunkt der Bescheiderlassung ebenfalls über keine Aufenthaltsbewilligung verfügte, ableitbar. Durch den Ablauf des der Mutter der Zweitbeschwerdeführerin zuletzt erteilten Sichtvermerkes mit 23. April 1992 und durch den die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung an die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin im Instanzenzug versagenden Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. Jänner 1996 wurde nicht in ein den Schutz des Art. 8 Abs. 1 MRK genießendes Familienleben eingegriffen. In Ansehung der Zweitbeschwerdeführerin lag daher bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides kein unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 MRK fallendes Familienleben vor (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 1997, Zl. 96/19/0941).
Sollte sich durch Erlassung des Ersatzbescheides über die (durch das vorliegende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes wieder offene) Berufung der Erstbeschwerdeführerin die Sachlage infolge einer allfälligen Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für die Erstbeschwerdeführerin ändern, steht es der Zweitbeschwerdeführerin frei, neuerlich die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zu beantragen.
Die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Die Kostenentscheidungen gründen sich auf die §§ 47 ff VwGG in der Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren der Erstbeschwerdeführerin war abzuweisen, weil ihr an Stempelgebührenaufwand lediglich S 240,-- für die Einbringung der Beschwerde in zweifacher Ausfertigung sowie S 30,-- für die Vorlage des angefochtenen Bescheides erwachsen sind.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996190687.X00Im RIS seit
02.05.2001