TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/21 W187 2188320-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.04.2020
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Entscheidungsdatum

21.04.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W187 2188320-1/34E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hubert REISNER über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geboren am XXXX alias XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1 und § 10 Abs 1 Z 3 und § 57 AsylG 2005, iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2. Im Rahmen seiner Erstbefragung am XXXX wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinen Fluchtgründen einvernommen. Hier gab er an, ledig zu sein und keine Kinder zu haben. Der Beschwerdeführer sei am XXXX in der afghanischen Provinz Laghman geboren, gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an und sei sunnitischer Moslem. Seine Familie lebe nach wie vor in seinem Heimatland. Als Beweggrund für seine Ausreise gab der Beschwerdeführer an, sein Vater habe bei einer amerikanischen Firma namens XXXX. Die Taliban hätten aus diesem Grund vom Beschwerdeführer verlangt, ihnen seinen Vater zu übergeben. Diesbezüglich sei er von den Taliban öfter bedroht worden. Er habe Afghanistan daher verlassen müssen. Die Taliban würden den Beschwerdeführer töten wollen.

3. Aufgrund von Zweifeln an der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA, belangte Behörde) ein Handwurzelröntgen zur Bestimmung des Knochenalters sowie ein medizinisches Sachverständigengutachten an. Aus dem Röntgenbefund und dem medizinischen Sachverständigengutachten ergibt sich ein Mindestalter des Beschwerdeführers von XXXX Jahren zum Untersuchungszeitpunkt, woraus sich der XXXX als spätestmögliches Geburtsdatum des Beschwerdeführers errechnet. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, dass es sich beim Beschwerdeführer um eine minderjährige Person handelt, und legte sein Geburtsdatum mit XXXX fest.

4. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Hier gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund im Wesentlichen zusammengefasst an, sein Vater habe für eine ausländische Firma namens " XXXX " als Staplerfahrer im Lager gearbeitet. Seine Aufgabe sei es gewesen, die Ware von einem Platz zum anderen zu bringen. Damals habe der Beschwerdeführer mit seiner Familie in XXXX in einem Miethaus gewohnt. Im Jahr XXXX habe der Vater aufgehört, für diese Firma zu arbeiten, woraufhin der Beschwerdeführer mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in die Heimatprovinz Laghman zurückgekehrt sei. Einige Jahre später, ungefähr im Jahr XXXX , sei der Beschwerdeführer drei bis vier Mal persönlich von den Taliban bedroht und aufgefordert worden, den Aufenthaltsort seines Vaters zu verraten. Die Taliban hätten den Vater festnehmen wollen, weil er bei einer ausländischen Firma gearbeitet habe. Wann genau die Taliban gekommen seien, könne der Beschwerdeführer nicht sagen. Sie seien immer gegen Abend mit Autos gekommen, um ihn zu erpressen. Der Beschwerdeführer habe jedoch keinen Kontakt zu seinem Vater gehabt, weswegen er den Taliban den Aufenthaltsort seines Vaters überhaupt nicht sagen habe können. Lediglich sein Onkel sei in Kontakt mit dem Vater gestanden. Bei der letzten Bedrohung vor seiner Ausreise hätten die Taliban gemeint, sie würden den Beschwerdeführer mitnehmen, sollte er ihnen den Aufenthaltsort des Vaters nicht verraten. Der Beschwerdeführer sei daher gezwungen gewesen, das Land zu verlassen. Er habe zum Ziel gehabt, nach Österreich zu kommen, um hier zu studieren und zu lernen. Diese Möglichkeit habe er in Afghanistan nicht gehabt. In Afghanistan sei sein Leben in Gefahr. Die Sicherheitslage sei schlecht. Man würde den Beschwerdeführer überall finden und töten.

5. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom XXXX wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sodann sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 AsylG iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 AsylG iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde unter Spruchpunkt VI. gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

6. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, mit Schreiben vom XXXX fristgerecht vollumfängliche Beschwerde wegen unschlüssiger Beweiswürdigung bzw. rechtlicher Beurteilung und einem mangelhaften Ermittlungsverfahren.

7. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt. In einem verzichtete die belangte Behörde auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

8. Am XXXX langte beim erkennenden Gericht eine Berichterstattung der Landespolizeidirektion XXXX ein, aus der ersichtlich ist, dass der Beschwerdeführer beschuldigt wird, am XXXX an einem allgemein zugänglichen, öffentlichen Ort (Volksgartenpark XXXX ) Cannabiskraut an zwei bekannte Abnehmer verkauft zu haben. Der Beschwerdeführer wurde festgenommen und in die Justizanstalt XXXX eingeliefert.

9. Am XXXX langten eine Verständigung von der Verhängung der Untersuchungshaft am XXXX gegen den Beschwerdeführer wegen § 27 Abs 2a SMG durch das Landesgericht für Strafsachen XXXX sowie ein Haftmeldezettel, aus dem ersichtlich ist, dass sich der Beschwerdeführer seit XXXX in der Justizanstalt XXXX in Haft befindet, beim Bundesverwaltungsgericht ein.

10. Die belangte Behörde übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX eine Verständigung von der Anklageerhebung gegen den Beschwerdeführer wegen §§ 27 Abs 2a zweiter Fall, 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall und 27 Abs 2 SMG durch die Staatsanwaltschaft XXXX

11. Am XXXX informierte die belangte Behörde das Bundesverwaltungsgericht über die Abmeldung des Beschwerdeführers aus der Grundversorgung per XXXX wegen seiner Inhaftierung.

12. Am XXXX langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Haftmeldezettel ein, aus dem ersichtlich ist, dass der Beschwerdeführer mit XXXX aus der Justizanstalt XXXX entlassen wurde.

13. Am XXXX langte beim Bundesverwaltungsgericht eine gekürzte Urteilsausfertigung des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX ein, wonach der Beschwerdeführer am XXXX wegen der Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs 2a zweiter Fall SMG und nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG nach § 27 Abs 2a SMG unter Bedachtnahme auf § 28 StGB und § 19 JGG zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten als junger Erwachsener verurteilt wurde. Gemäß § 43a Abs 3 StGB wurde ein Teil der Strafe in der Dauer von sechs Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Dieses Urteil ist infolge Rechtsmittelverzichts seit XXXX rechtskräftig.

14. Die belangte Behörde übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX einen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , betreffend den Beschwerdeführer. Mit diesem Bescheid wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt I.) und eine (neuerliche) Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer erlassen (Spruchpunkt II.). Es wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Gegen den Beschwerdeführer wurde ein auf fünf Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.) und festgestellt, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem XXXX verloren hat (Spruchpunkt VI.).

15. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, mit Schreiben vom XXXX fristgerecht vollumfängliche Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts, sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Dieses Verfahren wird beim BVwG zu XXXX geführt.

16. Die belangte Behörde informierte das Bundesverwaltungsgericht am XXXX über die Abmeldung des Beschwerdeführers aus der Grundversorgung per XXXX wegen unbekannten Aufenthalts.

17. Am XXXX langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Überstellungsankündigung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl ein, aus der ersichtlich ist, dass sich der Beschwerdeführer derzeit in Slowenien aufhält und am XXXX von Slowenien nach Österreich überstellt werden wird.

18. Die XXXX übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX eine Bestätigung der Hauptwohnsitzbestätigung betreffend den Beschwerdeführer.

19. Die belangte Behörde übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX eine Verlustmeldung der Asylkarte des Beschwerdeführers.

20. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurden den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan übermittelt.

21. Am XXXX informierte die belangte Behörde das Bundesverwaltungsgericht über einen Fehleintrag der Identitätsdaten des Beschwerdeführers und übermittelte dazu ein Konvolut an Unterlagen.

22. Mit Schreiben vom XXXX legte der Verein Menschenrechte Österreich die am XXXX durch den Beschwerdeführer erteilte Vollmacht nieder, da dieser den MigrantInnenverein St. Marx mit seiner weiteren Vertretung beauftragt habe.

23. Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom XXXX mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der mündlichen Beschwerdeverhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei, und beantragte die Abweisung der Beschwerde sowie die Übersendung des aufgenommenen Verhandlungsprotokolls.

24. Mit Schriftsatz vom XXXX nahm der Beschwerdeführer, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, zu den vom Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingeführten Länderberichten Stellung und legte ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor.

25. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein seines ausgewiesenen Rechtsvertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu vom erkennenden Richter zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und seinen Beschwerdegründen einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der mündlichen Verhandlung fern.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

"[...]

Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer: Nein.

[...]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: Nach meiner Einreise in Österreich wurde der XXXX als Geburtsdatum eingetragen bzw. geführt. Im Verfahren wurde dann der XXXX als Geburtsdatum festgestellt. Geboren wurde ich in der Provinz Laghman.

Richter: Stimmt es, dass der Vorname XXXX und nicht XXXX heißt?

Beschwerdeführer: Ja das ist richtig.

Der Richter stellt fest, dass die Daten im Zuge des Beschwerdeverfahrens zu korrigieren sind.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Meine Muttersprache ist Paschtu. Darüber hinaus beherrsche ich auch Dari, sowie ein wenig Englisch und Urdu. Auf Paschtu und Dari kann ich sowohl lesen als auch schreiben. Urdu verstehe ich lediglich ein wenig.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich bin ledig, bin Moslem, gehöre dem Islam an. Ich bin Sunnite und gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an.

Richter: Haben Sie Kinder?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Geboren bin ich in der Provinz Laghman. Ab dem Jahr XXXX bis XXXX , habe ich mit meiner Familie in XXXX gelebt. Danach sind wir in die Heimatprovinz zurückgekehrt, wo ich dann bis zur Ausreise gelebt habe.

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?

Beschwerdeführer: Das Haus, in dem wir in Laghman gelebt haben, hat uns gehört. In XXXX haben wir in einem Mietshaus gewohnt.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführer: In Afghanistan habe ich sechs Jahre die Schule besucht. Als ich mich in Laghman aufgehalten habe, habe ich gelegentlich anderen Dorfbewohnern in der Landwirtschaft ausgeholfen. Ich wurde auch ab und zu für meine Tätigkeit bezahlt.

Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?

Beschwerdeführer: Auch in Afghanistan ist es üblich, wenn man die Schule abschließt, erhält man ein Abschlusszeugnis. Ich habe nur bis zur sechsten Schulstufe die Schule besucht.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Ich habe persönlich keinen Kontakt zu meinen nahen Angehörigen. Ich habe über einen Freund, der sich in Österreich aufhält und auch ursprünglich aus Laghman ist, erfahren, dass meine Familie nach Pakistan gezogen ist.

Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Nein, ich habe mit niemandem in Afghanistan Kontakt.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Von XXXX bis XXXX habe ich in Österreich die Schule besucht. Danach habe ich einen negativen Bescheid erhalten. Ich bin dann weiter nach Frankreich gezogen. Nach meiner Rückkehr habe ich versucht, mich wieder in einer Schule einzuschreiben. Ich habe mich damals in XXXX aufgehalten. Zurzeit halte ich mich in XXXX auf. In XXXX darf ich, in meinem jetzigen Zustand, die Schule nicht besuchen. Ich lebe in XXXX , bin auch dort gemeldet, in XXXX gibt es daher für mich nicht diese Option. In XXXX habe ich diese Möglichkeit nicht. Ich bekomme pro Monat ? 145, damit kann ich mir die Fahrt dorthin nicht jeden Tag leisten.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ja, ich habe Freunde hier in Österreich.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer: Ich habe keine Mitgliedschaften, ich betreibe für mich selbst morgens Sport, ich gehe laufen. In meiner Freizeit spiele ich auch Fußball.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: Ja, ich hatte ein Problem mit der Polizei. Da ging es um Marihuana. Es war an einem Freitag, da bin ich nach XXXX gefahren. Ich habe dort im Park gespielt. Zwei Burschen haben mich angesprochen und gefragt, ob ich Marihuana hätte. Ich habe daraufhin gesagt, dass ich nichts habe. Sie haben mich darum gebeten, ihnen dabei behilflich zu sein, Marihuana zu bekommen. Ich habe zuerst abgelehnt und dann habe ich ihnen gesagt, wenn ich jemanden finde, sollen sie mir dann im Gegenzug einen Joint geben. Damals habe ich selbst Drogen konsumiert. Ich habe dann dort einen Dunkelhäutigen angetroffen und im Gegenzug habe ich einen Joint erhalten. Ich wurde dann von der Polizei deswegen aufgegriffen. Die anderen Burschen haben gesagt, sie hätten das von mir erhalten. Ich habe das eigentlich von jemand anderen erhalten. Es gab auch eine Gerichtsverhandlung. Als die Polizei auf uns zugekommen ist, bin ich davongelaufen. Ich wusste nicht, dass es sich um Polizisten handelt, deswegen bin ich aus Angst davongelaufen.

Richter: Was war das für ein Vorfall am XXXX in der Asyl Sonderbetreuungsstelle XXXX ?

Beschwerdeführer: Dabei ist es zu einer Auseinandersetzung mit meinen Zimmergenossen gekommen, eigentlich einen Freund. Ich habe ihn aufgefordert, das Zimmer zu putzen und er hat sich geweigert.

Richter: Warum sind Sie nach Slowenien gefahren? Wann sind Sie nach Slowenien gefahren, wann sind Sie zurückgekehrt? Was haben Sie in Slowenien gemacht?

Beschwerdeführer: Als ich aus Frankreich zurückgekehrt bin, bin ich zuerst in XXXX angekommen. Dort habe ich zwei Nächte bei Freunden verbracht. Ich wollte dann weiter nach XXXX . Im Zug bin ich eingeschlafen und der Zug fuhr dann von XXXX weiter nach Slowenien. Als mir das bewusst geworden ist, habe ich die österreichischen Beamten darum gebeten, mich nach Österreich einreisen zu lassen. Sie haben mich belehrt und gesagt, dass ich keinen Ausweis hätte. Es hat dann ein Monat lang gedauert, bis die offizielle Rücküberstellung erfolgt ist. Ich wurde dort auch einvernommen. Bei der polizeilichen Befragung habe ich dann auch die ganze Wahrheit erzählt, dass ich ursprünglich in Österreich war und weiter nach Frankreich gereist bin. Die dortige Polizei hat mir gesagt, wenn ich nicht um Asyl ansuche, sind sie dazu gezwungen, mich zurückzuschieben. Die Polizei hat mich dann zwei oder drei Tage in einem geschlossenen Lager festgehalten, danach wurde ich einvernommen. Während der Befragung habe ich alles angegeben, dass ich eigentlich in Österreich um Asyl angesucht habe und nach der negativen Entscheidung nach Frankreich weitergezogen bin. Ich habe bei der Befragung erzählt, dass ich aus Frankreich zurückgekommen bin, und auch angegebenen, dass ich in das für mich zuständige Land zurückkehren möchte.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer: Mein Vater hat bei einer amerikanischen Firma namens " XXXX " gearbeitet. Mein Vater hat für diese Firma gearbeitet. Nachdem wir nach Laghman zurückgekehrt sind, haben die Taliban von mir gefordert, meinen Vater ihnen zu stellen, sie wollten wissen, wo er sich aufhält. Sie wollten meinen Vater haben, er hat sich versteckt gehalten. Ich konnte nicht meinen eigenen Vater an sie verraten. Zuletzt haben sie mich angehalten, sie wollten wissen, wo sich mein Vater aufhält. Wenn ich ihnen das nicht sage, hätte ich mich ihnen anschließen müssen. Nach dieser Aufforderung habe ich Angst bekommen und bin geflüchtet.

Richter: Sind Sie jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?

Beschwerdeführer: Ja, ich wurde persönlich bedroht. Zuletzt standen sie vor unserer Haustür und wollten wissen, wo sich mein Vater aufhält. Sie sagten auch, wenn sie wiederkommen und ich ihnen nicht mitteilen kann, wo sich mein Vater aufhält, dann werden sie mich mitnehmen.

Richter: Wodurch sind Sie aktuell in Afghanistan bedroht?

Beschwerdeführer: Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan, werden sie mit mir abrechnen, weil ich ihnen nicht gesagt habe, bzw. verraten habe, wo sich mein Vater versteckt hält. Diese Leute sind so, dass man sich ihnen zu beugen hat, wenn man das nicht tut, wird man entweder getötet oder man muss mit ihnen in den Krieg ziehen.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Beschwerdeführer: Schlussendlich hat mein Vater mit meinem Onkel mütterlicherseits gemeinsam entschieden, dass ich in der Heimat keine Überlebensmöglichkeiten habe. Ich wurde dann weggeschickt.

Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?

Beschwerdeführer: Mein Onkel mütterlicherseits und mein Vater haben meine Reisekosten bezahlt.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: Die Beschwerde habe ich eingebracht, weil ich möchte, dass man mir eine positive Entscheidung gibt. Davor wurde gesagt, dass mir Recht zugesprochen wird.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: Sie wissen wie die Situation bzw. die Lage in Afghanistan zurzeit ist. Ich bin überzeugt davon, dass die Taliban mich über verschiedene Wege überall in Afghanistan ausfindig machen können. Sie werden auch von meiner Rückkehr erfahren.

Rechtsvertreter: Was war die Aufgabe Ihres Vaters in dieser Firma?

Beschwerdeführer: Die Aufgabe meines Vaters bestand darin, Lebensmittel zu transportieren.

Der Beschwerdeführer bringt nichts mehr vor.

Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?

Beschwerdeführer: Ja."

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und die Verfahrensakten des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Beschwerdeführer zu XXXX und XXXX , insbesondere durch Einsicht in die vorgelegten Dokumente und Integrationsunterlagen, sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingeführten Länderberichte.

1. Feststellungen

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, ist im Entscheidungszeitpunkt volljährig und Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Er gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Paschtu, er spricht aber auch Dari, ein wenig Englisch und ein wenig Urdu. Paschtu und Dari kann der Beschwerdeführer sowohl lesen als auch schreiben. Weiter beherrscht er etwas Deutsch. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer wurde in der afghanischen Provinz Laghman im Distrikt XXXX in einem Dorf geboren und lebte dort bis zum Jahr XXXX gemeinsam mit seinen Eltern, drei Brüdern und drei Schwestern im familieneigenen Haus. Von XXXX bis XXXX lebte der Beschwerdeführer mit seiner Familie in einem Miethaus in XXXX . Im Jahr XXXX kehrte der Beschwerdeführer mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in sein Heimatdorf zurück. Dort lebte er bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan im XXXX .

Der Beschwerdeführer besuchte in XXXX sechs Jahre die Schule. Nach seiner Rückkehr in sein Heimatdorf in der Provinz Laghman arbeitete der Beschwerdeführer in der Landwirtschaft und bewirtschaftete fremde Grundstücke.

Eine Feststellung zum Verbleib des Vaters des Beschwerdeführers kann nicht getroffen werden. Die Mutter des Beschwerdeführers und seine sechs Geschwister leben zwischenzeitlich in Pakistan. Im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers leben noch ein Onkel und eine Tante des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer hat keinen Kontakt zu seiner Familie. Weitere (entfernte) Verwandte oder sonstige Bezugspersonen des Beschwerdeführers leben nicht in Afghanistan. Ein Cousin des Beschwerdeführers lebt in Österreich, ein weiterer Cousin lebt in XXXX . Der Beschwerdeführer hat keinen Kontakt zu seinen Cousins in Österreich bzw. XXXX .

1.2 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer reiste illegal schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Anschließend war er bis ungefähr XXXX in Österreich aufhältig. Ungefähr im XXXX verließ der Beschwerdeführer die Republik Österreich und reiste nach Frankreich. Nach seiner Rückkehr aus Frankreich hielt sich der Beschwerdeführer zunächst in XXXX auf. Auf einer Zugfahrt von XXXX nach XXXX schlief der Beschwerdeführer ein und gelangte so nach Slowenien. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer von Slowenien nach Österreich überstellt. Seither hält sich der Beschwerdeführer durchgehend in Österreich auf. Er hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich.

Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. Er nahm seit seiner Einreise an mehreren Basisbildungs-, Deutsch- und Integrationskursen teil, hat jedoch noch keine Prüfung zu seinen Deutschkenntnissen abgelegt. Es kann daher nicht festgestellt werden, auf welchem Niveau der Beschwerdeführer Deutsch spricht. Von XXXX bis XXXX besuchte der Beschwerdeführer die Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule XXXX . Im Jahr XXXX nahm der Beschwerdeführer an einem Werte- und Orientierungskurs des ÖIF teil. Weiter verrichtete er von XXXX bis XXXX gemeinnützige Arbeit in Form von Straßenreinigung in der Stadt XXXX im Ausmaß von 102,5 Stunden. Zukünftig möchte der Beschwerdeführer eine Lehre zum Kellner machen. Der Beschwerdeführer ist kein Mitglied in einem Verein, hat jedoch in Österreich soziale Kontakte - auch zu österreichischen Staatsbürgern - geknüpft. In seiner Freizeit geht der Beschwerdeführer gerne laufen oder spielt Fußball.

Ein Cousin des Beschwerdeführers lebt in Österreich. Es besteht jedoch kein Kontakt.

In Österreich leben - abgesehen von einem Cousin des Beschwerdeführers - keine Verwandten oder sonstige wichtige Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich, noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich bescholten. Er wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 2a zweiter Fall SMG und § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG nach § 27 Abs 2a SMG unter Bedachtnahme auf § 28 StGB und § 19 JGG zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten als junger Erwachsener verurteilt. Gemäß § 43a Abs 3 StGB wurde ein Teil der Strafe in der Dauer von sechs Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Der unbedingte Teil der Freiheitsstrafe wurde am XXXX vollzogen. Konkret hat der Beschwerdeführer am XXXX in XXXX vorschriftswidrig Suchtgift (nämlich Delta-9-THC-hältiges Cannabiskraut) an einem allgemein zugänglichen Ort, nämlich im XXXX , öffentlich und unter Umständen, unter denen sein Verhalten geeignet war, durch unmittelbare Wahrnehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen, anderen gegen Entgelt überlassen, indem er 2,3 Gramm Cannabiskraut bzw. 1,3 Gramm Cannabiskraut an zwei Personen gewinnbringend veräußerte, wobei sich in unmittelbarer Tatortnähe mehr als 25 Passanten aufhielten. Weiter hat er Suchtgift ausschließlich zum persönlichen Gebrauch besessen, indem er ab einem nicht näher bekannten Zeitpunkt bis zum XXXX unbekannte Mengen an Cannabiskraut zum Eigenkonsum innehatte.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

1.3 Zu seinen Fluchtgründen und der Rückkehr nach Afghanistan

Der Beschwerdeführer stellte am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen in weiterer Folge mit Verfolgung durch die Taliban wegen unterstellter politischer Gesinnung und Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie seines Vaters sowie mit der allgemeinen Sicherheitslage.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich bedroht oder verfolgt wurde oder eine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte.

Der Vater des Beschwerdeführers war von XXXX bis XXXX für ein amerikanisches Unternehmen als Lagerarbeiter bzw. Staplerfahrer tätig. Er arbeitete im Lager und war dafür zuständig, Lebensmittel von einem Platz zum anderen zu transportieren. Eine Feststellung zum Verbleib des Vaters des Beschwerdeführers kann nicht getroffen werden.

Der Beschwerdeführer wurde aufgrund der ehemaligen Tätigkeit des Vaters für ein amerikanisches Unternehmen nicht von den Taliban bedroht und auch nicht aufgefordert, den Taliban den Aufenthaltsort des Vaters bekannt zu geben. Insbesondere suchten die Taliban den Beschwerdeführer nicht zu Hause auf und drohten ihm auch nicht, ihn mitzunehmen, sollte er ihnen nicht die gewünschten Informationen geben. Dem Beschwerdeführer drohen daher im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat auch keine Übergriffe durch die Taliban bis hin zu seiner Tötung oder Entführung, weil der Vater des Beschwerdeführers in der Vergangenheit für ein amerikanisches Unternehmen gearbeitet hat.

Ebenso wenig drohen dem Beschwerdeführer als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan Übergriffe durch Privatpersonen, staatliche Stellen oder sonstige Akteure.

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Die Heimatprovinz des Beschwerdeführers (Laghman) wurde zwar im Oktober 2018 und im Jänner 2019 als eine der relativ ruhigen Provinzen Afghanistans beschrieben. Die Provinz gilt jedoch als eine der Hochburgen des ISKP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan). In einigen Distrikten wurde ein Anstieg der Aktivitäten von Taliban- und ISKP-Militanten verzeichnet. Es kommt zu Kämpfen zwischen den Taliban und dem IS. In der Provinz werden regelmäßig Sicherheitsoperationen durch afghanische Sicherheitskräfte durchgeführt und es finden bewaffnete Zusammenstöße zwischen den Taliban und Regierungskräften statt. Insgesamt stellt sich die Lage in der Provinz Laghman daher als volatil dar.

Im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Laghman droht ihm die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Hauptstadt Kabul ist von innerstaatlichen Konflikten und insbesondere stark von öffentlichkeitswirksamen Angriffen der Taliban und anderer militanter Gruppierungen betroffen. Im Jahr 2018 wurden 1.866 zivile Opfer dokumentiert, was einer Zunahme von 2% gegenüber 2017 entspricht. Die afghanische Regierung führt regelmäßig Sicherheitsoperationen in und um die Hauptstadt Kabul durch.

Im Fall einer Niederlassung des Beschwerdeführers in Kabul droht ihm die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Provinzen Balkh und Herat gehören zu den friedlichsten Provinzen Afghanistans und sind vom Konflikt relativ wenig betroffen. Insbesondere Balkh gehört zu den stabilsten und ruhigsten Provinzen Afghanistans mit im Vergleich zu anderen Provinzen geringen Aktivitäten von Aufständischen. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif ist davon jedoch nicht betroffen. Die Provinz Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen Afghanistans. Aufständische sind in einigen abgelegenen Distrikten aktiv. Die Hauptstadt der Provinz - Herat (Stadt) - ist davon wenig betroffen und gilt trotz Anstiegs der Kriminalität nach wie vor als sehr sicher. Sowohl Mazar-e Sharif in Balkh als auch Herat (Stadt) stehen unter Regierungskontrolle. Beide Städte verfügen über einen internationalen Flughafen, über den sie sicher erreicht werden können.

Die Provinzen Balkh und Herat waren von einer Dürre betroffen. Ernährungssicherheit, Zugang zu Wohnmöglichkeiten, Wasser und medizinische Versorgung sind in Mazar-e Sharif und Herat (Stadt) grundsätzlich gegeben. Die Arbeitslosigkeit im Herkunftsstaat ist hoch und Armut verbreitet.

Für den Fall einer Niederlassung des Beschwerdeführers in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat kann nicht festgestellt werden, dass diesem die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Im Fall einer Rückführung des - gesunden und inzwischen volljährigen - Beschwerdeführers nach Herat (Stadt) oder Mazar-e Sharif ist davon auszugehen, dass er sich - wenn auch nach anfänglichen Schwierigkeiten - eine Lebensgrundlage wird aufbauen und die Grundbedürfnisse seiner menschlichen Existenz wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft wird decken können. Der Beschwerdeführer wird im Fall seiner Niederlassung in Herat (Stadt) oder Mazar-e Sharif ein mit anderen dort lebenden Afghanen vergleichbares Leben ohne unbillige Härten führen können. Der Beschwerdeführer ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftslandes vertraut. Er besuchte sechs Jahre die Schule in Kabul und verfügt über Arbeitserfahrung in der Landwirtschaft. Zudem spricht er insgesamt zwei Sprachen des Herkunftsstaates (Paschtu und Dari) und wurde in Afghanistan im afghanischen Familienverband sozialisiert. Dem Beschwerdeführer ist daher der Aufbau einer Existenzgrundlage in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) möglich. Er hat keine Sorgepflichten. Seine Existenz könnte der Beschwerdeführer - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern.

Es gibt in Afghanistan unterschiedliche Unterstützungsprogramme für Rückkehrer von Seiten der Regierung, von NGOs und durch internationale Organisationen, die der Beschwerdeführer in Anspruch nehmen könnte. IOM bietet in Afghanistan Unterstützung bei der Reintegration an.

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

1.4.1 Staatendokumentation (Stand 13.11.2019, außer wenn anders angegeben)

1.4.1.1 Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).

1.4.1.2 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433.

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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