TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/18 W124 2153776-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.05.2020
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Entscheidungsdatum

18.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W124 2153776-1/24E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Felseisen als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am XXXX und am XXXX :

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX gab er an, er sei afghanischer Staatsangehöriger und gehöre der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensgemeinschaft an. Er stamme aus XXXX , XXXX , Provinz Ghazni, und habe drei Jahre die Grundschule besucht. Sinnerfassend lesen könne er jedoch nicht. Seine Eltern, sein Bruder sowie seine drei Schwestern würden nach wie vor in seinem Geburtsort leben. Hinsichtlich seiner Reiseroute führte er aus, er sei vor zwei Jahren unrechtmäßig in den Iran gereist und sei daraufhin über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich gelangt. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, er habe Afghanistan wegen des dort herrschenden Krieges verlassen. Es gebe dort Elend und Armut. Er wolle hier ein besseres Leben anfangen.

I.2. Das Bundesamt veranlasste in weiterer Folge die Durchführung eines Altersfeststellungsgutachtens.

Aus dem Sachverständigengutachten der Medizinischen Universität XXXX vom XXXX ergibt sich im Fall des BF im Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz ein Mindestalter von 18,22 Jahren. Sein fiktives Geburtsdatum sei der XXXX .

I.3. Am XXXX erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt), im Zuge welcher er eingangs anmerkte, dass seine Angaben in der Erstbefragung insoweit falsch protokolliert worden seien, als er gesagt habe, dass es seiner Familie finanziell "normal" gehe und er den Herkunftsstaat verlassen habe, da er bedroht worden sei, nicht aber, weil es dort keine Arbeit gebe. Seine Angaben seien ihm nicht rückübersetzt worden, er sei lediglich gefragt worden, ob er einverstanden wäre und habe daraufhin unterschrieben. Er sei zweimal dort gewesen, um es zu korrigieren. Sie hätten ihm gesagt, er erhalte einen neuen Termin.

Der BF bestätigte in weiterer Folge seine Angaben zu seinem Herkunftsort sowie zu seinen Familienangehörigen. Ergänzend führte er an, in Österreich oder einem anderen Mitgliedstaat der EU keine Angehörigen zu haben. Zu seiner Familie habe er zuletzt vor sechs oder sieben Monaten Kontakt gehabt. Sein Vater arbeite als Bauer und besitze circa 800 m² Grund. Seiner Familie gehe es "normal". Da es kein Internet gebe, habe er mit ihnen telefoniert, was jedoch teuer sei.

Der BF spreche Dari, Farsi, Hazari und ein bisschen Deutsch. Im Iran habe er eineinhalb Jahre gearbeitet und habe dadurch seine Flucht finanziert. Auf die Frage, welcher Tätigkeit er im Iran nachgegangen sei, antwortete er, er habe auf Baustellen gearbeitet. Von XXXX bis XXXX , sohin zwei Jahre, sei er im Iran aufhältig gewesen. Auf Nachfrage, erklärte er, in Afghanistan habe er nie gearbeitet, sondern habe seinem Vater geholfen.

Der BF verfüge über eine dreijährige Schulbildung, habe jedoch keinen Beruf erlernt. Auf Nachfrage gab er zu Protokoll, er habe keine Erfahrung auf Baustellen. Nachdem er Verletzungen an Hand und Fuß erlitten habe, habe er an verschiedenen Orten in Teheran als Nachtwächter gearbeitet. Der Unfall habe sich auf einer Baustelle ereignet. Ein Jahr bevor er nach Österreich gekommen sei, sei das passiert.

Zu seinen Fluchtgründen gab er an, nach seiner Schulzeit er als Hirte gearbeitet zu haben. Eines Tages seien die Taliban gekommen und hätten ihn aufgefordert, für sie zu arbeiten. Sie hätten ihm eine Bedenkzeit von acht Tagen eingeräumt. Als sie wieder zu ihm gekommen seien, hätten sie ihn geschlagen und ihm gedroht, im Fall seiner Weigerung ihn und seine Familie zu töten. Sie hätten gewusst, dass er der Sohn von XXXX sei. Nach sieben oder acht Tagen habe ihn sein Vater in den Iran geschickt. Auf dem Weg dorthin hätten ihn Taliban aus dem Auto geholt und geschlagen, da er Hazare sei. Ferner hätten sie ihn einen Tag festgehalten. Dann sei ein Fremder gekommen. In dem Auto seien andere Fahrgäste gesessen und der Fahrer habe ihm gesagt, er solle niemanden sagen, dass er Hazare und Schiit sei, da ihm die Taliban ansonsten den Kopf abtrennen würden. Als er dann im Iran gewesen sei, sei alle zwei bis drei Tage die Polizei gekommen und habe ihn geschlagen.

In einem anderen Landesteil Afghanistans könne er sich nicht niederlassen, da in der Nacht die Taliban und Daesh kommen würden. Es gebe nirgendwo in Afghanistan Sicherheit. Auf Nachfrage, ob er Freunde oder Bekannte in Kabul oder Herat habe, gab er an, sie alle würden in XXXX leben.

Auf die Frage, ob er jemals persönlich aufgrund seiner Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit geschlagen worden sei, erklärte er, sie seien ohne Grund von den Taliban und Daesh geschlagen worden. In Haft sei er nie gwesen und habe er auch nie an Demonstrationen teilgenommen. Im Fall der Rückkehr müsse er zu 90% sterben. Es sei eine Strafe, Hazare zu sein.

Auf nähere Nachfrage, wo er von den Taliban festgehalten worden sei, führte er aus, es sei hinter der Schule in XXXX gewesen. Dies sei im Jahr XXXX gewesen. Nach acht Tagen seien sie wiedergekommen, hätten ihn geschlagen und ihm gesagt, sollte er sich weigern sie zu unterstützen, werde seine Familie getötet. Sein Vater habe ihn in den Iran geschickt. Er habe keine unschuldigen Menschen töten wollen. Aus diesem Grund habe er weder für die Taliban, noch für Daesh kämpfen wollen.

Abschließend wurden die Länderberichte zur allgemeinen Situation in Afghanistan erörtert. Der BF verzichtete auf Einsicht und Stellungnahme.

I.4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz betreffend die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie betreffend die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 wurde ihm nicht erteilt. Gegen ihn wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Ferner wurde festgestellt, dass gemäß § 52 Abs. 9 FPG eine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Als Frist für die freiwillige Ausreise wurden gemäß § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Entscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

I.5. Mit fristgerechter Beschwerde vom XXXX wurde dieser Bescheid vollinhaltlich wegen Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, unschlüssiger Beweiswürdigung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten. Begründend wurde nach Zusammenfassung des Fluchtvorbringens sowie den im Bescheid angeführten Gründen für die Abweisung des Antrags ausgeführt, das Bundesamt habe seine Beweiswürdigung darauf gestützt, dass der BF im Laufe des Verfahrens sein Fluchtvorbringen massiv gesteigert habe, zumal seine in der Erstbefragung genannten Fluchtgründe von seinen Schilderungen in der Einvernahme vor dem Bundesamt abweichen würden. Eine solche Würdigung greife jedoch zu kurz, da die Erstbefragung primär der Abgleichung der Personaldaten und des Reisewegs diene und der Schilderung des Fluchtgrundes nur wenig Platz eingeräumt werde. Ferner sei das Bundesamt bloß aufgrund des Umstandes, dass der BF die Verfolgung durch die Taliban in der Erstbefragung nicht erwähnt habe, von seiner Ermittlungspflicht nicht entbunden.

Der Argumentation, wonach die Angaben des BF zur Bedrohung durch die Taliban realitätsfremd seien, komme kein näherer Begründungswert zu. Zum Zeitpunkt der versuchten Rekrutierung sei der BF das einzige Familienmitglied gewesen, welches sich aufgrund seines Alters und seines Geschlechts für den Einsatz geeignet hätte. Seine Angaben, wonach ihn die Taliban auf seinem Weg in den Iran aufgehalten hätten, sei angesichts der aktuellen Länderberichte nicht unwahrscheinlich, zumal die Zahl der Entführungen und Tötungen von Hazara laut UNAMA gestiegen sei.

Rechtlich wurde festgehalten, dass dem Vorbringen zur Gefahr der Zwangsrekrutierung und Verfolgung durch die Taliban Asylrelevanz zukomme. Die Behörde habe übersehen, dass sich beweiswürdigende Erwägungen nicht auf das Vorbringen des BF beschränken dürften, sondern auch die konkrete fallbezogene Lage im Herkunftsstaat zu berücksichtigen sei. Nur vor diesem Hintergrund seien die Angaben einer Plausibilitätskontrolle zugänglich.

In der Folge wurde ausgeführt, dass die Ermittlungen hinsichtlich der allgemeinen Situation der schiitischen Hazara in Afghanistan mangelhaft seien. Anhand aktueller Berichte hätte festgestellt werden können, dass Angehörigen der Volksgruppe der Hazara asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat drohe.

Hinsichtlich der Ausführungen des Bundesamtes zur innerstaatlichen Fluchtalternative wurde darauf hingewiesen, dass sich die Behörde mit den verfahrensrelevanten persönlichen Umständen des BF nicht auseinandergesetzt habe.

Der BF habe Knochenbrüche erlitten und könne daher keiner Schwerarbeit mehr nachgehen, weshalb er auch zuletzt als Nachtwächter gearbeitet habe. Aufgrund dieses Umstandes sei seine Überlebensfähigkeit in Kabul stark gemindert. Als Hazara gehöre er zudem einer gefährdeten Personengruppe an. Ferner habe sich insbesondere in der Stadt Kabul die Sicherheitslage verschlechtert. Der BF verfüge über keine familiären Anknüpfungspunkte in Kabul, habe sein gesamtes Leben in der Provinz Ghazni sowie im Iran verbracht und habe nur rudimentäre Schulbildung. Als Hazara sei er zunehmend gezielten Gewalttaten ausgeliefert. Aufgrund des massiven Einströmens von Rückkehrenden drohe Afghanistan eine humanitäre Katastrophe. Tragfähige Feststellungen zu Unterstützungsleistungen, welche der BF im Fall einer Ansiedlung in Afghanistan außerhalb seines Familienverbandes in Anspruch nehmen könnte, seien nicht getroffen worden. Kabul verfüge zudem nicht über ausreichende Aufnahmekapazitäten. Abschließend wurde auf die Ausführungen in den UNHCR-Richtlinien 2016 verwiesen. Demnach sollten bei der Beurteilung der innerstaatlichen Fluchtalternative insbesondere berücksictigt werden, ob ein starkes soziales Netzwerk im vorgeschlagenen Gebiet der Neuansiedlung bestehe. Dem BF stehe in einer Gesamtschau sohin keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.

I.6. Am XXXX langte die Beschwerdevorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein.

I.7. Mit Stellungnahme vom XXXX äußerte sich der BF im Wege seiner Vertretung zur allgemeinen Situaiton im Herkunftsstaat. Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass die Berichte im Länderinformationsblatt zur Situation der Schiiten in Widerspruch zur gegenwärtigen Berichtslage stünden, aus welchen eindeutig hervorgehe, dass sunnitische Extremisten Schiiten sowie deren religiöse Einrichtungen landesweit gezielt angreifen würden. Überdies seien Hazara - entgegen der Berichte im Länderinformationsblatt - regelmäßig gezielten Gewalthandlungen ausgesetzt. Zum Nachweis wurde die ACCORD-Anfragebeantwortung zur Lage der Hazara vom 24.02.2016 auszugsweise wiedergegeben. Hazara liefen Gefahr, auf der Straße überfallen und entführt zu werden. Es bestehe die reale Gefahr, dass Angehörige dieser Volksgruppe in Afghanistan nicht nur in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt würden, sondern in hohem Ausmaß lebensbedrohlicher Gewalt ausgesetzt wären.

In der Folge wurde zur Versorgungslage in Kabul Stellung bezogen und die UNHCR Richtlinien 2016 auszugsweise wiedergegeben.

Ferner wurden die Ausführungen im Länderinformationsblatt zur Situation von Rückkehrenden den Ausführungen von Friederike Stahlmann im Asylmagazin März 2017 gegenübergestellt. Demnach funktioniere der Zugang zu ?Arbeit, Wohnraum und überlebenswichtigen Ressourcen in Afghanistan in der Regel über soziale Netzwerke. Was jedoch bisher kaum Anerkennung finde, seien die Konsequenzen des Einbruchs der Wirtschaft und des massiven Anstiegs an Rückkehrenden sowie Binnenvertriebenen. Folglich müsse die Annahme, dass zumindest alleinstehende junge gesunde Männer und kinderlose Paare ihr Überleben aus eigener Kraft sichern könnten, durch die derzeitige humanitäre Lage grundlegend in Frage gestellt werden. Wer vom Land in die Stadt ziehe, habe ohne Angehörige keine Chance, sich oder seine Familie zu ernähren. Dies gelte umso mehr für Personen, welche lange außerhalb Afghanistans gelebt hätten. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass Rückkehrende aus Europa laut dem Gutachten von Dr. Mahringer weder Beratung und Betreuung noch finanzielle Unterstützung erhalten würden. Ergänzend wurde auf die Ausführungen von Friederike Stahlmann zur Situation von Rückkehrenden aus Europa verwiesen. Bei dieser Personengruppe sei das Entführungsrisiko besonders hoch, da man davon ausgehe, sie würden über einen gewissen Wohlstand verfügen. Hinzu trete das Risiko des sozialen Ausschlusses, welches durch das Stigma des Westens begründet sei. Vor dem Hintergrund der angeführten Berichte sei der pauschalierte Grundsatz des Bundesamtes, wonach Kabul eine taugliche innterstaatliche Fluchtalternative für junge, arbeitsfähige Männer darstelle, nicht mehr tragfähig.

I.8. Am XXXX fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht unter Beizeihung eines Dolmetschers für die Sprache Dari sowie eines landeskundlichen Sachverständigen statt.

Im Zuge dieser Verhandlung wurden folgende Unteralgen in Kopie in Vorlage gebracht:

- Sozialbericht vom XXXX und Kursbesuchsbestätigungen des Vereins Interface (Beilage A);

- zwei Kursbesuchsbestätigungen betreffend Deutschkurse vom Verein Interface (Beilage B)

- Bestätigung der Teilnahme an einer Sitzung der XXXX (Beilage C);

- Kursbesuchsbescheinigung der Teilnahme an einem von der Polizei veranstalteten Kurs über die Einhaltung von Gesetzen (Beilage D);

- Bestätigung an einer Teilnahme an einem Seminar über das Leben in Österreich vom XXXX (Beilage E);

- Empfehlungsschreiben vom Verein Interface vom XXXX (Beilage F);

- Teilnahmebestätigung des Vereins XXXX , vom XXXX (Beilage G).

[...]

R: Leiden Sie an einer speziellen, psychischen Krankheit? Sind Sie in ärztlicher Behandlung?

BF: Ich bin ganz gesund.

[...]

R: Bleiben Sie bei den Angaben, die Sie vor der ersten Instanz gemacht haben, halten Sie diese aufrecht und entsprechen diese der Wahrheit?

BF: Am XXXX habe ich ausgesagt, das stimmt und ich bleibe bei meiner damaligen Aussage.

R: Nennen Sie mir Ihren Namen, Geburtsdatum und Geburtsort.

BF: Mein Name ist XXXX , ich bin XXXX (Anm. des Dolmetschers: Ende XXXX /Anfang XXXX ) geboren, den Tag und Monat weiß ich nicht. Mein Geburtsort ist im Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz Ghazny.

R: Geben Sie chronologisch an, wo Sie seit Ihrer Geburt bis zu Ihrer Ausreise in Afghanistan gelebt haben.

BF: Seit meiner Geburt bis zu meinem 15. Lebensjahr habe ich dort gelebt. Dann habe ich meine Heimat verlassen.

R: Wo haben Sie gelebt als Sie Ihre Heimat verlassen haben, und wie lange?

BF: Ich habe zwei Jahre lang im Iran gelebt.

R: Können Sie mir die Namen der unmittelbar angrenzenden Dörfer Ihres Geburtsdorfes nennen?

BF: Diese lauten: XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX . Diese Dörfer sind höchstens eine halbe Stunde von uns entfernt.

R: Haben Sie an der von Ihnen angegebenen Adresse alleine gelebt?

BF: Nein, mit meiner Familie zusammen.

R: Wen bezeichnen Sie mit Familie, wenn Sie von Familie sprechen?

BF: Meinen Vater, meine drei Schwestern und ein Bruder und meine Mutter.

R: Wie alt ist Ihr Vater?

BF: Zwischen 56 und 57 Jahre.

R: Wie alt ist Ihr Bruder?

BF: Er ist 10 geworden.

R: Woher stammt Ihre Familie?

BF: Wir stammen aus diesem Dorf und dem Distrikt XXXX .

R: Wie heißen Ihre Großväter mütterlicher- und väterlicherseits?

BF: Mein Großvater väterlicherseits heißt XXXX und meine Großmutter väterlicherseits XXXX . Mein Großvater mütterlicherseits heißt XXXX und die Großmutter mütterlicherseits XXXX .

R: Leben Ihre Großeltern noch?

BF: Nein, sie sind schon gestorben.

R: Wie viele Geschwister hat Ihr Vater?

BF: Er hat nur einen Bruder und keine Schwester.

R: Wie heißt sein Bruder bzw. Ihr Onkel?

BF: XXXX.

R: Wo lebt Ihr Onkel?

BF: Er lebt auch in XXXX in XXXX .

R: Wie viele Geschwister hat Ihre Mutter?

BF: Sie hat eine Schwester und einen Bruder.

R: Wie heißt Ihr Onkel mütterlicherseits?

BF: Er heißt auch XXXX . Die Tante heißt XXXX .

R: Ist diese Tante verheiratet?

BF: Ja, sie ist verheiratet.

R: Wo lebt Ihr Onkel mütterlicherseits?

BF: Er ist nach Pakistan gezogen.

R: Welche Berufs- und Schulausbildung haben Sie genossen?

BF: Ich bin insgesamt 3 Jahre in ein Gymnasium gegangen.

R: Wie hat dieses Gymnasium geheißen?

BF: Der Name ist XXXX .

R: Wo sind Sie zuvor in die Schule gegangen?

BF: Nein, ich bin vorher nicht in die Schule gegangen.

R: Sie sind direkt in ein Gymnasium gegangen?

BF: Damals war es kein Gymnasium, ich bin also nur drei Jahre in die Schule gegangen. In dieser Zeit war es aber kein Gymnasium.

R: Was meinen Sie mit "dieser Zeit"?

BF: Seit drei oder vier Jahren ist es jetzt ein Gymnasium geworden.

R: Was war es in Ihrer Schulzeit?

BF: Es war nur eine Schule.

Anmerkung des D: vermutlich Volksschule.

R: Wie bestreitet Ihr Vater seinen Lebensunterhalt?

BF: Er ist in der Landwirtschaft tätig.

R: Was heißt das?

BF: Wir haben selber ein landwirtschaftliches Grundstück und er arbeitet auch mit den anderen Menschen zusammen.

R: Was heißt "mit anderen Menschen zusammen arbeiten"?

BF: Er arbeitet für diese Leute und bekommt dafür Geld.

R: Wie geht es Ihrer Familie?

BF: Seit 11 Monaten habe ich keine Ahnung mehr. Ich habe seither nicht mehr angerufen.

R: Warum haben Sie seither nicht mehr angerufen?

BF: Ich habe keine Nummer von ihnen gehabt. Sie haben mich vor 11 Monaten vom XXXX angerufen und danach nicht mehr.

R: Haben Sie zu Hause ein eigenes Telefon oder haben Ihre Eltern ein Handy?

BF: Wir haben kein Telefon.

R: Wie ist es Ihren Eltern gegangen, als Sie angerufen worden sind?

BF: Sie haben mir gesagt, es gehe ihnen gut.

R: Sie haben in der NS vom XXXX angegeben, dass Sie Ihre Familie angerufen hätten, dies aber sehr teuer sei und es zwischen 10 und 15 Euro kosten würde. Was sagen Sie zu diesem Widerspruch?

BF: Es stimmt. Vor ihrem Anruf habe ich einmal angerufen. Das war in der Zeit, als ich ganz kurz in Österreich angekommen war.

R: Wen haben Sie da angerufen?

Bf. Ich habe einen Freund von mir angerufen. Dann hat er das Telefon zu uns nach Hause mitgenommen. Diese 10 oder 15 Euro Kosten habe ich in diesem Zusammenhang gemeint.

R: Wie heißt Ihr Freund und wo wohnt dieser?

BF: Er heißt Ali, jetzt wohnt er aber nicht mehr in XXXX .

R: Wo wohnt er jetzt?

BF: Ich weiß es nicht, vielleicht ist er im Iran oder in Pakistan.

R: Wie haben Sie Ihren Lebensunterhalt bestritten?

BF: Ich habe meinem Vater bei der landwirtschaftlichen Arbeit geholfen und war manchmal auch als Hirte tätig.

R: Wie haben Sie Ihren Lebensunterhalt im Iran verdient?

BF: Ich habe auf Baustellen gearbeitet. Ich habe meistens als Maler gearbeitet. Ansonsten habe ich als Nachtwächter gearbeitet.

R: Wie bestreiten Sie in Österreich Ihren Lebensunterhalt?

BF: Ich lebe in diesem Camp in XXXX . Ich bekomme pro Monat 200 Euro. Jeden Monat oder alle zwei Monate arbeite ich eine Woche.

R: Was arbeiten Sie in dieser Woche?

BF: Ich putze die Salons bzw. Säle.

R: Wo putzen Sie diese?

BF: Im 5. Stock mache ich alle Säle sauber.

R: Haben Sie darüber hinaus eine Arbeitsbewilligung?

BF: Ich habe ehrlich gesagt einen Job gesucht. Ich habe aber keine Erlaubnis.

R: Haben Sie um eine arbeitsrechtliche Bewilligung angesucht?

BF: Nein.

R: Sprechen Sie Deutsch?

BF: Ja, sicher.

R auf Deutsch: Verstehen Sie Deutsch?

BF auf Deutsch: Ja.

R auf Deutsch: Was machen Sie in Österreich in Ihrer Freizeit?

BF auf Deutsch: Samstag und Sonntag gehe ich draußen spazieren oder Fußballspielen mit Freunden.

R auf Deutsch: Was machen Sie darüber hinaus noch?

BF auf Deutsch: Wie bitte?

R auf Deutsch: Was machen Sie darüber hinaus noch?

BF auf Deutsch: Ich verstehe Sie nicht.

Fragewiederholung auf Dari.

BF auf Dari: Nicht sehr viel. Ich gehe Spazieren oder spiele Fußball.

R auf Deutsch: Besuchen Sie einen Deutschkurs?

BF auf Deutsch: Ja.

R auf Deutsch: Wie heißt der Verein bzw. die Institution wo Sie den Deutschkurs besuchen?

BF auf Deutsch: Jetzt habe ich A2.

Fragewiederholung auf Dari.

BF: Interface.

[...]

R auf Deutsch: Haben Sie schon eine Prüfung in A2 absolviert?

BF auf Deutsch: Ja. Heute habe ich die Sprachprüfung um 17 Uhr.

R auf Deutsch: Haben Sie einen Freundeskreis in Österreich?

BF auf Deutsch: Ja, manchmal spiele ich Fußball oder gehe Spazieren oder Schwimmen.

Fragewiederholung auf Dari.

BF auf Deutsch: Ja, ich habe einen Freundeskreis.

R auf Deutsch: Gehören Ihrem Freundeskreis auch österreichische Staatsbürger an?

BF: Ja.

R auf Deutsch: Wie heißt Ihr bester österreichischer Freund?

BF auf Deutsch: David.

R: Was unternehmen Sie mit David?

BF auf Deutsch: Ich weiß es nicht.

Fragewiederholung auf Dari.

BF: Mit ihm spiele ich Fußball oder gehe Schwimmen. Wir sind auch nicht so nahe Freunde.

R: Ist David kein Freund sondern ein Bekannter?

BF: Ja, ein guter Bekannter.

R auf Deutsch: Sind Sie in einem Verein oder einer Organisation, Kirche oder dgl. tätig?

BF auf Deutsch: Nein.

Fragewiederholung auf Dari.

BF: Nein.

R auf Deutsch: Haben Sie Verwandte in Österreich?

BF auf Deutsch: Ich weiß nicht.

Fragewiederholung auf Dari.

BF: Nein.

R auf Deutsch: Haben Sie Verwandte in der Europäischen Union?

BF auf Deutsch: Nein.

R auf Deutsch: Leben Sie in einer Lebensgemeinschaft, haben Sie eine Freundin?

BF auf Deutsch: Ich verstehe nicht.

Fragewiederholung auf Dari.

BF: Ich habe keine Freundin.

R auf Deutsch: Sind Sie verheiratet?

BF auf Deutsch: Nein.

R auf Deutsch: Haben Sie Kinder?

BF auf Deutsch: Nein.

R auf Deutsch: Sind Sie in Österreich gerichtlich vorbestraft?

BF auf Deutsch: Ich verstehe nicht.

Fragewiederholung auf Dari.

BF: Nein.

[...]

BFV: Ich ersuche an Stelle des Wortes "darüber hinaus" das Wort "sonst" anzuführen oder zu fragen. Man hätte ihn fragen sollen, ob er dieses Wort kennt. Ebenfalls an Stelle des Wortes "Freundeskreis" wäre es besser gewesen, nur den Begriff Freunde zu verwenden. Und Drittens an Stelle des Begriffes "unternehmen" das Wort "machen" zu verwenden.

Die Verhandlung wird nach einer Pause von 10.20 Uhr bis 10.35 Uhr fortgesetzt.

R: Was befürchten Sie, wenn Sie nach Afghanistan zurückkehren müssten?

BF: Mein Leben ist in Gefahr, ich werde getötet.

R: Können Sie das näher ausführen?

BF: Wenn ich zurückkehre, würden mit großer Wahrscheinlichkeit die Taliban zurückkehren und mich töten.

R: Woraus schließen Sie das?

BF: Aus dem einzigen Grund, weil ich dort zweimal bedroht wurde. Beim ersten Mal haben sie mir gesagt, ich solle mit ihnen zusammenarbeiten oder meine Familie und ich würden von ihnen getötet werden. Sie haben mir 8 Tage Zeit gegeben. Nach 8 Tagen sind sie wieder zu mir gekommen und haben mich geschlagen. Beim zweiten Mal haben sie mir wieder gesagt, dass ich mit ihnen zusammenarbeiten soll, oder meine Familie und ich würden von ihnen getötet werden. Nach diesem Vorfall war der Rat meines Vaters, dass ich den Ort verlassen soll. Beim zweiten Mal haben sie mir 10 Tage Zeit gegeben. Aber am 8. Tag hat mir mein Vater gesagt, dass ich weggehen muss. Dann musste ich wirklich den Ort verlassen. Mit Schwierigkeiten habe ich nur mein Leben gerettet. Dann bin ich in den Iran gegangen und war zwei Jahre dort. Ich habe in Karach gearbeitet, das ist ein Außenbezirk von Teheran. Am Ende des Jahres 1392, im 12. Monat, ist die Polizei ins Dorf gekommen und hat mich mitgenommen. Sie wollten mich wieder nach Afghanistan abschieben. Ich habe ihnen gesagt, ich würde dort getötet werden, wenn sie mich abschieben. Wir waren im dritten Stock vor dem Aufzug und sie haben mich gestoßen. Sie haben zu mir gesagt, dass ich im Iran sterben soll und nicht in Afghanistan. Meine Hand ist dort gebrochen und meine beiden Füße.

R: Wer hat Ihnen Hand und die Füße konkret gebrochen?

BF: Die iranische Polizei. Dann bin ich bewusstlos geworden. Als ich zu mir kam war ich im Krankenhaus. Dort gab es auch ein Problem, weil in der Zeit von 11 Uhr vormittags bis zum nächsten Tag 5 Uhr morgens hat man mich nicht aufgenommen, weil ich Afghane war. Ich habe keine Dokumente gehabt. Dann hat man mich in ein Krankenhaus gebracht. Dies war ein anderes Krankenhaus. Ich war eine Woche dort. Nach einer Woche bin ich entlassen worden.

R: Wurden Sie dort behandelt?

BF: Ja.

R: Wie ging es nach Ihrer Entlassung weiter?

BF: Ein Freund von mir hat als Wächter in einem Gebäude gearbeitet. Ich bin zu ihm gegangen. Ich war ca. ein Monat bei ihm. Da ich nach meinen Verletzungen keine schwere Arbeit leisten konnte, habe ich für mich einen Job als Nachtwächter gefunden. Ca. ein Jahr war ich als Wächter dort. Im Jahr 1394, im 3. Monat, bin ich vom Iran in die Türkei gereist.

R: Gab es dafür einen besonderen Anlass?

BF: Ja, es gab einen Grund. Wenn ich im Iran geblieben wäre, hätte ich nichts zum Leben.

R: Was meinen Sie damit?

BF: Ich meine damit, dass ich keinen Job hatte, keine Arbeit. Außerdem hätten sie mich nach Afghanistan abgeschoben, wenn sie mich erwischt hätten. Das hätte für mich den Tod bedeutet.

R: Sie haben gesagt, Sie wurden von den Taliban aufgesucht. Wann war das das erste Mal?

BF: Das war im Jahre XXXX , im 2. Monat. (Anmerkung D: etwa XXXX )

R: Wie hat sich dieser Vorfall genau abgespielt?

BF: Es war spät am Nachmittag. Ich wollte meine Schafe nach Hause bringen. In dieser Zeit sind sie zu mir gekommen und haben von mir verlangt, dass ich als Spion für sie arbeiten sollte.

R: Was heißt, dass Sie als Spion für die Taliban arbeiten sollten?

BF: Zum Beispiel hätte ich für die Taliban Staatsbeamte erkennen sollen und sagen, wo diese arbeiten.

R: Hätte das Personen in Ihrem Dorf betroffen?

BF: Natürlich, mein Dorf zuerst und dann die anderen umliegenden Dörfer auch.

R: Wie groß ist Ihr Dorf, aus wie vielen Häusern besteht es?

BF: Es sind ca. 300 Häuser. Wie groß das ist, kann ich nicht genau sagen.

R: Wie haben Sie reagiert, nachdem die Taliban zu Ihnen gesagt haben, dass Sie für sie als Spion arbeiten sollen?

BF: Ich habe Angst vor ihnen gehabt. Das war meine Reaktion.

R: Was haben Sie auf diese Forderung der Taliban geantwortet?

BF: Ich habe nicht sehr viel mit ihnen gesprochen. Ich habe ihnen gesagt: "BASCHE". (Anmerkung Dolmetsch: wenn man etwas vorschlägt und zu diesem BASCHE sagt, heißt dies "ich bin einverstanden").

R: Was haben die Taliban dann gemacht, als Sie gesagt haben, dass Sie einverstanden wären? Sind Sie den Taliban gefolgt?

BF: Nein, ich wollte das nicht. Ich habe das Wort BASCHE nur deshalb gesagt, weil ich Angst gehabt habe.

R: Wie haben die Taliban darauf reagiert, nachdem Sie gesagt haben, dass Sie einverstanden wären?

BF: Sie haben mir dann 8 Tage Zeit gegeben.

R: Wofür wurden Ihnen 8 Tage Zeit gegeben?

BF: Dass ich über alles nachdenke und zu ihnen komme. Wenn ich das nicht machen würde, würden sie zu mir kommen und mich töten.

R: Wo haben Sie sich in diesen 8 Tagen aufgehalten?

BF: Ich war in diesen 8 Tagen zu Hause und habe im Haushalt geholfen, manchmal habe ich auch als Hirte gearbeitet.

R: Haben Sie diesen ersten Vorfall jemandem erzählt?

BF: Nein, niemandem.

R: Warum haben Sie mit niemandem gesprochen?

BF: Ich habe Angst gehabt, habe wirklich Angst gehabt. Aus diesem Grund habe ich auch niemandem davon erzählt, weil ich nicht sicher war, was das Ergebnis wäre, wenn ich es erzählen würde.

R: Ist es in diesen 8 Tagen zu irgendwelchen Vorfällen gekommen?

BF: Nein, in diesen 8 Tagen ist nichts passiert.

R: Haben Sie die Drohungen der Taliban ernst genommen?

BF: Ja.

R: Wann kam es dann zum zweiten Vorfall mit den Taliban?

BF: Das war nach 8 Tagen, also am 9. Tag sind sie wieder zu mir gekommen.

R: Wo haben Sie sich beim zweiten Mal aufgehalten?

BF: Beim zweiten Mal war es in der Früh. Ich war mit meinen Schafen unterwegs, nachdem ich diese hinausgeführt habe. Es war wieder ziemlich in der Nähe der Schule.

R: Haben die Taliban ihre Drohung, wenn Sie nicht innerhalb dieser 8 Tage erscheinen würden, umgesetzt?

BF: Natürlich. Beim zweiten Mal haben sie mich richtig geschlagen. Mein Kopf und mein Gesicht waren voller Blut. Ich war ca. 20 Minuten bewusstlos. Dann, als ich zu mir kam, bin ich nach Hause gegangen. Zu Hause, als mein Vater mich so sah, war er der Meinung, dass ich weg müsse. Beim zweiten Mal haben sie mir 10 Tage Zeit gegeben, aber ich bin am 8. Tag bereits weg gewesen.

R: Wofür haben Ihnen die Taliban diese 10 Tage Zeit gegeben?

BF: Sie haben, genau wie beim ersten Mal, gesagt, ich müsse über alles nachdenken und zu ihnen gehen.

R: Was haben Sie in der Zeit gemacht, nachdem Ihnen die Taliban beim zweiten Mal wieder gedroht haben, bis zum Verlassen Ihres Heimatdorfes?

BF: In diesen 8 Tagen habe ich praktisch nichts gemacht, weil mein Vater der Meinung war, dass ich nicht mehr dort leben kann. Ich muss weg.

R: Wie hat die Drohung beim zweiten Mal genau gelautet?

BF: Sie haben zu mir gesagt, ich müsse mit ihnen zusammenarbeiten. Ich müsse die Staatsbeamten und die Leute, die mit den Amerikanern zusammenarbeiten würden, erkennen, beobachten und auskundschaften.

R: Was war die Drohung, wenn Sie das nicht machen würden und Sie nicht zu ihnen kommen würden?

BF: Das hätte für mich - ihrer (der Taliban) Aussage nach - und meine Familie den Tod bedeutet.

R: Warum haben Sie dann nach dieser zweiten Drohung die Taliban nicht aufgesucht?

BF: Ich konnte das niemals tun, weil ich einfach Angst vor ihnen gehabt habe.

R: Können Sie sich vorstellen, warum ausgerechnet Sie als Person in das Visier der Taliban gekommen sein sollen?

BF: Die anderen Jungs sind dort auch in Gefahr. Ich denke, ein Grund dafür war, da ich als Hirte gearbeitet habe, war ich vielleicht gut und geeignet für diese Leute gewesen.

R: Warum hätten Sie als Hirte für diese Leute gut und geeignet sein sollen?

BF: Ja, wahrscheinlich haben sie über mich nachgedacht, dass ich nicht viel gelernt habe und vielleicht sind meine Gedanken so ähnlich wie ihre Gedanken.

R: Was heißt "vielleicht sind meine Gedanken so ähnlich wie ihre Gedanken"?

BF: Da sie sehr schnell und leicht die Menschen töten, haben sie wahrscheinlich auch von mir geglaubt, dass ich so etwas tun könnte.

R: Haben Sie einen Anlass dafür gegeben, dass die Taliban denken könnten, dass Sie schnell und leicht Menschen töten?

BF: Nein, ich habe ihnen dafür keinen Grund gegeben, aber noch einmal: weil ich als Hirte gearbeitet habe, wäre ich ein leichtes Ziel für die Taliban gewesen, dass diese so etwas von mir denken.

R: Sind die Taliban, nachdem Sie Ihr Heimatdorf verlassen haben, noch einmal bei Ihnen zu Hause aufgetaucht?

BF: Ja. Sie haben meinen Vater über mich gefragt. Sie haben zu ihm gesagt, wo ich wäre. Mein Vater hat ihnen gesagt, er wisse nicht, wo ich mich aufhalten würde.

R: Wie haben die Taliban auf die Antwort Ihres Vaters reagiert?

BF: Mein Vater hat einfach gesagt, er wisse nicht, wo ich wäre.

R: Wie haben die Taliban auf die Antwort Ihres Vaters reagiert?

BF: Sie haben auch meinen Vater geschlagen und mein Vater hat sich wiederholt. Er wisse nicht, wo ich wäre.

R: Wie oft sind die Taliban, nach Ihrem Verlassen Ihres Dorfes, bei Ihnen zu Hause noch aufgetaucht?

BF: Nur einmal.

R: Wohin haben Sie sich begeben, nachdem Sie Ihr Heimatdorf verlassen haben. Können Sie die genaue Reiseroute angeben?

BF: Ich bin zuerst nach Ghazni gegangen. Danach nach Kabul und von dort nach Kandarhar. Von Kandarhar nach Nimroz. Dort bin ich von einer terroristischen Gruppe erwischt worden. Wir waren ca. 30 Leute in einem Toyota. Von diesen 30 Leuten haben sie nur mich mitgenommen und von dem Fahrzeug heruntergebracht. Sie haben mich mitgenommen. Dann haben sie mich gefragt, zu welcher ethnischen Gruppierung ich gehöre und welche Religion ich habe. Dann habe ich gelogen. Ich habe gesagt, ich sei Usbeke. Sie haben mich noch einmal geschlagen und mich gefragt, warum ich in den Iran gehe. Ich habe geantwortet, ich denke, Iran wäre ein sicherer Staat, deshalb würde ich dort hingehen. Sie haben nachgefragt: "wenn ich Sunnite sei, müsste ich auch einige religiöse Fragen beantworten können". Sie haben mich gefragt, wie viel Mal ich am Tag bete. Ich habe ihnen gesagt, dass ich fünfmal am Tag beten würde.

R: Sie haben gesagt, Sie sind auf dem Weg von Ihrem Heimatdorf nach Ghazni gefahren. Können Sie angeben, über welche Städte bzw. Dörfer Sie gefahren sind?

BF: Von XXXX bin ich nach XXXX gefahren, von dort nach XXXX , dann in den Bezirk XXXX , von dort nach XXXX . Anschließend nach XXXX und dann nach Ghazni.

R: Wissen Sie, welcher Gruppierung diese terroristische Einheit, die Sie auf Ihrer Flucht aufgegriffen hat, geheißen hat?

BF: Nein, weiß ich nicht.

R: Wissen Sie, welcher Gruppierung diese terroristische Einheit angehört hat?

BF: Nein, das weiß ich auch nicht.

R: Beim BFA haben Sie diese Gruppierung als die Taliban bezeichnet.

BF: Ja, das habe ich gesagt. Sie haben einen Tag eine schwarze Fahne gehabt und am nächsten Tag eine weiße Fahne. Deshalb kann ich nicht genau sagen, zu wem sie gehören.

R: Wieso sind Sie in der NS vor dem BFA in diesem Zusammenhang auf die Taliban gekommen?

BF: Als ich zum ersten Mal von ihnen erwischt wurde, haben sie weiße Fahnen getragen. In diesem Moment waren sie für mich Taliban.

R: Wann hat die von Ihnen nicht zuordenbare Gruppierung die weiße Fahne getragen?

BF: Als sie mich aus dem Auto runtergebracht haben. Ich habe die weiße Fahne vor ihrem Auto gesehen. Deshalb habe ich gedacht, es wären Taliban.

R: Wie lange wurden Sie von dieser terroristischen Gruppierung angehalten?

BF: Einen Tag.

R: Warum hat man Sie dann freigelassen?

BF: Weil sie mir wirklich geglaubt haben, dass ich ein Sunnite wäre. Ich habe auch mit gebundenen Händen fünfmal am Tag gebetet.

R: Wie sind Sie denn auf diese Idee gekommen, sich als Sunnite auszugeben?

BF: Ich musste das. Wenn ich gesagt hätte, dass ich Hazara und Schiite wäre, hätten sie mich sicher getötet.

R: Beim BFA haben Sie in diesem Zusammenhang gesagt, dass Sie der Fahrer in dem Auto, in dem Sie gesessen seien, auf die Idee gebracht hätte, zu sagen, dass Sie eben nicht Hazara und Schiite sind.

BF: Es war der nächste Tag, dass der Chauffeur zu mir gesagt hat, dass ich überall sagen soll, dass ich Sunnite und Usbeke sei. Das war nachdem die Gruppierung mich freigelassen hat.

R: Wohin haben Sie sich dann begeben, nachdem Sie freigelassen worden sind?

BF: Zuerst bin ich zu diesem Chauffeur gegangen. Er hat mich zu einem anderen Auto gebracht und dann hat er seine Meinung kundgetan, dass ich, wenn ich unterwegs bin, nicht sagen soll, dass ich Hazara und Schiite bin. Ich sollte sagen, ich sei Usbeke und Sunnite. Der Chauffeur hat diese Meinung im Jahr XXXX im 2. Monat kundgetan.

R: Wohin haben Sie sich danach begeben, nachdem Sie zu diesem Auto gebracht worden sind?

BF: Dann sind wir in den Iran weitergefahren.

R: Wie lange haben Sie sich in Kabul aufgehalten?

BF: Ich war überhaupt nicht in Kabul.

R: Ist Ihre Reise nicht durch Kabul gegangen?

BF: Ja, unterwegs war ich schon, aber ich habe mich dort nicht aufgehalten.

R an BFV: Haben Sie eine Frage an den BF?

BFV: Nein, zu diesem Thema nicht.

Pause von 11.40 Uhr bis 12.17 Uhr.

Hinsichtlich des Vorbringens, dass der BF auf Grund der erlittenen Knochenbrüche durch die Misshandlung der iranischen Polizei keine Schwerarbeit mehr verrichten könnte, wird mit dem BFV besprochen, dass auf Grund der Konstitution des BF davon auszugehen ist, dass dieser eine solche Arbeit durchführen könnte. Dies wird vom BFV nicht in Abrede gestellt und auf ein dementsprechendes medizinisches Gutachten verzichtet.

R: Hat es, außer den von Ihnen heute geschilderten Vorfällen mit den Taliban bzw. Vereinigung, die Sie nicht genau zuordnen konnten, darüber hinaus Übergriffe auf Ihre Person gegeben?

BF: Nein.

R: Beim BFA haben Sie am XXXX auf die Frage: "Wurden Sie jemals in irgendeiner Weise persönlich auf Grund Ihrer Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit bedroht?", geantwortet: "Ja, das schon. Wir wurden ohne Grund geschlagen, von den Taliban und den Daish." Von den Daish haben Sie heute nichts erwähnt.

BF: Was in Nimroz passiert ist, habe ich die Daish gemeint. Nach meiner Meinung nach gibt es zwischen den Daish und den Taliban keinen Unterschied.

R: Wieso sind Sie darauf gekommen, dass es die Daish gewesen wären?

BF: Als sie mich am ersten Tag vom Auto runtergebracht haben, trugen sie weiße Fahnen. Am Tag danach trugen sie schwarze Fahnen. Aus dieser schwarzen Fahne schließe ich, dass es Daish gewesen sind.

R: Haben die Daish ein gewisses Erkennungszeichen?

BF: Sie haben sicher eine schwarze Fahne. An dem Haus, zu dem sie mich gebracht haben, war auch eine schwarze Fahne angebracht.

R: War diese schwarze Fahne komplett schwarz?

BF: Es war eine schwarze Fahne und darauf war der Satz "Es gibt keinen Gott, außer den einzigen Gott, den Allah".

R: Ist das das Erkennungszeichen der Daish?

BF: Ja, eine schwarze Fahne mit diesem Satz ist das Erkennungszeichen der Daish. Sogar im Fernsehen habe ich das gesehen.

R: Können Sie mir noch einmal das genaue Datum angeben, wann Sie aus Afghanistan ausgereist sind?

BF: Es war im XXXX .

R: Wie lange waren Sie dann innerhalb von Afghanistan unterwegs, nachdem Sie Ihr Heimatdorf verlassen haben?

BF: Bis Teheran war ich insgesamt 18 Tage unterwegs.

R: Wie lange waren Sie von Ihrem Heimatdorf bis zu Ihrer Ausreise noch in Afghanistan unterwegs?

BF: Drei Tage.

R: Sie haben heute auf die Frage, wie die unmittelbar angrenzenden Dörfer Ihres Heimatdorfes heißen würden, mehrere Dorfnamen genannt. Sie haben auch gesagt, dass diese Dörfer höchstens eine halbe Stunde voneinander entfernt sind. Was haben Sie damit gemeint?

BF: z.B. Von XXXX bis zum XXXX brauchen wir eine halbe Stunde.

R: Grenzen die von Ihnen heute genannten Dörfer direkt an Ihr Heimatdorf an?

BF: Ja, sie sind alle miteinander verbunden, außer XXXX , das ist ein bisschen weiter entfernt.

R: Sie haben auch heute gesagt, dass Sie sich nicht als Hazara dieser Gruppierung gegenüber zu erkennen gegeben haben. Haben diese "Agressoren" an Hand Ihres Aussehens bzw. Ihrer Aussprache nicht den Verdacht geschöpft, dass Sie aus der von Ihnen genannten Heimatregion kommen könnten?

BF: Nein. Sie haben das nicht gesagt. Sie haben einige Fragen gestellt. Als ich die Fragen richtig beantwortet habe, haben sie mir geglaubt, dass ich ein Usbeke sei. Es gibt Usbeken, die ähnlich wie ich aussehen.

R: Und auf Grund Ihrer Aussprache bzw. Dialektes?

BF: Nein, weil ich habe ein klares Dari gesprochen.

R: Welche Tätigkeit übt Ihr Onkel väterlicherseits aus?

BF: Er ist auch Bauer.

R: Wie weit ist Ihr Onkel väterlicherseits von Ihrem Elternhaus entfernt?

BF: Ca. 15 Minuten zu Fuß.

R: Hat Ihr Onkel Kinder?

BF: Nein.

R: Ist Ihr Onkel verheiratet?

BF: Ja, er ist verheiratet, hat aber keine Kinder.

R: Warum hat er keine Kinder?

BF: Ich weiß es nicht. Er ist seit 15 oder 20 Jahren verheiratet.

Dem SV wird ein Gutachtenauftrag hinsichtlich des heutigen Vorbringens des BF erteilt. Dies mit Einverständnis des BFV bzw. BF. Ergänzende ausführende Fragen werden dem SV vom RI noch mitgeteilt.

[...]

I.9. Aus dem Sachverständigengutachten vom XXXX geht hervor, dass nach den Recherchen des Sachverständigen Dr. Rasuly die Familie des BF tatsächlich aus dem Dorf XXXX in XXXX stamme. Sein Onkel mütterlicherseits lebe entgegen der Angaben des BF nicht in Pakistan, sondern in diesem Dorf. Über den Onkel väterlicherseits hätten keine Informationen gefunden werden können. Die Familie des BF sei vor mehr als 15 Jahren aus dem Dorf weggezogen, als die Taliban die Hazara-Gebiete während ihrer Herrschaft vor 2001 eingenommen hätten. Der Vater befinde sich seither mit der Familie in Kabul, komme aber regelmäßig in das Dorf zurück. Er habe seinerzeit von der Viezucht und der Landwirtschaft gelebt, sei jedoch nicht reich gewesen, sondern habe seine Familie lediglich davon ernähren können. Welcher Tätigkeit er in Kabul nachgehe, habe nicht in Erfahrung gebracht werden können. Die Schilderungen des BF, wonach die Volksschule in das Lyzeum eingegliedert sei, entspreche den Erfahrungen des Sachverständigen.

Hinsichtlich des Fluchtvorbringens wurde im Gutachten ausgeführt, die Angaben des BF, wonach er von den Taliban aufgefordert worden sei, mit ihnen zusammenzuarbeiten, sei nicht authentisch. Das Zentrum XXXX sowie das Dorf, aus welchem der BF stammt, würden von der Regierung und der Lokalpolizei, bestehend aus Hazara-Kämpfern kontrolliert. Die Kontrolle reiche bis zu fünf Kilometer über das Zentrum des Distriktes hinaus. Die angrenzende Provinz stehe unter dem Einfluss der Taliban. Aus dieser Proivnz würden Taliban in die Randgebiete von XXXX sickern und die Bevölkerung terrorisieren. Allerdings seien die meisten dieser "Taliban"-Hazara Personen, die mit den Taliban zusammenarbeiten und sich dafür rächen, dass die Hezb-e Wahdat sie nicht in die Reihen der Behörde aufgenommen bzw. keinen Platz in der Regierung gefunden habe. Seit 2013 sei auch die Gruppe von Daesh in den Randgebieten von XXXX entstanden.

Das Fluchtvorbringen des BF sei nicht authentisch, da die Taliban einer Person etwas befehlen und sie beim nächsten Mal mitnehmen würden. Leiste eine Person Widerstand, so würden sie diese sofort töten. Im Fall der Flucht der Zielperosn würden sie den Bruder als Ersatz für sie mitnehmen und für ihren Zweck einsetzen. Der Bruder und der Vater der geflüchteten Person müssten für die Tat, nämlich die Flucht, büßen und sohin bestraft werden.

Zu den Fragen des Bundesverwaltungsgerichts wurde weiter ausgeführt, Schiiten könnten außerhalb ihrer Moscheen und Häuser in der Öffentlichkeit beten, dies auch in den mehrheitlich von den Sunniten bewohnten Regionen, beispielsweise in Kabul. In der afghanischen Verfassung sei neben der sunnitischen Rechtsprechung die schiitische Rechtsprechung als Quelle aufgenommen worden. Die Hazara würden nicht als Gruppe verfolgt werden, sondern seien überproportional an der staatlichen Macht beteiligt. Es sei nicht ausgeschlossen, dass Hazara-Reisende zwischen den Provinzen von Taliban und entführt und getötet würden, jedoch würde diese Vorgehensweise auch andere Volksgruppen, wie Usbeken, Tadschiken und Paschtunen, betreffen.

I.10. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurden dem BF das Gutachten sowie Berichte zur allgemeinen Situation in Afghanistan zur Stellungnahme binnen 14 Tagen übermittelt.

I.11. Mit Stellungnahme vom XXXX brachte der BF im Wege seiner Vertretung unter Verweis auf verschiedene Berichte vor, im Sachverständigengutachten von Juli 2017 sei nicht berücksichtigt worden, dass Schiiten zahlreichen gezielten Angriffen, beispielsweise beim Feiern öffentlicher Feste, ausgesetzt seien. Zur Situation der Hazara wurde auf verschiedene ACCORD-Anfragebeantwortungen verwiesen und ausgeführt, dass die Einschätzung, wonach Hazara nur "gelegentlich" Entführungen und Ermordungen ausgesetzt wären, der gegenwärtigen Berichtslage widerspreche. Aus den Berichten ergebe sich, dass Hazara nicht nur in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, sondern zunehmend in hohem Ausmaß lebensbedrohlicher Gewalt ausgesetzt seien. In der Folge wurde zur allgemeinen Sicherheitslage in Kabul sowie zur Situation von schiitischen Hazara in Kabul Stellung bezogen. Weiters wurde darauf hingewiesen, dass nach den Ausführungen von UNHCR ein starkes soziales Netzwerk im vorgeschlagenen Gebiet bei einer Neuansiedlung in Afghanistan vorhanden sein müsse, damit eine Neuansiedlung zumutbar sei. Der BF verfüge jedoch weder über familiäre noch über soziale Anknüpfungspunkte. Zusätzlich werde seine Rückkehr durch seinen Aufenthalt in Europa und im Iran belastet. Hinsichtlich der Situation von Rückkehrenden wurde auf die ACCORD-Anfragebeantwortung vom 12.06.2015 verwiesen. Die Ausführungen zur Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rückkehrunterstützung würden zudem durch ein Gutachten von Dr. Mahringer widerleget werden, aus welchem hervorgehe, dass es für Rückkehrende aus Europa weder Beratung und Betreuung noch finanzielle Unterstützung gebe. Ergänzend wurde ein Beitrag von Friederike Stahlmann im Asylmagazin 2017 auszugsweise wiedergegeben, welcher sich mit der prekären Situation von Rückkehrenden auseinandersetzt. In der Folge wurde darauf hingewiesen, dass nach den UNHCR-Richtlinien zu prüfen sei, ob ein Unterstützungsnetzwerk tatsächlich willens und in der Lage sei, Antragsteller zu unterstütezn. Mitglieder der eigenen ethnischen Gruppierung würden nur dann Unterstützung leisten, wenn bereits in der Vergangenheit soziale Beziehungen zwischen dem Antragsteller und einzelnen Mitgliedern bestanden hätten. Hingewiesen wurde ferner darauf, dass Binnenvertriebene zur schutzbedürftigsten Gruppe in Afghanistan zählen würden und in urbanen Gebieten zusätzlich einen erhöhten Bedarf an Schutz hätten, da sie in besonderem Maß von Arbeitslosigkeit, beschränktem Zugang zu Wasser und sanitären Anlagen sowie von Lebensmittelunsicherheit betroffen wären. Unterkünfte seien für sie nur beschränkt verfügbar. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe für den BF in Afghanistan daher nicht.

Hinsichtlich der Ausführungen im Sachverständigengutachten vom XXXX zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates des BF wurde festgehalten, das Gutachten lasse leider den Rückschluss zu, dass die Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens erschüttert bleibe. Hinsichtlich Spruchpunkt II. werde angeregt, die Situation von schiitischen Hazara sowie die prekäre Rückkehrsituation in die Erwägungen miteinzubeziehen.

I.12.Mit Schriftsatz vom XXXX brachte der BF im Wege seiner Vertretung ein Zertifikat über die Teilnahme an einem Deutschkurs B1 in Vorlage.

I.13. Mit Stellungnahme vom XXXX brachte der BF im Wege seiner Vertretung unter Verweis auf das Länderinformationsblatt Afghanistan vom 29.06.2018, den EASO-Bericht von Juni 2018 sowie die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 vor, dass das Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung die aktuelle Berichtslage zu berücksichtigen habe. Neben den genannten Berichten seien die ACCORD-Anfragebeantwortung zu den Folgen der Dürre sowie der ACCORD-Lagebericht von Dezember 2018 zu berücksichtigen. Aus letzterrem sei ersichtlich, dass sich Afghanistan in einer humanitären Notlage befinde. Aufgrund der ausufernden Krise würden keine hinreichenden Organisationsstrukturen und Hilfsmittel zur Verfügung stehen, um aus dieser Notlage herauszukommen. Es sei daher illusorisch, dass Rückkehrende und Binnenvertriebene in Afghanistan Unterstützung erhalten würden. Folglich sei auch nach der Ansicht von UNHCR eine Neuansiedlung in Kabul nicht zumutbar. Aus den weiteren Berichtsquellen gehe zudem hervor, dass eine Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Herat ebenso wenig zumutbar sei. In der Folge wurde das Länderinformationsblatt Afghanistan Stand 23.11.2018 auszugsweise zitiert und ergänzend festgehalten, dass aus diesen Ausführungen die signifikante Verschlechterung der Lage erischtlich sei. Rückkehrende seien ebenso wie Binnenvertriebene auf humanitäre Hilfe angewiesen. Auch aus dem EASO Bericht von Juni 2018 gehe hervor, dass der anhaltende Zustrom von Binnenvertriebenen und Rückkehrern aus dem Ausland in urbane Zentren äußerst prekäre Lebensbedingungen zur Folge habe. Die Folge für diese Menschen sei, dass sie in Slums unter menschenunwürdigen Bedingungen leben würden. Urbane Armut sei weit verbreitet, wodurch destruktive Mechanismen, wie Kriminalität, Kinderarbeit und Betteln, gefördert würden. Den UNHCR-Richtlinien sei zu entnehmen, dass sich der innerstaatliche Konflikt ausbreite, Menschenrechtsverletzungen notorisch begangen werden und der afghanische Staat nicht schutzfähig sei. Infolge der generellen Verschlechterung könne die Bevölkerung von humanitärer Hilfe nicht erreicht werden. Eine Wiederansiedlung sei mit großen Schwierigkeiten verbunden, da Grundbedürfnisse nicht gedeckt werden könnten und aufgrund der Arbeitslosigkeit hoher Konkurrenzdruck herrsche. Hinsichtlich der Situation in Mazar-e Sharif und Herat wurde erneut auf die ACCORD-Anfragebeantwortung "Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010 - 2018" vom 07.12.2018 verwiesen und auszugsweise wiedergegeben. Zur Situation von Rückkehrenden wurde ergänzend Auszüge aus dem Gutachten von Friederike Stahlmann von März 2018 wiedergegeben. Zur Lebensmittelverfügbarkeit in der Stadt Herat wurde ausgeführt, dass aufgrund der Dürre 60.000 Personen vertrieben worden und aufgrund der Kombination aus Dürre und Konflikt mittellos seien. Sowohl die Familien, die seit ihrer Anknunft in Herat-Stadt Bargeld für Lebensmittel erhalten hätten, als auch jene, die ein bis zwei Nahrungsmittelrationen bekommen hätten, hätten berichtet, dass ihnen die Lebensmittel ausgegangen seien und sie sich von Brot und Tee ernähren würden, da sie nicht in der Lage seien, Obst, Gemüse oder Fleisch zu kaufen. Auch in der Stadt Mazar-e Sharif sei die Ernährungssicherheit schlecht und sei die gesamte Provinz Balkh nach der IPC-Klassifizierung mit Stufe 3 ("krisenhaft") bewertet worden. Binnenvertriebene würden zwar eine Art Soforthilfe zur Sicherung der Ernährung erhalten, diese funktioniere jedoch nicht, da es oft Wochen oder Monate dauere, bis überhaupt eine Hilfeleistung erfolge. Ernährungssicherheitsprogramme für längerfristig Vertriebene gebe es nicht. Aufgrund des immensen Zuzugs in den genannten Städten würden zudem dauerhaft Slums entstehen und würde in Unterkünften von Vertriebenen große Not herrschen. Unter Verweis auf einen UNHCR-Bericht vom 26.11.2018 wurde ferner ausgeführt, Personen, die aus Europa abgeschoben würden, seien in Mazar-e Sharif en bevorzugtes Verfolgungsziel von regierungsfeindlichen Netzwerken. Die in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif dokumentierten prekären Verhältnisse würden sich in höchstem Ausmaß auf die hygienischen Zustände auswirken und eine erhöhte Gefahr der Ausbreitung von Krankheiten bewirken. Es gebe nicht ausreichend Wasser, Nahrung oder etwa Geld für medizinsiche Behandlungen. Sowohl in Herat als auch in Mazar-e Sharif gebe es einen Mangel an adäquaten Möglichkeiten der Beschäftigung. Generell sei der Arbeitsplatz in einem sehr unzuverlässgen Zustand. Nach einer E-Mail Auskunft von Friederike Stahlmann vom 27.11.2018 verschärfe sich die Lage der Stadtbevölkerung dadurch, dass es ohne Chance auf subsistenzbasiertes Überleben durch Land- und Viehwirtschaft sowie angesichts des immensen Mangels an existenzsichernder Arbeit vor Ort bei einem Verlust der Existenzgrundlage kaum andere Wege der Nahrungsmittelsicherung als missbräuchliche oder strafbare geben würde.

Abschließend wurde auf die Integrationsbemühungen des BF hingewiesen und wurden folgende Unterlagen (in Kopie) in Vorlage gebracht:

- Bestätigung über Teilnahme an XXXX vom XXXX ;

- Anmeldebestätigung für einen Brückenkurs im Rahmen des Bildungsprojekts " XXXX ";

- Bestätigung über Teilnahme am Kurs "Hilfe im Notfall" des Roten Kreuzes;

- Bestätigung über die Teilnahme an einem Sprachencafé vom XXXX ;

- Zertifikat über Teilnahme an Deutschkurs A2 vom XXXX;

- Freiwilligen-Ausweis des BF ( XXXX Hilfswerk).

I.14. Mit Schriftsatz vom XXXX brachte der BF im Wege seiner Vertretung folgende Unterlagen (in Kopie) in Vorlage:

- Kursabschlussbestätigung "Bildungsprojekt XXXX " vom XXXX samt Empfehlungsschreiben;

- Teilnahmebestätigung Kurs "Einführung in die Menschenrechte" vom XXXX ;

- Teilnahembestätigung Kurs "first love" der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung vom XXXX ;

- ÖSD Zertifikat B1 vom XXXX .

I.15. Mit Ladung vom XXXX wurden dem BF das Länderinformationsblatt Afghanistan mit letzter Kurzinformation vom 04.06.2019 zur Stellung binnen 14 Tagen übermittelt.

I.16. Mit Schriftsatz vom XXXX brachte der BF eine ergänzende Stellungnahme zur allgemeinen Situation in Afghanistan ein. Im Wesentlichen wurde darauf hingeiwesen, dass das aktuelle Länderinformationsblatt keine Verbesserung der bereits dargestellten Situation aufzeige. Der Dürre seien im Frühjahr 2019 nunmehr Überflutungen gefolgt, durch welche in Kabul und Herat tausende Häuser sowie die Lebensgrundlage zahlreicher Familien zerstört worden seien. Folglich sei eine weitere Verschärfung der humanitären Krise eingetreten. Hinsichtlich der Situation in den Städten Herat und Mazar-e Sharif wurde insbesondere auf eine Anfragebeantwortung der Staat

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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