TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/26 W137 2227065-4

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Veröffentlicht am 26.05.2020
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Entscheidungsdatum

26.05.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W137 2227065-4/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Peter Hammer als Einzelrichter im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl 751554909-190550754, über die weitere Anhaltung von XXXX , geb. XXXX , Russische Föderation, in Schubhaft zu Recht erkannt:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge als BF bezeichnet), ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste im Jahr 2005 mit seinen Eltern in das Bundesgebiet ein. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.01.2018, Zahl 751554909-171314396, wurde dem Beschwerdeführer der 2009 verliehene Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt und mit einer Rückkehrentscheidung in den Herkunftsstaat verbunden. Eine dagegen eingebrachte Beschwerde hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 04.05.2018, Zahl: W215 2189017-1/4E, als verspätet zurückgewiesen.

2. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14.02.2018 wurde der (bereits vorbestrafte) Beschwerdeführer gemäß §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 1. Fall StGB, §§ 15, 83 Abs. 1 StGB sowie § 50 Abs. 1 Z 3 WaffG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von achtzehn Monaten rechtskräftig verurteilt. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Neunkirchen vom 02.05.2018 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 50 Abs. 1 Z 3 WaffG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Wochen rechtskräftig verurteilt.

3. Mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesamtes vom 07.03.2018 wurde gemäß § 94 Abs. 5 iVm § 93 Abs. 1 Z 1 FPG dem Beschwerdeführer sein Konventionsreisepass entzogen und ihm aufgetragen, das Dokument gemäß § 93 Abs. 2 FPG unverzüglich dem Bundesamt vorzulegen. Am 10.09.2018 wurde dem Beschwerdeführer während seiner Anhaltung in Strafhaft der Konventionsreisepass abgenommen.

4. Während sich der Beschwerdeführer in Strafhaft befunden hat, wurde vom Bundesamt bei der Vertretungsbehörde der Russischen Föderation ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer eingeleitet. Zu diesem Zweck wurde der Beschwerdeführer am 14.11.2018 während seiner Anhaltung in Strafhaft vom Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer verweigerte jedoch die Beantwortung der an ihn gestellten Fragen, sodass die Einvernahme ergebnislos abgebrochen werden musste.

5. Am 03.06.2019 kehrte der Beschwerdeführer von einem bewilligten Ausgang nicht mehr in die Justizanstalt Krems zurück und wurde daraufhin zur Fahndung ausgeschrieben. Nach seiner erneuten Festnahme hat sich der Beschwerdeführer bis 06.12.2019 in Strafhaft befunden.

6. Am 11.11.2019 richtete das Bundesamt im Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates ein Schreiben an die Vertretungsbehörde der Russischen Föderation zwecks Vorführung des Beschwerdeführers zur Identitätsfeststellung.

7. Mit Bescheid vom 26.11.2019 ordnete das Bundesamt gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG über den Beschwerdeführer die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung an. Dieser Bescheid wurde nach der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft am 06.12.2019 in Vollzug gesetzt und der Beschwerdeführer wird seither in Schubhaft angehalten. Die vom Beschwerdeführer gegen den Schubhaftbescheid vom 26.11.2019 erhobene Beschwerde wurde mit mündlich verkündetem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.01.2020, GZ W112 2227065-1/12Z, als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Begründend wurde dabei insbesondere auf das Entziehen aus der Strafhaft (im Zuge eines Ausganges) und das besondere Interesse des Staates an der Sicherstellung einer Überstellung verwiesen.

8. Das Bundesamt führte am 27.12.2019, 22.01.2020 und am 21.02.2020 Schubhaftprüfungen gemäß § 80 Abs. 6 FPG durch.

9. Am 26.03.2020 legte das Bundesamt den Verwaltungsakt gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft dem Bundesverwaltungsgericht vor. Mit Erkenntnis vom 31.03.2020, W115 2227065-2/6E, hat das Bundesverwaltungsgericht erkannt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Begründend wurde insbesondere auf die fehlende Kooperationsbereitschaft sowie die fehlende Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers verwiesen. Von der Erlangung eines Heimreisezertifikats (HRZ) und der Überstellung im Rahmen der zulässigen Anhaltedauer in Schubhaft sei auszugehen.

10. Am 27.04.2020 legte das Bundesamt den Verwaltungsakt gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG neuerlich zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft dem Bundesverwaltungsgericht vor. Mit Erkenntnis vom 28.04.2020, W140 2227065-3/2E, hat das Bundesverwaltungsgericht erkannt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Am entscheidungsrelevanten Sachverhalt habe sich nichts geändert; die Haftfähigkeit sei durch ein amtsärztliches Schreiben vom 28.04.2020 ausdrücklich bestätigt.

11. Das Bundesamt hat am 20.05.2020 erneut die Akten zur amtswegigen Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgelegt und in einer ausführlichen Stellungnahme insbesondere auf das Vorverhalten des Beschwerdeführers und die fehlende Kooperationswilligkeit (auch seiner Familienangehörigen) verwiesen. Zwischenzeitlich sei aber der Vater des Beschwerdeführers von den russischen Behörden identifiziert worden. Zudem habe man bei der Botschaft urgiert. Der Beschwerdeführer sei wegen einer Lungenentzündung am 15.05.2020 kurzfristig stationär in einem Wiener Spital aufgenommen worden und erhalte Antibiotika. Die Haftfähigkeit sei weiterhin gegeben.

12. Am 25.05.2020 übermittelte der Beschwerdeführer - unter Übermittlung einer weiteren Vertretungsvollmacht - eine Stellungnahme zur amtswegigen Verhältnismäßigkeitsprüfung. In dieser wird im Wesentlichen ausgeführt, dass aufgrund der seit 2019 bekannten Probleme bei der Ausstellung eines HRZ grundlegende Zweifel bestehen würden, ob überhaupt die Möglichkeit einer Abschiebung besteht. Darüber hinaus bestehe die Möglichkeit einer Meldeverpflichtung, zumal eine Unterkunftsmöglichkeit und finanzielle Unterstützung seitens der Familie in Österreich gegeben wären. In die Verhältnismäßigkeitsprüfung sei auch der gesundheitliche Zustand des Beschwerdeführers einzubeziehen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt er nicht. Der BF ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter. Es besteht gegen den BF eine rechtskräftige aufenthaltsbeendende Maßnahme, die mit einem auf 10 Jahre befristeten Einreiseverbot verbunden ist. Seit der Entlassung aus der jüngsten Strafhaft am 06.12.2019 befindet sich der Beschwerdeführer in Schubhaft.

1.2. Der Beschwerdeführer wurde in Österreich seit 2013 sechsmal - vorrangig wegen Gewalt- und Vermögensdelikten - zu weitestgehend unbedingten Freiheitsstrafen von knapp 70 Monaten, umgerechnet fast 6 Jahren verurteilt. Er wurde in dieser Zeit - bis zum Vollzug der Schubhaft - auch praktisch durchgehend in Justizanstalten angehalten. Einen genehmigten Freigang nutzte er, um sich der Anhaltung zu entziehen.

1.3. Der Beschwerdeführer ist im Zusammenhang mit der Organisation seiner Abschiebung in keiner Form kooperativ und in besonderem Maße nicht vertrauenswürdig. Mit der Ausstellung eines Heimreisezertifikats und der Abschiebung ist jedenfalls im Verlauf der rechtlich zulässigen Anhaltedauer zu rechnen.

Der BF achtet die österreichische Rechtsordnung insgesamt nicht. Bei einer Entlassung aus der Schubhaft wird er untertauchen und sich vor den Behörden verborgen halten um sich einer Abschiebung zu entziehen.

1.4. In Österreich leben die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers. Er ging jedenfalls in den letzten sechs Jahren keiner legalen Beschäftigung (außerhalb der Strukturen der Justizanstalten) nach. Er konnte seit 2014 soziale Kontakte außerhalb der Justizanstalten nur in sehr reduziertem Maße pflegen. Der Beschwerdeführer verfügt über einen gesicherten Wohnsitz im Bundesgebiet.

1.5. Der Beschwerdeführer leidet gegenwärtig an einer Pilzpneumonie (Lungenentzündung); ein Zusammenhang mit CoVid-19 besteht nicht. Er wurde am 19.05.2020 in gutem Allgemeinzustand aus dem Krankenhaus entlassen und erhält Antibiotika. Darüber hinaus ist er grundsätzlich gesund und jedenfalls haftfähig. Der Beschwerdeführer hat in der Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikats innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer ist realistisch möglich. Diese verzögert sich vorrangig, da der BF nicht mit den Behörden zusammenarbeitet. Nach Ausstellung eines Heimreisezertifikats kann eine zeitnahe Abschiebung des BF erfolgen.

Eine Änderung der entscheidungswesentlichen Umstände für die Aufrechterhaltung der Schubhaft seit 03.01.2020 hat sich im Verfahren nicht ergeben.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen ergeben sich aus der Aktenlage im gegenständlichen Verfahren sowie den Gerichts- und Verwaltungsakten zu seinen Asylverfahren und den bisherigen Schubhaftprüfungen (insbesondere BVwG-GZ 2189017-1, 2227065-1 und 2227065-2). Dies gilt insbesondere für die abgeschlossenen asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren des Beschwerdeführers, deren Status unstrittig ist. Die jüngste (mit einem Einreiseverbot verbundene) Rückkehrentscheidung wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.05.2018, Zahl: W215 2189017-1/4E, rechtskräftig. Diese Entscheidung wurde vor den Höchstgerichten nicht in Beschwerde/Revision gezogen.

Die Feststellungen bezüglich der Anhaltungen ergeben sich aus der Aktenlage, insbesondere aus einer rezenten ZMR-Abfrage. Die aufrechte Hauptwohnsitzmeldung im familiären Umfeld ändert nichts an der faktischen (fast durchgehenden) Anhaltung in Strafhaft.

2.2. Aus der Einsichtnahme in das Strafregister ergeben sich die strafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers, die im Übrigen auch nicht bestritten werden. Unstrittig ist auch, dass sich der Beschwerdeführer bei einem Freigang im Rahmen der Strafhaft dieser entzogen hat um eine Abschiebung in die Russische Föderation zu verhindern. Dies hat er in der mündlichen Beschwerdeverhandlung im Schubhaftverfahren zu W112 2227065-1 ausdrücklich zu Protokoll gegeben.

2.3. Dass der Beschwerdeführer nicht bereit ist, freiwillig in den Herkunftsstaat zurückzukehren oder am Verfahren zu seiner Außerlandesbringung mitzuwirken, hat er selbst angegeben; dies ergibt sich auch aus der Aktenlage. Die in besonderem Maß fehlende Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich aus seiner Straffälligkeit, der faktischen Flucht aus der Strafhaft (im Zuge eines Freigangs) und dem Verhalten in den bisherigen Verfahren.

Seit Anordnung der Schubhaft (und dem Schubhaftbeschwerdeverfahren 2227065-1) hat sich der Vater des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit seiner eigenen Rückkehr in die Russische Föderation kooperativ gezeigt. Dadurch - insbesondere die schriftliche Bestätigung seiner Vaterschaft am 06.02.2020 - hat sich die Wahrscheinlichkeit einer HRZ-Ausstellung für den Beschwerdeführer weiter erhöht. Die Gesamtdauer dieses Vorganges hängt aber wesentlich von der Kooperationsbereitschaft des Beschwerdeführers im Verfahren ab.

Die grundlegende Missachtung der österreichischen Rechtsordnung durch den Beschwerdeführer ergibt sich aus seinem Verhalten seit 2013. Der Beschwerdeführer hat schon kurz nach Erreichen der Strafmündigkeit derart schwere Straftaten aneinandergereiht, dass er sich ab dem 16. Lebensjahr fast durchgehend in Strafhaft befunden hat - darunter aufgrund unbedingter Freiheitsstrafen von 18 Monaten 2014 und 21 Monaten 2015; jeweils unter Anwendung des reduzierten Strafrahmens im Jugendstrafrecht. Angesichts dieses Vorverhaltens und der vorübergehenden Flucht aus der Strafhaft im Juni 2019 - ausdrücklich zum Zwecke der Verhinderung einer Straftat - sowie der weiterhin demonstrierten Kooperationsunwilligkeit besteht keinerlei Zweifel, dass sich der Beschwerdeführer im Falle einer Entlassung aus der Schubhaft dem behördlichen Zugriff umgehend (erneut) entziehen würde.

2.4. Die Feststellungen zum gesicherten Wohnsitz und den familiären Anknüpfungspunkten im Bundesgebiet ergeben sich aus der Aktenlage und werden auch von Bundesamt nicht bestritten. Die Feststellungen zur fehlenden legalen Beschäftigung und der deutlichen Reduktion sozialer Kontakte während der letzten 6 Jahre ergeben sich aus der unstrittigen, fast durchgehenden Anhaltung in Justizanstalten und Polizeianhaltezentren.

2.5. Aus der Aktenlage ergeben sich keine Hinweise auf gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers, die zu einer Haftunfähigkeit führen könnten. Er wurde nach einem kurzen stationären Krankenhausaufenthalt von 15.05.2020 bis 19.05.2020 in "gutem Allgemeinzustand" entlassen und in das Polizeianhaltezentrum rücküberstellt. Die Feststellungen zur diesbezüglichen Erkrankung und der Medikation ergeben sich aus den im Akte einliegenden medizinischen Unterlagen, die im Übrigen auch dem Beschwerdeführer frei zugänglich sind.

Die gegenwärtige Anhaltung in Schubhaft besteht erst seit knapp sechs Monaten, schöpfte also nur ein Drittel des gesetzlichen Rahmens aus. Es ist daher nach wie vor realistisch, dass die Erlangung eines Heimreisezertifikats und eine Abschiebung - ungeachtet der fehlenden Kooperationsbereitschaft des Beschwerdeführers - während der gesetzlich zulässigen Anhaltedauer möglich ist.

Für eine Änderung der entscheidungsrelevanten Umstände seit dem Beschwerdeverfahren zur Zahl 2226075-1 gibt es - im Zusammenhang mit einem Wegfall der Verhältnismäßigkeit der Anhaltung - keinen Hinweis. Vielmehr hat sich durch die nunmehr (zumindest teilweise) gegebene Kooperationsbereitschaft des Vaters die Chance auf eine Beschleunigung der HRZ-Ausstellung erhöht.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt I. (Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft):

Entsprechend dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 - FrÄG 2015 vom 18.06.2015, BGBl. I Nr. 70/2015, lautet §22a Abs. 4 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) wie folgt:

"§ 22a. (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde."

§22a Abs. 4 bildet im gegenständlichen Fall die formelle Grundlage, da der Beschwerdeführer seit 06.12.2019 in Schubhaft angehalten wird.

Die in diesem Zusammenhang maßgeblichen (innerstaatlichen) verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Art 5 Abs. lit. f EMRK und des Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG sowie einfachgesetzlichen Normen des mit 20. Juli 2015 im Rahmen des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2015 - FrÄG 2015 in Kraft getretenen Fremdenpolizeigesetzes 2005 lauten:

Art 5 Abs. 1 lit. F EMRK

(1) Jedermann hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

f) wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, um ihn daran zu hindern, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist.

Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG

(1) Die persönliche Freiheit darf einem Menschen in folgenden Fällen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

7. wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern.

§ 76 FPG (in der nunmehr gültigen Fassung)

"§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß."

Gemessen also an § 76 Abs. 3, konkret an dessen ersten Satz "liegt eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 2 - immer noch - vor, da "bestimmte Tatsachen", nämlich jene bereits im Rahmen der angeführten Beweiswürdigung relevierten, indizieren, dass sich der Beschwerdeführer einer drohenden Abschiebung in den Herkunftsstaat entziehen wird.

Die Gründe, aus denen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Schubhaft anordnete, haben sich seither nicht geändert und erweisen sich als grundsätzlich nachvollziehbar. Insbesondere hat der Beschwerdeführer das Kriterium der Ziffer 1 des § 76 Abs. 3 FPG durch die Verweigerung jeder Kooperation im Zusammenhang mit der Umsetzung der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung erfüllt.

Mit der Anordnung gelinderer Mittel kann trotz des gesicherten Wohnsitzes und der familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet weiterhin nicht das Auslangen gefunden werden. Angesichts (in besonderem Umfang) fehlender persönlicher Vertrauenswürdigkeit - siehe dazu das aktenkundige und unstrittige Vorverhalten des Beschwerdeführers, insbesondere die einschlägig motivierte Flucht aus der Strafhaft - kommen diese schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Betracht. Die mangelnde Wertschätzung des Beschwerdeführers gegenüber der österreichischen Rechtsordnung ist ein weiteres klares Indiz dafür, dass die Anordnung des gelinderen Mittels zur Erfüllung des Sicherungszweckes nicht einmal im Ansatz geeignet ist. Damit liegt die zur Anhaltung in Schubhaft erforderliche ultima-ratio-Situation unverändert vor.

Der Beschwerdeführer war bei Anordnung der Schubhaft haftfähig und ist dies auch weiterhin.

Die mit der Erlangung eines Heimreisezertifikats verbundene Dauer der Anhaltung in Schubhaft hat der Beschwerdeführer durch seine mangelnde Kooperation wesentlich selbst zu verantworten. Verzögerungen, die in der Sphäre des Bundesamtes liegen würden, sind nicht zu erkennen. Es wird auch laufend bei der Botschaft urgiert.

Die (zum Entscheidungszeitpunkt) voraussichtliche Dauer der Anhaltung ergibt sich aus den oben angeführten Umständen und steht nicht im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Restriktionen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie. Diese bewirken im gegenständlichen Fall (derzeit) keine längere Anhaltedauer des Beschwerdeführers in Schubhaft.

Überdies kann gegenwärtig keine erhöhte Infektionsgefahr hinsichtlich Covid-19 während der laufenden Anhaltung in Schubhaft festgestellt werden. Substanzielle gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers - abseits der gegenwärtig in medikamentöser Behandlung stehenden Pilzpneumonie - sind im Übrigen nicht aktenkündig.

Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass im Zeitpunkt der Entscheidung die Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft gegeben ist. Eine über die Frage der Verhältnismäßigkeit hinausgehende Prüfung der Schubhaft ist nach dem eindeutigen Wortlaut von § 22a Abs. 4 BFA-VG nicht vorgesehen.

4. Soweit der bevollmächtigte Vertreter in seiner gegenständlichen Stellungnahme - die ausdrücklich keine Beschwerde sein soll - inhaltlich weiträumig Themen des Beschwerdeverfahrens zur Zahl 2226075-1 aufgreift, fehlt es an einem Zusammenhang mit dem Umfang der amtswegigen Verhältnismäßigkeitsprüfung.

Dem Beschwerdeführer steht es darüber hinaus frei, jederzeit eine weitere Beschwerde gegen die (fortgesetzte) Anhaltung in Schubhaft einzubringen. Hinsichtlich der Anordnung der Schubhaft - und dem diesbezüglich zugrundeliegenden Sachverhalt - ist dieses Beschwerderecht jedoch bereits durch das Beschwerdeverfahren zur Zahl 2226075-1 bereits konsumiert.

Die in der Stellungnahme behauptete Verweigerung der Ausfolgung der ärztlichen Unterlagen betreffend den Krankenhausaufenthalt von 15.05.2020 bis 19.05.2020 (die namentlich an den Beschwerdeführer adressiert sind) ist für die gegenständliche Entscheidung insofern nicht relevant, weil sie jedenfalls im Akt einliegen und somit der gegenständlichen Entscheidung auch zugrunde gelegt worden sind. Darüber hinaus weist der gegenständliche Vorwurf aber in beide Richtungen (Amtsmissbrauch einerseits - Verleumdung andererseits) ein erhebliches strafrechtliches Potenzial auf, für dessen Behandlung jedoch nicht das Bundesverwaltungsgericht, sondern die Staatsanwaltschaft/Strafjustiz zuständig ist. Sofern der Beschwerdeführer dies geltend machen will, ist er aufgefordert, eine entsprechende Anzeige zu erstatten und dies zu belegen.

Zu Spruchpunkt II. (Revision):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Im vorliegenden Akt findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Einbeziehung eines unstrittigen oder zweifelsfrei belegten Vorverhaltens entsprich der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Einreiseverbot Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft Pandemie Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Untertauchen Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W137.2227065.4.00

Im RIS seit

19.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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