TE Vwgh Beschluss 2020/7/16 Ra 2020/21/0188

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Veröffentlicht am 16.07.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §34
BFA-VG 2014 §34 Abs3 Z1
BFA-VG 2014 §40 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2
FrPolG 2005 §76 Abs3
FrPolG 2005 §76 Abs3 Z1
FrPolG 2005 §76 Abs3 Z3
FrPolG 2005 §76 Abs3 Z9
FrPolG 2005 §77 Abs1
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7. April 2020, W171 2230101-1/14E, betreffend Festnahme und Schubhaft (mitbeteiligte Partei: V D in G, vertreten durch Brehm & Sahinol Rechtsanwälte OG in 1060 Wien, Linke Wienzeile 124/10), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Mitbeteiligte, ein aus Tschetschenien stammender russischer Staatsangehöriger, kam im Dezember 2004 mit seiner Ehefrau und zwei (damals minderjährigen) Kindern nach Österreich; hier wurden in der Folge fünf weitere Kinder geboren. Im gemeinsamen Haushalt lebt auch noch eine weitere Frau, die mit dem Mitbeteiligten nach islamischem Ritus verheiratet ist. Allen Genannten wurde der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

2        Dieser Status wurde dem Mitbeteiligten mit dem im Beschwerdeweg ergangenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 21. Jänner 2019 rechtskräftig aberkannt. Unter einem wurde - ebenfalls rechtskräftig - ausgesprochen, dass dem Mitbeteiligten der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt werde und eine Rückkehrentscheidung samt unbefristetem Einreiseverbot erlassen. Eine dagegen erhobene Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof war nicht erfolgreich.

3        Dieser Entscheidung lag zugrunde, dass der Mitbeteiligte mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 14. März 2016 in Verbindung mit dem Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 1. September 2017 wegen der zwei Verbrechen der (Beteiligung an einer) terroristischen Vereinigung und wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage, jeweils begangen als Bestimmungstäter, sowie wegen der zwei Verbrechen der (Beteiligung an einer) kriminellen Organisation zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und „elfeinhalb Monaten“ verurteilt worden war. Deshalb wurde der Mitbeteiligte in den Zeiträumen vom 2. Juni 2014 bis 24. Juni 2014 und vom 28. August 2015 bis zu seiner bedingten Entlassung am 25. März 2020 in Untersuchungs- und Strafhaft, zuletzt in der Justizanstalt Hirtenberg, angehalten.

4        Der Mitbeteiligte wurde aufgrund eines vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit 24. März 2020 ausgestellten, auf § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG gestützten Festnahmeauftrags am 25. März 2020, um 8.00 Uhr, nach seiner Entlassung aus der Strafhaft gemäß § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG festgenommen und in das Polizeianhaltezentrum Wien-Hernalser Gürtel überstellt. Dort wurde ihm am 26. März 2020, um 14.45 Uhr, der Bescheid des BFA vom 25. März 2020 ausgehändigt, mit dem gegen den Mitbeteiligten (ohne vorhergehende Vernehmung) gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet worden war.

5        Der gegen die beschriebenen Maßnahmen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 7. April 2020 Folge. Es hob den Schubhaftbescheid vom 25. März 2020 auf und erklärte die Festnahme und die anschließende Anhaltung sowie die Anhaltung in Schubhaft vom 26. März 2020 bis 7. April 2020 für rechtswidrig. Unter einem stellte das BVwG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Des Weiteren traf das BVwG diesem Ergebnis entsprechende Kostenentscheidungen. Schließlich sprach es noch gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des BFA, über deren Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

7        Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

9        Gemäß dem im vorliegenden Fall als Rechtsgrundlage herangezogenen § 76 Abs. 2 Z 2 FPG darf Schubhaft (im gegebenen Zusammenhang) nur angeordnet werden, wenn dies zur Sicherung der Abschiebung notwendig ist, sofern Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist. Demzufolge ist vorweg klarzustellen, dass sich die Frage der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft, insbesondere die Berücksichtigung des großen öffentlichen Interesses an einer Abschiebung des Mitbeteiligten, erst und nur dann stellt, wenn Fluchtgefahr besteht. Fluchtgefahr liegt nach § 76 Abs. 3 FPG im fallbezogenen Kontext dann vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde der Abschiebung entziehen oder dass er sie wesentlich erschweren wird, wobei in den nachfolgenden Ziffern dieser Gesetzesstelle eine Darstellung jener Kriterien folgt, die bei dieser Beurteilung „zu berücksichtigen“ seien (siehe dazu des Näheren VwGH 11.5.2017, Ro 2016/21/0021, Rn. 25 f).

10       Das BFA ging im Schubhaftbescheid vom Vorliegen von Fluchtgefahr aus, weil seiner Ansicht nach die Tatbestände der Z 1, 3 und 9 des § 76 Abs. 3 FPG verwirklicht seien. Es räumte zwar in Bezug auf die Z 3 erste Alternative („ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht“) ein, die Existenz einer solchen Maßnahme könne per se in tauglicher Weise Fluchtgefahr nicht begründen. Dem komme aber im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der aufgrund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (Hinweis auf VwGH 11.5.2017, Ro 2016/21/0021). Diese Ansicht wurde in dem genannten Erkenntnis unter Rn. 30 damit begründet, dass eine bestimmte Verfahrensrechtslage als solche und für sich betrachtet nichts darüber aussagt, ob sich der Fremde einem Rückkehrverfahren durch Flucht entziehen werde. Bei typisierender Betrachtung könne sich lediglich mit Fortschreiten des Verfahrens aus der Sicht des Fremden die Wahrscheinlichkeit verdichten, letztlich abgeschoben zu werden, sodass sich dadurch eine - aus anderen Gründen bestehende - Fluchtgefahr erhöhe.

11       Vor diesem rechtlichen Hintergrund ging auch das BVwG in seinem Erkenntnis zwar davon aus, über den Mitbeteiligten sei bereits im Sinne des § 76 Abs. 3 Z 3 FPG eine (durchsetzbare) aufenthaltsbeendende Maßnahme verhängt worden, jedoch könne die vom BFA im Schubhaftbescheid überdies angenommene Verwirklichung des Tatbestandes der Z 1 des § 76 Abs. 3 FPG („ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert“) „gerichtlich nicht festgestellt werden“. Es lägen keine Anhaltspunkte für unkooperatives Verhalten des Mitbeteiligten im Rahmen des Rückkehrentscheidungsverfahrens vor. Er habe seine Abschiebung bisher auch nicht behindert oder umgangen. Diese Annahme begründete das BVwG beweiswürdigend damit, dass sich der Mitbeteiligte seit August 2015 in Haft befunden habe und daher keine Vereitelungshandlungen habe setzen können. Das bisherige Verhalten des Mitbeteiligten könne daher nicht unter die Z 1 des § 76 Abs. 3 FPG subsumiert werden. Das BFA habe im Schubhaftbescheid auch keine Feststellungen getroffen, die in Richtung einer Erfüllung des genannten Tatbestandes weisen könnten. Schließlich sah das BVwG - entgegen der Meinung des BFA - auch den Tatbestand nach der Z 9 des § 76 Abs. 3 FPG mit näherer Begründung für nicht gegeben, weil für den Mitbeteiligten ein gesicherter Wohnsitz und ein gefestigtes familiäres und soziales Netz bestünden sowie für einige Zeit der Lebensunterhalt gesichert sei. Im Ergebnis gehe das BVwG daher nicht vom Vorliegen eines Sicherungsbedarfs aus, weshalb sich die Schubhaft als rechtswidrig erweise, ohne dass auf die Frage der Verhältnismäßigkeit noch einzugehen sei.

12       Bezugnehmend auf die im angefochtenen Erkenntnis angestellten Erwägungen zu § 76 Abs. 3 Z 1 FPG wird in der Amtsrevision kritisiert, das BVwG verkenne die „Intention dieser Bestimmung“. Aus der Legaldefinition der Fluchtgefahr in § 76 Abs. 3 FPG sei ersichtlich, dass die Beurteilung der Fluchtgefahr stets eine Prognoseentscheidung der Behörde im Zeitpunkt der Anordnung der Schubhaft erfordere. Bei dieser Prognose sei wiederum auf das bisherige Verhalten des Fremden Bedacht zu nehmen (Hinweis auf mehrere VwGH-Judikate), was sich im Übrigen auch in den „demonstrativ aufgezählten“ Fluchtgründen der Z 1 bis 9 des § 76 Abs. 3 widerspiegle. Die „rechtsirrige Annahme“ des BVwG, dass § 76 Abs. 3 Z 1 FPG „gar nicht in Betracht gezogen werden konnte“, wirke sich maßgeblich auf die notwendige Gesamtbeurteilung der Fluchtgefahr aus. Hätte das BVwG „rechtsrichtig“ auch das Vorliegen des genannten Fluchtgrundes einbezogen, so wäre bei der Prognosebeurteilung unter weiterer Berücksichtigung der bestehenden durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der vom Mitbeteiligten zum Ausdruck gebrachten mangelnden Ausreisewilligkeit davon auszugehen gewesen, dass Fluchtgefahr iSd § 76 Abs. 3 Z 1 und 3 FPG vorliege.

13       Diesen Ausführungen ist zu entgegnen, dass das BVwG nicht davon ausging, § 76 Abs. 3 Z 1 FPG habe „gar nicht in Betracht gezogen werden“ können. Vielmehr prüfte es das Vorliegen der in dieser Bestimmung normierten Sachverhalte, nahm dabei - wie von der Amtsrevision im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gefordert - auf das bisherige Verhalten des Mitbeteiligten Bedacht und kam im Hinblick auf seine bisherige Kooperation und das Fehlen von Vereitelungshandlungen zum Ergebnis, es liege (auch) aktuell keine Fluchtgefahr nach diesem Tatbestand vor. Mag das bisherige, keine Fluchtgefahr indizierende Verhalten des Mitbeteiligten zwar auf seine Anhaltung in gerichtlicher Haft zurückzuführen und damit in seinem Gewicht gemindert sein, so hat das BVwG aber zu Recht darauf verwiesen, dem Schubhaftbescheid ließen sich jedenfalls keine Feststellungen entnehmen, die eine Subsumtion unter § 76 Abs. 3 Z 1 FPG zuließen. Dem wird in der Amtsrevision nicht entgegengetreten und auch dort wird nicht dargetan, aufgrund welcher Umstände, insbesondere aufgrund welchen bisherigen Verhaltens, anzunehmen gewesen wäre, der Mitbeteiligte werde sich der Abschiebung entziehen oder sie erschweren. Immerhin hatte er in der Beschwerde zu Recht ins Treffen geführt, sich auch dem Strafverfahren - offenbar gemeint: nach seiner (vorübergehenden) Entlassung aus der Untersuchungshaft am 24. Juni 2014 - nicht entzogen zu haben. Im Übrigen wird in der Amtsrevision nicht einmal ansatzweise aufgezeigt, auf welche Weise sich der Mitbeteiligte ungeachtet seiner starken familiären Bindungen durch ein „Untertauchen“ der Abschiebung entziehen könnte.

14       Dass es für die Annahme von Fluchtgefahr iSd Z 1 des § 76 Abs. 3 FPG nicht ausreicht, wie das BFA im Schubhaftbescheid, auf das der Verurteilung des Mitbeteiligten zugrunde liegende Verhalten zu verweisen und daraus zu schließen, er sei generell „vertrauensunwürdig“, ist fallbezogen evident, lassen sich doch aus den seinerzeitigen Tathandlungen keine konkreten Anhaltspunkte für die vom BFA unterstellte Vereitelung oder Erschwerung der Abschiebung gewinnen. Das dürfte das BFA nunmehr auch so sehen, wird doch darauf in der Amtsrevision nicht mehr zurückgekommen. Gleiches gilt für den im Schubhaftbescheid noch als gegeben angesehenen Tatbestand nach der Z 9 des § 76 Abs. 3 FPG (siehe auch dazu das schon erwähnte Erkenntnis VwGH 11.5.2017, Ro 2016/21/0021, nunmehr Rn. 31).

15       Nach dem Gesagten vermag das BFA in der Revision somit nicht aufzuzeigen, dass die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegende Annahme des BVwG, es sei im vorliegenden Fall keine Fluchtgefahr im Sinne eines der Tatbestände des § 76 Abs. 3 FPG gegeben, auf dem in der Revision behaupteten Rechtsirrtum beruht oder sonst unvertretbar wäre. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber schon wiederholt - auch bei Amtsrevisionen des BFA - darauf hingewiesen, dass die Frage, ob konkret von einem Sicherungsbedarf bzw. von Fluchtgefahr auszugehen sei, stets eine solche des Einzelfalles ist, die daher nicht generell zu klären und als einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG revisibel ist, wenn diese Beurteilung auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise vorgenommen wurde (vgl. etwa VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0211, Rn. 9, und VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0187, Rn. 8, sowie VwGH 15.9.2016, Ra 2016/21/0256, Rn. 14, jeweils mwN).

16       Der gegen den Mitbeteiligten erlassene Festnahmeauftrag gründete sich auf § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG, wonach ein solcher Auftrag gegen einen Fremden dann erlassen werden kann, wenn die Voraussetzungen zur Verhängung der Schubhaft nach § 76 FPG oder zur Anordnung gelinderer Mittel gemäß § 77 Abs. 1 FPG vorliegen und nicht aus anderen Gründen die Vorführung vor das Bundesamt erfolgt. Die Festnahme erfolgte dann unter Berufung auf § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG, wonach die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt sind, einen Fremden zum Zweck der Vorführung vor das BFA festzunehmen, wenn gegen ihn ein Festnahmeauftrag gemäß § 34 BFA-VG besteht.

17       Das BVwG erklärte die Festnahme und die darauf gegründete Anhaltung des Mitbeteiligten (bis zur Erlassung des Schubhaftbescheides) für rechtswidrig, weil nach dem Ergebnis seines Verfahrens die in § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG genannten Voraussetzungen nicht vorlägen.

18       Diese Auffassung wird in der Amtsrevision bekämpft. Die in Rede stehende Bestimmung verlange nicht die Gewissheit, eine Schubhaft auch tatsächlich verhängen zu können. Vielmehr stelle diese Norm - wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergebe (Hinweis auf ErläutRV zum FNG 1803 BlgNR 24. GP 25) - den rechtlichen Rahmen dafür dar, dass eine weitere Sicherungsmaßnahme zu überprüfen sei.

19       Dazu ist zu ergänzen, dass es auch in der Begründung des gegenständlichen Festnahmeauftrags ausdrücklich heißt, die Festnahme erfolge „zur Prüfung einer Sicherungsmaßnahme im Anschluss an die Strafhaft“. Schon deshalb erweisen sich die Festnahme und die anschließende Anhaltung aber als rechtswidrig, weil die Verwirklichung dieses Zwecks offenbar von Anfang an gar nicht angestrebt war. Der Mitbeteiligte wurde nämlich entsprechend dem „Einlieferungsauftrag“ vom 24. März 2020 nach seiner Entlassung aus der Justizanstalt Hirtenberg festgenommen, um ihn direkt nach Wien in das Polizeianhaltezentrum Hernalser-Gürtel zu verbringen und nicht um ihn dem BFA - der verfahrensführenden Regionaldirektion Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt - zur Durchführung einer Vernehmung und Prüfung der Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, konkret von Schubhaft, vorzuführen. Im Übrigen hätte eine solche Prüfung - selbst wenn man mit der Amtsrevision davon ausgeht, dass das BFA das Verfahren erst nach Einlangen der Mitteilung von der bevorstehenden bedingten Entlassung des Mitbeteiligten am 17. März 2020 hätte einleiten müssen - auch aufgrund der örtlichen Nähe jedenfalls noch in der verbleibenden Woche der Anhaltung des Mitbeteiligten in Strafhaft vorgenommen werden können. Außerdem ist nicht zu sehen, weshalb die Zustellung des ohne irgendwelche erkennbaren Ermittlungen ausgefertigten Schubhaftbescheides an den Mitbeteiligten erst fast 30 Stunden nach seiner Festnahme vorgenommen wurde, was überdies erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit einer so langen Anhaltung in Verwahrungshaft begründet. Da dem BVwG somit jedenfalls im Ergebnis auch in diesem Punkt gefolgt werden kann, ist die Amtsrevision auch insoweit nicht im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

20       Die vorliegende Revision des BFA war daher insgesamt in Anwendung des § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 16. Juli 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210188.L00

Im RIS seit

03.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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