TE Vwgh Beschluss 2020/7/16 Ra 2020/21/0113

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Veröffentlicht am 16.07.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §55
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52 Abs1 Z1
FrPolG 2005 §52 Abs9
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des K K in W, vertreten durch Rast & Musliu Rechtsanwälte, 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10. Februar 2020, I415 1257286-3/16E, betreffend insbesondere Abweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 sowie Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Begleitaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein algerischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2004 in das Bundesgebiet ein und beantragte die Gewährung von Asyl. Dieser Antrag wurde, zuletzt mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. Mai 2005, gemäß § 5 Asylgesetz 1997 auf Grund der Zuständigkeit Ungarns zurückgewiesen, der Revisionswerber wurde nach Ungarn überstellt.

2        Am 4. November 2005 reiste der Revisionswerber neuerlich nach Österreich ein und stellte am Tag darauf seinen zweiten Asylantrag. Diesen wies zuletzt der unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 11. April 2008 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 ab, stellte gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Revisionswerbers nach Algerien zulässig sei, und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Algerien aus. Die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde lehnte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 19. März 2009, 2009/01/0002, ab.

3        Mit - am 10. Februar 2015 eingebrachter - Eingabe vom 5. Februar 2015 stellte der im Bundesgebiet verbliebene Revisionswerber den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005.

4        Mit Bescheid vom 28. Juni 2017 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) - amtswegig - aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 und - in Erledigung des genannten Antrages - nach § 55 AsylG 2005 nicht erteilt werde. Unter einem erließ es gegen den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 Z 1 FPG. Es stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers nach Algerien fest und bestimmte gemäß § 55 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

5        Mit dem angefochtenen, nach mündlicher Verhandlung vom 24. Jänner 2020 ergangenen Erkenntnis vom 10. Februar 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eine vom Revisionswerber gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Begründend führte das BVwG insbesondere aus, der Revisionswerber sei seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen und habe auch ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot vom 13. Juli 2005 unbeachtet gelassen. Im Zuge einer niederschriftlichen Einvernahme am 26. November 2009 habe er das Ausfüllen eines Formblattes zur Erlangung eines (mangels verfügbaren Reisedokuments erforderlichen) Heimreisezertifikates für die algerische Botschaft mit der Begründung verweigert, mit dieser Botschaft nichts zu tun haben und nicht ausreisen zu wollen. Er sei untergetaucht und wiederholt, unter anderem vom 12. Dezember 2009 bis zum 1. Mai 2013, im Bundesgebiet nicht behördlich gemeldet gewesen.

Nach Anordnung von Schubhaft am 24. November 2009 und neuerlich am 4. Mai 2010 habe diese jeweils infolge durch Hungerstreik herbeigeführter Haftunfähigkeit des Revisionswerbers beendet werden müssen. Weiters habe er einem Ladungsbescheid vom 19. November 2014 nicht Folge geleistet. Seine (früher neben Aliasidentitäten gebrauchte) richtige Identität habe er erst bei der Einvernahme vor dem BFA am 22. Jänner 2015 (endgültig) offengelegt.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 3. Jänner 2018 sei über ihn wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach den §§ 223 Abs. 2 und 224 StGB [er hatte zwischen 1. Jänner 2009 und 14. Juli 2009 in Wien einen total gefälschten französischen Personalausweis lautend auf eine Alias-Identität im Rechtsverkehr zum Beweis dieser Falschidentität sowie seines rechtmäßigen Aufenthalts im Inland gebraucht] eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von vier Monaten verhängt worden.

Der unverheiratete und kinderlose Revisionswerber habe im Bundesgebiet Deutschkenntnisse (lediglich) auf dem Niveau A2 erworben. Er habe einen „Deutschkurs B1“ besucht, ohne jedoch eine Prüfung darüber abzulegen. Im Zuge der mündlichen Beschwerdebehandlung sei er durchgehend auf den anwesenden Dolmetscher angewiesen gewesen. In Österreich verfüge er über keine familiären Anknüpfungspunkte oder maßgebliche private Beziehungen. Er sei gesund und arbeitsfähig, sei aber während des Aufenthalts im Bundesgebiet keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen. Von 2007 bis 2009 habe er insgesamt neun Monate ohne Arbeitserlaubnis sowie unter Verwendung einer Aliasidentität bei vier verschiedenen Dienstgebern gearbeitet. Aktuell beziehe er nach wie vor Grundversorgung und sei nicht selbsterhaltungsfähig. Seit 2018 habe er mit einem ehrenamtlichen Engagement begonnen, wobei er bisher (lediglich) im Umfang von 54 Stunden in einem Nachbarschaftszentrum des Wiener Hilfswerks tätig geworden sei. Er verfüge über die Einstellungszusage eines Postservice-Unternehmens.

Mit der Möglichkeit einer Reintegration im Herkunftsstaat, wo seine Mutter und drei Brüder lebten, er die Landessprache beherrsche, seine Sozialisierung erfahren, eine Ausbildung als Maschinendreher absolviert und in diesem Bereich auf einer Baustelle gearbeitet habe, sei zu rechnen.

Die lange Dauer des Aufenthalts in Österreich werde in ihrer Relevanz maßgeblich durch die dargestellten Verschleierungs- und Täuschungshandlungen, die zu einer strafgerichtlichen Verurteilung und zu dem erwähnten Aufenthaltsverbot geführt hätten, durch das unangemeldete Leben im Verborgenen sowie die Verweigerung an der Mitwirkung, ein Heimreisezertifikat zu erlangen, gemindert. Bei einer Zusammenschau der genannten Aspekte sei demnach von einem Überwiegen jener Umstände auszugehen, die für eine Rückkehr des Revisionswerbers nach Algerien sprächen. Die privaten Interessen des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet müssten somit hinter das große öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung zurücktreten.

7        Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision erweist sich als unzulässig.

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

9        Insoweit macht der Revisionswerber vor allem geltend, dass sich die Rückkehrentscheidung auf Grund seines rund 15-jährigen Aufenthalts in Österreich und des Maßes der dabei erlangten Integration als unrechtmäßig erweise. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müsse bei einem derart langen Aufenthalt eines Fremden von einem regelmäßigen Überwiegen seiner persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich ausgegangen werden.

10       Bei dieser Argumentation lässt der Revisionswerber allerdings unberücksichtigt, dass der Verwaltungsgerichtshof auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte ein Überwiegen des persönlichen Interesses eines Fremden an einem Verbleib im Inland dann nicht als zwingend erachtet, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen diesen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren (vgl. grundlegend VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005, Rn. 11 bis 16, und darauf verweisend etwa VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0117, Rn. 11).

11       Das BVwG setzte sich mit dieser Rechtsprechung auseinander und gelangte unter Bedachtnahme auf die besonderen Umstände des hier gegebenen Falles (insbesondere die - wenngleich lange zurückliegende - Straffälligkeit und Nichtbeachtung des erwähnten Aufenthaltsverbotes, mehrfache unrichtige Identitätsangaben und Vereitelung der Rückführung sowie wiederholtes, insgesamt mehrjähriges Leben im Verborgenen) unter gewichtender Abwägung des öffentlichen Interesses mit den gegenläufigen privaten Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung auf nicht unvertretbare Weise zum Überwiegen des öffentlichen Interesses und damit zur Versagung des beantragten Aufenthaltstitels (vgl. in diesem Sinn jüngst etwa VwGH 28.5.2020, Ra 2020/21/0003, Rn. 13 und 14, mwN).

12       Der zu VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0243, beurteilte Sachverhalt ist mit dem vorliegenden - entgegen der Revision - schon infolge deutlich kürzerer Dauer der zwei (in Rn. 1 und 2 erwähnten) Asylverfahren, des Fehlens vergleichbarer Täuschungshandlungen (etwa durch den Gebrauch von Alias-Identitäten sowie eines französischen Ausweisdokuments) und des (im vorliegenden Fall) jahrelangen Lebens im Verborgenen nicht vergleichbar.

13       In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 16. Juli 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210113.L00

Im RIS seit

03.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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