TE Vwgh Beschluss 2020/7/16 Ra 2020/21/0077

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Veröffentlicht am 16.07.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §52
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revisionen 1. der S O, und 2. des D D, beide in W und vertreten durch Dr. Adrian Hollaender, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Wehrgasse 28/7, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 4. Februar 2020, 1. W119 2159306-1/18E (hg. Ra 2020/21/0077) und 2. W119 2159304-1/3E (hg. Ra 2020/21/0078), betreffend jeweils Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 und Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Revisionswerber (die Erstrevisionswerberin ist die Mutter des Zweitrevisionswerbers) sind mongolische Staatsangehörige. Die Erstrevisionswerberin reiste Ende 2011 nach Österreich ein. Ihr wurden in der Folge für die Zeit vom 12. November 2012 bis 12. November 2014 Aufenthaltstitel für den Zweck „Studierender“ erteilt. Danach erhielt sie einen Aufenthaltstitel für den Zweck „Schüler“ mit Gültigkeit bis zum 14. November 2015. Ein insoweit gestellter Verlängerungsantrag wurde mit Bescheid vom 15. Juli 2016 (mangels Schulerfolgs) rechtskräftig abgewiesen.

2        Die Erstrevisionswerberin hatte am 20. November 2015 einen in Wien lebenden mongolischen Staatsangehörigen geheiratet, der über vergleichbare Aufenthaltstitel verfügt hatte. Sein letzter Verlängerungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Schüler“ wurde mit rechtskräftigem Bescheid vom 17. Mai 2017 abgewiesen.

3        Am 19. Dezember 2015 war der gemeinsame Sohn der Genannten, der Zweitrevisionswerber, in Wien geboren worden. Das Ehepaar lebt mittlerweile getrennt, der Sohn ist bei der Mutter verblieben.

4        Am 10. Oktober 2016 beantragten die Revisionswerber jeweils die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005.

5        Mit Bescheiden vom 8. Mai 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) beide Anträge gemäß § 55 AsylG 2005 ab. Zugleich erließ es gemäß § 52 Abs. 3 FPG jeweils eine Rückkehrentscheidung, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung der Revisionswerber in die Mongolei zulässig sei, und bestimmte gemäß § 55 FPG eine Frist für ihre freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

6        Mit den nunmehr angefochtenen, nach mündlicher Verhandlung (vom 6. Mai und 18. November 2019) ergangenen Erkenntnissen vom 4. Februar 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobenen Beschwerden als unbegründet ab. Es sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7        Begründend führte das BVwG - soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung - aus, die unbescholtene Erstrevisionswerberin sei gesund und arbeitsfähig. Sie habe in Österreich Deutschkenntnisse auf dem Niveau B2 erworben, jedoch weder an der Universität noch an der danach besuchten Handelsakademie irgendeine Prüfung bestanden. Im Bundesgebiet sei sie vom 22. August 2013 bis zum 1. Mai 2015 geringfügig beschäftigt, danach aber nicht mehr erwerbstätig gewesen. Sie sei aktuell auch nicht krankenversichert; der Zweitrevisionswerber sei bei seinem Vater mitversichert. Den Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn bestreite sie aus monatlichen Zahlungen von € 1.000,-- durch ihre in der Mongolei lebende Schwiegermutter. Die Erstrevisionswerberin verfüge über einen aktuellen Arbeitsvorvertrag als Kellnerin. Sie sei weder ehrenamtlich noch als Mitglied in einem Verein engagiert. Allerdings bestünden (durch Unterschriftenlisten belegte) Sozialkontakte. Der Zweitrevisionswerber besuche den Kindergarten, spreche Deutsch und sei dort gut integriert. Da er in einem mongolischen Elternhaus aufgewachsen sei, sei seine Muttersprache jedoch mongolisch. Er befinde sich - mit vier Jahren - in einem anpassungsfähigen Alter.

8        Bei der nach § 9 BFA-VG vorgenommenen Interessenabwägung berücksichtigte das BVwG die eben genannten Umstände, insbesondere die Aufenthaltsdauer der Erstrevisionswerberin seit Dezember 2011 bzw. des Zweitrevisionswerbers seit seiner Geburt am 19. Dezember 2015. Allerdings seien der Erstrevisionswerberin und ihrem Ehemann nur befristete Aufenthaltsbewilligungen erteilt worden, sodass sie nicht von einem dauernden Verbleib hätten ausgehen dürfen. Ein geschütztes Familienleben zum Ehemann bzw. zum Vater bestünde infolge der Trennung bereits aktuell nicht mehr. Insgesamt überwögen somit die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung zu Gunsten eines geordneten Fremdenwesens die privaten Interessen der Revisionswerber am Verbleib im Bundesgebiet.

Unter Berücksichtigung aufrechter familiärer Kontakte zu den Eltern und Schwestern der Erstrevisionswerberin, früherer Berufstätigkeit als Kellnerin sowie des Bestehens eines Sozialversicherungswesens in der Mongolei sei auch mit der Möglichkeit einer Reintegration zu rechnen. Ein konkretes Risiko, dass die Revisionswerber im Heimatstaat Gefährdungen iSd Art. 3 EMRK ausgesetzt wären, bestehe nicht. Dem Vorbringen einer vor der Ausreise der Erstrevisionswerberin geplanten Zwangsehe werde (infolge des allgemein und vage gehaltenen, spät erstatteten Vorbringens sowie des bereits selbständigen Lebens der - mittlerweile verheirateten - Erstrevisionswerberin in der Mongolei) kein Glauben geschenkt. Umstände, die einer Reintegration des erst rund 4 Jahre alten Zweitrevisionswerbers entgegenstünden, seien nicht hervorgekommen.

9        Die gegen diese Erkenntnisse erhobenen (auf Grund des persönlichen und sachlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbundenen) Revisionen erweisen sich als unzulässig:

10       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

12       In dieser Hinsicht bemängeln die Revisionswerber die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung. Dabei beziehen sie sich allerdings lediglich auf die bereits vom BVwG festgestellten und in seine Abwägung einbezogenen Umstände (etwa die bereits erfolgte Berufstätigkeit und das Vorliegen eines Arbeitsvorvertrages sowie den Erwerb von Deutschkenntnissen - auf dem Niveau B2 bei der Erstrevisionswerberin, weiters allgemein auf den Erwerb von Sozialkontakten), ohne nachvollziehbar aufzuzeigen, dass das BVwG davon ausgehend zu einem anderen Ergebnis hätte kommen müssen.

13       Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung ist jedoch im Allgemeinen - wenn sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfolgt ist - nicht revisibel (vgl. zuletzt etwa VwGH 4.3.2020, Ra 2020/21/0027, Rn. 12, mwN).

14       Im vorliegenden Fall kann das erzielte Ergebnis angesichts der Erteilung nur befristeter Aufenthaltstitel, des Scheiterns der Ausbildung und des wiedergegebenen (der Sache nach unbestrittenen) Maßes an Integration jedenfalls nicht als unvertretbar angesehen werden.

Dem steht auch der Inhalt der in der Revision zitierten hg. Erkenntnisse VwGH 21.4.2011, 2011/01/0132 bis 0137, und VwGH 28.6.2011, 2008/01/0583, nicht entgegen, zumal in den dort geprüften Entscheidungen auf Basis der darin getroffenen Sachverhaltsfeststellungen - anders als im vorliegenden Fall - bereits eine ausreichende (bzw. schlüssige) Prüfung der der für die Abwägung wesentlichen Kriterien nach Art. 8 EMRK unterblieben war.

15       Die in der Revision weiters angesprochene (nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck vorgenommene) Beweiswürdigung des BVwG zum Vorbringen, der Erstrevisionswerberin drohe eine Zwangsehe, erscheint im Hinblick auf die wiedergegebenen Lebensumstände, etwa die selbständige Lebensführung sowie die (laut Rn. 2 und 3) aufrecht bestehende Ehe mit einem mongolischen Staatsangehörigen, jedenfalls nicht unschlüssig.

Betreffend weiterer im Herkunftsstaat allgemein relevierter Gefahren, insbesondere sei die Mongolei „politisch konfliktbehaftet“, wird auch im Revisionsverfahren kein Bezug zur persönlichen Situation der Revisionswerber hergestellt.

16       Wenn der Zweitrevisionswerber auch gut im Kindergarten integriert ist und nach einer Abschiebung in den Herkunftsstaat, in den auszureisen aufgrund des unbestrittenen Fehlens eines Aufenthaltstitels letztlich auch sein (getrennt von ihm lebender) Vater verpflichtet ist, Umstellungsschwierigkeiten vorübergehend möglich erscheinen, so schließt dies infolge seines anpassungsfähigen Alters von knapp mehr als 4 Jahren die Wahrscheinlichkeit der Reintegration in der Mongolei nicht aus. Zu dieser unter Berücksichtigung des Kindeswohls vorgenommenen Einschätzung durfte das BVwG - entgegen der in der Revision im Ergebnis vertretenen Ansicht - auch ohne Einholung des Gutachtens eines (kinder- und jugendpsychologischen) Sachverständigen kommen (vgl. dazu etwa VwGH 29.2.2012, 2010/21/0310 bis 0314, und VwGH 30.6.2015, Ra 2015/21/0059 bis 0062).

17       In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 16. Juli 2020

Schlagworte

Sachverständiger Entfall der Beiziehung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210077.L00

Im RIS seit

03.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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