TE Vwgh Beschluss 2020/8/4 Ra 2020/14/0343

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.08.2020
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verfassungsgerichtshof
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs5
AVG §45 Abs2
VerfGG 1953 §85
VwGG §30
VwGVG 2014 §17
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, in der Revisionssache des A B, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juni 2020, I412 2190947-2/7E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Nigeria, stellte erstmals am 18. April 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2        Diesem Antrag wurde im Instanzenzug mit dem am 16. Mai 2018 mündlich verkündeten - und nach der Aktenlage unbekämpft gebliebenen - Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts keine Folge gegeben und gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 erlassen.

3        Der Revisionswerber blieb in der Folge im Bundesgebiet und war ab Juli 2019 für die Behörde unbekannten Aufenthalts. Am 2. März 2020 wurde er von Polizeibeamten bei einer Kontrolle in einem Wettbüro angetroffen und aufgrund eines gegen ihn bestehenden Festnahmeauftrages festgenommen. Daraufhin stellte der Revisionswerber neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz. Neue Fluchtgründe brachte er nicht vor, er verwies allerdings darauf, dass er „jetzt“ in Österreich eine Freundin und einen sechs Monate alten Sohn habe.

4        Mit Bescheid vom 17. April 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Folgeantrag des Revisionswerbers wegen entschiedener Sache zurück, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung sowie ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, und gewährte dem Revisionswerber keine Frist für die freiwillige Ausreise.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Der Revisionswerber macht zur Begründung der Zulässigkeit der Revision - unter Hinweis darauf, dass das Bundesverwaltungsgericht gegen seine Pflicht zu von Amts wegen vorzunehmenden Ermittlungen verstoßen und rechtswidrig die Durchführung einer Verhandlung unterlassen habe - geltend, es hätte festgestellt werden müssen, dass J C B sein minderjähriger Sohn sei. Da dies unterblieben sei, seien die Bestimmungen des § 34 AsylG 2005 in rechtswidriger Weise unangewendet geblieben.

10       Dem Revisionswerber ist zuzugestehen, dass das angefochtene Erkenntnis in seiner Begründung teilweise deutliche Schwächen aufweist. Es ist das Bundesverwaltungsgericht - im Hinblick auf seine Ausführungen, dass es keine (also weder „positive“ noch „negative“) Feststellungen zu einem näher bezeichneten dem Beweisverfahren unterworfenen Thema treffe, weil widersprüchliche Ermittlungsergebnisse vorlägen - (zum wiederholten Mal) darauf hinzuweisen, dass es im Allgemeinen nicht die Aufgabe eines Verwaltungsgerichts ist, Aussagen zu treffen, etwas könne nicht festgestellt werden. Vielmehr hat es - unter Bedachtnahme auf das im Grunde des § 17 VwGVG auch für die Verwaltungsgerichte maßgebliche Prinzip der Amtswegigkeit - regelmäßig ein Ermittlungsverfahren zu führen und nach Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Beweismittel in seiner Entscheidung zu den fallbezogen wesentlichen Sachverhaltsfragen eindeutig Stellung zu nehmen. Nur wenn auch nach Durchführung eines solchen Ermittlungsverfahrens eine klare Beantwortung einer derartigen Frage nicht möglich ist (was ebenso wie das Treffen einer „positiven“ Feststellung im Rahmen beweiswürdigender Erwägungen näher zu begründen wäre), kommt als Aussage allenfalls in Betracht, dass der betreffende Gesichtspunkt „nicht festgestellt werden kann“. Dass Aussagen von Verfahrensbeteiligten und Zeugen widersprüchlich sein können, ist im behördlichen und gerichtlichen Alltag weder selten noch ungewöhnlich. Es ist daher Kernaufgabe der behördlichen und richterlichen Beweiswürdigung, auch widersprüchliche Aussagen im Rahmen einer schlüssigen, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechenden, Beweiswürdigung zu gewichten und entsprechend zu würdigen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung jüngst VwGH 3.7.2020, Ra 2020/14/0065, mwN).

11       Dennoch vermag der Revisionswerber mit seinem Vorbringen zur Zulässigkeit der Revision nicht durchzudringen. Aus den vorgelegten Verfahrensakten (insbesondere den Ausführungen im Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl) ergibt sich, dass das Asylverfahren, das jenen minderjährigen Fremden - dieser ist ebenfalls Staatsangehöriger von Nigeria - betrifft, den der Revisionswerber als seinen Sohn bezeichnet, bereits abgeschlossen war, als sein (zweites) Asylverfahren noch vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anhängig war. Das räumt er auch in der Revision ein, weist allerdings (wie schon im Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl festgehalten wurde), darauf hin, dass jener Beschwerde des mutmaßlichen Sohnes, die dieser an den Verfassungsgerichtshof gegen die (vom Bundesverwaltungsgericht) an ihn in dessen Asylverfahren ergangene Entscheidung erhoben hatte, die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei.

12       Dass die Rechtswirkungen der den vorgeblichen Sohn betreffenden Entscheidung damit vorläufig suspendiert wurden, ändert aber nichts daran, dass das ihn betreffende Asylverfahren - auch vor dem Bundesverwaltungsgericht - (abschlägig und samt Erlassung einer Rückkehrentscheidung; auch der Antrag auf internationalen Schutz der gleichfalls aus Nigeria stammenden Mutter des minderjährigen Fremden blieb ohne Erfolg) abgeschlossen war. Die Anhängigkeit des zuvor vom Verwaltungsgericht geführten Beschwerdeverfahrens kann durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht (auch nicht vorläufig) wieder herbeigeführt werden. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung reicht nämlich nicht so weit, die das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht abschließende Entscheidung (wenn auch nur vorläufig) aus dem Rechtsbestand zu beseitigen (vgl. VwGH 20.4.2017, Ra 2017/19/0113, mwN). Derartiges bleibt der das Verfahren abschließenden - aufhebenden - Entscheidung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts vorbehalten (vgl. nochmals VwGH Ra 2017/19/0113, dort in Bezug auf das Revisionsverfahren). Der (hier in der Revision angesprochene) Verfassungsgerichtshof geht in seiner Rechtsprechung zu § 85 VfGG davon aus, dass einer (an ihn erhobenen) Beschwerde nur dann aufschiebende Wirkung zuerkannt werden kann, wenn es denkbar ist, dass der angefochtene Bescheid irgendwelche - für den Beschwerdeführer nachteiligen - Rechtswirkungen entfaltet, deren Eintritt aufgeschoben werden kann, d.h. dass die Rechtsposition des Beschwerdeführers günstiger sein könnte, würde die rechtliche Existenz des Bescheides - nunmehr: der Entscheidung des Verwaltungsgerichts - weggedacht (vgl. etwa VfGH 28.10.2004, B 1242/04). Dieses „Wegdenken“ bedeutet aber gerade nicht, dass mit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bereits die angefochtene Entscheidung selbst aus dem Rechtsbestand beseitigt wäre und dem Bundesverwaltungsgericht allein schon deswegen die Zuständigkeit zukäme, (neuerlich) in jener Rechtssache, deren Entscheidung beim Gerichtshof in Beschwerde gezogen wurde, entscheiden zu müssen oder zu dürfen (das gilt im Übrigen auch für den Fall der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im Revisionsverfahren, vgl. dazu, dass weder die Anrufung des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes noch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch einen dieser Gerichtshöfe den Eintritt der formellen Rechtskraft des angefochtenen Aktes hindert, Mayer/Muzak, B-VG5, § 85 VfGG, F.II., mit Hinweis auf Rechtsprechung).

13       Sohin war es hier von vornherein nicht möglich, die Verfahren des Revisionswerbers und seines mutmaßlichen Sohnes gemeinsam abzuführen.

14       Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits dargelegt, dass § 34 AsylG 2005 der Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband dient. Ziel der Bestimmungen ist es, Familienangehörigen den gleichen Schutz zu gewähren, ohne sie um ihr Verfahren im Einzelfall zu bringen.

15       Aus den Materialien ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber bei der Normierung, dass die Verfahren von Familienangehörigen unter einem zu führen sind, in § 34 Abs. 4 AsylG 2005 jene Fälle vor Augen hatte, bei denen die Anträge aller Familienangehörigen zur selben Zeit oder zumindest zeitnahe gestellt und damit auch weitgehend zeitgleich von derselben Behörde bearbeitet werden können. Diese gemeinsame Verfahrensführung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl soll sich weiters nach den Vorstellungen des Gesetzgebers im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht fortsetzen (vgl. § 34 Abs. 5 AsylG 2005).

16       Dem Ziel der Beschleunigung von Asylverfahren im Familienverband dient es demgegenüber nicht, wenn die jeweiligen Verfahren auch in jenen Fällen zwingend gemeinsam bei derselben Behörde geführt werden müssten, in denen Asylanträge von einzelnen Familienangehörigen erst gestellt werden, wenn das Verfahren eines oder mehrerer Familienmitglieder bereits vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl abgeschlossen wurde und in der Folge - aufgrund einer Beschwerde - beim Bundesverwaltungsgericht anhängig ist. Dies würde den Zweck des § 34 Abs. 4 AsylG 2005 ins Gegenteil verkehren und etwa bei der späteren Antragstellung nachgeborener Kinder zu Asylverfahren führen, die über einen längeren Zeitraum hinweg nicht rechtskräftig abgeschlossen werden könnten.

17       § 34 Abs. 4 AsylG 2005 ist dahingehend auszulegen, dass eine gemeinsame Führung der Verfahren nur dann zu erfolgen hat, wenn diese gleichzeitig beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl oder gleichzeitig im Beschwerdeverfahren beim Bundesverwaltungsgericht anhängig sind (vgl. zum Ganzen VwGH 15.11.2018, Ro 2018/19/0004; dem folgend etwa VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0252, 0253). Ergänzend ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen ist, dass zudem die Anordnung zur Verfahrensverbindung nach § 34 Abs. 4 und Abs. 5 AsylG 2005 im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof und dem Verfassungsgerichtshof nach den für diese maßgeblichen Verfahrensvorschriften grundsätzlich nicht gilt.

18       Dass aber dem vorgeblichen Sohn des Revisionswerbers rechtskräftig der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden wäre, der Revisionswerber deshalb einen Anspruch auf Gewährung desselben Schutzstatus nach § 34 Abs. 2 oder Abs. 3 iVm § 34 Abs. 1 Z 1 oder Z 2 AsylG 2005 beanspruchen könnte und insoweit auch ein neuer Sachverhalt vorgelegen wäre, der der Zurückweisung seines Folgeantrages wegen entschiedener Sache entgegen gestanden wäre (vgl. dazu nochmals VwGH Ro 2018/19/0004; Rn. 16), ergibt sich weder aus den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts noch wird dies in der Revision behauptet.

19       Im Übrigen wird in der Revision ausgeblendet, dass das Bundesverwaltungsgericht - unbestritten - festgestellt hat, dass der Revisionswerber vom Landesgericht Linz wegen unerlaubten Umganges mit Suchtgiften, Widerstands gegen die Staatsgewalt und schwerer Körperverletzung rechtskräftig verurteilt wurde. Somit stünden im gegenständlichen Fall einer Ableitung des Schutzstatus von einem Familienangehörigen jedenfalls die Bestimmungen des § 34 Abs. 2 Z 1 und Abs. 3 Z 1 iVm § 2 Abs. 3 Z 1 AsylG 2005 entgegen.

20       Von der Klärung der Frage, ob der vom Revisionswerber bezeichnete Fremde tatsächlich sein minderjähriger Sohn ist, hängt sohin im gegenständlichen Fall die Revision nicht ab.

21       Vor diesem Hintergrund werden in der Revision keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 4. August 2020

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Beweismittel Zeugenbeweis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140343.L00

Im RIS seit

28.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten