Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. M*****, vertreten durch Mag. Ulrich Paulsen, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei Mag. G*****, vertreten durch Dr. Norbert Moser und Mag. Johannes Mutz, Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, wegen 6.850,76 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 27. März 2020, GZ 1 R 34/20z-46, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 12. Dezember 2019, GZ 20 C 778/17f-39, als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung über die Berufung des Beklagten unter Abstandnahme vom gebrauchten Nichtigkeitsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Nach den – vom Berufungsgericht noch nicht überprüften – Feststellungen des Erstgerichts nahm die Klägerin am frühen Abend des 27. 2. 2016 ihren PKW im Stadtgebiet von Klagenfurt am Wörthersee in Betrieb und parkte rückwärts aus, nachdem ein ampelbedingt – also bei Rotlicht – auf der Fahrbahn zum Stillstand gebrachtes Fahrzeug seinerseits im Retourgang etwas zurückgesteuert worden war, um ihr das Verlassen des Parkplatzes zu erleichtern; die Klägerin hatte zuvor einen ersten Ausparkversuch aufgrund des vom Warnsensor ihres Fahrzeugs abgegebenen Signals abgebrochen und war wiederum auf die zuvor benützte Parkfläche zurückgefahren. Im Zuge des effektiven Ausparkmanövers nahmen weder die Klägerin noch ihr Beifahrer irgendeinen Karosseriekontakt zwischen den Fahrzeugen wahr, hörten auch keine darauf hindeutenden akustischen Signale und ereignete sich auch sonst nichts, woraus die Klägerin oder ihr Beifahrer hätten erkennen können, dass es zu einem – wenn auch nur minimalen – Karosseriekontakt gekommen wäre. Insbesondere wurde von Seiten des Lenkers des anderen Fahrzeugs weder bei noch nach erfolgtem Ausparkmanöver mittels Lichthupe, Abgabe eines akustisch wahrnehmbaren Hupsignals oder sonstiger Kontaktnahme auf einen allfälligen Karosseriekontakt hingewiesen. Nachdem sich die Klägerin nach diesem – sohin problemlos erfolgten – Ausparkmanöver und ordnungsgemäßer Einordnung ihres Fahrzeugs auf der Fahrbahn mittels Handzeichen dafür bedankt hatte, dass ihr das Ausparken ermöglicht worden war, entfernte sie sich.
Kurze Zeit später wurde die Klägerin allerdings behördlich davon in Kenntnis gesetzt, dass sie wegen der Verursachung eines Verkehrsunfalls mit Sachschaden und anschließender Fahrerflucht angezeigt worden sei. Da sie an ihrem PKW keinen wie immer gearteten Schaden feststellen konnte, beauftragte sie den Klagevertreter mit ihrer Vertretung im gesamten anzeigebedingt eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahren, der ihr für sein erforderliches und zur Gänze erfolgreiches Tätigwerden 6.850,76 EUR an Honorar in Rechnung stellte, das die Klägerin in der Folge persönlich überwies; von ihrem Rechtschutzversicherer erhielt sie keine Refundierung.
Die Klägerin begehrt – ausdrücklich gestützt auf den Titel des Schadenersatzes – die Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz dieser Kosten; dieser habe durch seine „wahrheitswidrige Privatanzeige“ diesen Schaden verursacht. Im verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahren habe sich herausgestellt, dass ein Verkehrsunfall mit Sachschaden nicht stattgefunden habe.
Der Beklagte bestritt den Vorwurf, er habe den Sachverhalt wahrheitswidrig angezeigt, als unrichtig; tatsächlich habe es im Bereich des rechten vorderen Kotflügels des Beklagtenfahrzeugs eine Eindellung durch die Kollision gegeben. Jedenfalls habe der Beklagte nicht wissentlich unwahr die Anzeige eingebracht.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Klägerin habe das Beklagtenfahrzeug nicht touchiert und beschädigt; der Vorwurf des Beklagten, die Klägerin habe Fahrerflucht begangen, sei daher unrichtig gewesen. Ausschließlich aufgrund dieses Vorwurfs habe die Klägerin den Klagevertreter mit ihrer Vertretung beauftragt.
Das Berufungsgericht hob sowohl das angefochtene Urteil als auch das erstinstanzliche Verfahren als nichtig auf und wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Die Klägerin mache die ihr aufgrund der Anzeige des Beklagten entstandenen anwaltlichen Vertretungskosten in einem Verwaltungsstrafverfahren geltend; die Frage des Kostenersatzes könne aber grundsätzlich nur von jener Behörde entschieden werden, vor der das Verfahren stattgefunden habe. Dass die Klägerin ihren Anspruch „aus einem Verschulden des Beklagten ableitet“, ändere nichts daran, dass sie bloß Ersatz ihrer im Verwaltungsverfahren entstandenen Kosten begehrt.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der Klägerin ist zulässig (vgl bloß A. Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO5 [2019] § 519 Rz 9); er ist auch berechtigt.
1. Es entspricht zwar ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass für die selbstständige Geltendmachung von Verwaltungs-(straf-)verfahrenskosten der ordentliche Rechtsweg ausgeschlossen ist und hiefür nur der Verwaltungsweg offensteht (RS0022786). Hievon wurde aber bereits in der Entscheidung 3 Ob 77/54 (JBl 1954, 568 [Michlmayr]; ebenso 6 Ob 17/70) eine Ausnahme für den Fall gemacht, dass der Ersatzanspruch aus der Übertretung einer privatrechtlichen Vereinbarung abgeleitet werde; anerkannt ist außerdem, dass der Klagsweg zu beschreiten ist, wenn die Verwaltungsbehörde auf den Zivilrechtsweg verwiesen hat (6 Ob 17/70 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).
2. In der Entscheidung 4 Ob 37/16v (DRdA 2017, 32/3 [Rebhahn/Dullinger]) führte der Oberste Gerichtshof aus, dass die Frage, ob eine Partei ihren im Verwaltungsrechtsweg entstandenen Kostenaufwand erfolgreich geltend machen kann, davon abhängig ist, ob die andere Partei rechtswidrig und schuldhaft falsche Angaben gegenüber der Verwaltungsbehörde gemacht hatte, die dafür kausal waren, dass diese ein Verfahren veranlasste, wodurch der erstgenannten Partei die als Schaden geltend gemachten Vertretungskosten entstanden. Bei diesen Kosten handelt es sich um einen Rettungsaufwand, also um einen Aufwand, der gemacht wurde, um eine Gefahr abzuwenden (RS0023516). Die Entscheidung 1 Ob 231/16a hat dazu ausdrücklich festgehalten, dass Rechtsanwaltskosten, die aufgewendet werden, um eine drohende Verwaltungsstrafe abzuwenden, als „Rettungsaufwand“ positiver Schaden sind, der (nur) zu ersetzen ist, wenn er zweckmäßig und angemessen war (vgl auch RS0106806&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False">RS0106806 [unvermeidbare Verfahrenshandlungen]; 8 Ob 6/09d).
Weder dem Berufungsgericht noch der Beklagten in ihrer Rekursbeantwortung gelingt es aufzuzeigen, worin sich der vorliegende Sachverhalt von jenen der genannten Entscheidungen unterscheiden sollte. Auch hier macht die Klägerin, die sich ausdrücklich auf den Titel des Schadenersatzes stützt, geltend, dass ihre Kosten durch die Privatanzeige des Beklagten, die zur Einleitung eines verwaltungsstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens führten, verursacht wurden.
3. Ob die Voraussetzungen für eine Ersatzpflicht des Beklagten hier tatsächlich gegeben sind, ist derzeit nicht zu beurteilen. Hat nämlich das Berufungsgericht über die Berufung nicht meritorisch, sondern formell im Sinne einer Nichtigerklärung und Zurückweisung der Klage entschieden, kann der Oberste Gerichtshof über berechtigten Rekurs dem Berufungsgericht nur die meritorische Entscheidung über die Berufung auftragen, nicht aber selbst in der Sache entscheiden (RS0065254&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False">RS0065254).
4. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.
Textnummer
E128850European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00094.20X.0625.000Im RIS seit
20.08.2020Zuletzt aktualisiert am
29.06.2021