Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 1. Juli 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Weinhandl als Schriftführerin in der Strafsache gegen A***** K***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs nach §§ 15, 206 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 18. Februar 2020, AZ 145 Hv 63/19a-12, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Mayer zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem freisprechenden Teil, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung), und weiters der darauf gegründete Beschluss auf Erteilung einer Weisung gemäß §§ 50 Abs 1, 51 Abs 3 StGB aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
A***** K***** ist schuldig, er hat am 29. September 2019 in W***** an einer unmündigen Person eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung zu unternehmen versucht, indem er die am 29. August 2006 geborene N***** P***** (nach den vom bereits rechtskräftigen Schuldspruch erfassten Handlungen) aufforderte, ihm auf die Toilette des Schwimmbades zu folgen und dort einen Oralverkehr an ihm vorzunehmen.
Er hat hiedurch das Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 15, 206 Abs 1 StGB begangen und wird hiefür sowie für das ihm weiterhin zur Last liegende Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB sowie des § 19 Abs 1 JGG iVm § 5 Z 4 JGG nach § 206 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt.
Gemäß § 43a Abs 3 StGB wird ein Strafteil von zwölf Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB wird die Vorhaft vom 29. September 2019, 17:10 Uhr, bis 29. September 2019, 23:15 Uhr, auf die verhängte Strafe angerechnet.
Mit ihrer Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, hinsichtlich eines Schuldspruchs wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB in Rechtskraft erwachsenen Urteil wurde der am 30. November 1999 geborene A***** K***** von der wider ihn mit Anklageschrift vom 17. Dezember 2019 (ON 6) erhobenen weiteren Anklage, er habe am 29. September 2019 in Wien mit der am 29. August 2006 geborenen, sohin unmündigen N***** P***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung zu unternehmen versucht, indem er sie „im Zuge der zur Verurteilung gelangten Handlung“ aufforderte, ihm auf die Toilette des Schwimmbades zu folgen und dort einen Oralverkehr an ihm vorzunehmen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Inhaltlich des in Rechtskraft erwachsenen Teils des Urteils hat er am 29. September 2019 in W***** mit der genannten Unmündigen außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung vorgenommen und an sich vornehmen lassen, indem er mit der Hand ihre Vagina über der Bikinihose berührte, ihre Hand in seine Badehose führte und sie dort auf seinen erigierten Penis legte sowie sie an den Brüsten und am Gesäß intensiv betastete.
Nach den für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde wesentlichen Urteilsannahmen fragte der Angeklagte die Unmündige nach dem vom Schuldspruch erfassten Vorfall, ob sie mit ihm die Toilette des Schwimmbades aufsuchen wolle, um ihm einen „Blowjob“ zu geben, wobei es ihm bei der von ihm vorgeschlagenen Vorgehensweise darauf ankam, den Mund des Mädchens mit seinem Geschlechtsteil zu penetrieren und somit mit der Unmündigen eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung zu unternehmen (US 4 f). Das Schöffengericht erblickte in der Fragestellung des Angeklagten an die Unmündige eine Aufforderung zum Oralverkehr (US 10).
Nach dem Tatplan wollte der Angeklagte trotz seiner noch vorhandenen Erektion mit dem Mädchen das Schwimmbecken verlassen, mit diesem über die Treppen die im oberen Hallenbereich des Schwimmbades gelegene Herren-WC-Anlage aufsuchen und dort – von anderen unbeobachtet, falls die Toilette besetzt wäre, nach zeitlicher Verzögerung bis zu deren Freiwerden – den Oralverkehr an sich vornehmen lassen. Als N***** P***** auf dieses Ansinnen mit der Ankündigung reagierte, noch kurz zu ihrer Mutter zu gehen, wartete er in dem Glauben, sie würde zurückkehren und er könne sein Vorhaben verwirklichen, noch zumindest fünf Minuten auf ihre Rückkehr. Tatsächlich kam das Mädchen nicht wieder (US 5, 7, 10).
Ausgehend davon sah das Erstgericht die von § 15 Abs 2 StGB geforderte deliktsspezifische Ausführungsnähe noch nicht als erreicht an (US 8 ff) und fällte einen Freispruch.
Gegen diesen Freispruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die einen Schuldspruch wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs nach §§ 15, 206 Abs 1 StGB anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
Zutreffend zeigt die Anklagebehörde – wie auch die Stellungnahme der Generalprokuratur – auf, dass dem Erstgericht auf Basis der Feststellungen ein Rechtsfehler (Z 9 lit a) unterlaufen ist.
Die Tat tritt mit einer Aufforderung an eine unmündige Person zu sogleich durchzuführenden geschlechtlichen Handlungen regelmäßig in das Versuchsstadium (RIS-Justiz RS0090496 [T3, T5]).
Zu prüfen ist, ob die Handlung bei wertender Betrachtung ex ante und unter Berücksichtigung der konkreten Vorstellungen des Täters unmittelbar, dh ohne weitere selbständige Zwischenakte, in die Tatbestandsverwirklichung einmünden soll (RIS-Justiz RS0089845 [T3]) und ob der Täter in subjektiver Hinsicht die entscheidende Hemmstufe vor der Tat bereits überwunden hat (RIS-Justiz RS0089887, RS0089845). Bedarf es noch weiterer essentieller zeitlicher, örtlicher oder manipulativer Etappen, fehlt es an dem für die Ausführungsnähe vorausgesetzten engen zeitlich-örtlichen bzw aktionsmäßigen Konnex zur Tatausführung (RIS-Justiz RS0089845 [T4], RS0089740).
Den Urteilstatsachen ist eine ins Gewicht fallende (zeitliche, örtliche oder manipulative) Etappe zwischen dem im Zeitpunkt der Aufforderung geplanten Verlassen des Schwimmbeckens und dem anschließenden Betreten der WC-Anlage nicht zu entnehmen (vgl 14 Os 104/88 – Aufforderung zum Zusammentreffen nach Arbeitsschluss und zum gemeinsamen Aufsuchen einer Wohnung zur Vornahme eines Analverkehrs; 12 Os 21/90 – Aufforderung, den Täter zu begleiten, um mit ihm zu onanieren). Der Umstand, dass der Angeklagte nach seiner nach dem oben dargestellten Tatplan bereits als Versuchshandlung zu wertenden Aufforderung die vorübergehende Entfernung des Mädchens zum (vorgegebenen) Aufsuchen der Mutter kommentarlos hinzunehmen gewillt war, ist ohne Belang. Der Zeitspanne wiederum, die durch das beabsichtigte Zuwarten auf die Tatgelegenheit durch das Aufsuchen der WC-Anlage und das allfällige Abwarten eines unbeobachteten Moments entstanden wäre, kommt nicht die Bedeutung einer selbständigen zeitlichen Zwischenstufe zu. Auch war die entscheidende Hemmstufe schon im Tatzeitpunkt überwunden.
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft waren daher das Urteil und demzufolge der zugleich mit diesem ergangene Beschluss auf Erteilung einer Weisung (ON 15) im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang aufzuheben.
Demnach war auf Basis der vom Erstgericht getroffenen – unbedenklichen und unbeanstandet gebliebenen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 415, § 285 Rz 14; RIS-Justiz RS0114638 [T2]) – Feststellungen ein Schuldspruch wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 15, 206 Abs 1 StGB zu fällen. Dieser war allerdings – abweichend von der Anklageschrift (II./), die durch die Formulierung „im Zuge der unter I./ beschriebenen Handlungen“ eine tatbestandliche Handlungseinheit indiziert (Philipp in WK² StGB § 206 Rz 31) – den einen selbständigen Tatentschluss nach Beendigung der vorangehenden geschlechtlichen Handlungen umschreibenden Feststellungen anzupassen.
Bei der zufolge dieser Entscheidung erforderlichen Strafbemessung war von einem Strafrahmen von bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe auszugehen (§ 206 Abs 1 StGB iVm § 19 Abs 1 JGG iVm § 5 Z 4 JGG – § 19 Abs 4 Z 2 JGG idF BGBl I 2019/105 war im Hinblick auf die Tatzeit und §§ 1, 61 StGB im vorliegenden Fall nicht anzuwenden).
Als erschwerend war das Zusammentreffen von zwei Verbrechen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) zu werten, als mildernd hingegen der bisher ordentliche Lebenswandel (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB), das reumütige und umfassende Geständnis (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB), die Tatbegehung vor Vollendung des 21. Lebensjahres (§ 34 Abs 1 Z 1 StGB) und der Umstand, dass es hinsichtlich der zweiten Tat beim Versuch geblieben ist (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB).
Ausgehend davon (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) war auf der Grundlage der Schuld des Angeklagten (§ 32 Abs 1 StGB) und der Auswirkungen der Taten auf das Opfer (US 6; § 32 Abs 3 StGB) die aus dem Spruch ersichtliche Freiheitsstrafe zu verhängen.
Gänzlich bedingte Strafnachsicht kam im Hinblick auf die Art und das Gewicht der Taten sowie den Grad der Schuld des Angeklagten nicht in Betracht.
Unter Berücksichtigung der Unbescholtenheit und der Persönlichkeit des zur Tatzeit jungen Erwachsenen war aber davon auszugehen, dass die Verbüßung bloß eines Teils der Strafe genügen wird (§ 43a Abs 3 StGB), um ihm das Unrecht seiner Taten eindrucksvoll vor Augen zu führen und ihn von der Begehung strafbarer Handlungen insbesondere gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung von Unmündigen abzuhalten.
Die Anrechnung der Vorhaftzeiten (ON 2 S 2, 5, 51, 53) gründet sich auf § 38 Abs 1 Z 1 StGB.
Mit ihrer Berufung war die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 389 Abs 1, 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E128866European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0150OS00056.20D.0701.000Im RIS seit
21.08.2020Zuletzt aktualisiert am
15.01.2021