TE Vwgh Beschluss 1997/12/19 97/19/1720

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Veröffentlicht am 19.12.1997
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1;
B-VG Art144 Abs1;
VwGG §26 Abs3;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §61;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 97/19/1721

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winkler, 1.) über den Antrag des 1956 geborenen Z K in W, vertreten durch den zur Verfahrenshilfe beigegebenen Mag. Bert Ortner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Grillparzerstraße 7, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung einer Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. November 1996, Zl. 306.692/2-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung,

2.) über die Beschwerde des Genannten gegen den zitierten Bescheid, den Beschluß gefaßt:

Spruch

1. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht stattgegeben.

2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Mit dem angefochtenen Bescheid wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) im Spruchpunkt I die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 20. Juni 1996 gemäß § 71 AVG ab und im Spruchpunkt II die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 29. Februar 1996 gemäß § 66 Abs. 4 AVG zurück.

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 25. November 1996 zugestellt. Die sechswöchige Frist zur Erhebung von Beschwerden an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts gegen diesen Bescheid endete daher mit Ablauf des 7. Jänner 1997. Aufgrund seines innerhalb dieser Frist erhobenen Antrages wurde dem Beschwerdeführer mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. April 1997, Zl. VH 96/19/0586-4, Verfahrenshilfe u.a. durch Beigebung eines Rechtsanwaltes gewährt und mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 10. April 1997 der nunmehrige Vertreter des Beschwerdeführers zum Vertreter für den Beschwerdeführer bestellt. Dieser Bestellungsbescheid wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers am 18. April 1997 zugestellt.

2. Mit einem am 30. Mai 1997 zur Post gegebenem Schriftsatz erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Der Vertreter des Beschwerdeführers berief sich hiebei zum Nachweis seiner Vertretungsbefugnis ausdrücklich auf seine Bestellung zum Verfahrenshelfer "gemäß Par. 61 VwGG" unter Zitierung der Zl. VH 1996/19/0586-4.

Der Verfassungsgerichtshof wies mit Beschluß vom 10. Oktober 1997, B 1304/97, die Beschwerde zurück und den Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ab. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof aus, der einschreitende Rechtsanwalt sei durch den von ihm erwähnten Bescheid des Kammerausschusses zur Verfahrenshilfe für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof bestellt worden. Es bestehe keine Rechtsvorschrift, welche die gemäß § 61 VwGG iVm § 464 Abs. 3 ZPO eintretende Wirkung der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes auf den Fristenlauf im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof über dieses Verfahren hinaus auf ein anderes Verfahren ausdehne, insbesondere nicht in der anscheinend vorgenommenen Weise auf ein denselben Bescheid betreffendes Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof. Die Verfassungsgerichtshofbeschwerde erweise sich demnach wegen Versäumung der ab Zustellung des angefochtenen Bescheides an den Beschwerdeführer am 25. November 1996 zu berechnende, sechswöchige Beschwerdefrist des § 82 Abs. 1 VerfGG als verspätet und sei sohin zurückzuweisen. Der Antrag, die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abzutreten, sei abzuweisen, weil nach Art. 144 Abs. 3 B-VG (und § 87 Abs. 3 VerfGG) eine solche Abtretung nur für den Fall vorgesehen sei, daß der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde abweise oder eine Behandlung ablehne, nicht aber für den Fall ihrer Zurückweisung.

Dieser Beschluß wurde dem Verfahrenshelfer am 11. November 1997 zugestellt.

3. Der Beschwerdeführer begründet seinen am 25. November 1997 zur Post gegebenen Wiedereinsetzungsantrag (zusammengefaßt) wie folgt:

Nach Erhalt des Beschlusses über die Bestellung zum Verfahrenshelfer sei die Beschwerdefrist kalendiert und anschließend der Akt dem "Dienstältesten" der damals zwei Konzipienten der Kanzlei des Verfahrenshelfers zur weiteren Bearbeitung übergeben worden. Dieser Konzipient, der seit 1. März 1995 in der Kanzlei des Verfahrenshelfers tätig und zuvor ab August 1993 in einer weiteren Rechtsanwaltskanzlei Konzipient gewesen sei, befasse sich in der Kanzlei des Verfahrenshelfers schwerpunktmäßig mit Angelegenheiten des öffentlichen Rechts, insbesondere des Fremdenrechts im weitesten Sinne. Er habe während der Zeit seiner Tätigkeit vergleichbare Akten eigenständig und fehlerfrei bearbeitet; er habe jeweils die Rechtslage studiert, wesentliche Entscheidungen, auf die er aufmerksam geworden sei, für den Akt kopiert und Schriftsatzentwürfe erarbeitet, die bislang frei von inhaltlichen Mängeln gewesen seien und nach entsprechender Kontrolle durch einen der Rechtsanwälte der Kanzlei im wesentlichen unverändert hätten unterfertigt werden können. Insbesondere sei während der gesamten Tätigkeit des Konzipienten für die Kanzlei des Verfahrenshelfers kein von ihm vorbereiteter Schriftsatz von der angerufenen Behörde bzw. vom angerufenen Gericht zurückgewiesen oder auch nur aus formalen Gründen beanstandet worden.

Der Konzipient habe sich auftragsgemäß mit dem Beschwerdeführer in Verbindung gesetzt und die erforderlichen Informationen aufgenommen. Anschließend habe er die Rechtslage geprüft und sei zu dem Ergebnis gelangt, daß eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, verbunden mit einem Eventualantrag nach Art. 144 Abs. 3 B-VG, materiell-rechtlich der Rechtsbehelf sei, welcher für den Antragsteller vermeintlich die höchsten Erfolgschancen verspreche. Er habe sich auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Beschwerdeführer, dem die Verfahrenshilfe vom Verwaltungsgerichtshof gewährt worden sei, trotz zwischenzeitigen Ablaufs der Frist des § 82 Abs. 1 VerfGG, dennoch den Verfassungsgerichtshof anrufen könne. Er habe zunächst am 28. Mai 1997 einen Schriftsatz an den Verwaltungsgerichtshof vorbereitet. In der Folge habe er (vermeintlich) einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gefunden, wonach im Fall der Abweisung der Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof diese "nicht erst mit der Abtretung, sondern schon zu dem Zeitpunkt als beim Verwaltungsgerichtshof (zu ergänzen: eingebracht) anzusehen sei, zu dem sie beim Verfassungsgerichtshof eingebracht worden sei". Da ihm diese Entscheidung als auf den vorliegenden Fall anwendbar erschienen sei, habe der Konzipient eine Kopie des Leitsatzes dieser Entscheidung in den Handakt des Verfahrenshelfers eingelegt und sich entschlossen, den Schriftsatz an den Verfassungsgerichtshof zu richten. Er habe daher in weiterer Folge den Entwurf vom 28. Mai 1997 in diesem Sinn abgeändert. Aufgrund der starken Arbeitsüberlastung in der Kanzlei des Verfahrenshelfers im Mai 1997 habe sich der Konzipient entschlossen, den Feiertag des 29. Mai 1997 (Fronleichnam) zu nutzen, um u.a. den Akt (und den Rohentwurf des Schriftsatzes) in das Haus seiner Mutter in der Nähe von Tulln mitzunehmen und dort den Schriftsatz zu überarbeiten. Der Schriftsatz sei erst am späteren Nachmittag des 30. Mai 1997, des letzten Tages der Beschwerdefrist, in Reinschrift vorgelegen und sollte vereinbarungsgemäß mit dem Verfahrenshelfer besprochen werden. Gegen 19.00 Uhr sei es dann zu diesem Gespräch gekommen, bei welchem der Konzipient dem Verfahrenshelfer den fertig vorbreiteten Schriftsatz vorgelegt habe. Der Verfahrenshelfer habe nach dem zugrundeliegenden Akt gefragt, um kontrollieren zu können, ob die Beschwerde fach- und sachgerecht verfaßt worden sei. Der Konzipient habe daraufhin bei einer Nachschau festgestellt, daß er den Akt versehentlich im Haus seiner Mutter "liegen gelassen" hatte. Da es zu diesem Zeitpunkt bereits zu spät gewesen sei, in die Umgebung von Tulln zu fahren, um den Akt zu holen, habe der Verfahrenshelfer eine Prüfung auf Basis der vorbereiteten Bescheidkopien vorgenommen und dabei keine formalen oder inhaltlichen Mängel des Schriftsatzes festgestellt. Dazu komme noch, daß der Verfahrenshelfer von den Kenntnissen und Fähigkeiten seines Konzipienten eine hohe Meinung gehabt habe und bislang noch niemals enttäuscht worden sei. Er habe daher den Schriftsatz unterschrieben und diesen noch als Spätlingssendung aufgegeben. Der Konzipient habe nicht erwähnt, daß er sich, im Vertrauen auf die von ihm aufgefundene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes, entschlossen hatte, den Schriftsatz an den Verfassungsgerichtshof und nicht an den Verwaltungsgerichtshof zu richten. Auf diesen Umstand sei der Verfahrenshelfer erst mit Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses am 11. November 1997 aufmerksam geworden. In der Kanzlei des Verfahrenshelfers seien Kontrolleinrichtungen vorgesehen, um Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Wahrscheinlichkeit nach auszuschließen. Von Konzipienten vorbereitete Schriftsätze würden selbstverständlich ausschließlich von Rechtsanwälten unterschrieben und vor der Unterfertigung auf Richtigkeit überprüft. Weiteres bestehe die Anweisung, daß Konzipienten nur ausnahmsweise Akten zur Bearbeitung mit nach Hause nehmen dürften und daß solche Akten am Morgen des nächstfolgenden Arbeitstages in die Kanzlei zurückzubringen seien. Mit der Einhaltung dieser Anweisung habe es bis zum 30. Mai 1997 niemals Probleme gegeben. Angesichts des geschilderten Vorfalles vom 30. Mai 1997 dürften nunmehr von Konzipienten nur noch Kopien von Aktenstücken über Nacht mitgenommen werden.

Die Versäumung der fristgerechten Einbringung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde sei somit auf ein unvorhergesehens und unabwendbares Ereignis, nämlich darauf zurückzuführen, daß der Rechtsanwaltsanwärter Mag. M. entgegen seiner sonstigen Verläßlichkeit den Akt versehentlich am 30. Mai 1997 nicht in die Kanzlei mitgebracht habe und aus diesem Grund vom Vertreter des Antragstellers nicht bemerkt worden sei und auch nicht habe bemerkt werden können, daß der Konzipient den Schriftsatz unrichtigerweise an den Verfassungsgerichtshof gerichtet habe, obwohl sich aus dem Akteninhalt ergeben habe, daß eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof der zutreffende Rechtsbehelf gewesen wäre. Der Rechtsirrtum des Konzipienten, der (in bester Absicht, den Mandanten zu helfen) zur Überarbeitung des Schriftsatzes geführt habe und welcher dem Verfahrenshelfer aufgrund des Nichtvorliegens des Aktes nicht habe auffallen können, sei "übrigens zumindest nachvollziehbar".

4. Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehens oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Ein minderer Grad des Versehens hindert die Wiedereinsetzung nicht.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei (vgl. den hg. Beschluß vom 23. Februar 1995, Zl. 95/18/0176, mwH.). Dabei stellt ein einem Rechtsanwalt widerfahrenes Ereignis (dazu vgl. den hg. Beschluß eines verstärkten Senates vom 25. März 1976, Slg. Nr. 9024/A) einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Rechtsanwalt selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war oder es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt. Ein Verschulden des Rechtsanwaltes, das über einen minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes den Beschluß vom 8. August 1996, Zlen. 96/14/0072, 0078). Zu beurteilen ist somit das Verhalten des Rechtsanwaltes selbst (vgl. den hg. Beschluß vom 19. Jänner 1990, Zlen. 89/18/0202, 0203). Der Wiedereinsetzungswerber bzw. sein Vertreter darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht außeracht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige, bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa die schon zitierten hg. Beschlüsse vom 23. Februar 1995 sowie vom 8. August 1996, mwH).

Bei Anwendung des bei beruflichen rechtskundigen Parteienvertretern gebotenen strengeren Maßstabes hätte es die dem Rechtsanwalt obliegende Sorgfaltspflicht erfordert, sich bei der Unterfertigung der von seinem rechtskundigen Mitarbeiter vorbereiteten, an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde, in der er sich jedenfalls auf die Bestellung zum Verfahrenshelfer berief, über den Inhalt des Bestellungsbeschlusses zu vergewissern. Dabei hätte es dem Rechtsanwalt - trotz Fehlens seines Handaktes - aufgrund des Hinweises im Rubrum des Beschwerdeschriftsatzes auf die Bestellung zum "Verfahrenshelfer gemäß Par. 61 VwGG" und des Hinweises auf die Einhaltung der Beschwerdefrist "gemäß Par. 26 Abs. 3 VwGG" auffallen müssen, daß die Verfahrenshilfe zur Einbringung der Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof bewilligt und er hiefür von der Rechtsanwaltskammer als Verfahrenshelfer bestellt worden war. Da der Rechtsanwalt dies nicht beachtete (ungeachtet des Umstandes, daß der Konzipient aus eigenem nicht darauf hinwies) unterlief ihm ein Versehen, das nicht minderen Grades ist.

Dem Wiedereinsetzungsantrag war daher nicht stattzugeben.

Bei diesem Ergebnis war die am 25. November 1997 zur Post gegebene Beschwerde wegen Versäumung der Beschwerdefrist gemäß § 34 Abs. 1 VwGG durch Beschluß in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen, wodurch sich auch eine Entscheidung des Berichters über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde erübrigte.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 und 7 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1997191720.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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