Entscheidungsdatum
03.06.2020Norm
AVG 1991 §42Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch Mag. Sonja Dusatko als Einzelrichterin über die Beschwerden der Frau A und des Herrn B, beide ***, ***, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 09.03.2020, ***, mit dem die Bezirkshauptmannschaft Baden der C GmbH, FN ***, die gewerbebehördliche Genehmigung für die Änderung der Betriebsanlage im Standort ***, ***, KG ***, Grst.Nr. ***, EZ ***, durch die Änderung der maximalen Personenzahl auf 184 Gäste sowie darauf basierende
Verbesserungen der Fluchtwegsituation u. Änderung der Maschinenausrüstung unter Verweis auf eine näher angeführte Projektbeschreibung und unter Vorschreibung von Auflagen erteilt hat sowie die Einwendungen der Beschwerdeführer gegen dieses Projekt abgewiesen hat und den Antrag der Beschwerdeführer auf Wiederaufnahme des Verfahrens zum Bescheid vom 06.10.2000 bzw. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen hat,
betreffend die Abweisung des Antrages der Beschwerdeführer auf Wiederaufnahme des Verfahrens zum Bescheid vom 06.10.2000 bzw. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht:
1. Der Spruchteil
„Weiters wird der Antrag von Herrn B und A auf Wiederaufnahme des Verfahrens zum Bescheid vom 6.Oktober 2000 bzw. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen.“
wird wie folgt abgeändert:
„Dem Antrag auf Zustellung des Bescheides vom 06.10.2000 wird Folge gegeben. Der Bezirkshauptmannschaft Baden wird der Auftrag erteilt, den Bescheid vom 06.10.2000 den Beschwerdeführern zuzustellen. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird zurückgewiesen.“
2. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.
Rechtsgrundlagen:
§ 28 VwGVG (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF)
§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG
Hinweis: Die Entscheidung über die Beschwerde gegen die Erteilung der gewerbebehördlichen Genehmigung für die Änderung der Betriebsanlage im Standort ***, ***, KG ***, Grst.Nr. ***,
EZ ***, durch die Änderung der maximalen Personenzahl auf 184 Gäste sowie darauf basierende Verbesserungen der Fluchtwegsituation u. Änderung der Maschinenausrüstung und die Abweisung der Einwendungen ergeht noch gesondert.
Entscheidungsgründe:
1. Zum verwaltungsbehördlichen Verfahren:
Mit Bescheid vom 09.03.2020, ***, hat die Bezirkshauptmannschaft Baden der C GmbH, FN ***, die gewerbebehördliche Genehmigung für die Änderung der Betriebsanlage im Standort ***, ***, KG ***, Grst.Nr. ***, EZ ***, durch die Änderung der maximalen Personenzahl auf 184 Gäste sowie darauf basierende
Verbesserungen der Fluchtwegsituation u. Änderung der Maschinenausrüstung unter Verweis auf eine näher angeführte Projektbeschreibung und unter Vorschreibung von Auflagen erteilt sowie die Einwendungen der Beschwerdeführer gegen dieses Projekt abgewiesen und den Antrag der Beschwerdeführer auf Wiederaufnahme des Verfahrens zum Bescheid vom 06.10.2000 bzw. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen.
Dem ist folgender Verfahrensablauf vorangegangen (chronologisch):
Der Rechtsvorgänger der C GmbH, hat um gewerbebehördliche Genehmigung und um baubehördliche Bewilligung für die Erweiterung der Betriebsanlage durch die Errichtung eines Gastgewerbebetriebes samt Lüftungsanlage im Obergeschoß sowie Umbauten im Erdgeschoß und Änderungen in der Raumaufteilung im Standort
***, ***, EZ ***, KG ***, angesucht.
Die Bezirkshauptmannschaft Baden hat dazu am 24.01.2000 und am 03.05.2000 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Die Verhandlung für den 24.01.2000 wurde am 20.12.1999 anberaumt, die Verhandlung für den 03.05.2000 wurde am 10.04.2000 anberaumt. Beide Anberaumungen weisen folgenden Text auf (Modifikation nur im Datum):
„Anberaumung einer mündlichen Verhandlung
durch A) öffentliche Bekanntmachung durch Anschlag und
B) durch persönliche Verständigung der Verfahrensparteien
Herr D, ***, hat um gewerbebehördliche Genehmigung und um baubehördliche Bewilligung für die Erweiterung der Betriebsanlage durch die Errichtung eines Gastgewerbebetriebes samt Lüftungsanlage im Obergeschoß sowie Umbauten im Erdgeschoß und Änderungen in der Raumaufteilung im Standort ***, ***, EZ ***, KG ***, angesucht.
Die Bezirkshauptmannschaft Baden beraumt hierüber eine Augenscheinsverhandlung für
Mittwoch 3. Mai 2000 an.
Treffpunkt: 8.30 Uhr - ***, ***
Sie werden eingeladen, als Beteiligter zur Verhandlung persönlich zu erscheinen oder einen Vertreter zu entsenden. Dieser muß mit der Sachlage vertraut, bevollmächtigt und eigenberechtigt sein.
(Hinweis
Bitte beachten Sie,
- sollten Sie als Nachbar nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung oder während der Verhandlung Einwendungen gegen die Anlage im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1, 2, 3 oder 5 der Gewerbeordnung 1994 erheben, verlieren Sie Ihre Parteistellung (§ 42 Abs. 1 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991).
- In die Projektunterlagen können Sie während der Amtsstunden bei der Bezirkshauptmannschaft Baden einsehen.
- Versäumt derjenige, auf dessen Ansuchen das Verfahren eingeleitet wurde, diese Verhandlung, so kann sie entweder in seiner Abwesenheit durchgeführt oder auf seine Kosten auf einen anderen Termin verlegt werden.)
Rechtsgrundlagen
§ 1 der NÖ Bauübertragungsverordnung
§ 21 NÖ Bauordnung
§ 359b der Gewerbeordnung 1994,
§§ 40 - 44 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991.
Ergeht an:
1. ….
2. die Gemeinde ***,
mit dem Ersuchen
- je eine Kundmachung an den Amtstafeln anzuschlagen und die Projektunterlagen (falls angeschlossen) zur Einsicht bereitzuhalten,
- je eine Kundmachung in den der Anlage unmittelbar benachbarten Häusern anzuschlagen; die Eigentümer der betroffenen Häuser haben derartige Anschläge zu dulden,
- an der Verhandlung teilzunehmen und vor deren Beginn dem Verhandlungsleiter die Einladungskurrende, die Verständigungsnachweise, die angeschlagenen Kundmachungen, versehen mit dem Anschlags- und Abnahmevermerk, sowie die Projektunterlagen zu übergeben.“
Eine persönliche Verständigung der Beschwerdeführer erfolgte nicht.
Die Einladung für die Verhandlung am 03.05.2000 wurde am 20.04.2000 im Amtsblatt der Bezirkshauptmannschaft Baden verlautbart. Ein Hausanschlag der Kundmachung erfolgte durch die Stadtgemeinde *** in den Häusern ***, ***, *** und ***. Ein Hausanschlag am Haus der Beschwerdeführer in der *** erfolgte damals nicht. Die Beschwerdeführer haben auch an der mündlichen Verhandlung vom 03.05.2000 nicht teilgenommen.
Mit Bescheid vom 06.10.2000, ***, *** hat die Bezirkshauptmannschaft Baden dem Rechtsvorgänger der C GmbH unter Spruchpunkt I die gewerbebehördliche Genehmigung für die Erweiterung der gewerblichen Betriebsanlage im Standort ***, ***, EZ ***, KG *** durch Errichtung eines Gastgewerbebetriebes samt Lüftungsanlage im Obergeschoß sowie Umbauten im Erdgeschoß und Änderungen in der Raumaufteilung unter Anführung einer näheren Projektbeschreibung und unter Vorschreibung von Auflagen erteilt. Als Rechtsgrundlagen sind die §§ 74 Abs. 2, 77, 81, 333 und 359 GewO angeführt.
Unter Spruchpunkt III. wurde dafür die Baubewilligung erteilt.
Im Jahr 2013 beantragte der Rechtsvorgänger der C GmbH eine Änderung der Betriebsanlage. Dazu hat die Bezirkshauptmannschaft Baden am 08.05.2013 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Eine persönliche Verständigung der Beschwerdeführer erfolgte auch hier nicht, ebenso wenig ein Hausanschlag am Haus ***. In weiterer Folge ist die C GmbH in das Genehmigungsverfahren eingetreten und hat eine Projektänderung vorgelegt. Die Bezirkshauptmannschaft Baden hat dazu mit Schreiben vom 11.07.2019 für den 12.08.2019 eine Genehmigungsverhandlung anberaumt. In der Anberaumung ist unter anderem folgendes ausgeführt:
„Stadtgemeinde ***, ***, ***;
C GmbH, gastgewerbliche Betriebsanlage; Änderung der maximalen Personenzahl sowie darauf basierende Verbesserungen der Fluchtwegsituation u. Änderung der Maschinenausrüstung;
Standort: ***, ***, KG ***
Genehmigungsverfahren
Anberaumung einer mündlichen Verhandlung
durch
A) öffentliche Bekanntmachung durch Anschlag und
B) durch persönliche Verständigung der Verfahrensparteien
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 6.10.2000, *** und
***, wurde die gewerbebehördliche Genehmigung für die Errichtung eines
Gastgewerbebetriebes samt Lüftungsanlage im Obergeschoß sowie für Umbauten im
Erdgeschoß und Änderungen der Raumaufteilung im Standort ***,
***, erteilt, weiters die baubehördliche Bewilligung für diese
Änderungen. Die genehmigten Öffnungszeiten für das Lokal im OG sind Mi, Do und
So von 17:00 bis 02:00 Uhr, Fr und Sa von 17:00 bis 04:00 Uhr. Die Anzahl der
genehmigten Verabreichungsplätze beträgt 88.
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 18.01.2013, *** und ***, wurde die Anzeige über die Errichtung einer Fluchtstiege zwischen der *** und dem Hauptgebäude im
Innenbereich des Strandbades zur Verbesserung der Fluchtwegsituation zur
Kenntnis genommen.
Herr E hat 2013 um gewerbebehördliche Genehmigung für die
Änderung der maximalen Personenzahl auf 220 Gäste sowie darauf basierende
Verbesserungen der Fluchtwegsituation u. Änderung der Maschinenausrüstung im
Standort ***, ***, Grst.Nr. ***, EZ ***, KG
***, angesucht.
Dazu fand am 08.05.2013 eine mündliche Verhandlung statt, bei der das Projekt von den Amtssachverständigen für Bautechnik, Maschinenbautechnik und Elektrotechnik positiv begutachtet wurde. Seitens des Amtssachverständigen für Lärmtechnik wurden Projektsergänzungen gefordert, welche bis dato nicht vorgelegt wurden.
Die aktuelle Betreiberin, die C GmbH, FN ***, ist jetzt in das Ansuchen
eingetreten und hat ein schalltechnisches Projekt vorgelegt. Gleichzeitig wird nunmehr eine Erweiterung auf maximal 184 Personen (statt 220) beantragt.
Die Bezirkshauptmannschaft Baden beraumt zur lärmtechnischen Beurteilung des jetzt vorliegenden Projektes eine Augenscheinverhandlung für
Montag, den 12. August 2019, um 08:30 Uhr
an.
Treffpunkt: Bezirkshauptmannschaft Baden, ***, ***
Sie werden eingeladen als Beteiligter/Beteiligte persönlich zur Verhandlung zu kommen oder an Ihrer Stelle einen Bevollmächtigten/eine Bevollmächtigte zu entsenden. Sie können auch gemeinsam mit Ihrem/Ihrer Bevollmächtigten zur Verhandlung kommen.
……
Als sonst Beteiligter/Beteiligte beachten Sie bitte, dass Sie Ihre Parteistellung verlieren, soweit Sie nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung während der Amtsstunden bei der Behörde oder während der Verhandlung Einwendungen erheben. Außerhalb der Verhandlung schriftlich erhobene Einwendungen müssen spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung bis zum Ende der Amtsstunden bei uns eingelangt sein.
Außer in der Verhandlung können mündliche Einwendungen bis zum Tag vor der
mündlichen Verhandlung während der Parteienverkehrszeiten bei der
Bezirkshauptmannschaft Baden erhoben werden.
In die Projektunterlagen können Sie ebenfalls während der Parteienverkehrszeiten bei der Bezirkshauptmannschaft Baden einsehen.
……
Rechtsgrundlagen
§§ 74, 77, 81, 356 der Gewerbeordnung 1994 – GewO 1994
§§ 40 - 44 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 – AVG“
Beide Beschwerdeführer wurden zu dieser Verhandlung persönlich geladen; die Ladung wurde von einem Mitarbeiter der Beschwerdeführer am 18.07.2019 übernommen.
Mit Schreiben vom 06.08.2019 haben die Beschwerdeführer Einwendungen wegen Lärmbelästigung erhoben. Als „Präambel“ ihrer Einwendungen haben Sie folgendes ausgeführt:
„Es ist festzustellen, dass wir als übergangene Partei nicht zur Verhandlung betreffend Einrichtung eines Gastbetriebes mit 88 Sitzplätzen im ersten Stock - Betriebszeit Mi Do und Sonntag von 17:00h bis 2:00h Freitag und Samstag von 17:00 bis 4:00h geladen wurden. Diese Genehmigung wurde am 6.10.2000 erteilt, wie wir jetzt dem Akt entnehmen konnten.
Es hat sich in Folge erwiesen, dass in Wahrheit eine Diskothek eingerichtet war, was zu mehreren Anzeigen wegen Lärmbelästigung aufgrund der Musik führte, dazu kam noch, dass die Gäste in der Nacht das Strandbad nutzten. Was wiederum zu Lärmbelästigungen führte.
…..
Mit diesem Betrieb sind wir nicht einverstanden und stellen dazu nun fest, dass wir übergangene Partei sind.“
Der lärmtechnische Amtssachverständiger F hat mit Schreiben vom 03.01.2020 ein lärmtechnisches Gutachten abgegeben, das den Beschwerdeführern mit Schreiben vom 08.01.2020 übermittelt wurde.
Die Beschwerdeführer haben dazu mit Schreiben vom 15.01.2020 eine Stellungnahme abgegeben in der sie unter anderem auch folgendes ausführen:
„Übergangene Partei
Wir, die Eigentümer des Hauses *** haben an der den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens bildenden Sache aufgrund eines Rechtsanspruchs bzw eines rechtlichen Interesses Parteienstellung.
Der zu erlassende Bescheid hat Ein?uss auf unsere subjektiven öffentlichen Rechte.
Von Rechts wegen kommt uns Parteienstellung zu, da wir direkt betroffen sind, jedoch wurden wir nicht am Verfahren zum Bescheid ***,*** der BH Baden vom 6.10.2000 beteiligt, sind somit übergangene Parteien.
Gerade auf diesen Bescheid bezieht sich die vorliegende Stellungnahme.
ANTRAG
Hiemit beantragen wir die Zustellung des ergangenen Bescheides ***,*** vom 6.10.2000 und beantragen nochmals die Wiederaufnahme des Verfahrens, das gegenüber uns nicht rechtskräftig abgeschlossen ist.“
Ein vorheriger Antrag der Beschwerdeführer auf Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 06.10.2000 abgeschlossenen Verfahrens ist im gesamten Verfahrensakt nicht ersichtlich.
Am 09.03.2020 hat die Bezirkshauptmannschaft Baden den angefochtenen Bescheid erlassen. In der Begründung hat sie unter anderem folgendes angeführt:
„Zum Thema der übergangenen Partei:
Dazu haben Herr B und Frau A,
***, ***, mit Schreiben vom 6.8.2019 (bei der Behörde
eingelangt am 7.8.2019) bzw. 15.1.2020 (Eingang: 17.1.2020) im Wesentlichen
vorgebracht, dass sie in das Verfahren, welches zur ursprünglichen Genehmigung
vom 6.10.2000 geführt hat, nicht eingebunden gewesen wären, daher übergangene
Partei wären und daher die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen, welches
ihnen gegenüber nicht rechtskräftig abgeschlossen worden sei.
Die Behörde hat dazu erwogen:
§ 69 des Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG lautet:
Wiederaufnahme des Verfahrens
§ 69.
(1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:
1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder
3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde;
4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Bescheides
und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat.
Nachdem keine der in Abs. 1 genannten Voraussetzungen vorliegen und dem
Vorbringen im Wesentlichen der Vorhalt zugrunde liegt, dass die Einschreiter zur
damaligen Verhandlung nicht geladen wurden und somit nicht die Möglichkeit hatten,
gegen das Vorhaben Einwendungen vorzubringen, geht die Behörde davon aus,
dass die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 71 AVG) begehrt wird.
Die einschlägige Bestimmung lautet:
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
§ 71.
(1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:
1. die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder
2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, daß kein Rechtsmittel zulässig sei.
(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muß binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.
(3) Im Fall der Versäumung einer Frist hat die Partei die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen.
(4) Zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war oder die die versäumte Verhandlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat.
(5) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages findet keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statt.
(6) Die Behörde kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung aufschiebende Wirkung zuerkennen.
(7) Der Wiedereinsetzungsantrag kann nicht auf Umstände gestützt werden, die die Behörde schon früher für unzureichend befunden hat, um die Verlängerung der versäumten Frist oder die Verlegung der versäumten Verhandlung zu bewilligen.
Dazu ist folgendes auszuführen:
Zu jenem Antrag, der zum Bescheid vom 6.10.2000 führte, fand am 3.05.2000 eine
kommissionelle Verhandlung statt. Diese Verhandlung wurde mit Schreiben der
Bezirkshauptmannschaft Baden vom 10.4.2000 kundgemacht. Maßgeblich für die
Kundmachungsmodalitäten war § 356 Abs. 2 Gewerbeordnung 1994 in der am
10.4.2000 geltenden Fassung. Diese Bestimmung lautete:
§ 356. (1) Die Behörde (§§ 333, 334, 335) hat, ausgenommen in den Fällen des § 359b, auf Grund eines Ansuchens um Genehmigung der Errichtung und des Betriebes einer Betriebsanlage oder um Genehmigung der Änderung einer genehmigten Betriebsanlage eine Augenscheinsverhandlung anzuberaumen. Gegenstand, Zeit und Ort der Augenscheinsverhandlung sowie die gemäß Abs. 3 bestehenden Voraussetzungen für die Begründung der Parteistellung sind den Nachbarn durch Anschlag in der Gemeinde (§ 41 AVG) und durch Anschlag in den der Anlage unmittelbar benachbarten Häusern bekanntzugeben; die Eigentümer der betroffenen Häuser haben derartige Anschläge in ihren Häusern zu dulden. Der Eigentümer des Betriebsgrundstückes und die Eigentümer der an dieses Grundstück unmittelbar angrenzenden Grundstücke sind persönlich zu laden; dies gilt nicht, wenn das Genehmigungsprojekt ein Gasflächenversorgungsleitungsnetz oder ein
Fernwärmeleitungsnetz betrifft. Wenn es sich bei dem Eigentümer des Betriebsgrundstücks und bzw. oder bei den Eigentümern der an dieses Grundstück unmittelbar angrenzenden Grundstücke um Wohnungseigentümer im Sinne des WEG 1975 handelt, so sind die im zweiten Satz angeführten Angaben dem Verwalter (§ 17 WEG 1975) nachweislich schriftlich mit dem Auftrag zur Kenntnis zu bringen, diese Angaben den Wohnungseigentümern unverzüglich durch Anschlag im Hause bekanntzugeben.
Die Verhandlung vom 3. Mai 2000 wurde unter anderem durch Anschlag an der
Amtstafel der Bezirkshauptmannschaft Baden, an den Amtstafeln der Stadtgemeinde
*** sowie im Amtsblatt der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 20.4.2000
kundgemacht.
Eine persönliche Ladung der Eigentümer des Wohnhauses ***
erfolgte nicht. Dieses Wohnhaus befindet sich ungefähr in der Mitte des Gst. Nr.
***, KG ***, und ist vom Betriebsgrundstück durch die ***
getrennt. Der Mindestabstand zwischen der gegenständlichen gewerblichen
Betriebsanlage und dem nächstgelegenen Punkt des Gst. Nr. *** (das ist dessen nordöstliche Ecke) beträgt ca. 83 m. Für dieses Objekt waren somit weder die
Voraussetzung für eine persönliche Ladung (unmittelbar angrenzendes Grundstück)
noch für einen Anschlag am Objekt (unmittelbar benachbartes Haus) gegeben. Damit
bewirkte die Ladung durch Anschlag an den Amtstafeln der Bezirkshauptmannschaft
Baden, an den Amtstafeln der Stadtgemeinde *** sowie durch Verlautbarung im
Amtsblatt der Bezirkshauptmannschaft Baden den Verlust der Parteistellung gemäß
§ 42 Abs. 1 AVG durch das Nichterheben von Einwendungen spätestens in der
Verhandlung vom 3.5.2000.
Dem Vorbringen von Herrn B und Frau A
ist daher in diesem Punkt nicht zu folgen.“
2. Zum Beschwerdevorbringen:
Dagegen haben die Beschwerdeführer innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Konkret haben sie unter anderem Folgendes ausgeführt:
„Das Wohnhaus der Beschwerdeführer liegt im direkten Ein?ussgebiet des Nachtlokals. Die Fenster des Wohnhauses der Beschwerdeführer haben die gleiche Entfernung zu der Betriebsanlage wie die ***, es besteht zumindest die gleiche Lärmbelästigung. Die Lärmbelästigung wird naturgemäß durch den schmalen Flusslauf der *** nicht gehindert. Es ist deshalb unwesentlich, dass die Liegenschaft der Beschwerdeführer keine gemeinsame Grundgrenze mit dem Strandbad, dem Standort des Konsenswerbers hat.
….
Die Behörde hat den Antrag auf Bescheidzustellung zum Bescheid ***,
*** vom 6.10.2000 abgewiesen und erachtet das Verfahren als abgeschlossen bezüglich der Beschwerdeführer. Als Begründung wurde angeführt, dass die Verhandlung zum diesbezüglichen Antrag an der Amtstafel der Bezirkshauptmannschaft Baden und im Amtsblatt kundgemacht wurde. Die Behörde führt an, dass keine gemeinsame Grundgrenze bestehe und damit keine Ladung erfolgen müsse. Es entspricht den Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes, dass für eine Aberkennung von Nachbarrechten, kein Grund in der fehlenden gemeinsamen Grundgrenze gesehen werden kann, und die Nachbarschaft genauso
bestehe. wenn die Grundstücke durch einen zwischenliegenden Grundstreifen (ÖG) getrennt sind. Somit hatte die Behörde zumindest einen Anschlag am Haus bzw die Zustellung ordnungsgemäß durchführen müssen (ABGB §364 "Nachbar" i.S. dieser Bestimmung ist auch der mittelbare Nachbar. das ist derjenige, in dessen Umkreis sich die Einwirkungen äußern)
Beschwerdeanträge
Aus diesen Gründen richten wir an das Landesverwaltungsgericht die Anträge eine mündliche Verhandlung durchzuführen, in eventu den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen.
Desweiteren ergeht der der Antrag den Bescheid ***,*** vom 6.10.2000 den Beschwerdeführern ordnungsgemäß zuzustellen.“
3. Zum durchgeführten Ermittlungsverfahren:
Das NÖ LVwG hat in den Verwaltungsakt sowie in die Verwaltungsakte *** bzw. ***, Einsicht genommen.
Weiters hat das NÖ LVwG in das online verfügbare Grundbuch sowie ins Melderegister Einsicht genommen und die örtlichen Verhältnisse anhand von google maps (Luftbild) überprüft.
Das NÖ LVwG hat der C GmbH die Beschwerde zur Kenntnis und allfälligen Stellungnahme übermittelt. In ihrer Stellungnahme dazu vom 28.05.2020 hat diese, vertreten durch G Rechtsanwälte OG, ***, ***, die Abweisung der Beschwerde beantragt. Neben inhaltlichen Ausführungen zur im angefochtenen Bescheid erteilten Änderungsgenehmigung hat die C GmbH ausgeführt, dass sie bzw. ihr Rechtsvorgänger den vorliegenden Betrieb bereits seit 20 Jahren an derselben Stelle und mit denselben Öffnungszeiten betreibe. An der verwendeten Musikanlage habe sich seit dem Jahr 2000 nichts geändert.
Die Bezirkshauptmannschaft Baden habe im angefochtenen Bescheid zurecht ausgeführt, warum die Beschwerdeführer keine übergangenen Parteien seien. Es komme im Übrigen nicht darauf an, ob das Wohnhaus der Beschwerdeführer im direkten Einflussgebiet eines Nachtlokales liegen würde. Zur Frage der Parteistellung der Beschwerdeführer im Verfahren betreffend den Bescheid vom 06.10.2000 führt die C GmbH folgendes aus:
„Wie schon im bekämpften Bescheid von der Behörde ausgeführt wird, sind Eigentümer der an das (gemeint: Betriebs) Grundstück unmittelbar angrenzenden Grundstücke persönlich zu laden gewesen (§356 Abs. 2 GewO 1994 in der am 10.04.2000 geltenden Fassung), welche Voraussetzung definitiv nicht zutrifft. Auch ein Anschlag über die Verständigung einer mündlichen Verhandlung war nach der genannten Gesetzesstelle nur in den „unmittelbar benachbarten Häusern“ vorzunehmen. Unter solchen „unmittelbar benachbarten Häusern“ sind all jene Häuser zu verstehen, die der zur Verhandlung stehenden Betriebsanlage am nächsten liegen, wobei dies auch dann der Fall ist, wenn dazwischen eine Straße liegt. Die Liegenschaft der Beschwerdeführer erfüllt diese Qualifikation nicht nur deshalb nicht, weil zwischen ihrer Liegenschaft und jener des Betriebsgrundstückes - wie im bekämpften Bescheid angeführt – die *** fließt, sondern auch weil das unmittelbar benachbarte Haus, welches näher an der Betriebsanlage der Einschreiterin gelegen ist, das Haus *** ist, sohin das im Gesetz vorgesehene Erfordernis der „Unmittelbarkeit“ auf die Liegenschaft der Beschwerdeführerin nicht zutrifft. Aus diesem Grund war sie für das Verfahren, welches zur Erlassung des Bescheides vom 06.10.2000 geführt hat, durch die im bekämpften Bescheid genannten Maßnahmen, nämlich Anschlag an der Amtstafel der BH Baden, an den Amtstafeln der Stadtgemeinde *** sowie der Kundmachung im Amtsblatt der BH Baden vom 20.04.2000 ordnungsgemäß geladen, sodass eine Wiedereinsetzung oder die von der Beschwerdeführerin beantragte Zustellung des Bescheides vom 06.10.2000 unzulässig ist.“
4. Feststellungen:
Der Verfahrensablauf ist in Punkt 1. dargestellt.
Die Beschwerdeführer sind beide aufgrund eines Kaufvertrages vom 20.08.1991 je Hälfteeigentümer des Grundstückes Nr. ***, EZ ***, KG ***. Das Grundstück hat eine Gesamtfläche von 1120 m² und hat die Adresse ***. Auf dem Grundstück befindet sich ein Wohnhaus. Die Betriebsanlage befindet sich nordöstlich des Grundstückes der Beschwerdeführer, am Gelände des Strandbades ***. Zwischen dem Gelände des Strandbades *** und dem Grundstück der Beschwerdeführer befindet sich die ***. Die *** befindet sich an der südlichen Grundstücksgrenze des Grundstückes der Beschwerdeführer. Das Grundstück mit der Adresse *** befindet sich unmittelbar östlich angrenzend neben dem Grundstück der Beschwerdeführer, ebenfalls nur durch die *** vom Betriebsgrundstück getrennt.
Der Beschwerdeführer B hatte von 02.07.2003 bis 18.07.2013 an der Adresse *** seinen Hauptwohnsitz, seit 18.07.2013 hat er dort seinen Nebenwohnsitz. Die Beschwerdeführerin A hatte vom 13.10.2017 – 31.10.2017 an der Adresse *** ihren Hauptwohnsitz, vom 26.04.2017 bis 13.10.2017 ihren Nebenwohnsitz.
5. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensablauf – wie in Punkt 1. dargestellt – ergibt sich aus den von der Bezirkshauptmannschaft Baden vorgelegten Verfahrensakten.
Die Eigentumsverhältnisse ergeben sich aus dem Grundbuch. Die Meldedaten ergeben sich aus dem Melderegister. Die örtlichen Verhältnisse ergeben sich einerseits aus den Planunterlagen der Projekte sowie aus der Einsichtnahme in google maps. Die Lage des Lokales der Betriebsanlage zum Haus der Beschwerdeführer ist auch sehr schön auf *** zu sehen.
Dass die Beschwerdeführer zur mündlichen Verhandlung am 24.01.1999 sowie am 03.05.2020 weder durch persönliche Verständigung noch durch Hausanschlag geladen wurden, ergibt sich aus den vorgelegten Verfahrensakten. Gegenteiliges wurde auch von der Bezirkshauptmannschaft Baden nicht vorgebracht.
6. Erwägungen:
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Die Beschwerdeführer haben mit Schreiben vom 15.01.2020 „die Zustellung des ergangenen Bescheides ***,*** vom 6.10.2000“ und „die Wiederaufnahme des Verfahrens, das gegenüber uns nicht rechtskräftig abgeschlossen ist“ beantragt.
Grundsätzlich ist aus den Schreiben der Beschwerdeführer ersichtlich, dass sie sich gegen das Verfahren, das mit Bescheid vom 06.10.2000 abgeschlossen wurde bzw. gegen die mit diesem Bescheid erteilte Genehmigung wenden. Grundsätzlich ist auch der Antrag auf Zustellung dieses Bescheides als erster Schritt bei nachfolgender allfälliger Erhebung eines Rechtsmittels dagegen ein taugliches Mittel, die Rechtsfolgen dieses Bescheides für eine übergangene Partei zu beseitigen. Durch die beantragte Zustellung des Bescheides wird gegenüber einer allfällig übergangenen Partei, wenn diese dann ein Rechtsmittel erhebt, das Verfahren sozusagen wieder geöffnet.
Zu prüfen war, ob die Bezirkshauptmannschaft Baden im angefochtenen Bescheid auch über den Antrag auf Zustellung des Bescheides vom 06.10.2000 entschieden hat. (Aus dem vorgelegten Verfahrensakt ist ersichtlich, dass der Bescheid bislang den Beschwerdeführern nicht zugestellt wurde. Darauf deutet auch der Antrag auf Zustellung in der Beschwerde hin.)
Nur wenn der Spruch des Bescheides auslegungsbedürftig in dem Sinn ist, dass er für sich allein betrachtet Zweifel an seinem Inhalt aufkommen lässt, dann kann und muss seine Begründung zur Deutung von Sinn und Inhalt der darin verkörperten individuellen Norm herangezogen werden. Diesfalls kommt also der Grundsatz zum Tragen, dass der Bescheid einer Verwaltungsbehörde als Ganzes zu beurteilen ist und Spruch und Begründung des Bescheides eine Einheit bilden (so auch VwGH 24. 3. 1980, 1962/79; 26. 5. 1988, 86/09/0054; 11. 8. 1994, 93/06/0224; VfSlg 2199/1951; 6764/1972; 9432/1982; vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 59, RZ 111 mit Entscheidungsnachweisen, Stand 01.07.2005, rdb.at).
Die Bezirkshauptmannschaft Baden hat sich inhaltlich mit dem Thema der übergangenen Partei auseinandergesetzt und die Rechtsmeinung vertreten, dass die Beschwerdeführer im Verfahren, das zum Bescheid vom 06.10.2000 geführt hat, ihre Parteistellung verloren haben. Sie hat weiters die Meinung vertreten, dass die Beschwerdeführer nicht durch Hausanschlag an ihrem Haus zu laden gewesen waren. Eine Verneinung der Parteistellung der Beschwerdeführer im damaligen Verfahren führt aber dazu, dass ihnen der Bescheid nicht zugestellt werden musste. Offenbar aus diesem Gedanken heraus hat die Bezirkshauptmannschaft Baden im Spruch in logischer Konsequenz der Prüfung eines Wiederaufnahmegrundes „nur“ über den „Wiederaufnahmeantrag“ entschieden. Eine ausdrückliche wörtliche Abweisung des Antrages auf Zustellung des Bescheides vom 06.10.2000 ist im Spruch des angefochtenen Bescheides nicht erfolgt. Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt sich aber, dass die Bezirkshauptmannschaft Baden davon ausgeht, dass die Beschwerdeführer zum Bescheid vom 06.10.2000 präkludiert sind, dieser Bescheid ihnen gegenüber rechtskräftig ist und ihnen dagegen kein Rechtsmittelt mehr zusteht. Insofern vertritt das NÖ LVwG daher die Rechtsmeinung, dass mit dem angefochtenen Bescheid auch inhaltlich der Antrag auf Zustellung des Bescheides vom 06.10.2000 abgewiesen wurde.
Das NÖ LVwG hatte somit auch über die Frage, ob die Abweisung des Antrages auf Zustellung des Bescheides vom 06.10.2000 zurecht erfolgt ist, das heißt, ob die Parteistellung der Beschwerdeführer im damaligen Verfahren aufrecht geblieben ist, zu entscheiden.
§ 42 Abs 1 und 2 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG) in der im Jahr 2000 geltenden Fassung bestimmt im hier maßgeblichen Umfang Folgendes:
(1) Wurde eine mündliche Verhandlung gemäß § 41 Abs. 1 zweiter Satz und in einer in den Verwaltungsvorschriften vorgesehenen besonderen Form kundgemacht, so hat dies zur Folge, dass eine Person ihre Stellung als Partei verliert, soweit sie nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung Einwendungen erhebt.
(2) Wurde eine mündliche Verhandlung nicht gemäß Abs. 1 kundgemacht, so erstreckt sich die darin bezeichnete Rechtsfolge nur auf jene Beteiligten, die rechtzeitig die Verständigung von der Anberaumung der Verhandlung erhalten haben.
Die Bezirkshauptmannschaft Baden hat als maßgebliche Rechtsgrundlage für die Frage, wie damals zur Verhandlung vom 03.05.2000 geladen werden musste, den
§ 356 Abs. 1 GewO herangezogen (zitiert oben Seite 10). Tatsächlich ist aber in der Ladung die Bestimmung des § 359 b GewO für die Anberaumung von Verhandlungen von vereinfachten Verfahren angeführt:
§ 359 b GewO bestimmte damals Folgendes:
(1) Ergibt sich aus dem Genehmigungsansuchen und dessen Beilagen (§ 353), daß
1. jene Maschinen, Geräte und Ausstattungen der Anlage, deren Verwendung die Genehmigungspflicht begründen könnte, ausschließlich solche sind, die in Verordnungen gemäß § 76 Abs. 1 oder Bescheiden gemäß § 76 Abs. 2 angeführt sind oder die nach ihrer Beschaffenheit und Wirkungsweise vornehmlich oder auch dazu bestimmt sind, in Privathaushalten verwendet zu werden, oder
2. das Ausmaß der der Betriebsanlage zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten und sonstigen Betriebsflächen insgesamt nicht mehr als 1 000 m2 beträgt und die elektrische Anschlußleistung der zur Verwendung gelangenden Maschinen und Geräte 100 kW nicht übersteigt,
so hat die Behörde (§§ 333, 334, 335) das Projekt durch Anschlag in der Gemeinde und durch Anschlag in den der Anlage unmittelbar benachbarten Häusern mit dem Hinweis bekanntzugeben, daß die Projektsunterlagen innerhalb eines bestimmten, vier Wochen nicht überschreitenden Zeitraumes bei der Behörde zur Einsichtnahme aufliegen und daß die Nachbarn innerhalb dieses Zeitraumes von ihrem Anhörungsrecht Gebrauch machen können; die Eigentümer der betroffenen Häuser haben derartige Anschläge in ihren Häusern zu dulden; nach Ablauf der im Anschlag angeführten Frist hat die Behörde unter Bedachtnahme auf die eingelangten Äußerungen der Nachbarn die die Anwendung des vereinfachten Verfahrens begründende Beschaffenheit der Anlage mit Bescheid festzustellen und erforderlichenfalls Aufträge zum Schutz der gemäß § 74 Abs. 2 sowie der gemäß § 77 Abs. 3 und 4 wahrzunehmenden Interessen zu erteilen; dieser Bescheid gilt als Genehmigungsbescheid für die Anlage.“
Unabhängig davon, ob die Anlage damals im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu behandeln war, sehen beide Vorschriften zum Eintritt der Präklusion gegenüber Nachbarn vor, dass ein Anschlag in den der Anlage unmittelbar benachbarten Häusern stattzufinden hatte.
Die Bezirkshauptmannschaft Baden hat mit dem Argument, dass ein Fluss zwischen der Betriebsliegenschaft und der Liegenschaft der Beschwerdeführer liegt und dass die Entfernung ca. 83 m beträgt, angenommen, dass es sich um kein unmittelbar benachbartes Haus handelt und ein Hausanschlag der Kundmachung somit nicht erforderlich gewesen wäre.
In Hinblick auf den Anschlag in den als „unmittelbar benachbart“ in Betracht kommenden Häusern, ist die betreffende Tatbestandsvoraussetzung durch Situierung eines Hauses (bloß) in der Nachbarschaft der Betriebsanlage nicht erfüllt. Vielmehr kommt es darauf an, dass ein Haus der Betriebsanlage „unmittelbar“ benachbart ist, sich also in unmittelbarer räumlicher Nähe zur Betriebsanlage befindet. „Unmittelbar benachbarte Häuser“ sind daher jene, „die rund um die zur Verhandlung stehende Betriebsanlage dieser Betriebsanlage am nächsten liegen, auch dann, wenn dazwischen eine Straße liegt“. Unmittelbare Nachbarschaft erfordert demnach zwar keine gemeinsame Grundgrenze, wohl aber dürfen das Betriebsgrundstück vom bebauten Grundstück lediglich durch eine Straße oder in einer dieser vergleichbaren Weise getrennt sein (VwGH 17.11.2004, 2003/04/0091; 17.11.2004, 2004/04/0169; vgl. Erlacher/Forster in Ennöckl/Raschauer/Wessely, GewO § 356; Stand 1.1.2015, rdb.at).
Eine Straße, die sich zwischen dem Betriebsgrundstück und dem Grundstück der Nachbarn befindet, kann nach Rechtsansicht des NÖ LVwG mit einem Fluss als gleichwertig angesehen werden. Aus der räumlichen Situation (siehe zur Darstellung oben unter Punkt 4 bzw. 5) ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass dies hier anders zu sehen wäre. Eine Entfernung von ca. 83 m von der Betriebsanlage kann für sich gesprochen noch nicht die Möglichkeit eines unmittelbar benachbarten Hauses ausschließen, wenn keine anderen Häuser dazwischen sind, zumal es bei einer Betriebsanlage auf den möglichen Einwirkungsbereich ankommt. Im vorliegenden Fall wäre daher für eine ordnungsgemäße Kundmachung ein Hausanschlag am Haus der Beschwerdeführer erforderlich gewesen. Das Haus *** liegt neben dem Haus der Beschwerdeführer und nicht – wie von der C GmbH in ihrer Stellungnahme vom 28.05.2020 ausgeführt, dazwischen. Beide Häuser erfüllen das Kriterium der „unmittelbar angrenzenden Häuser“.
Da ein Hausanschlag am Haus der Beschwerdeführer nicht erfolgt ist, sind sie in Bezug auf den Bescheid vom 06.10.2000 als übergangene Parteien anzusehen. Dieser Bescheid ist ihnen daher antragsgemäß zuzustellen.
Betreffend den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist auszuführen, dass Voraussetzung dafür ist, dass es sich um ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren handelt. Gerade in Hinblick auf eine übergangene Partei ist aber ein Rechtsmittel noch möglich. Der Antrag war daher zurückzuweisen. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand haben die Beschwerdeführer nicht gestellt. Der diesbezügliche Spruchteil war daher ersatzlos zu beheben.
Aus verfahrensökonomischen Gründen wurde die Beschwerde über den Spruchteil betreffend die Zustellung des Bescheides vom 06.10.2000 und die Wiederaufnahme des Verfahrens vorgezogen.
7. Zur Nichtdurchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag, oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen. Im vorliegenden Fall handelt es sich bezüglich der Frage, ob der Bescheid vom 06.10.2000 den Beschwerdeführern zuzustellen ist, um eine Rechtsfrage, die entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des VwGH zu klären war. Der Sachverhalt, das heißt der Verfahrensgang und die örtlichen Verhältnisse sind hinreichend geklärt. Eine weitere Erörterung war dafür nicht erforderlich.
8. Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Schlagworte
Gewerberecht; Betriebsanlage; Verfahrensrecht; Wiederaufnahme; Wiedereinsetzung; Nachbar; übergangene Partei;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2020:LVwG.AV.391.001.2020Zuletzt aktualisiert am
17.08.2020