TE Bvwg Beschluss 2019/7/15 L526 1305844-3

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Veröffentlicht am 15.07.2019
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Entscheidungsdatum

15.07.2019

Norm

BFA-VG §18
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L526 1305844-3/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina Schrey, LL.M. über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Benno Wageneder gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.5.2019, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden auch kurz "BF" genannt), ein türkischer Staatsangehöriger wurde am 17.5.2018 vom Ergebnis einer Beweisaufnahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der nunmehr belangten Behörde (im Weiteren auch kurz "bB" ganannt) verständigt. Mit diesem Schreiben wurde ihm mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, eine Rückkehrentscheidung sowie ein Einreiseverbot über ihn zu verhängen und wurde ihm aufgetragen, Fragen zu seinen persönlichen Verhältnissen schriftlich zu beantworten. Unter einem wurden ihm Länderfeststellungen zu seinem Herkunftsland übermittelt und wurde ihm die Möglichkeit zu einer Stellungnahme eingeräumt.

2. Im Laufe des Verfahrens nahm die bB folgende Berichte zum Akt:

- Eine Mitteilung des Landesgerichtes XXXX vom 16.5.2018, aus welcher hervorgeht, dass der nunmehrige BF wegen §§ 107, 107b, 83 und 99 StGB in Untersuchungshaft genommen worden sei

- Eine Bekanntgabe vom 15.6.2018, aus welcher hervorgeht, dass die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung eines Deliktes nach dem Suchtmittelgesetz (vorläufig) zurückgetreten ist

- Einen Abschlussbericht der LPD XXXX , aus welchem hervorgeht, dass der nunmehrige BF verdächtigt werde, einen Raub und dauernde Sachentziehung begangen zu haben

- Das Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 20.9.2018, aus welchem hervorgeht, dass der nunmehrige BF wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB, des Vergehens der dauernden Sachentziehung und des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs. 1 und 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt wurde

- Informationen über den Strafvollzug

- Ein Versicherungsdatenauszug der Österreichische Sozialversicherung

- Die Beantwortung einer Anfrage durch das Arbeitsmarktservice

3. Mit Schreiben vom 26.4.2019 wurde der BF ein weiteres Mal eingeladen, Fragen in schriftlicher Form zu beantworten sowie eine Stellungnahme zu den aktuellen Länderfeststellungen abzugeben.

4. Am 13.5.2019 langte eine handschriftlich verfasste Stellungnahme bei der Behörde ein, aus welcher unter anderem hervorgeht, dass die Großeltern in der Türkei gestorben seien und der BF nur wenige Verwandte dort habe, zu denen kein Kontakt bestehe. In der Türkei sei er zuletzt im Jahr 2014 gewesen. Ferner tätigte der BF Ausführungen zu seinem Lebenslauf und seiner Integration in Österreich. In diesem Schreiben verlieh der BF auch seinem Bedauern Ausdruck, eine Straftat begangen zu haben und begründete dies mit einem falschen Freundeskreis, in den er geraten wäre. Ferner gab er an, dass er kurdischer Alevit sei, deren Unterdrückung der Grund für die Ausreise der Familie aus der Türkei war. Abschließend ersuchte der BF um eine Chance, hier bleiben zu dürfen; er würde wie in der Vergangenheit in Österreich arbeiten und wolle hier eine Familie gründen. Er hätte schon einen fixen Arbeitsplatz und eine Bleibe in Aussicht.

5. Mit Bescheid dem im Spruch näher bezeichneten Bescheid vom 17.5.2019 wurde gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.).Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG wurde einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.

6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerechte Beschwerde. In dieser wird unter anderem der Befürchtung Ausdruck verliehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr zum Militärdienst eingezogen würde und als kurdisch-stämmiger Rekrut der Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung und einer "Verheizung" im Krieg gegen die PKK entgegensehen müsste. Ferner wurden Ausführungen im Hinblick auf die allgemein schlechte Sicherheitslage und die prekäre Situation in Bezug auf die Menschenrechte in der Türkei getätigt und wurde ausgeführt, dass der BF - wie sich dem Bescheid entnehmen ließe - von Interpol Ankara "registriert" worden sei und wären die türkischen Sicherheitsbehörden nun auch über seine Rückkehr informiert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu A) Zurückverweisung:

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist (§ 28 Abs. 3 dritter Satz VwGVG).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 10.09.2014, Ra 2104/08/0005; 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Einzelfallbezogen ergibt sich hieraus Folgendes:

Die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderte ganzheitliche Würdigung bzw. die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens ist im gegenständlichen Fall unterblieben und ist die belangte Behörde nach dem Dafürhalten des Bundesverwaltungsgerichts auch ihrer Begründungspflicht nicht ausreichend nachgekommen. Im vorliegenden Fall sind die seitens der Höchstgerichte gestellten Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren in qualifizierter Weise unterlassen worden.

Der angefochtene Bescheid leidet unter dem Mangel, dass sich die bB mit der Frage der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung sowie letztlich der Frage der Voraussetzungen für die Verhängung eines Einreiseverbotes nicht in gehöriger Weise auseinandergesetzt und den BF nicht im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme zu den Voraussetzungen befragt hat. Die in der handschriftlich verfassten Stellungnahme des BF enthaltenen Informationen als auch die im Akt erliegenden Berichte und Mitteilungen reichen nicht hin, um den entscheidungsrelevanten Sachverhalt feststellen zu können. Zudem ist die bB auch in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht ausreichend auf den notwendigen Sachverhalt eingegangen und erweisen sich die Feststellungen zum Teil als spekulativ; im Einzelnen:

1. Die bB tätigt in dem in Beschwerde gezogenen Bescheid keine Ausführungen, welche erkennen ließen, ob sie von der Anwendbarkeit des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei in gegenständlichem Fall ausgeht bzw. aus welchen Gründen dies nicht anzunehmen ist.

Die bB wird diese Prüfung im fortgesetzten Verfahren vorzunehmen und die Ergebnisse ihrer Prüfung auch nachvollziehbar darzustellen haben.

In diesem Zusammenhang sei auch noch darauf hinzuweisen, dass der Inhalt des Beschwerdeschriftsatzes nunmehr Teil des durch die bB zu berücksichtigenden Sachverhaltes ist und sich die bB mit den dort gemachten Einwendungen und Ausführungen, etwa zum Aufenthaltsstatus des BF, auseinanderzusetzen hat.

2. Im durchgeführten Verfahren wurde der BF keinerlei persönlicher Befragung unterzogen und wäre dies im vorliegenden Fall aus folgenden Gründen geboten gewesen:

2.1. Aus der handschriftlich verfassten Stellungnahme des BF vom 10.5.2019 ist erkennbar, dass dieser an der Erhebung des verfahrensrelevanten Sachverhaltes mitwirken möchte und ergeben sich aus dem Schreiben auch zahlreiche Hinweis auf private Interessen des BF in Österreich. Die bB hat diese Hinweise aber nicht aufgegriffen und näher beleuchtet, sondern eine Abwägung der Interessenslage auf Basis einer unklaren bzw. lückenhaften Sachverhaltslage vorgenommen.

So geht die bB beispielsweise davon aus, dass es durch den Haftaufenthalt des BF zu einem Abreißen der Bindung zur Familie des BF gekommen wäre, ohne die familiären Verhältnisse genauer zu beleuchten und beispielsweise zu erfragen, ob der BF weiterhin mit dem Rückhalt seiner Familie rechnen kann, ob Familienmitglieder ihn in der Haftanstalt besuchen etc.

Entgegen der Angabe des BF geht die bB davon aus, dass dieser im Herkunftsstaat über Familienmitglieder verfügt, welche als soziales Auffangnetz fungieren würden, ohne jedoch zu erklären, weshalb sie zu dieser Ansicht gelangt.

Unberücksichtigt bleibt, dass der BF von 2008 bis 2018 - wenn auch mit Unterbrechung durch Zeiten, in denen er Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe bezog - in Beschäftigung stand und hätte auch die mögliche berufliche Reintegration erörtert werden müssen. In diesem Zusammenhang wäre auch das Vorbringen des BF, wonach er einen fixen Arbeitsplatz und auch eine Wohnmöglichkeit in Aussicht habe, zu hinterfragen und in die Interessensabwägung miteinzubeziehen gewesen.

Sofern die bB Ausführungen über die illegale Einreise des BF, seine unberechtigte Asylantragstellung tätigt und ferner ausführt, dass er seit November 2011 über einen Aufenthaltstitel verfügt, lässt sie schließlich nicht erkennen, welches Gewicht sie diesen Tatsachen im Rahmen der Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG beimisst.

2.2. Der BF bringt in seiner Stellungnahme vor, seine Familie sei wegen der Unterdrückung der Kurden aus der Türkei ausgereist. Sowohl dem im Bescheid dargestellten Verfahrensgang als auch der Bescheidbeschwerde lässt sich entnehmen, dass Spruchpunkt III eines abweislichen Bescheides des Bundesasylamtes den BF betreffend vom Asylgerichtshof ersatzlos behoben wurde und die Entscheidung in Rechtskraft erwachsen ist. In Anbetracht der Tatsache, dass dieser Entscheidung sehr wohl Elemente entnommen werden können, welche möglicherweise auch aktuell von erheblicher Entscheidungsrelevanz sind, hätte es weiterer Ermittlungsschritte bedurft, vor allem im Hinblick auf den Hintergrund der Ausreise der Familie bzw. die Gründe, weshalb eine Ausweisung der Familie aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei als unzulässig betrachtet wurde, und wäre eine persönliche Befragung gerade in Anbetracht der Tatsache, dass der BF sich in seiner schriftlichen Stellungnahme neuerlich auf die Menschenrechtslage im Herkunftsland bezieht, zur Erhellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes im konkreten Fall geboten gewesen.

2.3. Die bB schreibt dem BF gravierende Charaktermängel zu, welche sie für ihre Zukunftsprognose heranzieht. Ferner führt sie aus, dass die Behörde keinerlei Schuldbewusstsein erkennen könne.

Zwar lassen sich aus dem Strafurteil Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des BF ziehen - und verkennt die erkennende Richterin keinesfalls den Unrechtsgehalt der von BF begangenen Taten - die bB lässt jedoch die im Urteil angeführten Milderungsgründe - etwa den bisher untadeligen Lebenswandel, die (teilweise) erfolgte Schadensgutmachung oder der geringe Schaden beim Faktum Raub - sowie das über den BF verhängte Strafausmaß außer Acht. Da die bB nicht alle bekannten Fakten verwertet hat und sich vom BF auch keinen persönlichen Eindruck verschaffte, kann ihre Persönlichkeitsanalyse nicht als hinreichend fundiert betrachtet werden.

Im Übrigen bleibt auch die Tatsache, dass der BF in seiner Stellungnahme sein Bedauern über die begangenen Taten ausdrückte, unberücksichtigt. Um eine Einschätzung über die Ernsthaftigkeit dieses Vorbringens vornehmen zu können, hätte sich die bB diesbezüglich ebenfalls einen unmittelbaren Eindruck von der Person des BF verschaffen müssen. Sofern die bB dem BF dessen Freundeskreis zum Vorwurf macht, wäre auch zu erörtern gewesen, ob der BF sich nun einem Gesinnungswandel unterworfen hat bzw. ob er weiterhin Umgang mit diesem Personenkreis pflegen möchte. Für eine fundierte Zukunftsprognose wäre in gegebenem Fall auch zu erfragen gewesen, ob der BF eine Therapie, beispielsweise zur Gewaltprävention, macht und dafür auch Belege vorweisen kann.

Hinsichtlich des Unterbleibens einer Einvernahme im gegenständlichen Verfahren durch die bB ist auch auf die einschlägige Judikatur des VwGH zu verweisen, wonach die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bei der Bewertung der integrationsbegründenden Umstände im Rahmen der Interessenabwägung eine besondere Bedeutung zukommt (VwGH, 26.03.2015, Ra 2014/22/0154, mwN). Ebenso VwGH 12.11.2015 Ra 2015/21/0101 und vom 30.07.2015 Ra 2014/22/0055: Außerdem kann die Frage der Intensität der privaten und familiären Bindungen in Österreich nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen reduziert werden und kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen insbesondere auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 MRK relevanten Umstände besondere Bedeutung zu (vgl. E 23. Juni 2015, Ra 2014/22/0181 sowie VfGH vom 06.06.2014, Zl. U2522/2013-14).

In vorliegendem Fall kann, wie oben ausgeführt, nicht einmal von einer klaren und vollständigen Faktenlage ausgegangen werden und wird die bB den entscheidungsrelevanten Sachverhalt im fortgesetzten Verfahren durch eine persönliche Befragung des BF vollständig zu ermitteln und ihm auch die Gelegenheit zu geben haben, sein Vorbringen entsprechend zu belegen. Die Intensität des Privat- oder Familienlebens kann, falls sich dies im Beweisverfahren der Behörde als notwendig erweist, auch durch zeugenschaftliche Einvernahmen ermittelt werden.

3. In Bezug auf das über den BF verhängte Einreiseverbot sind weiters folgende Erwägungen maßgeblich:

In Bezug auf die für ein Einreiseverbot zu treffende Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289 unter Hinweis auf VwGH 24.03.2015, Ra 2014/21/0049).

Bei der Entscheidung über die Länge des Einreiseverbotes ist die Dauer der vom Fremden ausgehenden Gefährdung zu prognostizieren; außerdem ist auf seine privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109 unter Hinweis auf VwGH 15. 12. 2011, 2011/21/0237).

Für eine fundierte Gefährlichkeits- und Zukunftsprognose in gegenständlichem Fall wird nicht nur die Tatsache der Inhaftierung und der vom BF verübten Taten in den Blick zu nehmen sein, sondern wird sich die bB auch mit den Ausführungen des BF in Bezug auf seine Resozialisierungsversuche auseinandersetzten und diese entsprechend zu würdigen haben. Auf Basis ihrer Ermittlungsergebnisse wird sie dann im Einzelnen darzulegen haben, ob und im Hinblick auf welche Umstände die anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist

Zu den im Verfahrensgang des in Beschwerde gezogenen Bescheides angeführten Anzeigen sei noch bemerkt, dass sich dem Bescheid nicht entnehmen lässt, ob diese auch zu straf- oder verwaltungsstrafrechtlichen Sanktionen führten bzw. ob die bB die angezeigten Taten ihrer Gefährlichkeits- und Zukunftsprognose zugrunde legte.

4. Die bB wird sich auch mit den vom BF artikulierten Rückkehrbefürchtungen auseinander-zusetzen und diese zu prüfen haben.

Hingewiesen sei auch in diesem Zusammenhang darauf, dass der Inhalt des Beschwerdeschriftsatzes nunmehr Teil des durch die bB zu berücksichtigenden Sachverhaltes ist und sich die bB mit den dort gemachten Einwendungen auseinanderzusetzen hat.

Im fortgesetzten Verfahren wird mit dem BF vor allem abzuklären sein, ob er mit seinem Vorbringen in seiner Stellungnahme und in der Beschwerdeschrift eine im Sinne der GFK relevante Verfolgung aufzeigen will. Im Falle eines diesbezüglich - substantiierten - Vorbringens wäre der BF im Hinblick auf die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz zu manuduzieren (siehe etwa VwGH vom 31.3.2017, Ra 2016/21/0367-7).

5. Im gegenständlichen Verfahren wird die bB jedenfalls zu prüfen haben, ob im Falle einer Rückkehr in den in Aussicht genommenen Zielstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Bestimmungen der EMRK bestehen würde.

In gegenständlichem Fall wird insbesondere darauf hingewiesen, dass sich die bB nicht gehörig mit der Rückkehrsituation und den diesbezüglichen Angaben des BF auseinandergesetzt hat. Im fortgesetzten Verfahren wird die bB den BF eingehend zu den im Herkunftsstaat lebenden Verwandten und deren Lebensbedingungen zu befragen haben und wird die bB den BF - unter Hinweis auf seine Mitwirkungspflicht - auch dahingehend zu befragen haben, ob eine Kontaktaufnahme möglich ist bzw. was dieser im Wege steht und wird sie diese Angaben einer Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen haben. Auch wird der BF zu seinem Gesundheitszustand zu befragen sein.

6. Unter den oben aufgezeigten Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln in Bezug auf verschiedene grundlegende Fragen. Damit hat die bB im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt. Auf Grund der dargestellten Mängel ist es nicht möglich, den maßgeblichen Sachverhalt festzustellen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem weil das Ermittlungsverfahren nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.

In der Gesamtschau ist der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und der Zurückverweisung an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides im Vergleich zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht unter dem Aspekt der Raschheit und der Kostenersparnis der Vorzug zu geben. Das behördliche Verfahren erweist sich aus den dargelegten Gründen insgesamt als so mangelhaft, dass von dem in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eingeräumten Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung Gebrauch zu machen war (VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).

Der Bescheid war daher nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.

Zur Ermittlung des Sachverhaltes, welcher unter die von ihr anzuwendenden Rechtsnormen zu subsumieren ist, wird die bB im fortgesetzten Verfahren eine umfassendes Ermittlungsverfahren entsprechend den gesetzlichen Vorgaben inklusive einer umfassenden Einvernahme des BF zu führen haben, wobei sie insbesondere die in diesem Beschluss getätigten Aussagen zu den bestehenden Ermittlungslücken zu beachten hat.

Die bB wird auch aktuelle und umfassende länderkundliche Feststellungen zu treffen und diese in Bezug zu den konkreten Verhältnissen des BF und seinem Vorbringen und den geäußerten Rückkehrbefürchtungen zu setzen haben. Die bB wird ihre Entscheidungen auch mit einer tragfähigen Begründung zu versehen haben.

Der Vollständigkeit halber sei noch einmal darauf hinzuweisen, dass der Inhalt des Beschwerdeschriftsatzes nunmehr Teil des durch die bB zu berücksichtigenden Sachverhaltes ist und sich die bB mit den dort gemachten Einwendungen auseinanderzusetzen hat.

Im weiteren Verfahren wird die bB auch die zwischenzeitlich vorgelegten Dokumente zu berücksichtigen haben.

Abschließend sei auch noch auf die Wahrung der Grundsätze des Parteiengehörs hingewiesen.

Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. der angefochtene Bescheid zu beheben war.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung an das BFA ergeht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Schlagworte

aktuelle Länderfeststellungen Ermittlungsmangel Ermittlungspflicht Gefährdungsprognose Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Feststellungen mangelnde Sachverhaltsfeststellung Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Zukunftsprognose Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L526.1305844.3.00

Im RIS seit

18.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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