TE Bvwg Beschluss 2019/7/30 L529 2221636-1

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Veröffentlicht am 30.07.2019
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Entscheidungsdatum

30.07.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L529 2221636-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Georgien, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie-Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.06.2019, Zl. XXXX :

A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrenshergang

I.1. Die Beschwerdeführerin (nachfolgend auch "BF") ist georgische Staatsangehörige und reiste Anfang Dezember 2018 gemeinsam mit ihrer Mutter ins Bundesgebiet ein. Beide stellten am 04.12.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Verfahren gaben sie übereinstimmend an, dass die BF im Jahr 2012 an einem Tumor erkrankt sei und seither in Georgien mehrere Operationen hatte. Zuletzt sei ihr gesagt worden, dass eine weitere Operation nicht mehr gemacht werden könne. Gemäß einem vorgelegten Dokument sei eine Behandlung in Ausland notwendig.

I.2. Nach einer Einvernahme der Mutter und drei Einvernahmen der BF (zuletzt am 25.04.2018) bei der belangten Behörde (nachfolgend auch "bB") wurde mit im Spruch genannten Bescheid der bB vom 28.06.2019 der Antrag der BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status einer Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Georgien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Der Beschwerde wurde gem. § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.). Weiters wurde bestimmt, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VII.).

I.3. Mit Schriftsatz vom 18.07.2019 erhob die BF fristgerecht Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. bis VII. des angefochtenen Bescheides.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

Die BF stellte gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz am 04.12.2018 und wurde am 05.12.2018 erstbefragt. Die BF wurde am 14.12.2018, zudem am 25.01.2019 und am 25.04.2019 beim BFA niederschriftlich einvernommen.

II.1.1. Die Vermögensverhältnisse der BF und ihrer Mutter, wie auch eventuelle Liquidierungsmöglichkeiten wurden nicht entsprechend ermittelt.

II.1.2. Bei der letzten Einvernahme am 25.04.2019 teilte die BF mit, dass sie derzeit auf eine Computertomographie warte, diese sei für 08.05.2019 terminisiert. Der angefochtene Bescheid ist datiert mit 28.06.2019. Zwischenzeitliche relevante Ermittlungsschritte sind den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen.

II.1.3. Ob es sich bei der Erkrankung der BF um eine lebensbedrohliche Erkrankung handelt, wurde nicht festgestellt, ebenso nicht, welche Auswirkungen eine Überstellung nach Georgien aktuell hätte, insbesondere ob zu erwarten wäre, dass es bei einer Überstellung zu einer unzumutbaren Verschlechterung des Gesundheitszustandes der BF kommen würde.

II.1.4. Fazit: Der entscheidungserhebliche Sachverhalt steht nicht fest; das Ermittlungsverfahren ist mangelhaft. Eine Sanierung binnen Wochenfrist ist nicht möglich.

II.2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, dem Verfahren vor der belangten Behörde und der Beschwerde.

II.2.1. Die Mutter der BF hatte in der Einvernahme beim BFA angegeben, sie besitze ein Haus in dem Dorf, in dem sie gelebt hätten. Nähere Ermittlungen dazu - insbesondere auch zu Liquidierungsmöglichkeiten - führte das BFA nicht.

II.2.2. Befunde des AKH Wien vom 06.02.2019 und 20.02.2019 erbrachten hinsichtlich der BF folgende Diagnosen:

"Im vorliegenden Material Formationen einer aggressiv wachsenden myofibroblastären Proliferation, in erster Linie Fibromatose. Bezüglich einer bereits in die Wege geleiteten Mutationsanalyse von Beta-Catenin erfolgt ein getrennter Nachtragsbefund" (vgl. AS 166).

"Weichgewebsstanzzylinder mit myofiblastärer Proliferation, passend zu einer Fibromatose bezüglich Beta-Catenin-Mutationsnachweis siehe Vorbefund." (AS 170 bzw. 221)

Die Terminisierung einer Computertomografie für 08.05.2019 ergibt sich aus den Angaben der BF in der Einvernahme vom 25.04.2019 und dem diesbezüglichen Schreiben des AKH Wien (AS 223).

Es wurde zwar erhoben, dass die Erkrankung der BF in Georgien behandelbar ist, das Ergebnis der Untersuchung vom 08.05.2019 war der Behörde aber - den vorliegenden Akten zufolge - nicht bekannt.

In der Beschwerde wurde dargelegt, dass bei der BF - beginnend mit 16.07.2019 - eine Strahlentherapie durchgeführt werde.ie Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, dem Verfahren vor der belangten Behörde und der Beschwerde.

II.2.3. Ausführungen darüber, ob die Erkrankung der BF lebensbedrohlich ist, finden sich in den vorliegenden Verwaltungsakten nicht, ebenso nicht, ob zu erwarten wäre, dass es bei einer Überstellung zu einer unzumutbaren Verschlechterung des Gesundheitszustandes der BF kommen würde.

II.3. Rechtliche Beurteilung

Zu A)

II.3.2. Zur Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG

Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (vgl. VwGH 19.11.2009, 2008/07/0167: "Tatsachenbereich") (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), Anm. 11 zu § 28 VwGVG).

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar und soll von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher im Lichte der oa. Ausführungen insbesondere dann in Betracht kommen,

- wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat,

- wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder

- bloß ansatzweise ermittelt hat.

- Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

II.3.3. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 VwGVG im gegenständlichen Fall:

II.3.3.1. Das BFA traf zur Person der BF die Feststellung, dass bei ihr ein Desmoid-Tumor aus der Gruppe der Fibromatosen diagnostiziert worden sei. Zur Situation im Fall ihrer Rückkehr wurde festgestellt, dass ihre medizinische Versorgung gewährleistet sei. Medizinische Einrichtungen, Behandlungsmöglichkeiten und Fachkräfte seien, ihrer Erkrankung entsprechend, vorhanden. Bei einer Rückkehr nach Georgien stehe ihr die Möglichkeit offen, sich durch das georgische Gesundheitssystem behandeln zu lassen, wie sie dies auch bisher getan habe.

II.3.3.2. Wie oben festgestellt wurde, lag zum Zeitpunkt der Entscheidung des BFA ein endgültiges Untersuchungsergebnis noch nicht vor. So hatte die BF in der Einvernahme am 25.04.2019 angegeben, dass sie auf einen mit Datum 08.05.2019 festgelegten Termin für eine Computertomografie warte. Ohne aber das Ergebnis dieser Computertomografie abzuwarten und die sich daraus ergebenden Behandlungsnotwendigkeiten (bspw. durch gezielte Befragung bzw. Einblick in die entsprechenden medizinischen Dokumente) zu erheben und in die Entscheidung miteinfließen zu lassen, erließ das BFA den angefochtenen Bescheid. Stattdessen stützte sich das BFA auf eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, welche im Wesentlichen die Aussage traf, dass die Krankheit der BF in Georgien in Spitälern und Kliniken (es handle sich dabei um private Einrichtungen) behandelbar sei. Zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung (27.03.2019) war aber das Ergebnis der für 08.05.2019 terminisierten Untersuchung (und die sich daraus ergebenden Behandlungsnotwendigkeiten) noch nicht bekannt, dh. die Feststellungen des BFA sind insoweit zu kurz greifend.

II.3.3.3. Wenn aber der relevante Sachverhalt - hier: welche konkrete Ausformung der Erkrankung bei der BF vorliegt und welche Behandlung angezeigt ist - nicht feststeht, lässt sich auch keine Aussage darüber treffen, ob insoweit eine adäquate Behandlungsmöglichkeit in Georgien gegeben ist. Dabei handelt es sich aber um den Kern des gegenständlichen Verfahrens.

II.3.3.4. Der angefochtene Bescheid enthält keine konkreten Feststellungen, ob es sich bei der Erkrankung der BF um eine solche handelt, die lebensgefährlich ist und wie sich eine mögliche Überstellung auf die BF auswirkten wird, ob zu erwarten ist, dass diesfalls eine unzumutbare Verschlechterung eintritt.

II.3.3.5. Gleichfalls sind die Erhebungen zu Vermögensverhältnissen der BF und ihrer Mutter - wie oben angeführt - unzureichend.

II.3.3.6. Mit der Entscheidung über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde verkürzte die belangte Behörde die Entscheidungsfrist für das BVwG de facto auf eine Woche. Innerhalb dieser kurzen Frist erscheint eine Sanierung der Ermittlungsmängel nicht durchführbar.

II.3.3.7. Das BFA wartete die notwendigen Untersuchungen nicht ab, sondern erließ (offenbar unter erheblichem Zeitdruck) den angefochtenen Bescheid - gestützt auf unzureichende Sachverhaltsgrundlagen - damit diese dann vom BVwG ermittelt werden (bzw. die vom BFA begonnenen Ermittlungsschritte weitergeführt werden), dies unter de facto Verkürzung der Entscheidungsfrist auf eine Woche.

Es ist daher anzunehmen, dass die Verwaltungsbehörde diese weiteren Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen (weitergeführt) werden. Ein gravierendes Indiz in diese Richtung ist die Zeitspanne zwischen letzter Einvernahme (25.04.2019) und Datum der Bescheidausfertigung (28.06.2019). Obwohl die bB bereits seit der Einvernahme vom 25.04.2019 von der anstehenden Untersuchung am 08.05.2019 wusste, traf es die Entscheidung, ohne das Untersuchungsergebnis abzuwarten.

II.3.4. Von diesen Überlegungen ausgehend ist daher im gegenständlichen Fall das dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung auszuüben und das Verfahren spruchgemäß an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.

Dass gegebenenfalls die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist, ist gegenständlich nicht erkennbar.

II.3.5. Mit 30.07.2019 erfolgte eine Nachreichung eines Befundes des AKH Wien vom 17.07.2019 - die BF betreffend. Bei der BF liege eine maligne Erkrankung mit einer großen tumorösen Raumforderung im Bereich des Abdomens vor, welche einer onkologischen Behandlung bedürfe. Es sei derzeit eine strahlentherapeutische Behandlung vorgesehen, die 6 - 7 Wochen dauern werde. Im Anschluss sei eine weitere systemische Therapie vorgesehen (vgl. OZ 2, 3). Dieser Befund wird im fortgesetzten Verfahren zu berücksichtigen sein.

II.4. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. der angefochtene Bescheid zu beheben war.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil diese Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG abweicht.

Schlagworte

Behandlung im Herkunftsstaat Ermittlungsmangel Ermittlungspflicht Gesundheitszustand Kassation lebensbedrohliche Krankheit mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Feststellungen mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L529.2221636.1.00

Im RIS seit

18.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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