TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/31 W271 2174336-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.03.2020
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Entscheidungsdatum

31.03.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W271 2174336-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX (alias XXXX ), StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen die anderen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe Folge gegeben, dass festgestellt wird, dass gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

III. Dem Beschwerdeführer wird gemäß § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 und § 54 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (in Folge: "BF"), ein afghanischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Tadschiken, stellte am XXXX bei einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes des XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei der am XXXX durchgeführten Erstbefragung gab der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei am XXXX in der Provinz Kapisa, im Distrikt Kohistan, im Dorf XXXX , geboren worden und habe dort sieben Jahre lang eine Schule besucht. Im Herkunftsland verfüge der BF über keine Kernfamilie: Seine Eltern seien bereits verstorben und sein Bruder verschwunden; er sei von seinem Onkel unterstützt worden. Vor acht Monaten habe der BF beschlossen, Afghanistan verlassen, und habe dies auch vor acht Monaten getan.

Als Fluchtgrund führte der BF im Wesentlichen an, dass sein Onkel, nachdem seine Eltern gestorben seien, das Sorgerecht für ihn und seinen Bruder übernommen habe. Am Anfang sei dieser sehr nett zu ihnen gewesen, habe sich dann aber den Taliban angeschlossen und Waffen transportiert. Der Onkel habe vom Bruder des BF verlangt, dass er dies auch machen solle; er habe ihn dazu gezwungen und seit drei Jahren sei der Bruder verschwunden. Danach habe der Onkel den BF ständig damit belästigt und von ihm gewollt, dass er mitmache. Da der BF dies nicht gewollt habe, sei er aus seinem Heimatland geflohen.

3. Am XXXX erfolgte die Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: "BFA") in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und der Verlobten des BF als Vertrauensperson.

Der BF gab an, aus der Provinz Kapisa, Distrikt Kohistan, Dorf XXXX , zu stammen und sich dort durchgehend von seiner Geburt am XXXX bis zu seinem Aufbruch nach Europa aufgehalten zu haben. Er habe sieben Jahre lang eine Schule besucht und bisher noch keine berufliche Tätigkeit ausgeübt. Einen Monat vor seiner Ausreise habe der BF sich entschieden, das Land zu verlassen; die Ausreise sei schließlich im XXXX erfolgt.

Zu seinem Fluchtgrund befragt schilderte der BF zusammengefasst, dass sein Onkel ihn und seinen Bruder zu sich genommen habe, nachdem seine Eltern verstorben seien (der BF sei zu diesem Zeitpunkt drei Jahre alt gewesen). Der Onkel sei jedoch nur so lange nett gewesen bis dessen Frau ein Kind bekommen habe; danach habe sich dieser verändert. Der BF habe dann mitbekommen, dass sein Onkel mit den Taliban und den Daesh zusammenarbeite. Sein Onkel habe Waffen nach Pakistan gebracht und gewollt, dass sein Bruder dabei mitmache. Dieser habe sich geweigert, sei aber trotzdem mitgenommen worden - seitdem habe der BF diesen nicht mehr gesehen. Drei Jahre nach dem Verschwinden seines Bruders sei der Onkel auf den BF zugekommen und habe diesen mehrfach aufgefordert, mitzukommen. Schließlich sei ihm ein einwöchiges Ultimatum gestellt worden: Entweder er komme mit und arbeite für sie, oder er werde getötet. Daraufhin habe der BF spontan entschlossen, das Land zu verlassen; um die Schlepper bezahlen zu können, habe er von seinem Onkel Geld gestohlen. Bei einer Rückkehr würden der Onkel und jene Personen, die mit ihm zusammenarbeiten, den BF töten.

4. Mit Bescheid vom XXXX wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß §§ 3 und 8 AsylG 2005 ab, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei.

5. Der BF erhob am XXXX gegen sämtliche Spruchpunkte Beschwerde. Es wurde besonders hervorgehoben, dass der BF aufgrund seiner Weigerung, mit seinem Onkel zusammenzuarbeiten, von diesem in Afghanistan verfolgt werde; eine innerstaatliche Fluchtalternative scheide aufgrund des landesweiten Spitzelnetzwerkes der Taliban aus. Es sei aber auch die Sicherheits- und Versorgungslage im Herkunftsstaat schlecht, weshalb eine Rückkehr unzumutbar sei.

6. Die Beschwerdevorlage erfolgte mit Schreiben vom XXXX . Am XXXX langte der Akt beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch: "BVwG") ein.

7. Das BVwG führte am XXXX in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein eines Rechtsvertreters des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Dabei wurde auch die Verlobte des BF, die als Zeugin zum Beweisthema "Privat- und Familienleben" beantragt wurde, einvernommen. Der BF wies zudem auf einen Nachrichtenbericht über neue Covid-19-Fälle in Afghanistan hin.

Zu Beginn der Vernehmung zeigte der BF an, dass es an zwei Stellen im BFA-Protokoll zu Fehlern gekommen sei: So stehe an einer Stelle, dass er mit seinem Bruder in einem Haushalt gelebt habe, obwohl er diesen gar nicht erwähnt habe. An einer anderen Stelle sei das Geburtsdatum des BF falsch verzeichnet worden; XXXX sei das richtige Datum.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Person des BF

1.1.1. Der BF trägt den Namen XXXX und führt das Geburtsdatum XXXX ; sein Aliasgeburtsjahr ist XXXX . Er ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Volksgruppenangehöriger der Tadschiken und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Der BF spricht Dari als Muttersprache und beherrscht die Sprache in Wort und Schrift. Außerdem spricht er etwas Englisch. Dari gehört zu den offiziellen Landessprachen in Afghanistan.

1.1.2. Der BF ist volljährig, in Österreich verlobt und kinderlos. Er wurde in der Provinz Kapisa, im Distrikt Kohistan, im Dorf XXXX , geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise. Der BF besuchte sieben Jahre lang eine Schule und ist in Afghanistan keiner beruflichen Tätigkeit nachgegangen.

1.1.3. Nach dem Tod der Eltern des BF im Kleinkindalter übernahm sein Onkel das Sorgerecht für ihn und seinen Bruder. Zum Zeitpunkt der Ausreise lebten der Onkel, seine Ehefrau und ihr gemeinsames Kind im Heimatdorf des BF; der BF hat seitdem nichts mehr von seinem Onkel gehört. Der Bruder des BF ist seit mehreren Jahren verschollen. Der BF konnte nicht angeben, wo sein Bruder verblieben ist und ob er noch lebt. Über weitere Angehörige in Afghanistan verfügt der BF nicht.

1.1.4. Der Aufbruch des BF von Afghanistan in Richtung Europa erfolgte spätestens im XXXX . Er reiste spätestens am XXXX in Österreich ein und stellte an diesem Tag im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Geld für die Ausreise, die ein Freund des BF organisiert hat, hat dieser von seinem Onkel gestohlen.

1.1.5. In seinem Herkunftsstaat ist der BF nicht vorbestraft, er war auch nicht politisch tätig und hatte keine Probleme mit den Behörden im Herkunftsstaat.

1.1.6. Der BF ist gesund und arbeitsfähig sowie selbsterhaltungsfähig.

1.1.7. Im Bundesgebiet verfügt der BF zwar über keine blutsverwandten Familienangehörigen, er hat jedoch eine österreichische Staatsbürgerin mit afghanischen Wurzeln namens XXXX als Partnerin. Mit dieser ist der BF auch verlobt. Der BF hat seine Lebensgefährtin im Jahr XXXX durch einen Freund kennengelernt und wenig später eine Beziehung mit ihr begonnen. Seit XXXX sind die beiden miteinander verlobt und planen im Falle eines positiven Bescheides zu heiraten und eine Familie zu gründen. Der BF ist in den Familienverband seiner Verlobten gänzlich integriert (es finden regelmäßig Besuche bei der Familie statt oder Spaziergänge im Freien mit dem invaliden Vater der Verlobten, der im Rollstuhl sitzt); der BF spricht von seiner "Schwiegerfamilie".

Der BF und seine Verlobte führen seit ca. neun Monaten einen gemeinsamen Haushalt. Sie leben in einer Eigentumswohnung eines befreundeten Österreichers in XXXX ; die monatliche Miete iHv EUR XXXX wird von beiden Partnern zur Hälfte getragen.

Die Lebensgefährtin des BF spricht perfektes Deutsch, kleidet sich westlich, ist geschminkt und trägt Nagellack sowie Schmuck und kein Kopftuch. Die Verlobte arbeitet unter der Woche bei einer Tankstelle und jobbt am Wochenende als Kellnerin; dabei verdient sie ungefähr EUR XXXX . Der BF leiht sich sporadisch von seiner Freundin Geld, zahlt dieses aber immer zurück.

1.1.8. Seit XXXX ist der BF selbstständig; mit Ende XXXX wurde dieser aus der Grundversorgung entlassen. Der BF verfügt über die Gewerbeberechtigung "Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchst zulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt" am Standort XXXX und stellt im Rahmen eines Werkvertrages für eine Pizzeria namens " XXXX " Speisen und Getränke zu (fünfmal die Woche, zwölf Stunden pro Tag). Er verdiente dadurch zuletzt monatlich etwa EUR XXXX bis XXXX . Der BF erledigt die Lieferungen mit seinem Privatauto; den österreichischen Führerschein hat er im XXXX nachgeholt. An seiner Arbeitsstelle ist der BF ein beliebter Kollege.

Darüber hinaus unterstützt er einmal die Woche auf freiwilliger Basis einen körperlich beeinträchtigten Österreicher, indem er für ihn putzt. Außerdem hat der BF früher ehrenamtlich auf einem Flohmarkt und im Rahmen einer Messe (" XXXX ") gearbeitet. Der BF hat zuletzt einen A2-Deutschkurs abgeschlossen und verfügt über ein A1-Sprachzertifikat (demnächst will er zur A2-Prüfung antreten); der BF spricht weit besser Deutsch als sein Zertifikat vermuten lässt. Zudem hat dieser an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen und freundschaftlichen Kontakt zu Österreichern und Afghanen geknüpft: So hat dieser einen österreichischen Studenten als Freund, der für ihn einen "Integrationsbrief" ausgestellt hat; darin wird die fleißige und ehrgeizige Art des BF sowie dessen Bemühungen zur Integration unterstrichen. Ansonsten verbringt der BF seine Freizeit mit afghanischen Freunden aus XXXX .

1.1.9. Der BF ist unbescholten und hat keine Verwaltungsstrafe erhalten.

1.2. Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates

Der BF gab an, bei einer Rückkehr Angst vor seinem Onkel zu haben, der in der Vergangenheit für die Taliban und die Daesh Waffen zwischen Afghanistan und Pakistan transportiert habe; auch fürchte er sich vor jenen Personen, mit denen sein Onkel kooperiert habe.

Die vom BF geschilderten Ereignisse haben sich nicht zugetragen: Der Onkel des BF hat nicht mit den Taliban und den Daesh zusammengearbeitet. Dieser hat nicht den Bruder des BF nach Pakistan verschleppt. Der Onkel hat den BF auch nicht mehrfach belästigt und diesem zuletzt ein einwöchiges Ultimatum gesetzt, ebenfalls für die regierungsfeindlichen Gruppierungen zu arbeiten und ihm nach Pakistan zu folgen, oder den Tod zu wählen. Gegenüber dem BF kam es nicht zum Versuch einer (Zwangs-)Rekrutierung durch seinen Onkel. Der BF hatte keinen unmittelbaren Kontakt zu den Taliban und den Daesh. Der BF hat in diesem Zusammenhang weder etwas von seinem Onkel, noch von dessen Geschäftspartnern im Fall einer Rückkehr zu befürchten.

Der BF hat auch sonst mit keinen Problemen mit regierungsfeindlichen Gruppierungen, dem Staat oder sonst jemandem im Herkunftsland zu rechnen. Vor allem hat er im Herkunftsstaat keine speziellen Probleme wegen seiner Nationalität, Religion, Ethnie, politischen oder weltanschaulichen Einstellung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppierung zu befürchten.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass in Afghanistan gegen den BF persönlich eine integritätsbedrohende Handlung oder Maßnahme, insbesondere wegen seines Geschlechts, seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung, gesetzt wurde oder eine solche Handlung oder Maßnahme unmittelbar bevorstand oder er eine solche Bedrohung im Falle seiner Ausweisung nach Afghanistan überall im Land zu vergegenwärtigen hätte.

Die Taliban sind in der Heimatprovinz des BF aktiv. Dem BF könnte daher bei einer Überstellung nach Kapisa ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit durch die regierungsfeindliche Gruppierung oder eine (Zwangs)Rekrutierung drohen, auch wenn nicht festgestellt werden konnte, dass der BF mit der Gruppierung persönlich Probleme hatte. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung außerhalb der Provinz Kapisa, insbesondere in Regionen, in denen regierungsfeindliche Elemente keinen maßgeblichen Einfluss haben, wie in Herat oder Mazar-e Sharif, würde dem BF nicht mit gesteigerter Wahrscheinlichkeit ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit oder eine (Zwangs)Rekrutierung durch die Taliban drohen.

1.3. Situation im Herkunftsstaat

1.3.1. Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen. Schätzungen zufolge sind 40 bis 42% Paschtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen.

Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri.

(Auszüge aus folgender Quelle: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019 [in Folge: "LIB"], Pkt. 3. "Politische Lage" und Pkt. 18. "Relevante ethnische Minderheiten")

1.3.2. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich.

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung. Die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, sodass Engpässe entstehen. Dadurch können manchmal auch Kräfte fehlen, um Territorium zu halten. Die Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau.

Für das gesamte Jahr 2018 gab es gegenüber 2017 einen Anstieg in der Gesamtzahl ziviler Opfer und ziviler Todesfälle. Für das erste Halbjahr 2019 wurde eine niedrigere Anzahl ziviler Opfer registrierten, im Juli, August und September lag ein hohes Gewaltniveau vor. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab wohnten, waren 2018 am stärksten vom Konflikt betroffen.

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion, weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele (High Profile Angriffe - HPA) aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind jedoch stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 1.12.2018 und 15.5.2019 waren es 6 HPAs.

(Auszüge aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 4. "Sicherheitslage")

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan sowie Islamic Movement of Uzbekistan.

- Taliban: Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte.

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan.

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren.

- Haqqani-Netzwerk: Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich.

- Islamischer Staat (IS/Daesh) - Islamischer Staat Khorasan Provinz: Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000 bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan, als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent.

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet und kämpfen in mehreren Gebieten um die Vorherrschaft. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab, konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen.

- Al-Qaida: Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht, die Präsenz auszubauen.

(Auszüge aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 4. "Sicherheitslage")

Sicherheitsbehörden:

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police).

Die Afghanische Nationalarmee (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert. Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen. Die Afghan Local Police (ALP) wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische.

(Auszüge aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 6. "Sicherheitsbehörden")

1.3.3. Grundversorgung und Wirtschaftslage

1.3.3.1. Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig.

Am Arbeitsmarkt müssten jährlich 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig, um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen, wobei Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen können. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit.

Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann. ALCS 2016-2017 stellte fest, dass nur 19,8% aller in Afghanistan beschäftigten Personen öffentlich und privat angestellt sind oder Arbeitgeber sind, was bedeutet, dass die Mehrheit der Arbeitnehmer eine gefährdete Beschäftigung darstellt.

52,6% der Landbevölkerung sind in der Landwirtschaft beschäftigt, während die städtische Beschäftigung vielfältiger ist. 36,5% der Erwerbsbevölkerung sind in verschiedenen Dienstleistungsbereichen beschäftigt und nur 5,5% in der Landwirtschaft.

Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Möglichkeiten in Bezug auf Handel, Import und Export von Waren, Bergbau und Produktion. Ungefähr die Hälfte der Erwerbsbevölkerung sind Tagelöhner. Einige der jahrhundertealten handwerklichen Erzeugnisse (Teppiche, Glas, Stickereien) haben überlebt, während sich auch eine Reihe moderner industrieller Tätigkeiten entwickelt hat (z.B. Lebensmittelverarbeitung und -verpackung).

Die Löhne für Gelegenheitsarbeit in Herat-Stadt im Mai 2018 lagen rund 17 Prozent unter dem Fünfjahresdurchschnitt. Damit steht die Lohnentwicklung im Kontrast zu Entwicklungen in anderen urbanen Zentren Afghanistans.

Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan und ein Industriezentrum mit großen Produktionsbetrieben und einer großen Anzahl kleiner und mittlerer Unternehmen, die Kunsthandwerk, Teppiche und Teppiche anbieten. Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als relativ stabil. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt waren Service- und Verkäufer. Die größte Gruppe der Beschäftigten in der Stadt waren Service- und Vertriebsmitarbeiter (23,1%), gefolgt von Managern/Fachleuten/Technikern und Angestellten (20,9%).

In Mazar-e Sharif lagen die Löhne für Gelegenheitsarbeit im Mai 2018 4,5 Prozent über dem Fünfjahresdurchschnitt.

(Auszüge bzw. Zusammenfassung aus folgenden Quellen: LIB, Pkt. 22. "Grundversorgung"; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan, Afghanistan Networks aus Februar 2018 [in Folge: "EASO-Bericht Netzwerke"], abrufbar unter: https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_Networks.pdf, Pkt. 4.2.; EASO, Afghanistan Key socio-economic indicators, Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City [in Folge: "EASO-Bericht Sozioökonomische Schlüsselindikatoren", abrufbar unter: https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO_COI_Afghanistan_KSEI_April_2019.pdf, Pkt. 4.2.1.; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 13.09.2018 ["Lage in Herat-Stadt und Mazar-e Sharif aufgrund anhaltender Dürre"], unter Angabe weiterer Quellen)

1.3.3.2. Armut und Lebensmittelsicherheit

Einer Befragung aus dem Jahr 2016/2017 an rund 155.000 Personen zufolge (Afghan Living Condition Survey - ALCS) sind rund 45% oder 13 Millionen Menschen in Afghanistan von anhaltender oder vorübergehender Lebensmittelunsicherheit betroffen, wobei der Anteil der Betroffenen im Osten, Norden und Nordosten am höchsten ist. Gegenüber dem Zeitraum 2011-12 ist ihr Anteil bei einem Ausgangsniveau von 30% um 15 Prozentpunkte gestiegen.

Die Lebensmittelsicherheit in Mazar-e Sharif wurde im Dezember 2018 vom "Famine Early Warning System" (FEWS) als "stressed" (selbst mit humanitärer Hilfe wies mindestens einer von fünf Haushalten nur einen minimalen Nahrungsmittelkonsum auf und konnte sich einige wesentliche Ausgaben für andere Zwecke nicht leisten ohne irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden) und in Herat als "crisis" (trotz humanitärer Hilfe war mindestens jeder fünfte Haushalt unterernährt oder lag über der üblichen akuten Unterernährung oder war nur geringfügig in der Lage, den Mindestnahrungsbedarf zu decken) bezeichnet.

Im Zeitraum 2016-17 lebten dem ALCS zufolge 54,5% der Afghanen unter der Armutsgrenze. Im ländlichen Raum war der Anteil an Bewohnern unter der Armutsgrenze mit 58,6% höher als im städtischen Bereich (41,6%). Schätzungen zufolge ist beispielsweise der Anteil der Bewohner unter der Armutsgrenze in Kabul Stadt und Herat-Stadt bei rund 34-35%. Rund 1,1 Millionen Bewohner von Kabul-Stadt leben unter der Armutsgrenze. In Herat-Stadt beträgt ihre Anzahl rund 327.000.

Der afghanische Staat gewährt seinen Bürgern kostenfreie Bildung und Gesundheitsleistungen, darüber hinaus sind keine Sozialleistungen vorgesehen. Ein Sozialversicherungs- oder Pensionssystem gibt es, von einigen Ausnahmen abgesehen (z.B. Armee und Polizei), nicht. Es gibt kein öffentliches Krankenversicherungssystem. Ein eingeschränktes Angebot an privaten Krankenversicherungen existiert, jedoch sind die Gebühren für die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung zu hoch.

(Auszüge bzw. Zusammenfassung aus folgenden Quellen: LIB, Pkt. 22. "Grundversorgung" und Pkt. 22.1. "Sozialbeihilfen, wohlfahrtsstaatliche Leistungen und Versicherungen"; EASO, Country Guidance: Afghanistan aus 2019 [in Folge: "EASO-Länderleitfaden 2019"], abrufbar unter https://www.easo. europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Afghanistan_2019.pdf, Seite 132)

1.3.3.3. Dürre und Überschwemmungen

Während der Wintersaat von Dezember 2017 bis Februar 2018 gab es in Afghanistan eine ausgedehnte Zeit der Trockenheit. Dies verschlechterte die Situation für die von Lebensmittelunsicherheit geprägte Bevölkerung weiter und hatte zerstörerische Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Existenzgrundlagen, was wiederum zu Binnenflucht führte und es den Binnenvertriebenen mittelfristig erschwert, sich wirtschaftlich zu erholen sowie die Grundbedürfnisse selbständig zu decken.

Günstige Regenfälle im Frühling und beinahe normale Temperaturen haben 2019 die Weidebedingungen wieder verbessert. Da sich viele Haushalte noch von der Dürre des Jahres 2018 erholen müssen, gilt die Ernährungslage für viele Haushalte im Zeitraum 10.2019-1.2020 weiterhin als "angespannt" bis "krisenhaft". Es wird erwartet, dass viele Haushalte vor allem in den höher gelegenen Regionen ihre Vorräte vor dem Winter aufbrauchen werden und bei begrenztem Einkommen und Zugang auf Märkte angewiesen sein werden.

Im März 2019 fanden in Afghanistan Überschwemmungen statt, welche Schätzungen zufolge, Auswirkungen auf mehr als 120.000 Personen in 14 Provinzen hatten. Sturzfluten Ende März 2019 hatten insbesondere für die Bevölkerung in den Provinzen Balkh und Herat schlimme Auswirkungen. Unter anderem waren von den Überschwemmungen auch Menschen betroffen, die zuvor von der Dürre vertrieben wurden.

Der Jahresbericht 2018 des Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) nennt eine Zahl von rund 371.000 neuen IDPs aufgrund der Dürre in Afghanistan im Jahr 2018. Durch die Dürre wurden in der ersten Hälfte des Jahres 2018 mehr als 260.000 Menschen aus den Provinzen Badghis, Daikundi, Herat und Ghor zu IDPs; zahlreiche Menschen verließen auch ihre Heimatprovinzen Jawzjan und Farah. Die meisten von ihnen kamen in Lager in den Städten Herat oder Qala-e-Naw (Badghis). Die Lager werden täglich mit Wasser und Lebensmitteln beliefert und es werden Zelte, Notunterkünfte, Hygiene-, Gesundheits- und Nahrungsdienste zur Verfügung gestellt. Im Jahr 2018 sind im Westen Afghanistans aufgrund der Dürre ca. 19 Siedlungen für Binnenvertriebene entstanden, der Großteil davon ca. 20-25 km von Herat-Stadt entfernt. Vertriebene Personen siedelten sich hauptsächlich in Stadtrandgebieten an, um sich in der Stadt Zugang zu Dienstleistungen (die in den Siedlungen, welche grundsätzlich auf leeren Feldern entstanden, nicht vorhanden sind) und dem Arbeitsmarkt zu verschaffen. In der Stadt kam es zu Demonstrationen von Bewohnern, welche die Binnenvertriebenen bezichtigten, ihnen die Arbeitsplätze wegzunehmen. Das gestiegene Angebot an billigen Arbeitskräften drückte den Tageslohn von 6-8 USD auf 2-3 USD.

(Auszüge aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 21. "IDPs und Flüchtlinge" und Pkt. 22. "Grundversorgung")

1.3.3.4. Wohnungsmarkt

In Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Es ist auch möglich, anstelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten, da dies billiger ist. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen.

Es gibt außerdem Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte "chai khana" (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer, in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen, um dort eingelassen zu werden.

(Auszüge bzw. Zusammenfassung aus folgenden Quellen: LIB, Pkt. 22. "Grundversorgung" und Pkt. 24. "Rückkehr"; EASO-Bericht Netzwerke, Pkt. 4.2.)

1.3.3.5. Sanitäre Situation

Der Zugang zu sauberem Wasser und angemessenen sanitären Einrichtungen, insbesondere zu Trinkwasser, hat sich wesentlich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht.

Die Afghanistan Public Policy Research Organization (APPRO) stellte im April 2016 fest, dass 80% der Einwohner von Herat City Zugang zu Netzstrom, 70% zu Wasser und 30% zu Abwasserleitungen haben. 81,2% der städtischen Bevölkerung in Herat haben Zugang zu verbesserten Wasserquellen und 92,1% verfügen über eine verbesserte sanitäre Einrichtung. In Herat City fehlt jedoch ein zentrales Abwassersystem.

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu verbesserten Trinkwasserquellen (76%), in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen. 92% der Haushalte haben sanitäre Einrichtungen verbessert.

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO-Länderleitfaden 2019, Seite 133)

1.3.3.6. Medizinische Versorgung

Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Alle Staatsbürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt.

Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden.

Das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt Herat bietet für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste an, von denen die meisten die Impf- und allgemeinen ambulanten Einheiten aufsuchen. Laut dem Provinzdirektor für Gesundheit in Herat verfügte die Stadt im April 2017 über 65 private Gesundheitskliniken.

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10-15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. Es existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind.

(Auszüge aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 23. "Medizinische Versorgung")

1.3.4. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten.

(Auszug aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 12. "Allgemeine Menschenrechtslage")

1.3.5. Meldewesen und Bankensystem

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten.

(Auszug aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 20.1. "Meldewesen")

Geld kann über das Bankensystem überwiesen werden, aber nicht alle Afghanen haben ein Bankkonto. Dies gilt insbesondere für die ländliche Bevölkerung. Das Vertrauen der Bevölkerung in Banken und Bankensysteme ist gering. Für diejenigen, welche das Bankensystem nicht nutzen können oder wollen kann Geld durch ein informelles Überweisungssystem überwiesen werden ("Hawala"). Dabei handelt es sich um ein etabliertes System für grenzüberschreitende Zahlungen und Geldüberweisungen, dem die Bevölkerung vertraut. Ein gewisser Prozentsatz der überwiesenen Summe wird als Gebühr einbehalten. Geld kann in alle Teile des Landes überwiesen werden, auch nach und von Nachbarstaaten, wie dem Iran und Pakistan.

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO-Bericht Netzwerke, Pkt. 4.3.)

1.3.6. Ethnische Minderheit der Tadschiken

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan, sie machen etwa 27-30% der afghanischen Gesellschaft aus und hat deutlichen politischen Einfluss im Land. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien vertreten, sie sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert.

(Auszug aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 18.2. "Tadschiken")

1.3.7. Rückkehr

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück.

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind.

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt.

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann.

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch.

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen.

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück.

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt.

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren.

(Auszüge aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 24. "Rückkehr" und Pkt. 24.1. "Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge [UMF]")

1.3.8. Kapisa

Die Provinz Kapisa liegt im zentralen Osten Afghanistans. Mahmood Raqi ist die Provinzhauptstadt. Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Kapisa für den Zeitraum 2019-20 auf 479.875 Personen. Die wichtigsten ethnischen Gruppen sind Tadschiken, Paschtunen und Nuristani, wobei die Tadschiken als größte Einzelgruppe hauptsächlich im nördlichen Teil der Provinz leben.

Kapisa hat strategische Bedeutung: Für Aufständische ist es einfach, die Provinzhauptstadt von Kapisa und die benachbarten Provinzen zu erreichen. Die Taliban sind in entlegeneren Distrikten der Provinz aktiv und versuchen oft, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung oder Sicherheitskräfte durchzuführen.

Kapisa zählt zu den relativ volatilen Provinzen. Die Regierungstruppen führen, teils mit Unterstützung der USA, regelmäßig Operationen in Kapisa durch. Auch werden Luftangriffe ausgeführt. Immer wieder kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften. Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 139 zivile Opfer (39 Tote und 100 Verletzte) in Kapisa. Dies entspricht einer Zunahme von 38% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von Luftangriffen und improvisierten Sprengkörpern.

(Auszüge aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 4.16. "Kapisa")

1.3.9. Herat und Herat Stadt

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und ist eine der größten Provinzen Afghanistans. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt. Die Provinz verfügt über 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen.

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen erreichbar.

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. In der Stadt Herat steigt die Kriminalität und Gesetzlosigkeit. Im Jahr 2018 gab es mit 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat einen Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen. Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften. Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein.

(Auszüge bzw. Zusammenfassung aus folgenden Quellen: LIB, Pkt. 4.13. "Herat" und Pkt. 22. "Grundversorgung"; EASO-Länderleitfaden 2019, Seiten 89 und 99 f)

1.3.10. Balkh und Mazar-e Sharif

Die Provinzhauptstadt von Balkh ist Mazar-e Sharif. Die Provinz Balkh liegt im Norden Afghanistan und ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Es leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in Mazar-e Sharif.

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) zu erreichen.

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Im Jahr 2018 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh dokumentiert. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Provinz Balkh sowie in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein.

(Auszüge bzw. Zusammenfassung aus folgenden Quellen: LIB, Pkt. 4.5. "Balkh" und Pkt. 22. "Grundversorgung"; EASO-Länderleitfaden 2019, Seiten 89 und 92 f)

1.3.11. Risikogruppen

In seinen "Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018" (in der Folge: "UNHCR-Richtlinien") identifiziert UNHCR verschiedene Risikogruppen (diese stimmen im Wesentlichen mit den auch von EASO in deren Leitlinien aufgezeigten Risikogruppen überein).

Für den BF wurde folgende Risikogruppe geltend gemacht:

Personen, die vermeintlich gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) verstoßen

Die Taliban haben Berichten zufolge Personen und Gemeinschaften getötet, angegriffen und bedroht, die in der Wahrnehmung der Taliban gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch die Taliban verstoßen haben. In Gebieten, in denen die Taliban versuchen, die lokale Bevölkerung von sich zu überzeugen, nehmen sie Berichten zufolge eine mildere Haltung ein. Sobald sich jedoch die betreffenden Gebiete unter ihrer tatsächlichen Kontrolle befinden, setzen die Taliban ihre strenge Auslegung islamischer Prinzipien, Normen und Werte durch. Es liegen Berichte über Taliban vor, die für das Ministerium der Taliban für die Förderung der Tugend und Verhinderung des Lasters tätig sind ,in den Straßen patrouillieren und Personen festnehmen, weil diese sich den Bart abrasiert haben oder Tabak konsumieren. Frauen ist es Berichten zufolge nur in Begleitung ihres Ehemanns oder männlicher Familienmitglieder gestattet, das Haus zu verlassen und ausschließlich zu einigen wenigen genehmigten Zwecken wie beispielsweise einen Arztbesuch. Frauen und Männer, die gegen diese Regeln verstoßen, wurden Berichten zufolge mit öffentlichen Auspeitschungen bestraft, ja sogar getötet.

In Gebieten, die von mit dem Islamischen Staat verbundenen Gruppen kontrolliert werden, wird Berichten zufolge ein sittenstrenger Lebensstil durch strikte Vorschriften und Bestrafungen durchgesetzt. Es wird berichtet, dass Frauen strenge Regeln, einschließlich Kleidungsvorschriften, und eingeschränkte Bewegungsfreiheit auferlegt wurden.

(Auszug aus folgender Quelle: UNHCR-Richtlinien, Pkt. III.A.6.)

Darüber hinaus kommt noch folgende Risikogruppe für den BF in Betracht:

Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Zusammenhang mit der Einberufung von Minderjährigen und der Zwangsrekrutierung

Allgemeines

Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden.

(Auszug aus folgender Quelle: UNHCR-Richtlinien, Pkt. III.A.3.a))

Die Taliban haben keinen Mangel an Freiwilligen bzw. Rekruten und nutzen die Zwangsrekrutierung nur in Ausnahmefällen. So wird beispielsweise berichtet, dass die Taliban versuchen, Personen mit militärischem Hintergrund, wie beispielsweise Mitglieder des ANSF, zu rekrutieren. Die Taliban nutzen auch die Zwangsrekrutierung in Situationen akuten Drucks. Druck und Zwang zur Aufnahme in die Taliban sind nicht immer gewalttätig und werden oft über die Familie, den Klan oder das religiöse Netzwerk ausgeübt, je nach den örtlichen Gegebenheiten. Es kann gesagt werden, dass die Folgen einer Nichtbefolgung im Allgemeinen ernst sind, einschließlich Berichten über Bedrohungen der Familie der angesprochenen Rekruten, schwere Körperverletzungen und Morde.

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO, Country of Origin Report: Afghanistan, Recruitment by armed groups aus September 2016 [in Folge: "EASO-Bericht Rekrutierung", abrufbar unter: https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_Recruitment_German.pdf], Pkt. 1.5., 5.2., 5.2.1.2., 5.2.1.3. und 5.2.1.4.).

Auffinden von Personen

Quellen in den Geheimdienstabteilungen der Taliban behaupteten im Jahr 2015, dass sich insgesamt fast 900 Informanten in den afghanischen Sicherheitskräften und im Regierungsapparat befänden. Von diesen wurden 150 allein in Kabul vom Haqqani-Netzwerk beansprucht. Der Geheimdienst der Taliban nutzt die Unterstützungsnetzwerke, die normalerweise Informationen kostenlos zur Verfügung stellen. Informationen werden von allen Taliban-Mitgliedern und Sympathisanten in die Geheimdienstabteilungen eingespeist. Normalerweise sind diese unbezahlten Denunzianten die Quelle grundlegender Informationen wie Neuankömmlinge oder Abgänge aus dem Dorf, verdächtiges Verhalten von Einzelpersonen, Verstoß gegen die Regeln der Taliban, negative Kommentare zu Taliban, Rekrutierung von Einzelpersonen in die Sicherheitskräfte etc. Nach Angaben eines Taliban-Richters zählte der Geheimdienst im Jahr 2016 einen ständigen Stab von mehr als 5.300 Personen im ganzen Land, mit Ausnahme der Rasool Shura und aller Söldner-Informanten.

Die Taliban behaupten mit Sicherheit, in allen Provinzen Afghanistans eine nachrichtendienstliche Präsenz zu haben. Obwohl dies in gewissem Maße zutrifft, sind Umfang und Qualität ihrer Präsenz sehr unterschiedlich, wobei einige Provinzen fast vollständig unter der Kontrolle der Taliban stehen und andere kaum betroffen sind. In Gebieten mit schwacher oder nicht-existierender Taliban-Präsenz sind die Taliban jedoch nicht in der Lage, die Informationen aus den Netzwerken der Mitglieder und Sympathisanten zu nutzen. In Gebieten mit starker Taliban-Präsenz besucht das Taliban-Patrouille-Team regelmäßig die Dörfer und sammelt Informationen, die Sympathisanten teilen könnten. Dies kann jedoch nicht in Gebieten mit schwacher Taliban-Präsenz geschehen.

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: Report Afghanistan: Taliban's Intelligence and the intimidation campaign, Pkt. 2. und 3.)

1.4. Persönliche Situation des BF im Falle einer Rückkehr

In den Städten Herat und Mazar-e Sharif droht dem BF im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage und auf die sonst in seiner Person gelegenen Eigenschaften kein Eingriff in seine (körperliche) Unversehrtheit. Der BF kann die Städte von Österreich sicher mit dem Flugzeug erreichen.

Die Wohnraum- und Versorgungslage in den genannten Städten ist angespannt. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan in diese Städte kann der BF jedoch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen, sich eine Existenz aufbauen und diese - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern.

Zudem könnte der BF - jedenfalls vorübergehend - Unterstützung durch seine Verlobte in Österreich erhalten; diese unterstützt den BF auch aktuell immer wieder finanziell. Es besteht für Rückkehrer aber auch die Möglichkeit, eine staatliche Reintegrationsunterstützung in Anspruch zu nehmen.

2. Beweiswürdigung

Ad 1.1. Person des BF

Ad 1.1.1. Die Identität des BF konnte durch die Vorlage einer Tazkira festgestellt werden; sein Geburtsdatum war jedoch aufgrund abweichender Angaben in den Einvernahmen nicht eindeutig bestimmbar: Laut seinem Identitätsausweis war der BF im Jahr XXXX XXXX Jahre alt, was das Geburtsjahr XXXX ergibt (Tazkira, AS 67). Im Einklag damit nannte dieser in der Erstbefragung den XXXX als Geburtsdatum (EB, Seite 1). Vor dem BFA gab der BF hingegen an, am XXXX geboren worden zu sein (BFA, Seite 3). Die Abweichungen zwischen den Einvernahmen versuchte der BF in der Beschwerdeverhandlung damit zu begründen, dass es zu einer falschen Protokollierung vor der Behörde gekommen sei (VP, Seite 3). Dieses Argument vermag jedoch nicht restlos zu überzeugen, weil das BFA-Protokoll von diesem als korrekt unterfertigt und auf Einwendungen verzichtet wurde (BFA, Seiten 13 f). Es kam auch in seiner umfassenden Beschwerdeschrift zu keiner Richtigstellung von Angaben.

Die Feststellungen zur Nationalität, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu den Sprachkenntnissen des BF gründen sich auf die gleichlautenden Aussagen im Zuge seiner Erstbefragung sowie dem BFA und auf die Angaben in seiner Beschwerde sowie in der mündlichen Verhandlung.

Den eingebrachten Länderberichten ist zu entnehmen, dass Dari eine der beiden offiziellen Landessprachen Afghanistans ist (vgl. Pkt. II.1.3.1.).

Ad 1.1.2. Dass der BF volljährig, verlobt und kinderlos ist, führte dieser überzeugend im Laufe des Verfahrens an und konnte dies entsprechend festgestellt werden. Das Verlöbnis wurde auch durch die in der Beschwerdeverhandlung einvernommene Zeugin bestätigt und mit Fotos von der Feierlichkeit belegt.

Die Feststellung dazu, dass der BF in einem Dorf in der Provinz Kapisa geboren wurde, wo er sich durchgehend bis zu seiner Ausreise nach Europa aufgehalten hat, stützen sich auf seine im Zuge der verschiedenen Befragungen vor dem XXXX , der belangten Behörde und dem BVwG gleich gebliebenen Angaben.

Auch die Feststellungen zur Schulausbildung und zur fehlenden beruflichen Tätigkeit des BF in seinem Herkunftsstaat beruhen auf dessen insoweit plausiblen Angaben im Verfahren.

Ad 1.1.3. Die Feststellungen zu den Familienverhältnissen, in denen der BF aufwuchs, und zu seinen Angehörigen stützen sich auf seine im Wesentlichen gleichlautenden Angaben im Rahmen der Erstbefragung und den Einvernahmen vor der belangten Behörde sowie dem BVwG.

Der BF schilderte in sämtlichen Einvernahmen überzeugend, dass der Kontakt zu seinem Bruder vor Jahren abgebrochen ist und er nichts über dessen Verbleib weiß. Auch wenn das BVwG daher von einer Unauffindbarkeit des Bruders ausgeht, konnte hingegen nicht die Feststellung getroffen werden, dass dessen Verschwinden mit dem Onkel des BF in Zusammenhang steht, der den Bruder gewaltsam nach Pakistan mitgenommen haben soll (vgl. Ausführungen unter Pkt. II.2. "Ad 1.2.").

Ad 1.1.4. Die Feststellungen zur Einreise nach Österreich und seiner Antragstellung im Bundesgebiet gründen sich auf den gleichbleibenden Aussagen des BF, der Aufgriffsmeldung sowie dem Protokoll der Ersteinvernahme.

Wann die Ausreise aus dem Herkunftsland stattgefunden hat, konnte indes nicht gesichert festgestellt werden: So gab der BF in der Erstbefragung an, vor acht Monaten aus Afghanistan ausgereist zu sein (dies würde auf den Zeitraum XXXX hindeuten; EB, Seite 4). Diese Aussage steht jedoch in einem Missverhältnis zu seinen Angaben vor dem BFA und dem BVwG, wonach er das Land im XXXX verlassen habe (BFA, Seite 5; VP, Seite 8). Die vom BF behauptete Reisedauer von acht Monaten hinzugezählt (BFA, Seite 6), würde eine Ankunft in Österreich im XXXX ergeben - der BF wurde aber erst im XXXX von der Polizei im Bundesgebiet angehalten (Bericht, AS 17). Außerdem lautet das Ausstellungsdatum seiner Tazkira auf XXXX (Tazkira, AS 67). Daher konnte lediglich festgestellt werden, dass der BF spätestens im

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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